Barockdichtung

Die Barockdichtung ist vor allem gekennzeichnet durch das Vanitasmotiv . Der Begriff Vanitas stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Vergeblichkeit, Nichtigkeit, leeres Gerede. In seiner ursprünglichen Ausformung ist das Motiv im Alten Testament zu finden:

„Vanitas Vanitatum, et omnia vanitas“
(lat.: „Eitelkeit der Eitelkeiten, und alles ist Eitelkeit“),

so lautet das Zitat aus Prediger Salomo 1,2 und 12,8. In der Lutherschen Übersetzung ist zu lesen:

„Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, es ist alles ganz eitel.“

Für gewöhnlich wird zitiert: „Alles ist eitel.“ Dass dieses Motiv in der Kunst des Barock, insbesondere in der Lyrik, zu solcher Geltung gelangte, hat unmittelbar mit der Grundstimmung jener Epoche zu tun.

Zeitalter des Barock

Das Zeitalter des Barock war für die Menschen vor allem eine Zeit religiöser und gesellschaftlicher Umbrüche, der Zerrissenheit und des unermesslichen Leids. Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648, Gedichte der Zeit in der PDF 1) und wiederkehrende Pestepidemien hatten in Deutschland, vor allem im Norden, ganze Landstriche verwüstet und entvölkert. Der Süden litt unter den Folgen der Türkenkriege (1683 zweite Belagerung Wiens). Marodierende Söldnertruppen zogen durch die Lande und mordeten, brandschatzten und plünderten. Im Krieg hatten sich die Staaten der protestantischen Union und der katholischen Liga gegenübergestanden. Glaubenskämpfe verunsicherten die Menschen: Protestanten und Calvinisten bekämpften einander und beide gemeinsam den Katholizismus, der im Zuge der Gegenreformation wieder an Boden gewonnen hatte. Nicht nur Kriegsleid und das Erlebnis massenhaften Sterbens drückte die Menschen, sondern auch große soziale Ungerechtigkeit. Der kostspielige Repräsentationsstil deutscher absolutistischer Fürsten war dem Gepränge des französischen Königshofes unter LOUIS XIV. abgeschaut. Die triumphalen, mächtigen Schlossbauten dieser Epoche und die glänzende Hofhaltung finanzierten die Landesherren zum großen Teil, indem sie der Bevölkerung horrende Steuern abpressten und die Gesinde- und Leibeigenschaftsordnung verschärften. Die neuzeitliche Umgestaltung der Welt durch wissenschaftliche und geographische Entdeckungen, durch die Herausbildung neuer ökonomischer Strukturen vermittelte den Menschen das Gefühl, aus den gewohnten religiösen und ständischen Bindungen herauszufallen und zum Spielball religiöser und politischer Mächte und des Schicksals zu werden.

Doch gerade das Bewusstsein der Vergänglichkeit alles Irdischen und der Sinnlosigkeit allen Bemühens (PDF 2), das Wissen um die Wechselhaftigkeit des menschlichen Glücks und die Allgegenwart des Todes hielt auch das Bedürfnis wach, dankbar für jeden in Zufriedenheit verbrachten Tag zu sein, das Leben im Diesseits nach Kräften zu genießen und sich den ganz alltäglichen Sinnesfreuden hinzugeben.
Aus diesen Gegensätzlichkeiten und Spannungen speisen sich die Motive und Topoi (feste Bilder und Symbole) der barocken Kunst, sowohl in bildnerischen Darstellungen als auch in der Literatur und insbesondere in der Lyrik. Das Streben der Menschen nach Glanz, Anerkennung und irdischen Gütern wird in der Malerei häufig in der Gestalt einer Frau symbolisiert, angelehnt an die mittelalterliche Vorstellung von der Frau Welt . Nicht selten ist es eine üppige nackte Schöne, die in einen Spiegel schaut und Sinnesfreuden und Genuss verkörpert. Doch ähnlich wie in den mittelalterlichen Totentanzdarstellungen ist der Tod , unabhängig von persönlichem Stand und Reichtum, allgegenwärtig und beobachtet das eitle Treiben. Mitunter erscheint er im Bild direkt in der Gestalt des Sensenmannes oder eines halbverwesten Leichnams. In Stillleben ist er symbolisiert in Emblem en, die Vergänglichkeit bedeuten:

  • düsteres Ambiente,
  • Totenschädel,
  • modernde, verwesende Früchte und Pflanzen,
  • Tiere der Nacht wie Eulen und Fledermäuse,
  • verlöschende Kerzen,
  • die rinnende Sanduhr.

Sanduhr

Die Sanduhr ist das deutlichste Sinnbild der unaufhaltsam verfließenden Zeit und des unwiderruflich herannahenden Endes.

THEODOR KORNFELD
Eine Sanduhr

Die Zeit vergehet
Und bald enstehet
Der Rechnungstag
Von aller Sach;

Der Sand versindet
Uns damit windet
Wir wollen fort
Zum andern Orth
Gen fromm/ und kom.
Gott uns leite

Und bereite!
Miss' alle Stunde woll
und richte deine Sachen;
Das du in letzter Stund kanst gute

Rechnung machen.

memento mori

Seit dem späten Mittelalter und gerade in jenem höchst unsicheren Jahrhundert des Dreißigjährigen Krieges war das memento mori (Gedenke des Todes) geradezu ein Teil des Selbstverständnisses des Menschen. Alles, was dem Menschen widerfahre, sei das Werk Gottes, so lehrte es der Glaube. Trost und Heil erwarte den Menschen nach einem mühseligen Leben erst im Jenseits. Also galt es, wohl vorbereitet die Stunde des Todes zu erwarten, vor allem indem man ein demütiges, tugendhaftes und gottgefälliges Leben führte, stets eingedenk der Nichtigkeit menschlichen Strebens.

Das Vanitas-Motiv in direkter Anlehnung an den Prediger Salomo aus dem Alten Testament und in dennoch ganz eigenständiger Anverwandlung der Diktion ist in ANDREAS GRYPHIUS' Sonett „Es ist alles eitel“ von 1643 zu finden (Audio 1). GRYPHIUS (1616–1664) bereicherte die biblische Vorlage gleichsam um selbst Empfundenes, denn er hatte sehr früh am eigenen Leib die Not von Krieg und Krankheit erfahren.

ANDREAS GRYPHIUS
Es ist alles eitel

Dv sihst/ wohin du sihst nur eitelkeit auff erden.
Was dieser heute bawt/ reist jener morgen ein:
Wo itzund städte stehn/ wird eine wiesen sein
Auff der ein schäffers kind wird spilen mitt den heerden.
Was itzund prächtig blüht sol bald zutretten werden.
Was itzt so pocht vndt trotzt ist morgen asch vnd bein.
Nichts ist das ewig sey/ kein ertz kein marmorstein.
Jtz lacht das gluck vns an/ bald donnern die beschwerden.
Der hohen thaten ruhm mus wie ein traum vergehn.
Soll den das spiell der zeitt/ der leichte mensch bestehn.
Ach! was ist alles dis was wir für köstlich achten/
Als schlechte nichtikeitt/ als schaten staub vnd windt.
Als eine wiesen blum/ die man nicht wiederfindt.
Noch wil was ewig ist kein einig mensch betrachten.

1643
(Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Herausgegeben von Marian Szyrocki und Hugh Powell, Tübingen: Niemeyer, 1963, S. 33)

Die Eindringlichkeit dieser Dichtung rührt im Wesentlichen von dem antithetischen Aufbau der ersten beiden Strophen, der das geschäftige, blühende Leben mit dem Prinzip der allgemeinen Vergänglichkeit kontrastiert, und der kräftigen Bildsprache her: Dem Bauen folgt das Einreißen, auf Blühen das Zertreten, dem Lachen des Glücks folgen donnernde Beschwerden. Dem allmächtigen Spiel der Zeit ist alles und jeder unterworfen, so lautet die Grundaussage des Gedichts. Gryphius benutzt dafür die Topoi von Asche und Bein, von Schatten, Staub und Wind, von Nichtigkeit und Vergehen. Jedoch das Köstliche, so sagt GRYPHIUS am Ende, ist für uns gerade das, was vergänglich ist, denn „was ewig ist“ will „kein einig Mensch betrachten“.

audio

Eine ähnlich pessimistische Grundstimmung ist in den Gedichten von CHRISTIAN HOFMAN VON HOFMANNSWALDAU (1616–1679) anzutreffen, der häufig die Vergänglichkeit von Jugend und Schönheit („... denn Kindheit und Jugend ist eitel“ – Prediger 11.9) und die Unbeständigkeit der Liebe beklagt. Ins Allgemeine gewendet und auf den Zustand der Welt bezogen sind diese Klagen in seinen „Die Welt“ betitelten Gedichten.

CHRISTIAN HOFMAN VON HOFMANNSWALDAU
Die Welt (II)

Was ist die Welt und ihr ber ühmtes Gläntzen?
Was ist die Welt und ihre gantze Pracht?
Ein schnöder Schein in kurtzgefasten Gräntzen /
Ein schneller Blitz bey schwartzgewölckter Nacht.
Ein bundtes Feld / da Kummerdisteln grünen;
Ein schön Spital / so voller Kranckheit steckt.
Ein Sclavenhauß / da alle Menschen dienen /
Ein faules Grab / so Alabaster deckt.
Das ist der Grund / darauff wir Menschen bauen /
Und was das Fleisch für einen Abgott hält.
Komm Seele / komm / und lerne weiter schauen /
Als sich erstreckt der Zirckel dieser Welt.
Streich ab von dir derselben kurtzes Prangen /
Halt ihre Lust vor eine schwere Last.
So wirstu leicht in diesen Port gelangen /
Da Ewigkeit und Schönheit sich umbfast.

1679
(Deutsche Nationalliteratur, Herausgegeben von Joseph Kürschner, Stuttgart: Union Deutsche Verlagsgesellschaft, S. 87-88)

Das Gedicht führt die Kurzlebigkeit des Glücks vor Augen und die Vergänglichkeit, der alles Irdische schon in seinem Entstehen anheim gegeben ist. Der schöne Schein trügt, so HOFMANNSWALDAU, denn Kummer, Mühsal, Krankheit und letztlich das Grab sind allen Menschen vorherbestimmt und aufflackerndes Glück und materieller Glanz sind nur ein Abgott, ein falscher Gott.

Die Vanitas-Klagen in der Barocklyrik sind von der Haltung eines christlichen Stoizismus geprägt und vermitteln, dass das Glück den Menschen nicht im Diesseits bestimmt ist, sondern dass sich die Seele über die engen Grenzen des irdischen Lebens erheben soll, sei es im Glauben an die Erlösung im Jenseits oder als Eingedenken, Teil des universellen Werdens und Vergehens zu sein. So soll der Mensch sich ohne zu hadern in sein von Gott vorbestimmtes Schicksal fügen.

ANDREAS GRYPHIUS
Was sind wir Menschen doch
(Menschliches Elende)

Was sind wir Menschen doch! ein Wonhauß grimmer Schmertzen?
Ein Baal des falschen Glücks / ein Irrliecht dieser Zeit /
Ein Schauplatz aller Angst / und Widerwertigkeit /
Ein bald verschmelzter Schnee / und abgebrante Kertzen /
Diß Leben fleucht darvon wie ein Geschwätz und Schertzen.
Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes kleid /
Und in das Todten Buch der grossen Sterbligkeit
Längst eingeschrieben sind; find uns auß Sinn' und Hertzen:
Gleich wie ein eitel Traum leicht auß der acht hinfält /
Und wie ein Strom verfleust / den keine Macht auffhelt;
So muß auch unser Nahm / Lob / Ehr und Ruhm verschwinden.
Was itzund Athem holt; fält unversehns dahin;
Was nach uns kompt / wird auch der Todt ins Grab hinzihn /
So werden wir verjagt gleich wie ein Rauch von Winden.

1643
(Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Herausgegeben von Marian Szyrocki und Hugh Powell, Tübingen: Niemeyer, 1963)

audio

Das Erlebnis von Krieg, Sterben und massenhaftem menschlichen Elend sowie das Empfinden, in einer dem Untergang geweihten Welt zu leben, teilten die Dichter aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges mit den jungen Expressionisten , die 250 Jahre später in die Katastrophe des Ersten Weltkrieges geworfen waren. An dem Elend, das ihm im Lazarett täglich begegnete, ist der Dichter GEORG TRAKL (1887–1814) zerbrochen. Eins seiner letzten und erschütterndsten Gedichte spiegelt ein ähnliches Empfinden wie die oben gezeigten älteren Dichtungen. Jedoch bietet das Jenseits nunmehr keine Hoffnung, denn „ein zürnender Gott wohnt“ im roten Gewölk.

Grodek
GEORG TRAKL

Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt
Das vergoßne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunklen Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.

1914
(Georg Trakl: Das dichterische Werk. Auf Grund der historisch-kritischen Ausgabe von Walther Killy und Hans Szklenar bearbeitet von Friedrich Kur, München: Deutscher Taschenbuchverlag, 1972, S. 94)

Aber schon im Mittelalter sind Vanitasklagen bekannt, wie die Beispiele von Walther von der Vogelweide „Fro Welt, ir sult dem wirte sagen“ (PDF 3) sowie von HUGO VON MONFORT zeigen:

HUGO VON MONFORT
Fro Welt, ir sint gar húpsch und schón

„Fro Welt, ir sint gar húpsch und schón
und ewer lon fúr nichte
gar liebi wort und súss gedón –
als ierr, da ist kain schlíchte.
wer sich mit dir bekúmbern tút
der ist zwar in ain iergang komen
und geit am jungsten bósen mút –
das hán ich sicher wol vernomen“
„lieber gesell, wes zeichst du mich
(ich han dir dikch doch mút gegeben),
das du mich hast so gar vernicht?
du solt mit fróden mit mir leben:
las vógelli sorgen und gang zú mir
und spring mit fróden an den tantz
– das wil ich sicher raten dir –,
setz auf dain haupt ain rosen krantz!“

„das tantzen hán ich verhaissen
kain schappel getrag ich niemer me –
daz wil ich zwar án zweýfel laisten
Es tú mir wol oder we
ich hán die welt gewandelt vil
und hán sey gar wol gesehen
und ist doch als ain narren spil
wil ich mít gantz warhait íehen
und hast du dann ain kutten gessen
oder wilt du in ain closter varn
du solt die sach vil anders messen
und solt dich selber bas bewarn
sich mit willen an die weib,
tú fróleich gen mir lachen
die sind der welt doch laid vertreib
mainst du auss úns ain narrenspil hie machen?“

 „ich enwaiss nicht was ich machen wil:
die welt ist ain zergangkleich leben
ewer antwurt der ist mir ze vil
gott tút die rechten gaben geben
die welt die geit nu triegen
das mertail in allen landen
mit laichen vnd mit liegen
o pfuch der grossen schanden“
 „ich gelaub du wellist werden wild
wie hast du dich verkeret
sich an ain liepleich weipleich bild
ob sich dein fróde meret
schlach trawren auss dem hertzen
wer sol all sach bedenken
túliepleich mit mir schertzen
won vnmút das tút krenken“

 „ir schlahent brey fur gebratens dar
und messentz mit der eln auss
wend ir nicht sterbens nemen war
da fúr ist nieman zwar behaus
ich hán grosz wunnvnd fród gesehen
von weiben vnd von mannen
und ist in kurtzer zeit beschehen
mit sterben als zergangen“
 „du saist von alten méren da
und wenst die welt die well zergán
uon wunder múst du werden grá
du solt freýleich von den sorgen lán
du solt fróleich hie auff erden sein
(dir mag nicht anders werden)
mit frawen vnd mit tochterlein
nicht sorg auff todes sterben
solt ich nicht bedenken ewigs leben
war hett ich dannmein sinngetán
so liess ich das best ie vnderwegen
ir sond zwar von den worten lán
won all sach die múss zergán
an got vnd die grechten hýmel
selen vnd engel tund auch bestán
und gaist das wert als iemer“

„du saist von frómden méren hie
das gehort ich nie also gantz
ich gesach selen noch engel nie
dafur so ném ich ainen tantz
won ich hán trawren hewr verhaissen
also hán ichs angelait
das wil ich zwar mit fróden laisten
sterben sey den músen gesait“
„fro welt wend ir vergessen got
es wirt euch gerewen ain iungsten tag
h}ielten ir die zehen gebott
das wurd euch lieb als ich euch sag
sant Michel mit seiner wág
der wiget úbel vnd auch gút/
so leit der tiefel auff der lág
dauon hánd euch in rechter hút/
ich wand du werist ain ritt gewesen
wa bist du nu in studium gestanden
du hast gar gúti búch gelesen
du bindst mich da mit rechten banden
ich múss dir iehen du hast recht
die welt ist ain zergangkleich leben

der got dienti das wer schleht
der tút die rechten gaben geben
sid ir mir iehent das hór ich gen
so túnd auch nach den worten
hoffart vnkúnsch sond ir enbern
wend ir in himels porten
neyd vnd hass das sond ir lán
und begerent niemantz er noch gút
mit Méssikait sond ir bestán
daby hand euch in rechter hút/
uatter vnd múte habent lieb
lebent vnd auch tót
ir sond auch wesen niemans dieb
so behút euch got vor nót
ir sond auch nieman tóten
an recht sein blút vergiessen
des vnrechten nieman nóten
des land euch als verdriessen
ir sond auch got nicht úppekleíchnemeen
ewern eben cristan habent lieb
den armen almúsen senden
nicht sind ewer selbs dieb
ir sond nicht valsch gezewg sein
und kain sýmoný nicht treiben
so wont euch seld vnd gelúkt bey
túnd ir dabey beleiben
ewern sabath sond ir halten
und dartzúdie hailgen ehe
so túnd ir weyshait walten
won vnrecht tún dz bringet we
hand got lieb vor allen sachen
da gen sond ir nichts messen
ir wellint schlaffen oder wachen
so túnd sein nicht vergessen “ 

du rátscht mir da gar eben
die zehen gebott ze halten
das wér ain hailigs leben
das mag ich hart hie bey der welt gewalten
wólt ich dann in ain closter varn
darinnist neýd vnd háss
dauor mócht ich mich kum bewarn
hie vor ist mir noch bas
sólt ich mich dann zú den pfaffen ziehen
die habent krieg vnkewsch vnd geit
das ich dir daran icht lieg
du hórst wol in den landen weýt/
sólt ich dann zú ainem ainsidel werden
das ist kain bestéter orden
ich mócht  wol in ainem wald verderben
warauff sol ich nu horden
kém ich in die willigen armút
man nemptz die paginen
mein sel die wér gar vnbehút
der tiefel wirt sey peinen
won es ist nicht ain gerechter orden
[...]
(in: Hugo (von Montfort): Das Poetische Werk: Texte. Melodien. Einführung. Mit Einem Melodienanhang. Hersg. Wernfried Hofmeister, Agnes Grond. Berlin: de Gruyter, 2005, S. 133 ff.)

Natur- und Landschaftslyrik

Neben dem Memento Mori finden sich zahlreiche Naturgedichte im Barock als Ausdruck des Verhältnisses zwischen Subjekt und Welt bzw. zwischen Mensch und Gott.

Zu den namhaftesten Naturlyrikern zählt BARTHOLD HINRICH BROCKES (1680–1747), dessen Zyklus „Irdisches Vergnügen in Gott“ bis heute zu den einflussreichsten Gedichtsammlungen gehört. Seine Gedichte beschreiben und feiern äußerst detailreich die Schöpfung Gottes.

BARTHOLD HINRICH BROCKES
Kirsch-Blühte bey der Nacht

Ich sahe mit betrachtendem Gemüte
Jüngst einen Kirsch-Baum, welcher blüh'te,
In küler Nacht beym Monden-Schein;
Ich glaubt', es könne nichts von gröss'rer Weisse seyn.
Es schien, ob wär' ein Schnee gefallen.
Ein jeder, auch der klein'ste Ast
Trug gleichsam eine rechte Last
Von zierlich-weissen runden Ballen.
Es ist kein Schwan so weiß, da nemlich jedes Blat,
Indem daselbst des Mondes sanftes Licht
Selbst durch die zarten Blätter bricht,
So gar den Schatten weiß und sonder Schwärze hat.
Unmöglich, dacht' ich, kann auf Erden
Was weissers ausgefunden werden.
Indem ich nun bald hin bald her
Im Schatten dieses Baumes gehe:
Sah' ich von ungefehr
Durch alle Bluhmen in die Höhe
Und ward noch einen weissern Schein,
Der tausend mal so weiß, der tausend mal so klar,
Fast halb darob erstaunt, gewahr.
Der Blühte Schnee schien schwarz zu seyn
Bey diesem weissen Glanz. Es fiel mir ins Gesicht
Von einem hellen Stern ein weisses Licht,
Das mir recht in die Sele stral'te.
Wie sehr ich mich an GOtt im Irdischen ergetze,
Dacht' ich, hat Er dennoch weit grös're Schätze.
Die gröste Schönheit dieser Erden
Kann mit der himmlischen doch nicht verglichen werden.
(Walter Killy (Hg.): Deutsche Lyrik von den Anfängen bis zur Gegenwart in 10 Bänden, Band 5: Gedichte 1700–1770, München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1969, S. 105-106.)

Auch SIGMUND VON BIRKEN (1626–1681) und JOHANN KLAJ (1616–1656) verfassten Naturgedichte, die sich heutzutage, allerdings zu Unrecht, nur noch in einigen Anthologien finden. JOHANN KLAJs Vorzug des Frühlings (Audio 3) lebt nicht nur von der Schilderung der Landschaft und Natur, sondern besticht auch durch das subtile Spiel mit der Sprache und der verblüffenden Pointe:

JOHANN KLAJ
Vorzug des Frühlings

Im Lentzen da gläntzen die blümigen Auen /
die Auen / die bauen die perlenen Tauen /
die Nympfen in Sümpfen ihr Antlitz beschauen /
es schmiltzet der Schnee /
man segelt zur See /
bricht güldenen Klee.
Die Erlen den Schmerlen den Schatten versüssen /
sie streichen / sie leichen / in blaulichten Flüssen /
die Angel auß Mangel und Reissen beküssen /
die Lerche die singt /
das Haberrohr klingt /
die Schäferin springt.
Die Hirten in Hürden begehen den Majen /
man zieret und führet den singenden Reien /
die Reien die schreien um neues Gedeien /
die Herde die schellt /
der Rüde der bellt /
das Eiter das schwellt.
(Johann Klaj: Friedensdichtungen und kleinere poetische Schriften, Herausgegeben von Conrad Wiedemann, Tübingen: Niemeyer, 1968, S. 111)

audio

SIGMUND VON BIRKEN und JOHANN KLAJ verfassten auch gemeinsam Gediichte. Eines dieser ist „ Befärbet/Umnärbet“ (Audio 4):

Befärbet /
Umnärbet /
Du heitrer Blumen=glantz
Du buntlicher runder KRANTZ /
Artlich gewunden / und zartlich gebunden /
Ein Dank *** Ein Zank
und Himmelsgabe: * Bild* der Sinnen=haabe.
Deine Zier *Bild * doch dafür
Ist jetzt ringer worden / * Bild* blüht ein schöner Orden
Es wird noch dieses Riß *Bild * ein starkes Band gewiß
beginnen *Bild *anspinnen:
und dein Blumenbewirten* Bild * weil die Pegnitz=Hirten
grünt an Ruhm * * * krönt die Blum
Bezüngtes Gerüchte / Trieb unser Gedichte /
Mach unsren Verbindungs=Bund
Kund in dem weiten Rund
Mit Stifften /
in Schrifften.

Das Druckbild dieses Gedichtes sah folgendermaßen aus:

 

Bild

(Georg Philipp Harsdörffer/ Sigmund von Birken/ Johann Klaj: Pegnesisches Schäfergedicht. 1644–1645, Herausgegeben Von Klaus Garber, Tübingen: Niemeyer, 1966 [Fortsetzung der Pegnitz-Schäferey], S. 31).

audio

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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