Die sogenannte „Ernste Musik“ zielte zunächst hauptsächlich auf das Bürgertum, einschließlich von Teilen des Kleinbürgertums. Sie strahlte allerdings auch legitimierend auf breitere Bevölkerungsschichten aus und hatte überdies aufgrund der internationalen Geltung österreichisch-deutscher Musiktraditionen (der im Bereich der populären Musik nichts Vergleichbares gegenüberstand) einen höheren Stellenwert im Kampf um die Weltmacht als heute. Speziell die nicht-rational, vorwiegend emotional wahrgenommene Musik war ein höchst probates Propagandamittel, ganz im Sinn jener These von Propagandaminister JOSEPH GOEBBELS (1897–1945), dass Propaganda desto wirksamer sei, je unmerklicher sie wirke.
Die faschistische Mobilisierung wurde und wird gern als Politisierung der Musik verstanden. Dabei setzt Politisierung
Davon kann im Nazismus keine Rede sein. Insgesamt wichtiger und wirksamer war die der Mobilisierung von Maskierungsfunktionen.
So hatte der Einsatz der „hohen“ Kunst Musik eine doppelte Zwecksetzung.
So stellte sich, ohne ein Nazi zu sein, auch RICHARD STRAUSS (1864–1949), der sich als Hauptvertreter „deutscher Musik“ fühlte, für den repräsentativen Posten des Präsidenten der von den Nazis neu geschaffenen „Reichsmusikkammer“ zur Verfügung. Innerhalb der nazistischen „Ästhetisierung der Politik“ erklärte RICHARD STRAUSS nach seiner Entlassung als Präsident der Reichsmusikkammer ADOLF HITLER (1889–1945) zum „großen Gestalter des deutschen Gesamtlebens“. Sein Nachfolger wurde der LISZT-Forscher, Dirigent und Musikkritiker PETER RAABE (1872–1945).
Auch sonst produzierte RICHARD STRAUSS Stücke auf Bestellung. So war die „Olympische Hymne“ für gemischten Chor und Orchester durchaus ein politisches Signal. Für ihn war sie eine Gelegenheit, sich wieder ins Gespräch zu bringen. Unter seinem eigenen Dirigat wurde sie zur Eröffnung der Olympischen Spiele am 1. August 1936 in Anwesenheit der gesamten NS-Prominenz uraufgeführt – also in einem im weiten Sinn politischen wie nazistischen Kontext, allerdings eben beim „unpolitischen“ Sport und mit der Perspektive aufs Internationale kaschiert. STRAUSS, der sich als dezidiert unpolitisch verstand, komponierte die Hymne zynisch-abfällig für die „Proleten“. Und 1943 schrieb STRAUSS eine Festmusik für den Trompeterchor der Stadt Wien (der dortige NS-Statthalter sorgte dafür, dass STRAUSS’ jüdische Schwiegertochter unbehelligt blieb). Bereits 1940 hatte er, sogar ausdrücklich mit Opus-Zahl (op. 84), die „Japanische Festmusik für großes Orchester“ zur Feier des 2600-jährigen Bestehens des Kaiserreichs Japan geschrieben.
Skrupel, Bedenken oder Ähnliches gab es sicher – sie wurden aber vor allem nachträglich, nach 1945, lautstark vorgetragen. Es gab sie bei den Beteiligten sicher auch schon nach 1933, in der Regel aber nur, um dann doch mitzumachen. Subjektive Rechtfertigungen waren etwa die Illusion,
Das war wohl im Wesentlichen illusionär – teils Selbsttäuschung, teils selber bereits Element der Täuschung über die wahren Verhältnisse im System.
Das Festhalten am „Unpolitischen“ in Gestalt der Autonomie der Kunst ließ auch bei technisch etwas moderneren Komponisten ein erstaunlich geringes Widerstandspotenzial entstehen. Um den Schein der Kunstautonomie und damit einhergehende Illusionen über das Terrorsystem zu waren, war eine totale Nazifizierung der Musikkultur gar nicht beabsichtigt. Kleine Freiräume zu lassen, erwies sich als effizienter, aber die tendenziell totale Überwachung blieb.
In einer ziemlich breiten Grauzone wurden die repressiven, aber im Detail nicht präzisen Regulative des Nazismus sowie der staatlichen Instanzen als Mittel für Intrigen und andere Verfahren wirtschaftlich-sozialer Konkurrenz genutzt. Denunziationen von Wettbewerbern unter Komponisten wie Interpreten waren ein probates Mittel. So gab es durch das Propaganda-Ministerium permanent Eingriffe in die Programmgestaltung der Tonkünstlerversammlungen (Vereinigung der Komponisten). Die 67. und vorletzte Tonkünstlerversammlung in Weimar 1936 schloss in Fest- und Feiergestaltung SA-, HJ- und BDM-Mitwirkende ein. Das zeigt das Ausmaß der „Gleichschaltung“ des Vereins. Dennoch wurden Werke von Komponisten aufgeführt, die als „missliebig“ galten. Dafür setzte sich auch PETER RAABE ein, der gedroht hatte, seine Ämter zur Verfügung zu stellen.
Zwischen faschistisch und antifaschistisch gibt es musikalisch ein weites Feld: eben die nichtfaschistische Musik. Quantitativ nahm sie den größten Raum ein. Sie war es aber auch, die als im Wesentlichen „unpolitische“ Musik vom kleinen Filmschlager bis zur großen STRAUSS-Oper das Systeminteresse wohl am besten bediente. Mobilisiert wurde also auch und gerade das „Unpolitische“, die große, die deutsche Musik – vorzugsweise die der Vergangenheit.
Gerade die Umakzentuierung des „National-Sozialistischen“ und „Politischen“ ins „Staatliche“, „Nationale“ und „Deutsche“ – verkörpert nicht zuletzt im „Führer“ – erlaubte den unpolitischen Anhängern der Kunstautonomie oft ein ebenso reibungs- wie skrupelloses Mitmachen. Für die durchschnittlichen „unpolitischen“ Musikfachleute wie STRAUSS war das die Basis ihres Funktionierens im nazistischen System. Die säuberliche Reinhaltung der Musik von Politik hatte nun häufig profaschistische Konsequenzen. Sie bediente also, indirekt oder direkt, eben die „Politik“ – und zwar eine bestimmte –, von der sie sich eigentlich freihalten wollte.
Nicht zu unterschätzen ist die Schwerkraft von Institutionen und Traditionen, die eine völlige Nazifizierung schwer machten. So blieb eine Oper, die nicht Erfolg hatte, meist nicht wegen machtpolitischer Intrigen oder politischer Anstößigkeit erfolglos, sondern weil ihre künstlerische Qualität nicht genügte.
wollten die Ansprüche nicht reduzieren. Dieses Publikum ging in die ersten Vorstellungen, bevor „Kraft durch Freude“-Kontingente, später dann Rüstungsarbeiter und Wehrmachtsangehörige die Häuser füllten. Allerdings kann der Umkehrschluss, dass eine erfolgreiche Oper auch qualitativ gut war, daraus nicht gezogen werden.
Nicht nur die Reichsparteitage in Nürnberg folgten einer präzisen Liturgie zwischen Vielfalt vorgaukelndem Liedrepertoire und einem Lichtdom aus Flakscheinwerfern, Aufmärschen und Akklamationen mit Kyrie und Gloria in Gestalt von „Heil!“-Rufen usw. Hier ist Musik sozusagen in ihrem Element. In ihrem Element waren die Nazis auch bei der Faschisierung und Mobilisierung des kirchlichen Bereichs selber: Sie verstärkten dort bereits bestehende Tendenzen der Mobilmachung zumal gegen den „inneren Feind“ in der gängigen Verbindung von Konservativismus und Kirche. Auch der christliche Antisemitismus (beschönigend als „Antijudaismus“ bezeichnet) hat eine sehr lange Tradition und ließ sich nicht allzu schwer aktualisieren und mobilisieren.
Die dominierende (evangelische) Kirchenmusik setzte Ideologie und Praxis des Bündnisses
fast bruchlos fort und verschaffte dem NS-Regime die höheren Weihen christlicher Salbung – auch HITLER selbst berief sich darauf, den Willen der „Vorsehung“ zu vollstrecken. Mittels Musik sollte so auch nur der Gedanke an Widerstehen erstickt werden.
Auf die Seite der offenen und offensiven Mobilisierung gehörten neben den positiven Zielen auch die „negativen“, die abgrenzenden und ausgrenzenden Verfahren: Stichwort „Entartete Musik“. Rassismus, speziell der universelle Antisemitismus spielen hier eine wesentliche Rolle. Das Ganze war nicht nur eine Frage der Ideologie, sondern auch ganz konkret eine der Ökonomie und des Beutemachens: entlassene und ausgegrenzte Juden schufen Arbeitsplätze für deutsche Musiker und Musikerinnen. Der Antisemitismus war insofern auch Ausdruck wie seinerseits Instrument des Kampfes um Arbeitsplätze.
Gelegentlich wurde die als „entartet“ verfemte Musik durchaus benutzt, wiewohl nicht ohne innernazistische Debatten.
Dagegen wurde die Ausschaltung „jüdischer“ Musik, wie die Verfolgung und Vernichtung der Juden, konsequent verwirklicht.
Atonalität und Zwölftontechnik waren als „kulturbolschewistisch“ verfemt. Sie galten damit als jüdisch und kommunistisch zugleich. Aber im Gegensatz zu diesem Verdikt wurde Atonalität, wie „Entartetes“ überhaupt, durchaus fallweise zugelassen. Wer politisch mitmachte, durfte sogar ansonsten verfemte musikalische Techniken und Materialien verwenden, allerdings musste er deren „jüdisch-bolschewistischen“ Hintergrund verleugnen. Geradezu üblich war das im Bereich der populären Musik mit der oft nur flüchtig kaschierten Verwendung von Jazz- bzw. Swing-Elementen.
Das offen „Nationalsozialistische“ schien in der Auslandspropaganda auch bei der Musik nicht angebracht: In der Regel trat „große, deutsche“ Musik als kulturelles Korrelat des „Großdeutschen Reichs“ auf. Auch dieses „Unpolitische“ diente – nur etwas indirekter – drinnen wie draußen demselben ökonomisch-politischen und herrschaftstechnischen Zweck, der „totalen Mobilmachung“
Zur „Truppenbetreuung“ wie zum Auslandseinsatz wurden so ziemlich alle Interpreten von Rang und Namen herangezogen, teils freiwillig, teils unter Druck. Manche versuchten, sich nicht an Veranstaltungen in besetzten Gebieten zu beteiligen – was freilich oft nur eine Frage des Zeitpunkts war. Für die Soldaten war die Musik nationalistisch aufgeladen und schien als besonders hoch stehende deutsche Wertarbeit das deutsche Weltherrschaftsstreben zu legitimieren.
Was die Außenwirkung im Ausland selber anlangt, so geht auch hier die Mobilisierungsfunktion in die der Maskierung über. Ausgerechnet wegen großer deutscher Musik werden nur wenige Niederländer, Franzosen, Norweger usw. in eine SS-Division eingetreten sein. Aber viele mochten sicherlich die schöne Musik, und waren danach vielleicht eher bereit, die unschönen „Kollateralschäden“ der deutschen Besatzung zu überhören und zu übersehen.
Ein Extrem der Musikverwendung unter terroristischen Bedingungen war Musik im KZ. Das vielfältige Funktionsspektrum trat hier konzentriert auf. Konkrete Anlässe waren z.B.
Zu unterscheiden ist hier generell zwischen
So war selber gemachte Musik Ausdruck von Widerstand, bildete eine Tarnung politischer Veranstaltungen, oder bestärkte, als heimliches Singen revolutionärer Lieder, die Widerstandskraft. Der Versuch, Musik im Lager zu Propagandazwecken, zur Umerziehung zu verwenden, hatte wenig Erfolg. Selbst aufgezwungene Musik konnte
Solche trotz vielem Illusionären doch positiven Bedeutungen erhielt Musik dann besonders in Theresienstadt (Terezin), einem Übergangslager vor den Vernichtungslagern.
Auf der anderen Seite diente Musik der Maskierung des Terrors. Das war auch ganz buchstäblich die Übertönung von Schreien unter der Folter oder bei Hinrichtung. Zur Maskierungsfunktion gehörte auch die Erzeugung von Illusionen: wenn Neuankömmlingen im Lager aufgespielt wurde, schien durch Musik ein Minimum an Humanem zu existieren. Musik diente schließlich auch
Eine frühe Gründung war die Lagerkapelle in Buchenwald (bei Weimar). Sie diente als Modell für andere Ensembles, wie sie auch in Vernichtungslagern eingesetzt wurden. Die Kapelle in Buchenwald entstand 1938 und wurde 1941 erweitert. Die Ausstattung der Musiker mit ihrem „Handwerkszeug“ waren
Wie die Funktion der Musik insgesamt zwiespältig war, so hatten auch die Musiker eine zwiespältige, spannungsgeladene Rolle. Sie standen zwischen den anderen Häftlingen und der Lagerleitung und nahmen im Interesse der Selbsterhaltung Privilegien wahr, die sie aufgrund ihrer Arbeit und Position erhielten, wie vor allem „leichtere“ Arbeiten und etwas bessere Ernährung. Die Musiker konnten sich anbiedern, oder – so die Regel – auf verschiedene Weise für andere Häftlinge einsetzen.
Insgesamt überwog das muntere Weitermachen nach 1933. Gegenüber dem Mitläufertum, der Anbiederung an die neuen Herren ist schon der Rückzug, das Bestehen auf Reinheit und Autonomie von Musik zwar kein Widerstehen, aber doch wenigstens eine deutliche Abwendung vom nazistischen Funktionszusammenhang. Dergleichen Rückzug, vorzugsweise einem in die Innerlichkeit, auf Kunst statt auf Politik, nachträglich schon als „innere Emigration“ oder gar als Widerstand zu feiern, ist freilich eine Übertreibung.
Allerdings waren die Grenzen für Opposition und Widerstand in der Öffentlichkeit überaus eng gezogen. Andererseits war unter den terroristischen Bedingungen das Gehör geschärft für Nuancen, für feine Abweichungen und subtile Einwände. Was die Möglichkeiten deutlicher Artikulation anlangt, verhalten sich Kompositionen für die Schublade und für die Öffentlichkeit hierbei einigermaßen gegenläufig. Zu unterscheiden ist also,
Wenn überhaupt etwas half und hilft, dann
Eines der Mittel hierfür ist die literarische und musikalische Parodie, als Einspruch, als Gegengesang. Gerade in den KZs entstanden zahlreiche Widerstandslieder. Besonders bekannt sind die „Moorsoldaten“. Auch einige Parodien kursierten heimlich.
Eine andere Methode war die eigenständige kritische Darstellung der NS-Realität. Verweigerung auch innermusikalisch auszudrücken war im Prinzip durchaus möglich, nicht nur in der „Inneren Emigration“ oder im Exil. Sie war aber selten. In der Regel gingen die, die sich nicht anpassen wollten oder konnten, ins Exil. Musikalische Kritik war fast nur in Werken für die Schublade im Zusammenhang der „Inneren Emigration“ möglich oder in Exilwerken von rechtzeitig geflohenen Komponisten. HANNS EISLER (1898–1962) unterlegte in seinem „Kälbermarsch“ einem Text von BERTOLT BRECHT (1898–1956) als Refrain („Hinter der Trommel her trotten die Kälber / das Fell für die Trommel liefern sie selber“) die Melodie des als zweite nazistische Nationalhymne sakralisierten „Horst-Wessel-Lieds“. Parodierend verwandelte PAUL DESSAU (1894–1979) das „Horst-Wessel-Lied“ in das „Horst-Dussel-Lied“ nach einem BRECHT-Text.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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