ADOLPH MENZEL: Das Eisenwalzwerk

Das Gemälde „Das Eisenwalzwerk“ war schon wegen seines Gegenstandes ein außergewöhnliches Kunstwerk in der damaligen Zeit. Nur wenige Künstler nahmen sich die industrielle Arbeitswelt zum Thema, und keiner hat dieses Thema so gestaltet wie ADOLPH MENZEL.
ADOLPH MENZEL wurde am 8. Dezember 1815 in Breslau geboren und starb am 9. Februar 1905 in Berlin, in der
Stadt, in der er gelebt hatte. Bereits zu seinen Lebzeiten war MENZEL ein angesehener Maler und wegen seiner thematischen und stilistischen Vielfalt beachtet. Dennoch galt er eher als Außenseiter, denn seine Bilder entsprachen oft nicht der damals herrschenden Kunstauffassung und dem bürgerlichen Kunstgeschmack.
Am Eisenwalzwerk malte MENZEL von 1872 bis 1875. Das war kurz nach der Reichsgründung. Die Industrialisierung in Deutschland lief auf Hochtouren.
Zur Vorbereitung dieses Gemäldes hielt er sich mehrere Wochen im Walzwerk Königshütte in Oberschlesien auf, wo er eingehende Studien betrieb und Skizzen anfertigte. MENZEL wusste, dass die Eisenverarbeitung für den Prozess der Industrialisierung eine „Schlüsselindustrie“ war. Sie war wichtig, weil sie – wie z. B. die Königshütte – Eisenbahnschienen fertigte. Vom Bau der Eisenbahnen hing ganz wesentlich der Ausbau der Industrialisierung ab. MENZEL hat sich also für seine Darstellung eine für die Epoche charakteristische Fabrik zum Vorbild genommen.

Was teilt MENZEL in dem Bild mit?

  • Beschreibung

Die Bildbeschreibung ist eine in Sprache umgesetzte bildliche Darstellung (eines gemalten Bildes, einer Grafik usw.), die genaue Nachzeichnung dessen, was auf dem Bild zu sehen ist.

Wir sehen eine Fabrikhalle, in der viele Männer auf engem Raum arbeiten. Von der Seitenfront kommt Tageslicht in die Halle. In der Mitte der Halle befindet sich die Walzstraße. Unser Blick trifft schnell das Zentrum des Bildes. Menzel hält einen bestimmten Moment des Arbeitsprozesses fest: Ein weiß glühendes Eisenstück ist gerade von zwei Männern an die erste Walze herangefahren worden. Sie hantieren noch mit der Wagendeichsel, damit das Stück in die Walze gleiten kann. Die anderen drei Arbeiter bemühen sich, mit Zangen das Eisenstück in die richtige Position zu bringen. Hinter der Walze warten schon andere, um das grob gewalzte Stück mittels Zangen und Hebestangen, die an der Decke durch Ketten befestigt sind, in Empfang zu nehmen. Die Männer stehen barfuß in ihren Holzpantinen und haben fast alle die Hemdsärmel hochgeschlagen. Ihre schweren, großen Schürzen und die Hüte sollen sie vor den umfliegenden Funken schützen. Sie arbeiten hoch konzentriert, ihre Kraft und ihre Geschicklichkeit setzen sie im Zusammenspiel miteinander ein.
In der Halle findet noch vieles andere statt. MENZEL zeigt uns nicht nur den Produktionsprozess, sondern auch die damit verbundene soziale Organisation. Es muss gerade Schichtwechsel gewesen sein. Links im Bild wäscht sich eine Gruppe. Rechts vorne, im Schatten der Walze, nur notdürftig vom gefahrvollen Walzprozess getrennt, hockt eine kleine Gruppe, die isst. Das junge Mädchen, das aus dem Bild zu uns her schaut, hat das Essen in einem Korb gebracht.

  • Interpretation des Bildes

Zur Interpretation eines Bildes gehören die Analyse, das Erkennen und Benennen von Merkmalen und das Deuten dieser Merkmale.
MENZEL gibt uns mit diesem Gemälde einen umfassenden und genauen Einblick in die Arbeitswelt. Die kunstinteressierten Zeitgenossen MENZELS waren eher befremdet über seine Darstellungen des Alltags – so auch über dieses Bild. Sie sahen in ihm den nüchternen, sachlichen Betrachter, der in seinen Werken zu wenig von einem ethisch-sittlichen Anliegen ausdrücke und es versäume, sein Urteil über die Dinge darzustellen. Einer derartigen Kritik würden wir uns heute nicht anschließen. Im Gegenteil, eine überhöhende Darstellung der Arbeitswelt würde uns vermutlich eher abstoßen oder langweilen. Darüber hinaus gilt es, sich bewusst zu machen, dass der Künstler sein Gegenstand niemals (nur) wirklichkeitsgetreu abbildet. Das gilt auch dann, wenn wir als Betrachter ein Bild – und vielleicht gerade das „Eisenwalzwerk“ – auf den ersten Blick als beinahe so realitätsnah wie eine Dokumentation empfinden.
Was enthält das Gemälde über die genaue Beobachtung hinaus? Was kann uns heute an MENZELS Darstellung fesseln?

Das Eisenwalzwerk von ADOLPH FRIEDRICH ERDMANN VON MENZEL

Das Eisenwalzwerk von ADOLPH FRIEDRICH ERDMANN VON MENZEL

ADOLPH MENZEL: Das Eisenwalzwerk - Iron Rolling Mili
Iron Rolling Mili

MENZELs Gemälde, in Öl gemalt, wirkt zunächst schon durch seine Maße. Es ist 153 cm hoch und 253 cm breit. Zusammen mit der Lichtführung und den vielen Akteuren in dem Bild vermittelt sich uns, insbesondere wenn wir vor ihm stehen, schnell eine eindringliche, dichte Atmosphäre. Wir merken, dass wir in eine Welt eintauchen, die für Außenstehende eine fremde, verwirrende, aber doch irgendwie geordnete Welt ist. Die dargestellten Menschen wissen genau, was sie zu tun haben. Wir können sehen, dass es in der Halle nicht überall hell ist, wir können die Hitze und Enge spüren, auch den Lärm und die Gefahren. Harter körperlicher Einsatz wird ständig verlangt. Für angenehme Pausen nach heutigen Vorstellungen ist offensichtlich kein Raum.
Das Bild strahlt keinen Fortschrittsglauben aus, die Technik fasziniert nicht, sie verlangt den arbeitenden Menschen sehr viel ab. MENZEL hat seinem Bild den Untertitel gegeben „Moderne Cyklopen“. Das ist eine Anspielung auf die griechische und römische Mythologie, nach der die Kyklopen die Schmiedegesellen von Hephaistos (römisch Vulcanus), des Gottes des Feuers, waren. Die Kyklopen schufen nach der Sage übermenschlich große Werkzeuge. Die Männer vor der Walze, das bildnerische Zentrum, sind auch das thematische Zentrum des Gemäldes: der Einsatz von Disziplin, Kraft und Geschicklichkeit der Arbeiter im (damals) modernen, durchorganisierten Produktionsprozess. Nicht die neue Technik für sich genommen scheint für MENZEL das Besondere, Darstellenswerte zu sein, sondern die Art und Weise, wie die Menschen mit der Technik umgehen, wie die Arbeiter sie täglich zum Funktionieren bringen. Diese Arbeitsprozesse sprengten für MENZEL die herkömmlichen menschlichen Dimensionen. In diesem Sinne wachsen die Arbeiter über sich hinaus. Ihr Wirken erinnerte MENZEL an Kyklopen.

Bezüge zur Zeit – gestern und heute

Die Eindringlichkeit, mit der MENZEL das Wirken der Menschen darstellt, lässt Raum für unsere eigenen Empfindungen: Bewundern wir diese Arbeiter? Können wir uns vorstellen, dass sie Stolz und Befriedigung aus ihrer Arbeit schöpfen?
MENZEL drängt uns keine Antworten auf. Er will nicht die Arbeitsbedingungen anklagen oder Mitleid beim Betrachter erregen. Das ermöglicht uns als Betrachter, selbst Fragen zu stellen: Warum war der technische Fortschritt mit diesen harten Arbeitsbedingungen verbunden? Wie behandelte die Gesellschaft diese Arbeiter? Welche Rechte hatten sie? Wir sind bei der „sozialen Frage“ des 19. Jahrhunderts. Zur Zeit der Fertigstellung des Gemäldes war BISMARCK schon einige Jahre Reichskanzler. Der Beginn einer gesetzlichen Absicherung im Alter, bei Krankheit, Unfall, Invalidität sollte noch einige Jahre dauern. Die bismarcksche Sozialgesetzgebung begann erst 1883 mit dem Erlass des Krankenversicherungsgesetzes.
Welche Produktionsstätte würde MENZEL heute wohl in ein Gemälde fassen? Wäre es die Fertigungsstraße eines Automobilwerkes, die elektronische Überwachungsstation eines Kraftwerkes, das Geschehen in einem Operationssaal oder das Großraumbüro eines Versicherungsunternehmens? Was immer er sich als Gegenstand seines Gemäldes vornehmen würde: sicher ist, dass er neue Studien machen müsste über das, was heute den Menschen bei ihrer Arbeit abverlangt wird und was sie als ihre Kenntnisse und Fertigkeiten einbringen. Was könnte deiner Meinung nach ein Maler heute von der Arbeitswelt in einem Gemälde festhalten?

Moderne Taktstraße mit Robotern im VW-Werk

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