Die Lebensgeschichte von MATTIHAS CLAUDIUS beginnt in Reinfeld im Herzogtum Plön. Hier wurde er am 15.08.1740 als Sohn des Pfarrers MATTHIAS CLAUDIUS und dessen zweiter Frau MARIA (geb. LORCK) geboren.
CLAUDIUS besuchte um 1755 die Lateinschule in Plön. 1759–1762 studierte er an der Universität in Jena zunächst Theologie, später Rechts- und Verwaltungswissenschaft. Dort wurde er auch Mitglied der „Deutschen Gesellschaft“. CLAUDIUS beendete sein Studium ohne Abschluss. 1763 kehrte er nach Reinfeld zurück und erlebte hier seine erste Veröffentlichung: „Tändeleyen und Erzählungen“ (1763). Von 1764–1765 stand er in Kopenhagen als Privatsekretär in den Diensten des Grafen HOLSTEIN.
1768–1770 lebte CLAUDIUS in Hamburg. Hier arbeitete er als Journalist bei den Hamburger „Addreß-Comtoir-Nachrichten“. Seine Aufgabe bestand vor allem im Sammeln von Börsenberichten und im Verfassen von Meldungen über ankommende Schiffe. Dieser uninteressanten Tätigkeit kehrte er 1771 den Rücken und ließ sich wieder in seinem Geburtsort Wandsbek nieder.
In Wandsbek heiratete CLAUDIUS am 15.03.1772 ANNA REBECA BEHN aus Barmbek, mit seinem Freund FRIEDRICH GOTTLIEB KLOPSTOCK als Trauzeugen. Aus der Ehe gingen 11 Kinder hervor. 1771–1775 war er Herausgeber und Redakteur des Nachrichtenblattes „Der Wandsbeker Bothe“, der ersten deutschen Volkszeitung. Noch heute finden sich die Insignien eines wandernden Boten – Hut, Stock und Tasche – im Wandsbeker Wappen.
1774 wird CLAUDIUS in die Freimaurerloge „Zu den drei Rosen“ in Hamburg aufgenommen (später wird er auch Mitglied der Andreas-Loge „Fidelis“). Unter diesem Einfluss übersetzte er im Laufe seines Lebens eine Reihe freimaurerischer Bücher aus dem Französischen und verfasste eine Reihe von freimaurerischen Tafelliedern.
Auf Vermittlung seines Freundes JOHANN GOTTFRIED VON HERDER wurde CLAUDIUS nach seiner Zeit beim „Wandsbeker Bothen“ Oberlandesökonomierat am Darmstädter Hof. Krankheitsbedingt durch den Staatsminister FREIHERR V. MOSER gekündigt, musste er mit seiner Familie nach Wandsbek zurückkehren, wo er die Stelle eines Bankrevisors annahm und nebenher literarisch tätig war. Ab 1777 arbeitete er als freier Schriftsteller. Erst 1779 entstand das Gedicht, das ihn wohl am meisten von seinen Werken bekannt gemacht hat: das Abendlied „Der Mond ist aufgegangen“. Diesem folgte eine Vielzahl weiterer volksliedhafter Dichtungen, so u. a. „Der Mensch“ oder „Der Tod und das Mädchen“.
Sein Gesamtwerk gab CLAUDIUS zwischen 1775 und 1812 in acht Teilen heraus, der Erlös reichte jedoch nicht, um seine Familie ausreichend zu ernähren. Die finanziellen Sorgen verschwinden erst 1788, als der Dichter zum Revisor der „Schleswig Holsteinischen Bank von Altona“ ernannt wird.
1812 wirkte CLAUDIUS bei der Zeitschrift „Deutsches Museum“ mit, die von KARL WILHELM FRIEDRICH VON SCHLEGEL herausgegeben wurde. 1813–1814 musste CLAUDIUS vor den Kriegswirren flüchten. So gelangte er über Kiel und Lübeck nach Hamburg, wo er am 21.01.1815 in Hamburg starb. Seine Frau ANNA REBECA CLAUDIUS starb am 26.07.1832 in Wandsbek. Die mit schlichten gusseisernen Kreuzen geschmückten Gräber von CLAUDIUS und seiner Frau REBECA befinden sich auf dem Friedhof hinter der Wandsbeker Christuskirche.
Das literarische Schaffen von CLAUDIUS ist durchzogen vom Geist pietistischer Frömmigkeit und konservativer Kritik an den Ideen der Französischen Revolution. Während er zu Anfang noch der Anakreontik verpflichtet war, wandte er sich später religiösen und ethischen Themen zu.
CLAUDIUS bemühte sich dabei, die Grenzen des menschlichen Verstandes zu achten und sich von der Widersprüchlichkeit der Aufklärung nicht blenden zu lassen. Seine Dichtungen waren sehr gefühlsbetont. Mit seiner literarisch umgesetzten Naturfrömmigkeit und christlich-naiven Religiösität wandte sich CLAUDIUS so gegen den zeitgenössisch vorherrschenden aufklärerischen Rationalismus. (LESSING prägte für diese Art der Dichtung den Begriff der „Empfindsamkeit".) Das erklärt auch seine Freundschaft mit den Philosophen JOHANN GEORG HAMANN, mit dem er seit 1774 korrespondierte, und FRIEDRICH HEINRICH JACOBI, den er 1784 in Weimar kennenlernte, mit dem er 1788 gemeinsam durch Holstein reiste und dem er durch Nachbarschaft in Wandsbek und Eheschließung zwischen seiner Tochter ANNA und JACOBIs Sohn MAX verbunden war. Und es erklärt sein späteres Interesse für die Romantiker, das sich u. a. in seiner Mitarbeit an der von KARL WILHELM FRIEDRICH VON SCHLEGEL herausgegebenen Zeitschrift „Deutsches Museum“ zeigte. Die gesamte Lebenseinstellung von CLAUDIUS wird sehr anschaulich in einem Brief sichtbar, den er seinem Sohn Johannes 1799 schrieb.
„Lieber Johannes!
Die Zeit kommt allgemach heran, daß ich den Weg gehen muß, den man nicht wiederkommt. Ich kann Dich nicht mitnehmen und lasse Dich in einer Welt zurück, wo guter Rat nicht überflüssig ist. Niemand ist weise von Mutterleibe an, Zeit und Erfahrung lehren hier und fegen die Tenne. Ich habe die Welt länger gesehen als Du. Es ist nicht alles Gold, lieber Sohn, was glänzt, und ich habe manchen Stern vom Himmel fallen und manchen Stab, auf den man sich verließ, brechen sehen. Darum will ich Dir einigen Rat geben und Dir sagen, was ich gefunden habe und was die Zeit mich gelehrt hat.
Es ist nichts groß, was nicht gut ist und ist nichts wahr, was nicht besteht. Der Mensch ist hier nicht zu Hause und er geht hier nicht von ungefähr in dem schlechten Rock umher. Denn siehe nur, alle andre Dinge hier, mit und neben ihm, sind und gehen dahin, ohne es zu wissen; der Mensch ist sich bewußt und wie eine hohe bleibende Wand, an der die Schatten vorübergehen. Alle Dinge mit und neben ihm gehen dahin, einer fremden Willkür und Macht unterworfen; er ist sich selbst anvertraut und trägt sein Leben in seiner Hand. Und es ist nicht für ihn gleichgültig, ob er rechts oder links gehe. Laß Dir nicht weismachen, daß er sich raten könne und selbst seinen Weg wisse.
Diese Welt ist für ihn zuwenig und die unsichtbare siehet er nicht und kennet er nicht. Spare Dir denn vergebliche Mühe und tue Dir kein Leid und besinne Dich Dein. Halte Dich zu gut, Böses zu tun. Hänge Dein Herz an kein vergänglich Ding. Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, lieber Sohn, sondern wir müssen uns nach ihr richten. Was Du sehen kannst, das siehe und brauche Deine Augen und über das Unsichtbare und Ewige halte Dich an Gottes Wort. Bleibe der Religion Deiner Väter getreu und hasse die theologischen Kannengießer. Scheue Niemand so viel, als Dich selbst. Inwendig in uns wohnet der Richter, der nicht trügt und an dessen Stimme uns mehr gelegen ist, als an dem Beifall der ganzen Welt und der Weisheit der Griechen und Egypter.
Nimm es Dir vor, Sohn, nicht wieder seine Stimme zu tun und was Du sinnest und vorhast, schlage zuvor an Deine Stirne und frage ihn um Rat. Er spricht anfangs nur leise und stammelt wie ein unschuldiges Kind; doch, wenn Du seine Unschuld ehrst, löset er gemach seine Zunge und wird Dir vornehmlicher sprechen. Lerne gerne von ander'n und wo von Weisheit, Menschenglück, Licht, Freiheit, Tugend etc. geredet wird, da höre fleißig zu.
Doch traue nicht flugs und allerdings, denn die Wolken haben nicht alle Wasser und es gibt mancherlei Weise. Sie meinen auch, daß sie die Sache hätten, wenn sie davon reden können und davon reden. Das ist aber nicht, Sohn. Man hat darum die Sache nicht, daß man davon reden kann und davon redet. Worte sind nur Worte und wo sie so gar leicht und behende dahin fahren, da sei auf Deiner Hut, denn die Pferde die den Wagen mit Gütern hinter sich haben, gehen langsameren Schrittes. Erwarte nichts vom Treiben und den Treibern und wo Geräusch auf der Gassen ist, da gehe fürbaß. Wenn Dich jemand will Weisheit lehren, so siehe in sein Angesicht. Dünket er sich noch und sei er noch so gelehrt und noch so berühmt, laß ihn und gehe seiner Kundschaft müßig. Was einer nicht hat, das kann er auch nicht geben. Und der ist nicht frei, der da will tun können was er will, sondern der ist frei, der da wollen kann, was er tun soll. Und der ist nicht weise, der sich dünkt, daß er wisse; sondern der ist weise, der seiner Unwissenheit inne geworden und durch die Sache des Dünkels genesen ist. Was im Hirn ist, das ist im Hirn und Existenz ist die erste aller Eigenschaften. Wenn es Dir um Weisheit zu tun ist, so suche sie und nicht das Deine und brich Deinen Willen und erwarte geduldig die Folgen.
Denke of an heilige Dinge und sei gewiß, daß es nicht ohne Vorteil für Dich abgehe und der Sauerteig den ganzen Teig durchsäure. Verachte keine Religion, denn sie ist dem Geist gemeint und Du weißt nicht, was unter unansehnlichen Bildern verborgen sein könne. Es ist leicht zu verachten, Sohn, und verstehen ist viel besser. Lehre nicht andere, bis Du selbst gelehrt bist. Nimm Dich der Wahrheit an, wenn Du kannst und laß Dich gerne ihrentwegen hassen; doch wisse, daß Deine Sache nicht die Sache der Wahrheit ist und hüte, daß sie nicht ineinander fließen, sonst hast Du Deinen Lohn dahin. Tue das Gute vor Dich hin und bekümmere Dich nicht, was daraus werden wird. Wolle nur einerlei und das wolle von Herzen. Sorge für Deinen Leib, doch nicht so als wenn er Deine Seele wäre. Gehorche der Obrigkeit und laß die anderen über sie streiten. Sei rechtschaffen gegen Jedermann, doch vertraue Dich schwerlich. Mische Dich nicht in fremde Dinge, aber die Deinigen tue mit Fleiß. Schmeichle niemand und laß Dir nicht schmeicheln. Ehre einen jeden nach seinem Stande und laß ihn sich schämen, wenn er's nicht verdient.
Werde niemand nichts schuldig; doch sei zuvorkommend, als ob sie alle Deine Gläubiger wären. Wolle nicht immer großmütig sein, aber gerecht sei immer. Mache niemand graue Haare, doch wenn Du recht hast, hast Du um die Haare nicht zu sorgen. Mißtraue der Gestikulation und gebärde Dich schlecht und recht. Hilf und gib gerne, wenn Du hast und dünke Dir darum nicht mehr und wenn Du nicht hast, so habe den Trunk kalten Wassers zur Hand und dünke Dir darum nicht weniger. Tue keinem Mädchen Leides und denke, daß Deine Mutter auch ein Mädchen gewesen ist. Sage nicht alles, was Du weißt, aber wisse immer, was Du sagst. Hänge Dich an keinen Großen. Sitze nicht, wo die Spötter sitzen, denn sie sind die Elendsten unter allen Kreaturen. Nicht die Frömmelnden, aber die frommen Menschen achte und gehe ihnen nach. Ein Mensch, der wahre Gottesfurcht im Herzen hat, ist wie die Sonne, die da scheint und wärmt, wenn sie auch nicht redet. Tue was des Lohnes wert ist und begehre keinen. Wenn Du Not hast, so klage sie Dir und keinem anderen
Habe immer etwas Gutes im Sinn. Wenn ich gestorben bin, so drücke mir die Augen zu und beweine mich nicht. Stehe Deiner Mutter bei und ehre sie so lange sie lebt und begrabe sie neben mir. Und sinne täglich nach über Tod und Leben ob Du es finden möchtest und habe einen freudigen Mut und gehe nicht aus der Welt, ohne Deine Liebe und Ehrfurcht für den Stifter des Christentums durch irgend etwas öffentlich bezeugt zu haben.Dein treuer Vater“
(Brief von MATTHIAS CLAUDIUS an seinen Sohn Johannes, 1799, In: Matthias Claudius: Werke in einem Band. München: Winkler, [1976], S. 544-548.)
CLAUDIUS' frühen Arbeiten blieb der Erfolg zumeist versagt. Erst mit dem Nachrichtenblatt „Der Wandsbeker Bothe“, das er von 1771–1775 herausgab, wurde er als Autor bekannter. Der „Bothe“ wurde von JOHANN JOACHIM BODE gedruckt und veröffentlichte Artikel zu politischen, wissenschaftlichen und literarischen Themen. Die Zeitschrift sollte der religiösen Erbauung und Aufklärung des einfachen Volkes dienen. Viele Beiträge hatten daher auch belehrenden Charakter. Unter den Verfassern waren namhafte Literaten wie GOTTHOLD EPHRAIM LESSING (Mitglied der Hamburger Loge „Zu den drei Rosen“), JOHANN GOTTFRIED VON HERDER (Mitglied der Rigaer Loge „Zum Schwert“), FRIEDRICH GOTTLIEB KLOPSTOCK (Mitglied der Hamburger Loge „Zu den drei Rosen“) oder JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (Mitglied der Weimarer Loge „Amalia“). Im „Bothen“ publizierte CLAUDIUS auch viele eigene Beiträge, die noch einmal in einer gesammelten Ausgabe 1775 veröffentlicht wurden. In diesen Jahren entwickelte CLAUDIUS seinen eigenen Stil: geprägt von tiefer Frömmigkeit, volkstümlich und humoristisch bis hin zum bewusst Naiven, bisweilen auch melancholisch und träumerisch.
1779 verfasste er sein bekanntestes Werk, das schon der Romantik angelehnte „Abendlied“ „Der Mond ist aufgegangen“ (Audio 1), mit dem er eine Reihe weiterer volksliedhafter Dichtungen eröffnete (u. a. „Der Mensch“, siehe unten; „Der Tod und das Mädchen“).
Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar.
Der Wald steht schwarz und schweiget
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.Wie ist die Welt so stille
Und in der Dämmrung Hülle
So traulich und so hold
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder
Und wissen gar nicht viel.
Wir spinnen Luftgespinste
Und suchen viele Künste
Und kommen weiter von dem Ziel.Gott, laß uns Dein Heil schauen,
Auf nichts Vergänglichs trauen,
Nicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden
Und vor Dir hier auf Erden
Wie Kinder fromm und fröhlich sein!Wollst endlich sonder Grämen
Aus dieser Welt uns nehmen
Durch einen sanften Tod!
Und, wenn Du uns genommen,
Laß uns in Himmel kommen,
Du unser Herr und unser Gott!So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder,
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott! mit Strafen
Und laß uns ruhig schlafen!
Und unsern kranken Nachbarn auch!
(ebenda, S. 217-218.)
Der Mensch
Empfangen und genähret
Vom Weibe wunderbar
Kömmt er und sieht und höret
Und nimmt des Trugs nicht wahr;
Gelüstet und begehret,
Und bringt sein Thränlein dar;
Verachtet, und verehret;
hat Freude, und Gefahr;
Glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
hält Nichts, und Alles wahr;
Erbauet, und zerstöret;
Und quält sich immerdar;
Schläft, wachet, wächst, und zehret;
Trägt braun und graues Haar;
Und alles dieses währet,
Wenn's hoch kommt, achzig Jahr.
Denn legt er sich zu seinen Vätern nieder,
Und er kömmt nimmer wieder.
(ebenda, S. 248.)
Neben seinen eigenen Dichtungen verfasste CLAUDIUS mehrere freimaurerische Tafellieder und übersetzte etliche bedeutende freimaurerische Bücher aus dem Französischen. Auch Übersetzungen aus dem Englischen sind bekannt.
Zwischen 1775 und 1812 gab CLAUDIUS sein gesamtes Werk in acht Teilen heraus: „Asmus omnia sua secum portans, oder Sämtliche Werke des Wandsbeker Bothen“ („Asmus, alles Seinige mit sich tragend“ bzw. „bringend“). Natürlich sind hier die Artikel aus dem „Wandsbeker Bothen“ enthalten, doch erscheinen auch viele neue Beiträge, sodass das Gesamtwerk den Charakter eines literarischen Almanachs hat.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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