Die Metapher (griech. metaphorá = Übertragung, von metà phérein = anderswohin tragen) nach traditionellem Verständnis, das von ARISTOTELES begründet wurde, ist
„die Übertragung eines Wortes, das eigentlich eine andere Bedeutung hat, entweder von der Gattung auf die Art oder von der Art auf die Gattung oder von einer Art auf eine andere oder durch Analogie. [...] Das Greisenalter steht zum Leben im gleichen Verhältnis wie der Abend zum Tag. Da kann man den Abend das Greisenalter des Tages oder – wie Empedokles – das Greisenalter den Abend […] des Lebens nennen“.
(Aristoteles: Poetik. Übersetzt von Walter Schönherr, Leipzig: Reclam, 1979, S. 77 f.)
Metaphern gehören, wie die Metonymie und die Ironie (b S. 246 f.), zu den Tropen (Sg.: Tropus: bildliche Ausdrucksweise).
Eine Metapher wird häufig als verkürzter Vergleich gesehen (Stéphane Mallarmé: „Ich streiche das Wort ‚wie‘ aus meinem Lexikon!“).
Dem Vers
„Der Himmel sieht verbummelt aus“
im Gedicht „Vort dem Winter“ von PAUL BOLDT (siehe unten) könnte ein Vergleichspartikel „wie“ beigefügt werden, auch wenn dadurch nicht klarer wird, wie der Himmel nun tatsächlich aussieht, da hier der Bezug „verbummelt“ zwar verständlich, in Verbindung mit „Himmel“ jedoch unlogisch, ja paradox (= unauflösbarer Widerspruch) erscheint.
PAUL BOLDT
Vor dem Winter (1914)In Landschaft mit dem armen schwarzen Klee
Krümmt sich der Schnellzug an den hellen Schienen.
Da fährt das Frauenantlitz im Coupé.
Vom schnellen Sonnenuntergang beschienen.
Bäume passierend, redend. Es wird Wind.Der Himmel jagt die Ebene zu Ende.
Man hat das Häuserne und fühlt sich blind,
Der kleine Tag weint in die hellen Hände.
(In: Die Aktion. Wochenschrift für Politik, Literatur und Kunst. Bd. 4, Jg. 1914, Nr. 48/49)
Im aristotelischen Sinne bezieht sich
Die Metapher ist kontextabhängig und je schwerer der Kontext vom Leser verstanden wird, desto schwieriger wird es, sie zu entschlüsseln. PAUL CELAN verwendet zum Beispiel in seiner „Todesfuge“ die Metapher von der „schwarze(n) Milch der Frühe“. Dabei kombiniert er das Oxymoron (ein sich ausschließendes Gegensatzpaar) „schwarze Milch“ mit der Tageszeit „Frühe“. Milch als Nährmittel spendet Leben, Kraft. Schwarz dagegen lässt denken an das Nichts, die „schwarze Milch“ nährt also nicht, sie bringt in „der Frühe“ den Tod.
Diese Interpretation ist nur eine mögliche, denn das Gedicht setzt den Gedanken im selben Vers fort: „wir trinken sie abends“. Ein zweiter Gegensatz (Frühe – abends) irritiert, die Verse 2 und 3 „wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts/ wir trinken und trinken“ werden zum Paradoxon, lassen das Beliebige des Todes im Konzentrationslager aufscheinen. Damit versuchte Celan die „Darstellung des Undarstellbaren“ (Ralf Konersmann) und kommt somit der Chiffre nah. Eine Chiffre stellt einen autorspezifischen, nicht entschlüsselbaren Ausdruck dar.
Metaphorik in ihre Bestandteile aufzulösen und neu zusammenzusetzen kann also helfen, das Hermetische der Einzelteile in etwas Allgemeinverständliches zu übersetzen. Freilich bedarf es der Kontextualisierung, die sich innerhalb des Textes, innerhalb der Verwandtschaft von Texten bzw. Motiven oder aber in der Biografie des Autors befinden kann. Einen Vergleichspunkt zu „schwarze Milch der Frühe“ wird man schwerlich finden, über die Biografie des Autors, die Geschichte der Shoah zwischen 1933 und 1945 und die Textbetrachtung des Gedichts „Todesfuge“ gelangt man jedoch zu einer Deutung der Metapher.
Metaphorik durchdringt nicht nur die Sprache, sondern auch die Gedanken und das Handeln des Einzelnen. (Vgl. Lakoff, George/Johnson, Mark: Metaphors We Live By. Chicago und London: The University of Chicago Press, 1980, S. 3.) Sie ist deshalb nicht auf den Austausch eines Wortes durch ein anderes reduzierbar.
Der spanische Autor FEDERICO GARCÍA LORCA bezeichnete die Metapher als den „Reitersprung der Phantasie“. In seinem Gedicht „Variación“ benutzt LORCA ungeheure Metaphern, wie „bajo la rama del eco“ (dt.: „unter dem Ast des Echos“), als könne man sich am Echo festhalten oder sich unter ihm verstecken, und „bajo espesura de besos“ (dt.: „unter dem Dickicht der Küsse“), als müsse ein Kuss vor der Welt verborgen bleiben. Bedenkt man jedoch, dass FEDERICO GARCÍA LORCA sich zu seiner Zeit als Homosexueller ständiger Bedrohung ausgesetzt sah, bekommt gerade „bajo espesura de besos“ eine nach außerhalb des Textes verweisende Dichte und Wahrheit.
Es kommt nicht darauf an, dass der Leser die Metaphern des Textes so auflöst, wie der Autor es gemeint haben könnte. Bedeutender ist, dass er seiner eigenen Imagination, Fantasie und Einbildungskraft folgt.
Poetische Metaphorik zielt oft auf Mehrdeutigkeit (Polysemie), verweist auf die innere Welt des Sprechers bzw. des sich im Text verbergenden Subjekts, auf Gedanken, Gefühle, Träume, Wünsche und trifft auf die innere Welt des Lesers. Der Leser wird so zum Bildproduzenten, der die Bildspanne einer Metapher weit oder eng machen kann.
Metaphorik zeichnet sich
aus. Metaphorik kann man deshalb nicht aus der Verwendung und Analyse nur eines Sprachbildes ablesen, sondern muss sie in Gedichten oftmals vers- oder strophenweise orten. Bisweilen ergibt die Aneinanderreihung von Metaphern ein neues Bild.
Metaphern aktivieren Emotionen und Vorstellungskraft, fördern Erkenntnis. Das Gedicht „Vor dem Winter“ spielt mit einer Vorstellung von etwas, das dem Rezipienten sehr vertraut ist: dem Wechsel der Jahreszeiten.
Winter assoziiert „Alter des Jahres“, „Schnee“, „dunkle Jahreszeit“, aber im Text findet sich kein Indiz darauf, dass die vermittelnde Instanz von dem bevorstehenden Winter erzählen wollte. Der Titel hebt sich also zunächst vom übrigen Text ab. Das Allgemeine („Vor dem Winter“) wird hier zu einem sehr persönlichen, individuellen
Erlebnis, das vom Sprecher in kurzen Sinneinheiten von selbstständigen Sätzen rekonstruiert wird: Jeweils zwei Verse gehören zu einem flüchtigen Eindruck. Vers 1 und 2 lassen den Zug durch die Landschaft fahren, Vers 3 und 4 erzählen von einer
Frau im Zug. In Vers 5 und 6 bedroht ein Wind das Geschehen, Vers 7 und 8 hingegen beschreiben die Position des Beobachters einer alltäglichen Szene, indem hier möglicherweise ein unbestimmtes Ich in seinem „Häusernen“ das Geschehen referiert.
Metaphorik ist der Poesie wesenseigen. Und weiter: Menschliches Denken ist zu großen Teilen metaphorisch strukturiert (nach: George Lakoff/Mark Johnson, a.a.O.), denn wir drängen nach Veranschaulichung von Gesehenem oder Gedachtem. Poesie sollte demzufolge aufgefasst werden als dem Menschen wesenseigen, denn wir
Menschliche Existenz tägt die Poesie in sich, per sé. Der Tisch hat Beine, die Heimcomputer sind per Datenautobahn miteinander verbunden, Flugzeuge landen und starten auf Flughäfen, hohe Häuser nennen wir Wolkenkratzer. Solche lexikalisierte Metaphern schaffen wir uns, um etwas Unbekanntes, das gemeinsame Merkmale mit etwas anderem aufweist, das wir schon kennen, mit eben diesem Begriff zu benennen. Wir schaffen Analogien. Indem wir einen Begriff mit der Bedeutung eines anderen Begriffs überlagern, verändern wir die Wahrnehmung von dem Bezeichneten. Tatsächlich bekommt der Tisch in der Kunstgeschichte irgendwann beinförmige Säulen.
Noch deutlicher wird das Prinzip an Metaphern, die als solche für uns noch erkennbar sind: CHRISTA WOLF lässt Kassandra den griechischen Helden „Achill das Schwein“ nennen. Die Vorstellung vom Schwein ist allgegenwärtig, und auch der unverwundbare Achill, halb Mensch, halb Gott, ist in unseren Vorstellungen präsent. Durch die Metaphorisierung überlagern sich die Begriffe „Schwein“ und „Achill“ zu einem neuen, Achill bekommt Charakteristika eines metaphorisierten Schweins, das bereits in unserer Vorstellung existiert.
Metaphorik kann man aber nicht aus der Verwendung von nur einem Begriffspaar ablesen, sondern muss sie in Gedichten oftmals stets vers- oder strophenweise orten. Bisweilen ergibt die Aneinanderreihung von Metaphern ein neues Bild. Metaphern aktivieren Emotionen und Vorstellungskraft, fördern Erkenntnis.
JOHANN GEORG SULZER wagt in seinem Buch von der Theorie der schönen Künste eine Definition dieses Phänomens:
„Leblose Dinge bekommen Leben und Handlung und die reinsten Vorstellungen des Verstandes werden in körperliche Gegenstände verwandelt. Dadurch geschieht es, dass alle Gedanken in bloß sinnliches Gefühl verwandelt werden.“
(Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Lexikon der Künste und der Ästhetik. Leipzig: Weidemanns Erben und Reich, 1771)
Metaphorik ist jedoch nicht nur Personifikation. Auch Attribute und Appositionen können metaphorischen Gehalt bekommen.
„Wie eine Sonne war sie anzuschauen", vergleicht SCHILLER „die schönste aller Frauen“ in seinem Gedicht „Die Begegnung“. Er benutzt hier den Vergleich: „Sie ist wie ..." Fehlt das Vergleichswort (etwa: „Sie ist meine Sonne“), spricht man von der eigentlichen Metapher (Muster: „Dies ist das“). In Definitionen zur Metapher ist in diesem Zusammenhang gern vom „uneigentlichen Ausdruck“ die Rede. Problematisch daran ist, dass die oben zitierte Passage aus SCHILLERS Gedicht nicht so einfach in einen „eigentlichen Ausdruck“ umgewandelt werden kann.
Das folgende Gedicht Heinrich Heines verwendet scheinbar keine Metaphorik. Beim Lesen stellen wir jedoch fest, dass hinter den völlig alltäglichen Begriffen eine Parallelwelt hervor scheint, die dem Leser bedeutet: Das hier ist ja gar nicht so ernst gemeint, wie es den Anschein hat.
HEINRICH HEINE
Das Fräulein stand am MeereDas Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.„Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.“
(Heine, Heinrich: Das Fräulein stand am Meere. In: ders.: Werke und Briefe in zehn Bänden. Herausgegeben von Hans Kaufmann, 2. Auflage, Berlin und Weimar: Aufbau, 1972 S, 240)
HEINE arbeitet hier mit den Mitteln der Ironie, die sich mit der Metapher ihre Doppelbödigkeit teilt. In diesem Sinne ist auch das weite Feld der Ironie zur Metaphorik zu rechnen.
Nicht nur Wörter und Wortgruppen enthalten Metaphorik. Auch ganze Texte können als Metaphern bezeichnet werden. Die narrative Gattung der Fabel ist so eine Textmetapher, deren Gesamtaussage eigentlich für etwas anderes steht. Außerdem arbeitet die Fabel mit der Personifizierung, einer Stilfigur, die zur Metapher gerechnet wird: Die in der Fabel angeprangerten tierischen Verhaltensweisen sind eigentlich zu kritisierende menschliche Verhaltungsweisen.
JEAN DE LA FONTAINE
Der Rabe und der FuchsHerr Rabe auf dem Baume hockt,
Im Schnabel einen Käs.
Herr Fuchs, vom Dufte angelockt,
Ruft seinem Witz gemäß:
„Ah, Herr Baron von Rabe,
Wie hübsch Ihr seid, wie stolz Ihr seid!
Entspricht auch des Gesanges Gabe
Dem schönen schwarzen Feierkleid,
Seid Ihr der Phönix-Vogel unter allen!“
Der Rabe hört's mit höchstem Wohlgefallen,
Läßt gleich auch seine schöne Stimme schallen.
Da rollt aus dem Rabenschnabel der Fraß
Dem Fuchs ins Maul, der unten saß.
Der lachte: „Dank für die Bescherung!
Von mir nimm dafür die Belehrung:
Ein Schmeichler lebt von dem, der auf ihn hört.
Die Lehre ist gewiß den Käse wert.“
Der Rabe saß verdutzt und schwor:
Das käm ihm nicht noch einmal vor.
(Lafontaine, Jean de: Fabeln. Übersetzt von Theodor Etzel, Berlin: Propyläen-Verlag, 1923, S. 6)
In diesem Sinn ist die indirekte, umschreibende Kritik ebenfalls zum Umfeld der Metaphorik zu rechnen.
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