ENRICO FERMI war der bedeutendste italienische Physiker des 20. Jahrhunderts. Sein Wirken war durch zwei Entwicklungen geprägt. Zum einen lebte er in einer Zeit, in der sich die Kernphysik stürmisch entwickelte und in diesem Bereich zahlreiche neue und umwälzende Erkenntnisse gewonnen wurden. Zum anderen waren die gesellschaftlichen Verhältnisse geprägt durch die Zeit des Faschismus, den Zweiten Weltkrieg und den sich anschließenden kalten Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion.
FERMI wurde am 29. September 1901 in Rom als Sohn eines kleinen Eisenbahnbeamten und einer Grundschullehrerin geboren. Obwohl er zu Hause keinerlei Anregung dazu erhielt, interessierte er sich schon als Zehnjähriger für alles, was mit Physik und Mathematik zusammenhing. Stark gefördert wurde er von einem Kollegen seines Vaters, einem naturwissenschaftlich interessierten Ingenieur, der ihm Bücher über Geometrie und klassische Physik besorgte. Diese Bücher lass er sehr gründlich und verarbeitete ihren Inhalt. 1918 beendete er das Gymnasium mit sehr guten Noten.
Danach begann FERMI ein Physikstudium an der Universität in Pisa, einer der berühmtesten Universitäten Italiens, an der auch GALILEO GALILIE gewirkt hatte. Aufgrund seiner soliden Vorkenntnisse und wegen des niedrigen Niveaus der theoretischen Physik im damalige Italien boten ihm die Lehrveranstaltungen wenig. So lass er Arbeiten der Physiker PLANCK, BOHR und SOMMERFELD zur Quantentheorie. Da diese Arbeiten in Italien noch wenig bekannt waren, trug er vor seinen Kommilitonen und Lehrern darüber vor. 1922 promovierte er mit einer Arbeit über Optik der Röntgenstrahlen. Nach einem Gastaufenthalt bei MAX BORN in Göttingen und einem Lehrauftrag an der Universität Florenz (1924) erhielt FERMI 1926 die erste Professur für Theoretische Physik Italiens an der Universität Rom.
In Rom entstand in den folgenden Jahren eine kleine, aber sehr bedeutsame Schule der modernen Physik, aus der mehrere Wissenschaftler von Weltruf hervorgingen. FERMI wird von seinen Schülern als ausgezeichneter Hochschullehrer eingeschätzt. BRUNO POTECORVO, einer seiner Schüler, der später in der Sowjetunion tätig war, charakterisierte ihn so:
„Er führte nicht nur meisterhaft Seminare und inoffizielle Lektionen in einem engen Kreis durch, sondern hielt genauso glänzend Vorlesungen vor Studenten in großen Hörsälen. Seine Vorlesungen .... zeichneten sich durch äußerste Klarheit und Systematik aus; das ist nicht etwa auf seine sorgfältige Vorbereitung, sondern auf seine tiefen Kenntnisse und die außerordentliche Klarheit seines Denkens zurückzuführen.“
Über seinen persönlichen Arbeitsstil erzählt man, er habe nie eine wissenschaftliche Veröffentlichung gelesen. Er las nur die ersten Zeilen, die aussagen sollten, was der Autor vorhatte. Sagten sie das nicht, warf er die Arbeit gleich weg. Sagten sie es, legte er sie etwas sanfter beiseite, nahm einen Zettel und rechnete alles selbst aus. Manchmal bekam er weniger heraus als der Autor, manchmal aber auch mehr.
Zunächst bearbeitete die Arbeitsgruppe in Rom die Gebiete Quantenelektrodynamik, statistische Mechanik, Atom- und Molekülstruktur. Anfang der 30er Jahre ging man immer mehr zu Problemen der Kernphysik über. FERMI hielt die Physik der Atomhülle für weitgehend abgeschlossen und folgerte:
„Die Zukunft gehört nun der Kernphysik und der Untersuchung komplizierter biologischer Strukturen.“
1934 entdeckte des Ehepaar JOLIOT-CURIE in Paris, dass sich leichte Elemente durch Beschuss mit Alphastrahlung radioaktiv machen lassen. Sie entdeckten damit die künstliche Radioaktivität. FERMI beschloss daraufhin, alle Elemente nicht mit Alphastrahlung zu bestrahlen, sondern mit den 1932 entdeckten Neutronen. Bei Fluor konnte erstmals nachgewiesen werden, dass durch den Beschuss ein
Radionuklid entstanden war. Beim Beschuss von Uran zeigte sich, dass die Ordnungszahl der Folgeprodukte nicht zwischen der von Uran und Blei lag. Er folgerte daraus, dass sie größer als 92 sein müsse und ein Transuran (d.h. ein Element jenseits des Urans) entstanden sei.
Bei den Untersuchungen entdeckte FERMI auch, dass die Neutronen besonders wirksam waren, wenn sie vorher wasserstoffhaltige Substanzen wie z. B. Paraffin durchlaufen hatten und ihre Geschwindigkeit relativ gering war.
Für die Bestimmung von neuen, durch Neutronenbeschuss erzeugten radioaktiven Elementen und die in Verbindung mit diesen Arbeiten durchgeführte Entdeckung der durch langsame Neutronen ausgelösten Kernreaktionen erhielt FERMI 1938 den Nobelpreis für Physik.
Enrico Fermi (1901 bis 1954)
FERMI hatte 1928 geheiratet. Da seine Frau als Jüdin in Italien rassische Verfolgung befürchtete, nutzte FERMI die Verleihung des Nobelpreises 1938 zur Emigration. Er ging mit seiner Familie in die USA und war zunächst an der Columbia University in New York tätig.
Mit Beginn des US-amerikanischen Atombombenprojektes war ENRICO FERMI wie auch viele andere Emigranten in dieses Projekt eingebunden. FERMI beschäftigte sich intensiv mit der Realisierung einer gesteuerten Kernspaltung und der Erforschung der Bedingungen dafür. Der erste Kernreaktor der Welt entstand unter seiner Leitung unter der Tribüne des Football-Stadions der Universität von Chicago.
Aus 36,6 Tonnen Uranoxid und 300 Tonnen reinstem Grafit wurde der erste Kernreaktor der Welt aufgebaut (Bild 2). Am 2. 12. 1942 lieferte er erstmalig 200 Watt. Damit erfolgte die erste gesteuerte Kernspaltung der Welt.
Schwerpunkte seiner weiteren Arbeit waren die Verbesserung des Reaktors und 1944/45 die unmittelbare Teilnahme an der Konstruktion der ersten Atombomben. Viele Wissenschaftler, auch FERMI, sahen bei dieser Entwicklung nur die physikalische Problematik. Erst der militärisch unnötige Abwurf von zwei Atombomben im August 1945 über den beiden japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki mit seinen schrecklichen Folgen öffnete ihnen die Augen.
Nach Kriegsende ging FERMI an die Universität Chicago. Dort sammelte er eine große Zahl von Schülern um sich und publizierte Arbeiten über grundlegende Fragen der Kern- und Elementarteilchenphysik, bis der Tod am 29. November 1954 sein Schaffen beendete.
Stand: 2010
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