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- Science Fiction
Der Begriff Science fiction kam in den 1930er-Jahren in den USA auf und bedeutet „wissenschaftliche Dichtung“. Geprägt hat ihn 1929 der amerikanische Ingenieur und Schriftsteller H. GERNSBACK im Magazin „Amazing Stories“.
Seit geraumer Zeit ist die Bezeichnung Science Fiction auch im Deutschen gebräuchlich geworden und hat die Begriffe
abgelöst.
Science Fiction wird in der Regel der fantastischen Literatur zugerechnet. Im Unterschied zu dieser versucht sie jedoch, ihre Fantasien
Das literarische Genre ist von
nur schwer abzugrenzen, es gibt zahlreiche Mischformen und demzufolge unterschiedliche Auffassungen zur Definition.
In der Tat speist sich das Genre aus verschiedenen historischen Wurzeln.
Im Sinne der fantastischen Elemente, der die empirische Wirklichkeit übersteigenden Erfahrungen, können als ihre Vorläufer des Genres
BRIAN W. ALDISS setzte die Anfänge des Genres mit dem Zeitalter der industriellen Revolution an, also mit dem 19. Jahrhundert. Als Prototyp des Science-Fiction-Romans betrachtete er MARY SHELLEYs (1797–1851) „Frankenstein, Or the Modern Prometheus“ (1818, dt.: „Frankenstein, oder der moderne Prometheus“). Dieser Roman steht noch deutlich in der Tradition der englischen Schauerromantik.
Mit der Erschaffung eines künstlichen Lebewesens, eben jenes Frankensteinschen Monsters, schlug SHELLEY ein Grundmotiv der Science Fiction an: das Kriterium der wissenschaftlichen Begründung eines fantastischen Entwurfs. Der Roman handelt vom Drang zum Nachweis der wissenschaftlichen Machbarkeit einer Idee und schließt die Kritik an der hemmungslosen Verfolgung dieses Ziels mit ein.
Die zahlreichen Definitionsversuche für Science Fiction lassen sich vielleicht in folgenden Kriterien auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bringen:
Die Entwürfe zukünftiger Gesellschaftsformen in den Science-Fiction-Romanen haben ihre Vorläufer in den frühen Sozialutopien. Der Begriff der Utopie geht auf den Roman des später zum Tode verurteilten Lordkanzlers HEINRICHS VIII. von England THOMAS MORUS (1478–1535) „Über den besten Staat und über die neue Insel Utopia“ (1516) zurück. Zu Beginn der europäischen Neuzeit, als die christlichen Heilsversprechungen an Überzeugungskraft zu verlieren begannen, lieferte dieses Buch das Denkmodell vom idealen Staat, der den Individuen die besten Bedingungen zu ihrer Verwirklichung einräumt.
Die fortwirkende Faszination dieser literarisch-philosophischen Fiktion lässt sich daraus erklären, dass sie tiefe menschliche Sehnsüchte als erfüllt annimmt.
Dazu zählen
Technische Erfindungen werden zum Wohle der Menschheit eingesetzt. Allerdings formulierten utopische Entwürfe dieser Art auch die Kehrseite des Modells: Dieser vollkommene Staat verlangt das vollkommene Individuum, das heißt, als Preis für die Glücksverheißungen die absolute Unterordnung unter den Staat.
Auch die Skepsis gegenüber der Beherrschbarkeit technischer Entwicklungen und dem verantwortungsvollen Umgang des Menschen damit, also die Kritik an technokratischen Strukturen und unreflektierter Fortschrittsgläubigkeit, wurde bereits vorformuliert. Sie hat im 20. Jahrhundert in Anti-Utopien über technokratische Diktaturen unter anderem bei KURT VONNEGUT (1922–2007), ALDOUS HUXLEY (1894–1963) und GEORGE ORWELL (1903–1950) ihren Ausdruck gefunden.
Der Entwurf von THOMAS MORUS fand Nachfolger. Der Italiener TOMMASO CAMPANELLA (1568–1639) verfasste 1602/03 im Kerker der Inquisition die Utopie „Città del Sole“ („Der Sonnenstaat“). Sein Gesellschaftsmodell beruhte auf dem Gleichheitsprinzip, denn alle Menschen arbeiten, genießen ihre durch technische Erfindungen ermöglichte Freizeit und die gerecht verteilten Güter. 1627 schrieb wiederum ein englischer Lordkanzler, und zwar der Philosoph FRANCIS BACON (1561–1626), den Text „Nova Atlantis“, dem die Idee der Beherrschung der Natur durch den Menschen mittels der Technik „bis an die Grenzen des überhaupt Möglichen“ zugrunde lag. BACON hat mit seiner Utopie den technischen Fortschritt und die vollkommene Erforschung der Naturgesetze und ihre Nutzbarmachung vorweggenommen. Erfindungen des 20. Jahrhunderts wie das Flugzeug, den Computer, das U-Boot, das Luftschiff, den Fernseher, die Mondlandung haben er und andere antizipiert. Diese Beispiele legen den Gedanken nahe, dass utopische Texte Orientierungspunkte für Forscher, Denker und die gesellschaftliche Entwicklung setzen können. Zweifellos haben die sozialen Utopien während der europäischen Aufklärung das Verständnis von Menschenrechten und moderner Staatsbildung mit geprägt.
Diese frühneuzeitlichen Texte sind häufig in der Form des philosophischen Dialogs oder des Seefahrerberichts abgefasst. Später, im 17./18. Jahrhundert, überwiegt die beliebte Romanform, der Seefahrerroman, die sogenannte „Robinsonade“, die von fernen unentdeckten Inseln oder auch von Mond- und Planetenreisen berichtet.
Utopien in Gestalt arkadischer Romane (Berichte von heilen Staatswesen mit glücklichen Bewohnern) entstanden im 16.–18. Jahrhundert vor allem im romanischen Sprachraum.
Als eigentliche Vorläufer der modernen Science-Fiction-Romane im engeren Sinne können der Franzose JULES VERNE (1825–1905) und der Engländer HERBERT GEORGE WELLS (1866–1946) gelten. Mit seinen Jugendbüchern stellte sich JULES VERNE in die Tradition der unterhaltenden Abenteuerromane und imaginären Reiseberichte und fügte dem Genre wichtige neue Motive hinzu. Abenteuerlust und Entdeckerfreude münden in Zeitreise und Aufspürung vergessener, unberührter Welten, die Enttäuschung über die gesellschaftliche Realität in die Schaffung technischer Parallelwelten usw.
VERNE begann ab 1863 Abenteuerromane mit wissenschaftlich-technischen, utopisch-fantastischen Inhalten zu schreiben, die sich bis heute unverminderter Beliebtheit bei jugendlichen Lesern erfreuen.
Zu diesen Büchern, die immer wieder aufgelegt und verfilmt werden, gehören
Der englische Science-Fiction-Autor HERBERT GEORGE WELLS begeisterte sich etwa zur gleichen Zeit für naturwissenschaftliche Entdeckungen, insbesondere für die DARWINsche Evolutionstheorie. Angeregt von JULES VERNEs Fantasien begann er um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wissenschaftlich-technische und gesellschaftlich-utopische Romane und Kurzgeschichten zu schreiben. So entwarf er Menschen, wie die Evolution sie nach seiner Vorstellung in einer Million Jahre den Lebensbedingungen auf der Erde angepasst haben würde.
Seine erste Storysammlung erschien unter dem Titel „The Stolen Bacillus“ 1895 (dt. „Der gestohlene Bazillus“, 1901).
Sein erster Roman „Die Zeitmaschine“ (1895; dt. 1904) ist eine frühe kritische Anti-Utopie: In einer fernen Zukunft begegnet der Erfinder der Zeitmaschine dem Volk der Morlocks, das in unterirdischen Fabriken schuftet und mit seiner Sklavenarbeit die Elois ernährt, die in Saus und Braus an der Erdoberfläche leben. WELLS führte die in der englischen Klassengesellschaft anzutreffende Ungleichheit der Menschen fort bis in eine Jahrtausende entfernte Zukunft.
Eine düstere Voraussage auf das Zeitalter der Weltkriege und zugleich ein Reflex auf die brutale Kolonialpolitik des viktorianischen Englands war „Der Krieg der Welten“ (1898; dt. 1901). In dem Roman wird die Erde von eroberungswütigen und technisch überlegenen Marsianern angegriffen, die dann allerdings Opfer irdischer Bakterien werden
„Doktor Moreaus Insel“ (1896; dt. 1904) ist ein Vorgriff auf die Gentechnologie (Tiere werden auf dieser Insel mit menschlichen Eigenschaften ausgestattet, allerdings jedoch ohne wirkliche Sittlichkeit zu erlangen.)
„Der Unsichtbare“ (1897; dt. 1911 und mehrfach verfilmt) verwendet das bekannte Märchenmotiv der Tarnkappe und erkundet die Wirkungen der Unsichtbarkeit unter den Bedingungen der modernen Gesellschaft.
„Die ersten Menschen im Mond“ (1901; dt. 1905) beschreibt eine Mondreise, auf der der Reisende einem strikt reglementierten Insektenstaat mit seinen friedlichen und weisen Bewohnern begegnet.
Mit den Werken seiner frühen Schaffensphase hat WELLS wesentlich zur Ausprägung des Genres beigetragen.
Ein populärer deutscher Science-Fiction-Autor war zu jener Zeit KURD LASSWITZ (1848–1910). Sein Roman „Auf zwei Planeten“ (1897) (siehe PDF) behandelt ebenfalls eine Begegnung mit Marsbewohnern, er jedoch beschreibt sie als friedliche und kluge Wesen.
JULES VERNE und HERBERT GEORGE WELLS können als die Pioniere des modernen unterhaltenden Science-Fiction-Romans gelten. Sie entwickelten jene Motive, Themen und Erzähltechniken, die auch heute noch das Genre bestimmen. In ihren Romanen waren die Handlungsräume noch aus der Gegenwart abgeleitet. In späteren Jahren erschloss sich die wissenschaftlich-fantastische Literatur mehr und mehr die ferne Zukunft.
In den 1940er-Jahren des 20. Jahrhunderts entstand in Amerika einneuer Typ Science-Fiction-Literatur, der das Genre zu dem heute bekannten Massenphänomen machte. Diese Science-Fiction-Geschichten hatten ihre eigenen Publikationsorgane, Science-Fiction-Pulp-Magazine wie
preiswerte Taschenbuchserien, die es bald in Hülle und Fülle gab. Um diese Zeitschriften bildete sich eine Szene von Autoren, Redakteuren, Verlegern, Kritikern und natürlich zahlreichen lesenden Fans.
Es entstand eine Subkultur mit ihren eigenen Organisations-, Kommunikations- und Begegnungsformen. Die Autoren dieser Magazine ließen ihre Geschichten ganz selbstverständlich in einer fernen Zukunft spielen. Große Zeiträume und unvorstellbare Entfernungen wurden im Geiste spielend überbrückt, die Vernunft zu erstaunlichsten Erfindungen und Technologien befähigt. Dieses spielerische Überschreiten der eng bemessenen zeitlichen und räumlichen Dimensionen des menschlichen Lebens kann für den unvergleichlichen Erfolg des Genres verantwortlich gemacht werden.
Heute gehören zu den wichtigsten Topoi und Motiven der Science-Fiction-Literatur
JAMES BLISH, REGINALD BRETNOR, ROBERT A. HEINLEIN, DAMON KNIGHT und THEODORE STURGEON, JUDITH MERRIL, E. „DOC“ SMITH, H. P. LOVECRAFT, RANDALL GARRETT, DANIEL KEYES gehören zu den wichtigen Science-Fiction-Autoren dieser Generation.
Ein äußerst produktiver Autor unter ihnen war ISAAC ASIMOV. Bereits als ganz junger Mann schrieb er für das Magazin „Astounding“ seine Robotergeschichten. Zu seinen berühmtesten Serien zählt „Foundation“, die in den Vierzigerjahren in „Astounding“ erschien. ASIMOV hat bis zu seinem Tod 1992 nahezu 500 Bücher verfasst. Der Preis dieser ungeheuren Produktivität sind natürlich Fortsetzungen, mitunter auch Wiederholungen, vor allem aber das Zugeständnis an den Massengeschmack. Er wollte erklärtermaßen für ein breites Publikum schreiben und wissenschaftliche Sachverhalte der Leserschaft auf einfache Weise nahe bringen. Dass ihm dies gelungen ist, belegen die überwältigenden Verkaufszahlen seiner Bücher.
Die Eroberung des Weltalls durch Satellitentechnik und die bemannte Raumfahrt regte die Fantasie der Menschen enorm an und warf wichtige Menschheitsfragen unter neuen Gesichtspunkten auf. So fand die Science-Fiction-Literatur nicht nur in den USA und im westlichen Europa eine begeisterte Leserschaft.
In den Ländern des Ostblocks waren es vor allem die russischen Brüder ARKADI (1925–1991) und BORIS STRUGATZKI (*1933) und der Pole STANISLAW LEM (1921–2006) die mit anspruchsvoller, wissenschaftlich-philosophischer Science-Fiction-Literatur weit über die Grenzen ihrer Länder bekannt wurden. Sie benutzten das Medium zu indirekter Gesellschaftskritik, indem sie im Mantel der Science Fiction über das enge ideologische und ästhetische Konzept des sozialistischen Realismus hinausgingen.
Mit ironisch-spielerischer Absicht zur Verfremdung und Camouflage unternahm der ostdeutsche Erzähler FRANZ FÜHMANN in seinem kleinen Band mit sieben Erzählungen „Saiäns Fiktschen“ (1981) einen Ausflug in dieses Genre.
HERBERT W. FRANKE (*1927) hat als Autor von Kurzgeschichten und Romanen dazu beigetragen, Science Fiction auch in Deutschland aus der Nische der Literatur für Kinder oder Freaks herauszuholen und ihr mehr Beachtung als ernst zu nehmende Literatur zu verschaffen. Nichtsdestotrotz ist die überwiegende Zahl der in Deutschland verlegten Science-Fiction-Literatur US-amerikanischen Ursprungs, vielfach handelt es sich um Übernahmen von US-Magazinen, wie „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“.
Science Fiction ist längst zu einem verkaufsfördernden Markenzeichen geworden. Sie ist als Comic erfolgreich und erzielt enorme Breitenwirkung vor allem im Medium Film. Mit actionbetonten Fernsehserien und Filmen wie „Star Trek“, „Voyager“, „Star Wars“, „Men in Black“ oder „Gravity“ u. a. setzte und setzt die Filmindustrie mittlerweile Milliarden Dollars um.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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