Der Untertan

Entstehungsgeschichte

Entstehungsgeschichte: HEINRICH MANN hat an dem Roman „Der Untertan“ nach eigener Aussage seit 1906 gearbeitet und ihn 1914, wenige Monate vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges beendet. Einige ausgearbeitete Szenen waren bereits in der Zeitschrift „Simplicissimus“ erschienen. Ein Vorabdruck in der Münchener Illustrierten „Zeit im Bild“ wurde abgebrochen, denn die boshafte Satire über die geistige Verfassung eines kaiserlichen Untertanen passte ganz und gar nicht in die heroische Kriegsstimmung des ersten Kriegsjahres. So konnte das Buch erst 1918, nach Ende des Krieges und dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreiches in deutscher Sprache erscheinen. Eine russische Ausgabe war bereits 1915 in St. Petersburg herausgekommen.

Literaturgeschichtliche Einordnung

„Der Untertan“ ist der bedeutendste Gesellschaftsroman über das wilhelminische Deutschland, eine sozialkritische Satire, die in den gnadenlos bissigen Porträts ihrer Figuren die Scheinmoral der Gesellschaft, den Typ des unterwürfig vor der Macht kriechenden und andererseits nach Macht gierenden skrupellosen Aufsteigers sowie die korrumpierte Sozialdemokratie entlarvt.

Inhalt

Inhalt: Im Mittelpunkt steht die Gestalt des Diederich Heßling, Sohn eines Papierfabrikanten aus der Kleinstadt Netzig. Von Natur aus schwächlich und feige lernt er sehr bald, wie er erlittene Demütigungen in Teilhabe an der Macht ummünzen kann, indem er sich den Autoritäten anbiedert. Der Roman ist in seinem episodischen Bauprinzip nach dem Muster des Bildungsromans angelegt. Heßling nimmt aber nicht den Weg zu einem ehrenvollen Leben und sittlicher Läuterung, sondern geht mit zunehmender Machtfülle seinem moralischen Niedergang entgegen.

Der Romanbeginn zeigt Diederich Heßling als Schüler, dann als Chemiestudenten in Berlin. Dort tritt er der Burschenschaft Neuteutonia bei, in deren Gemeinschaft und hohlen Ritualen aus Schlagen, Saufgelagen und vaterländischem Geschwätz er sich aufgehoben fühlt. Sein Chemiestudium bringt er mit Mühe und Not zu Ende, gleichwohl lässt er sich fortan Herr Doktor nennen. Als Kaisertreuer und Deutschnationaler erscheint ihm der Dienst beim Militär nicht nur eine Frage der Ehre, sondern auch seiner Karriere dienlich. Bald jedoch ist dem Beleibten der Drill im Gelände zu anstrengend und er lässt sich dienstuntauglich schreiben, bei jeder Gelegenheit sein Bedauern über das frühzeitige Ende seiner militärischen Laufbahn heuchelnd.

Heßling und die Macht

In Berlin hat er eine folgenschwere Begegnung, von der er sich gleichsam erhoben fühlt. Er, der die Macht anbetet, sieht den vorüberreitenden Kaiser und erlebt in der jubelnden Masse einen rauschhaften Zustand der Ekstase, der auf lächerlichste Weise und zum Vergnügen des Kaisers endet: Diederich Heßling rutscht in einer Schmutzpfütze aus, was ihn jedoch nicht daran hindert, die Begegnung mit dem Kaiser als den Höhepunkt seines bisherigen Lebens anzusehen.

Heßling und die Liebe

Der unterwürfigen Huldigung der Macht entspricht seine moralische Perfidie und Gefühlskälte seiner Geliebten Agnes Göppel gegenüber. Das Mädchen, das ihn aufrichtig liebt, wird ihm lästig, zumal die Geschäfte ihres Vaters schlecht gehen und er erkennt, dass eine Verbindung mit ihr für seine Karriere unvorteilhaft wäre. Er beleidigt den Vater, der um die Ehre seiner Tochter bittet, mit den Worten, dass er so eine, die sich vor der Ehe einem Mann hingibt, nicht zur Mutter seiner Kinder machen könne. Diese „mannhafte“ Entscheidung erfüllt ihn mit Stolz.

„ ,So muß man sein!' Umso schlimmer für die, die nicht so waren. sie kamen eben unter die Hufe. …“ (Mann, Heinrich: Der Untertan, 3.Aufl. Berlin, Weimar: Aufbau Verlag, 1974, S.93)

Dies bringt Heinrich Mann nicht nur im reflektiven Text zum Ausdruck, sondern auch im Erzählerkommentar:

Diederich empfand stolze Freude, wie gut er nun schon erzogen war. Die Korporation, der Waffendienst und die Luft des Imperialismus hatten ihn erzogen und tauglich gemacht.
(Mann, Heinrich: Der Untertan, 3.Aufl. Berlin, Weimar: Aufbau Verlag, 1974, S.93)

Heßling als „die Macht“

Er lässt sich den Bart aufzwirbeln nach dem Vorbild seines kaiserlichen Idols und kehrt in seine Heimatstadt Netzig zurück. Nach dem Tod des Vaters übernimmt er die Geschäfte der Firma sowie die Führung der Familie, Rollen, die er auf despotische Weise auszufüllen gedenkt. Mit säbelrasselnden Phrasen, die er den Reden des Kaisers abgelauscht hat, verschafft er sich Respekt. Gegenüber seinen Untergebenen zeigt er sich unerbittlich und kalt, die Honoratioren der Stadt hofiert er, wo er kann.
Sein erster Antrittsbesuch in Netzig gilt dem alten Buck, einem ehemaligen Teilnehmer der 48-er Revolution, einem Liberalen, der in der Stadt hoch angesehen ist, dessen demokratische Gesinnung Heßling im Grunde seines Herzens aber verachtet. Mit seinem Sohn Wolfgang, der mittlerweile Rechtsanwalt ist und Neigungen zu antibürgerlichen Attitüden und zur Schauspielerei zeigt, hat er einst die Schule besucht. Heßling wendet sich, wie es seinem Naturell als Emporkömmling entspricht, den Kaisertreuen und national Gesinnten zu und macht sich zum Wortführer ihrer Stammtischrunde, der der Pastor Zillich, der Gymnasialprofessor Kühnchen, der jüdische Assessor Jadasohn und der Major Kunze angehören. Er provoziert den liberalen Fabrikbesitzer Lauer, seinen unmittelbaren Konkurrenten, zu majestätsbeleidigenden Äußerungen und tritt im folgenden Prozess, der von Jadasohn angezettelt wird, als Zeuge gegen ihn auf. Aus der Verurteilung Lauers zieht er unmittelbaren Profit für seine Geschäfte.

Heßling als Intrigant

Er macht sich weiter daran, politische und wirtschaftliche Intrigen zu spinnen, um seine Position in Netzig zu stärken, insbesondere arbeitet er sich in die Kreise des Regierungspräsidenten von Wulckow hinauf, indem er beispielsweise dessen Frau, einer dilettierenden Dichterin, schamlos schmeichelt. Sein eigentlicher Helfer beim Einstieg in die große Politik ist jedoch sein Maschinenmeister Napoleon Fischer, ein Führer der ihm verhassten Sozialdemokratie. Der korrumpierbare Parteifunktionär, ebenso zynisch und machtgierig wie sein Dienstherr, lässt sich bereitwillig in politische Machenschaften einbeziehen, die beiden jeweils Vorteile und politischen Einfluss verschaffen. Heßling erkauft sich von Fischer die Stimmen für seine Wahl zum Stadtverordneten und verspricht ihm Unterstützung bei dessen Kandidatur für den Reichstag. Inzwischen gelingt es Diederich Heßling, durch das gezielte Streuen von Indiskretionen und Gerüchten, die Verlobung von Wolfgang Buck und der reichen Erbin Guste Daimchen zu verhindern und diese ordinäre, keinesfalls unbescholtene Dame selbst zu ehelichen.

Heßling als Ehemann

Die Hochzeitsreise führt das Paar nach Italien, wo auch gerade der Kaiser weilt. Dem Untertan gelingt es, in Rom mehrfach in die Nähe seines Herrschers zu kommen und ihm seine Huldigungen aufzudrängen. Die peinlichen Szenen, in denen Heßlings Hingabe an das gekrönte Haupt nahezu körperlicher Natur ist, sind ins Groteske und Lächerliche gesteigert. Sich mit seinem Kaiser im Einklang wissend, bricht Diederich wie dieser die Reise ab, als er erfährt, dass der Reichstag aufgelöst sei.

Indirekt wird Heßling selbst zum Opfer der Scheinmoral der Gesellschaft. Zwar gelingt es ihm, seine Schwester Magda vorteilhaft an den Vertreter und Geschäftspartner Kienast zu verheiraten. Seine Schwester Emmi wird jedoch auf die gleiche schmähliche Weise und mit denselben zynischen Worten sitzengelassen, wie er einst Agnes Göppel verstieß. Und der „Koofmich“ Heßling muss sich von dem adeligen Leutnant von Brietzen demütigen lassen, wie er einst Vater Göppel demütigte.

Heßling als Honoratior

Durch Aktientransaktionen erwirbt Diederich die Papierfabrik Gausenfeld und wird zum Generaldirektor eines großen Unternehmens. Der alte Demokrat Buck ist nunmehr vollkommen entmachtet und verarmt und auf die Gnade des mittlerweile mächtigsten Mannes in Netzig angewiesen.
Diederich Heßling indes sorgt dafür, dass in der Stadt seinem Kaiser ein pompöses Denkmal errichtet wird. In einer vor vaterländischem Pathos triefenden Rede weiht er das Denkmal ein, als ein mächtiger Gewitterguss die Zeremonie in Sturmböen auseinandertreibt und in Regengüssen ersaufen lässt. So symbolisch wie dieses Bild auf den heraufziehenden Untergang des Kaiserreichs deutet, so symbolisch ist der Tod des alten Buck, der den Untertan Heßling mit geschwellter Brust vom Sterbebett aus in der Tür stehen sieht und mit einem Ausdruck im Gesicht dahingeht, als hätte er den „Teufel gesehen“.

Das Kaiserreich

Dieser Roman, mit allegorischen Zügen ausgestattet und den scharf beobachtenden Realismus ins Satirische überspitzend, ist ein Meisterwerk HEINRICH MANNs. Im Nachhinein hat er diesen Roman mit den beiden folgenden, durch Handlung und Personal lose verknüpften „Die Armen. Roman des Proletariers“ (1917) und „Der Kopf. Roman der Führer“ (1925) zu der Trilogie „Das Kaiserreich“ zusammengefasst. Die beiden letztgenannten Bücher aber erreichten nicht die Qualität, die er mit dem „Untertan“ vorgegeben hatte.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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