Otto Hahn

Als Entdecker der Kernspaltung steht OTTO HAHN für den Beginn eines Zeitalters, das den Menschen durch die friedliche Nutzung der Kernenergie neue Möglichkeiten, aber auch neue Gefahren eröffnet hat. Die Anwendung seiner Entdeckung ist durch die gesellschaftlichen Verhältnisse entscheidend beeinflusst worden, vor allem durch den Zweiten Weltkrieg 1939–1945 und durch den sich anschließenden kalten Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion mit dem atomaren Wettrüsten und der Entwicklung immer neuer Atomwaffen.

Kindheit, Jugend und Ausbildung

OTTO HAHN wurde am 8. März 1879 in Frankfurt/Main als jüngster von vier Söhnen eines Glasers geboren. Sein Vater betrieb eine gut gehende Glaserei und konnte seinen Söhnen eine solide Ausbildung sichern. Der Jüngste sollte eigentlich Architekt werden, aber durch häusliche chemische Versuche war sein Interesse für die Chemie erwacht. HAHN studierte daher Chemie von 1897 bis 1901 in Marburg, dann in München und anschließend wieder in Marburg. 1901 promovierte er in diesem Fach.

Erste wissenschaftliche Schritte

Eine Universitätslaufbahn hatte OTTO HAHN nicht vor. Nach einjähriger Militärzeit und einer Tätigkeit als Vorlesungsassistent ging er nach England, um seine Sprachkenntnisse zu erweitern. Dort hat er sich auch mit Chemie beschäftigt. Er war im Labor von WILLIAM RAMSAY (1852–1916) tätig. RAMSAY, ein bedeutender Chemiker, hatte die Edelgase entdeckt und beschäftigte sich nun mit dem Radium und seinem Zerfall. In diese Arbeit wurde HAHN einbezogen und entdeckte nach kurzer Zeit ein bis dahin unbekanntes Element, das Radiothor. Das ermutigte ihn, sich weiter mit radioaktiven Stoffen zu beschäftigen. Es wurde schließlich sein Lebenswerk. Um seine Kenntnisse auf physikalischem Gebiet zu erweitern, arbeitete er 1905 bis 1906 bei ERNEST RUTHERFORD in Montreal (Kanada). Dort fand er wieder eine neue Substanz, das Radioactinium. In seiner Selbstbiografie berichtet HAHN, dass er die zum Strahlungsnachweis benutzten Elektroskope selbst aus Konservendosen gebaut hat.

Als Forscher in Berlin

Nachdem er durch seine Entdeckungen bekannt geworden war, konnte HAHN seine Arbeit an der Universität in Berlin fortsetzen. Dort entdeckte er das Mesothor, das bald in der klinischen Bestrahlungspraxis das wesentlich teurere Radium ersetzte und habilitierte sich. 1907 lernte er in Berlin die österreichische Physikerin LISE MEITNER kennen, die nach Berlin gekommen war, um Vorlesungen bei M. PLANCK (1858–1947) zu hören. Es begann eine lebenslange, enge Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen LISE MEITNER und OTTO HAHN.

Im Jahre 1909 gelang beiden der Nachweis, dass radioaktive Atome beim Aussenden von Strahlung einen Rückstoß erfahren. Dieser Effekt ist wichtig für das Verständnis vieler Vorgänge in der Kernphysik. Hier bewährte sich - wie später so oft - zum ersten Male die Zusammenarbeit der theoretisch orientierten Physikerin mit dem experimentell arbeitenden Chemiker. Auch die neuen Substanzen Actinium C und Thorium D entdeckten sie zu dieser Zeit.

Ab 1912 konnten sie ihre Arbeit unter wesentlich günstigeren Bedingungen im neu erbauten Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin-Dahlem fortsetzen.
Aber dann unterbrach der Erste Weltkrieg die gemeinsame Arbeit. HAHN nahm am Krieg in einer Spezialeinheit des deutschen Heeres teil.
1924 wurde HAHN Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften und 1928 Direktor des Kaiser-Wilhelm-Institutes für Chemie. Zeitweise gehörte er der Deutschen bzw. Internationalen Atomgewichtskommission und anderen Gremien an.

Mehrfach hat HAHN nach 1933 gegen die Politik der Nationalsozialisten protestiert. So gab er nach dem Ausschluss LISE MEITNERs aus dem Lehrkörper der Berliner Universität ebenfalls sein Lehramt an dieser Universität auf. Später hat er die Flucht LISE MEITNERs nach Schweden (1938) mit vorbereitet.

Die bedeutendste Entdeckung

1938 hatten MEITNER, HAHN und sein Mitarbeiter FRITZ STRASSMANN begonnen, Uran mit Neutronen zu bestrahlen. Sie verfolgten dabei das Ziel, schwerere Elemente, sogenannte Transurane, zu erzeugen. Nach der Emigration von LISE MEITNER im Sommer 1938 setzten HAHN und STRASSMANN die Versuche allein fort. Zu ihrer Verwunderung wiesen sie im Endprodukt Barium nach, ein Element mit wesentlich kleinerer Ordnungszahl. Das Ergebnis, das sie nicht erklären konnten, veröffentlichten HAHN und STRASSMANN im Januar 1939 in der Zeitschrift „Naturwissenschaften“. In diesem Artikel heißt es u. a.:

„Nun müssen wir aber noch auf einige neuere Untersuchungen zu sprechen kommen, die wir der seltsamen Ergebnisse wegen nur zögernd veröffentlichen. .. Wir kommen zu dem Schluß: Unsere ‚Radiumisotope' haben die Eigenschaften des Bariums; als Chemiker müssten wir eigentlich sagen, bei den neuen Körpern handelt es sich nicht um Radium, sondern um Barium, denn andere Elemente als Barium und Radium kommen nicht in Frage. ... Als der Physik in gewisser Weise nahestehende ‚Kernchemiker' können wir uns zu diesem, allen bisherigen Erfahrungen der Kernphysik widersprechenden Sprung noch nicht entschließen. ... Es könnte doch eine Reihe seltsamer Zufälle unsere Ergebnisse vorgetäuscht haben.“

Kurze Zeit später stellte sich heraus: Beim Beschuss von Uran mit Neutronen waren keine Transurane entstanden, sondern es war eine Kernspaltung aufgetreten.
HAHN übermittelte seine Untersuchungsergebnisse sehr schnell an seine ehemalige Mitarbeiterin LISE MEITNER, die in Schweden weilte. LISE MEITNER und ihr Neffe ROBERT FRISCH konnten durch theoretische Überlegungen nachweisen, dass tatsächlich eine Uranspaltung stattgefunden hatte und dass dabei Energie freigesetzt wird.
Als kurze Zeit später der Franzose FREDERIC JOLIOT-CURIE (1900–1958) feststellte, dass beim Prozess der Kernspaltung auch Neutronen freigesetzt werden, war der Weg für die Gewinnung von Kernenergie vorgezeichnet.

Die Folgen der Entdeckung

Bereits 1939, also sehr kurze Zeit nach der Entdeckung der Kernspaltung, war für alle führenden Kernphysiker in den verschiedenen Ländern klar, dass es prinzipiell möglich ist, die Kernspaltung für die Gewinnung von Energie zu nutzen. Es war auch klar, dass dazu ein hoher technischer Aufwand notwendig sein würde.
Es war - gerade auch für die Entdecker - tragisch, dass aufgrund der gesellschaftlichen Situation nicht Überlegungen zur friedlichen Nutzung, sondern zur Nutzung als Waffe im Vordergrund standen. In Europa war der Zweite Weltkrieg ausgebrochen. In die USA emigrierte Wissenschaftler hatten die amerikanische Regierung auf die Gefahr der Entwicklung einer Atomwaffe in Deutschland aufmerksam gemacht. Mit riesigem Aufwand und unter strengster Geheimhaltung wurde in den USA die erste Anwendung der Kernspaltung entwickelt - die Atombombe.

OTTO HAHN hat nach dem Krieg viele Möglichkeiten genutzt, vor dem Missbrauch der Kernenergie und der Wissenschaft überhaupt zu warnen. Als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, mehrfacher Ehrendoktor und Mitglied vieler Akademien ist er bis zu seinem Tod am 28. Juli 1968 seiner Verantwortung als Wissenschaftler gerecht geworden.

Die Mainauer Erklärung von Nobelpreisträgern

Die berühmte Mainauer Erklärung von Nobelpreisträgern aus dem Jahre 1955, also inmitten des kalten Krieges, ist ein Beispiel für die gewachsene Verantwortung der Wissenschaftler für die Ergebnisse ihrer Arbeit und die Tatsache, dass immer mehr Wissenschaftler bereit sind, sich dieser Verantwortung zu stellen. Diese Mainauer Erklärung lautet:

Wir, die Unterzeichneten, sind Naturforscher aus verschiedenen Ländern, verschiedener Rasse, verschiedenen Glaubens, verschiedener politischer Überzeugung. Äußerlich verbindet uns nur der Nobelpreis, den wir haben entgegennehmen dürfen.
Mit Freuden haben wir unser Leben in den Dienst der Wissenschaft gestellt. Sie ist, so glauben wir, ein Weg zu einem glücklicheren Leben der Menschen.
Wir sehen mit Entsetzen, daß eben diese Wissenschaft der Menschheit Mittel in die Hand gibt, sich selbst zu zerstören.Voller kriegerischer Einsatz der heute möglichen Waffen kann die Erde so sehr radioaktiv verseuchen, daß ganze Völker vernichtet würden. Dieser Tod kann die Neutralen ebenso treffen wie die Kriegführenden.
Wenn ein Krieg zwischen den Großmächten entstünde, wer könnte garantieren, daß er sich nicht zu einem solchen tödlichen Kampf entwickelte? So ruft eine Nation, die sich auf einen totalen Krieg einläßt, ihren eigenen Untergang herbei und gefährdet die ganze Welt.
Wir leugnen nicht, daß vielleicht heute der Friede gerade durch die Furcht vor diesen tödlichen Waffen aufrechterhalten wird. Trotzdem halten wir es für eine Selbsttäuschung, wenn Regierungen glauben sollten, sie könnten auf lange Zeit gerade durch die Angst vor diesen Waffen den Krieg vermeiden. Angst und Spannung haben so oft Krieg erzeugt.
Ebenso scheint es uns eine Selbsttäuschung, zu glauben, kleinere Konflikte könnten weiterhin stets durch die traditionellen Waffen entschieden werden. In äußerster Gefahr wird keine Nation sich den Gebrauch irgendeiner Waffe versagen, die die wissenschaftliche Technik erzeugen kann.
Alle Nationen müssen zu der Entscheidung kommen, freiwillig auf die Gewalt als letztes Mittel der Politik zu verzichten. Sind sie dazu nicht bereit, so werden sie aufhören, zu existieren.

Mainau/Bodensee, 15. Juli 1955

KURT ALDER, Köln
MAX BORN, Bad Pyrmont
ADOLF BUTENANDT, Tübingen
ARTHUR. H. COMPTON, Saint Luis
GERHARD DOMAGK, Wuppertal
HANS VON EULER-CHELPIN, Stockholm
OTTO HAHN, Göttingen
WERNER HEISENBERG, Göttingen
GEORG V. HEVESY, Stockholm
RICHARD KUHN, Heidelberg
FRITZ LIPMANN, Boston
HERMANN JOSEPH MULLER, Bloomington
PAUL HERMANN MÜLLER, Basel
LEOPOLD RUZICKA, Zürich
FREDERICK SODDY, Brighton
WENDELL M. STANLEY, Berkeley
HERMANN STAUDINGER, Freiburg
HIDEKI YUKAWA, Kyoto

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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