Die amerikanische „Muzak Corporation“, die den Typus der „funktionellen Musik“ regelrecht „erfunden“ hat, wurde 1922 als „Wired Radio Inc.“ in Seattle, Washington/USA, von der „North American Company“, einer Finanz-Holding, gegründet. Sie hatte von dem früheren Chef des amerikanischen Nachrichtenkorps, General GEORGE OWEN SQUIER (1877–1934), das Patent über den drahtgestützten Rundfunk – einem Vorläufer der heutigen Kabelübertragung von Rundfunk- und Fernsehsendungen – erworben, das dieser sich kurz vor dem Ausscheiden aus dem aktiven Militärdienst gesichert hatte.
Die kostenpflichtige Übertragung von Radio-Programmen über das Telefonnetz hatte angesichts des für den Hörer kostenfreien kommerziellen Rundfunks keine Perspektive. Das Unternehmen sah sich nach Alternativen um und entwickelte ab 1934 unter dem Namen „Muzak Corporation“ ein neues Geschäftsfeld – Herstellung und Vertrieb von Hintergrundmusik zur Leistungssteigerung am Arbeitsplatz. Die Firma selbst bezeichnet sich als „specialists in the physiological and psychological effects and applications of music“.
Der Schlüssel hierzu ist „Stimulus Progression“, eine Technik der unterbewussten Stimulation des Hörers mittels 15-minütiger Musikblöcke, die in Tempo, Rhythmus, Sound und Instrumentierung variieren, gefolgt jeweils von 15-minütigen Pausen. DAN O'NEILL (1904–1971), Muzak’s langjähriger Chef-Programmierer, veröffentlichte 1956 die Muzak Programming & Stimulus Charts, Diagramme mit stimulierenden Klangmustern, auf deren Grundlage das Konzept der leistungssteigernden Hintergrundmusik aufgebaut ist. Britische Industriepsychologen bestätigten 1937 die leistungssteigernde Wirkung von Musik am Arbeitsplatz, sofern diese nach bestimmten psychologischen Kriterien produziert wird.
Entscheidend für die angestrebte Wirkung ist dabei, dass funktionelle Musik nicht bewusst wahrgenommen wird, keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen darf, ihr Einsatz andererseits genau dosiert und kontrolliert erfolgen muss, um neutralisierende Gewöhnungserscheinungen auszuschalten. Muzak operiert in der Lautstärke an der Hörschwelle, soll nicht gehört, sondern wahrgenommen werden. Die Musik ist leise, angenehm, arbeitet mit bekannten Melodien und Harmonien, ohne Singstimmen. Ihre Hersteller bieten je nach Verwendungszweck unterschiedliche Programme an, deren Abspielfrequenz sich nach der beabsichtigten Wirkung richtet.
Funktionelle Musik basiert auf möglichst vertrautem Material aus den verschiedenen Bereichen der Musik, das jedoch entsprechend bearbeitet, umarrangiert und neu produziert wird. Die Bearbeitung der ausgewählten Musikstücke erfolgt nach hörphysiologischen psychologischen Gesichtspunkten. Ihre Länge wird auf zwei bis drei Minuten gekürzt, um einen entsprechenden Abwechslungsreichtum zu erzielen. Sofern die Originalvorlagen Singstimmen enthielten, sind diese durch Instrumente ersetzt, um eine Bindung von Aufmerksamkeit durch den Text zu vermeiden.
Der Einsatz der Instrumente erfolgt abgestuft nach ihrem Reizwert; das Klangbild beherrschen Streich- und Holzblasinstrumente, Rhythmus- und Blechblasinstrumente kommen dagegen nur sehr dosiert zur Anwendung. Rhythmus und Tempo richten sich nach den parallel ablaufenden Tätigkeiten, die sie synchronisieren sollen. Die Lautstärke ist in Abhängigkeit vom Einsatzort so gehalten, dass diese Musik stets im Hintergrund bleibt. Dynamische Unterschiede werden zusätzlich noch durch eine Beschneidung der hohen und tiefen Frequenzen auf eine Bandbreite von 40 bis 8 000 Hz ausgeglichen, so dass ein gleichförmiges, obertonarmes Klangbild entsteht.
Das Grundprinzip der Muzak-Programme besteht in der zielgerichteten Anwendung der physiologischen und psychischen Wirkungen von Musik für ganz bestimmte Effekte, für eine Konditionierung des Menschen auf genau definierte Ziele, ohne dass ihm dies selbst bewusst wird. Der kalkulierte Einsatz solcher Hintergrundmusik soll ein Wohlbefinden erzeugen, das mit der Arbeit verbundene Unlustgefühle, psychophysische Schutzmechanismen wie Erschöpfung, Ermüdung usw. sowie rationale Verhaltenssteuerungen abbaut und durch unbewusste und unbemerkte Verhaltensstimulationen in eine gewünschte Richtung ersetzt. Muzak gehört damit in den Bereich des Human Engineering und ist eine Form der manipulativen Beeinflussung des Menschen. Ihre Haupteinsatzgebiete liegen
Muzak versorgt heute via Satellit rund 350 000 Abnehmer in 120 Ländern mit Musikprogrammen für
und erreicht damit nach eigenen Angaben täglich annähernd 300 Mio. Menschen. Das hat den Namen „Muzak“ zum Synonym für funktionelle Musik werden lassen, auch wenn inzwischen eine ganze Reihe weiterer Unternehmen dieser Art entstanden sind.
Neben den psychophysischen Auswirkungen der funktionellen Musik, die besonders beim Einsatz am Arbeitsplatz Dauerschäden durch die Stimulation zu permanenter Überforderung zur Folge haben kann, den kulturellen Konsequenzen, die sich mit dem weltweiten Einheitssound von Muzak und der Fixierung ihrer Hörer auf eine bloß passive Berieselung durch Musik verbinden, sind es vor allem ethische Gründe, die gegen einen solchen manipulativen Gebrauch von Musik sprechen.
1922 | Gründung der „Wired Radio Inc.“ in Seattle, Washington/USA |
1934 | Umbenennung der „Wired Radio Inc.“ in „Muzak Corporation“; erste kommerzielle Übertragung von Hintergrundmusik in Cleveland, Ohio |
1936 | In den Aufzügen des Empire State Building in New York wird Hintergrundmusik der Firma „Muzak Corporation“ eingesetzt, daher der Begriff „Fahrstuhlmusik“. |
1939 | „Stimulus Progression“, eine musikpsychologische Technik zur Leistungssteigerung durch Hintergrundmusik, kommt zum Einsatz. |
1950 | Travel Muzak, Hintergrundmusik für Reisende in Flughäfen, Bahnhöfen, Flugzeugen und Schiffahrtslinien wird gestartet. |
1988 | Muzak führt „Music Plus“ ein – ein Hintergrundmusik basiertes System des Audio Marketing von Musik, Nachrichten und Produkten via Satellitendirektrundfunk. |
1991 | Muzak beginnt mit „ZTV“, der Hintergrund-Musikvideobespielung via Satellit in Restaurants, Kaufhäusern etc. |
2004 | Muzak startet „Muzak On Hold“, die Produktion speziell programmierter Warteschleifen-Musiken. |
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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