Wie jeder Aufsatz lässt sich die Fantasiegeschichte in der Regel in drei Teile gliedern:
Eine Tempeltänzerin von Karnak
Mühselig zog ich mich hoch, rutschte an der glatten Säule aber immer wieder ab. Von unten sah sie und die vielen anderen Schwestern von ihr noch riesiger aus.
Ist das der Tempel von Karnak? Wie kam ich bloß hierher? Vergeblich suchte ich, meine kleinen grauen Zellen auf Trab zu bringen.
Endlich bekam ich Boden unter die Füße. Vorsichtig machte ich die ersten Schritte, spähte umher, ohne etwas Auffälliges zu entdecken. Die Sonne ging schon unter. Dunkler und dunkler wurde es, als würde jemand nach und nach alle Lampen ausknipsen.
Ich bekam Angst. Jemand könnte mich überfallen, wenn ich hier so mutterseelenallein herumlief. Und da war noch die Kälte der Nacht, die nun ihrerseits an mir hochkroch und mich bald schlottern ließ.
Ich war schon mal auf Reisen hier gewesen, fiel mir ein. In welche Richtung stand die Statue von Ramses II., wo lag der See wohl?
Ich lief und lief. Stolperte. Schlug beinahe der Länge nach hin. Plötzlich fiel mein Blick auf das lange Weiße, das meine Beine umschloss. Eine Hand fühlte ich in diesem Moment auf meiner rechten Schulter.
„Ihr müsst kommen, Herrin. Der Tanz der Tempeltänzerinnen fängt gleich an.“
Ich sah sie kaum. Die Stimme klang bestimmt. Vor Überraschung ließ ich mich wegführen, wohl aber auch, damit ich nun nicht mehr allein herumirren musste.
Im Laufen wanderte mein Blick die Säulen ganz hinauf. Ich strengte die Augen mit aller Kraft an. Ich wollte ihre oberen Abschlüsse erkennen. Waren denn keine zertört? – Oh Gott, ich war in einer anderen Zeit! Vorsichtshalber versuchte ich es aber noch mit Kneifen. Und ich fragte laut, was ich jetzt tun sollte.
Meine Begleitung reagierte nicht. Wir wurden immer schneller. Hört das nie auf? Ich schwitzte und schwitzte, und vorhin schien es noch, ich würde bald Frostbeulen kriegen.
Entsetzt dachte ich, dass alles auffliegen würde. Ich konnte doch keinen Tempeltanz. Sie würden denken, ich hätte mich eingeschlichen. Sie würden mich wegsperren in wer weiß was für ein schlimmes Loch.
Als wir durch den Eingang hetzten, verfehlte ich ihn knapp – und stieß mir ziemlich unsanft den Kopf. „Aua!“. Das war weithin zu hören.
Auf einmal sah ich mich falsch herum im Bett sitzen, über mir an der Wand irgendwelche großen Schatten, und dachte gerade noch: „In dieser verschwitzten weißen Tunika kann ich sowieso nicht tanzen.“
Ein Klicken war zu hören. Licht blendete mich. Eine beruhigende Stimme meinte in bestimmendem Ton: „Mit dem Tanzen wartest du mal, bis du wieder aus dem Krankenhaus raus bist. Aufstehen üben darfst du morgen, nicht jetzt. Aber gib besser auf deinen Kopf acht.“
So hat ein Arzt verhindert, dass ich mich als Tempeltänzerin unsterblich blamierte.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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