Konstanz und Variabilität der Arten

Jeder hat sich schon einmal an der Vielfalt von Farben und Formen einer blühenden Wiese erfreut. Gegenwärtig (Bundesumweltamt, 2009) sind etwa 340 000 Pflanzenarten und 1,25 Millionen Tierarten beschrieben. Groß ist auch die Vielfalt der Arten bei Bakterien und Pilzen.

Die Vielfalt der Lebewesen ist nur scheinbar unüberschaubar. Vergleicht man z. B. einzelne Pflanzen oder Tiere einer Wiese, stellt sich heraus, dass sich bestimmte Pflanzen oder Tiere in ihren Eigenschaften und Merkmalen (z. B. Blütenaufbau, Flügelform) ähneln. Heute ist bekannt, dass diese Ähnlichkeit auf Verwandtschaft beruht.

Je näher Organismen miteinander verwandt sind, desto mehr ähneln sie sich in ihren Eigenschaften und Merkmalen.

Organismen werden in Verwandtschaftsgruppen geordnet , z. B. in die systematischen Kategorien Art, Gattung, Familie, Ordnung, Klasse, Stamm. Die kleinste Gruppe, die die engste Verwandtschaft ausdrückt, ist die Art. Die nächsthöhere Gruppe, die von mehreren Arten gebildet wird, ist die Gattung. Mehrere Gattungen bilden eine Familie, mehrere Familien eine Klasse von Lebewesen, mehrere Klassen einen Stamm. Die Verwandtschaftsgruppen – ausgehend von der Art – weisen von einer Stufe zur höheren Stufe weniger gemeinsame Merkmale auf.

Die biologische Wissenschaft Systematik versucht durch die Einordnung der Lebewesen in diese systematischen Kategorien, die große Mannigfaltigkeit der Lebewesen in einem System überschaubar zu machen. Der schwedische Naturforscher CARL VON LINNÉ hat sich bei der Einordnung der Lebewesen in ein überschaubares System besondere Verdienste erworben.

An einigen Beispielen wollen wir die Verwandtschaftsbeziehungen verdeutlichen. Jeder hat schon einmal beobachten können, dass Kinder ihren Eltern oder Großeltern ähneln. Solche Ähnlichkeiten gibt es sowohl äußerlich als auch im Verhalten.

Wie kommt es zu dieser Erscheinung?

Bestimmte Eigenschaften, wie naturwissenschaftliche, künstlerische oder sprachliche Begabungen, können bei einigen Familien über viele Generationen hinweg beobachtet werden. Einige Zwillingspaare ähneln sich, während andere gar nicht als solche zu erkennen sind. Auch bei Tieren (z. B. Säugetiere) findet man in allen Familien sowohl gleiche als auch unterschiedliche Merkmale. Bei den Samenpflanzen trifft das Gleiche zu.

Die Art ist also ein grundlegender Begriff nicht nur in der Systematik, sondern auch in der Vererbungslehre, in der Genetik. Die Vertreter einer Art fallen durch ihre äußere Ähnlichkeit auf.

Individuen gehören zu einer Art, wenn sie in ihren wesentlichen äußeren (morphologischen) und inneren (anatomischen) Merkmalen untereinander und mit ihren Nachkommen übereinstimmen.

Auf der Grundlage dieser Fassung des morphologischen Artbegriffs wurden und werden Arten beschrieben und in das Organismensystem eingeordnet.

Diese Methode der Beschreibung von Arten birgt aber auch Schwierigkeiten in sich. Denken wir nur an den Sexualdimorphismus der Vögel, bei denen sich die Männchen oft durch ein farbenprächtiges Gefieder von ihren weiblichen Artgenossen unterscheiden. Es gibt auch die Variabilität der Größe und den ausgeprägten Sexualdimorphismus, z. B. beim Hirschkäfer (Männchen besitzen geweihartig vergrößerte Oberkiefer).

Gegen die Allgemeingültigkeit des morphologischen Artbegriffs spricht auch, dass einige Lebewesen im Verlauf ihrer Individualentwicklung eine Metamorphose durchlaufen, z. B. die morphologisch sehr unterschiedlichen Entwicklungsstadien Raupe, Puppe und Vollinsekt.

Um den Problemen, die mit einer morphologisch orientierten Definition des Artbegriffs verbunden sind, zu begegnen, bietet sich eine genetische Artdefinition an. Sie beruht auf der Überlegung, dass die relative Gleichheit der Merkmale der Vertreter einer Art auf der relativen Konstanz ihrer Erbinformationen beruht.

Individuen gehören zu einer Art, wenn sie sich miteinander paaren können und fruchtbare Nachkommen hervorbringen.

Obwohl die genetische Artdefinition gegenüber der morphologischen den Vorteil bietet, dass sie genauer ist, hat auch sie ihre Grenzen. Es gibt einzelne Beispiele dafür, dass Vertreter verschiedener Arten miteinander kreuzbar sind, beispielsweise gehen aus der Kreuzung von Birkhenne (A) und Auerhahn (B) Rackelhühner (C) hervor.

Die Vielfalt der Organismen ergibt sich demnach aus der Vielfalt verschiedener Arten und der Veränderlichkeit der Individuen innerhalb einer Art. Es gibt also eine zwischenartliche Variabilität und eine innerartliche Variabilität.

Zwischenartliche Variabilität ist die Veränderlichkeit der Organismen verschiedener Arten.

Innerartliche Variabilität ist die Veränderlichkeit der Organismen derselben Art.

Die Variabilität der Organismen beruht auf Unterschieden in der Erbinformation (Mutationen) oder auf nicht erblichen Veränderungen des Erscheinungsbilds während der Individualentwicklung (Modifikation).


Die charakteristischen Merkmale der verschiedenen Organismengruppen sind also erblich fixiert. Deren Erbanlagen werden mehr oder weniger unverändert auf die nachfolgende Generation übertragen.

Die Ähnlichkeit der Organismen kommt durch die unveränderte Weitergabe der Erbinformation von den Eltern auf die Nachkommen zustande. Lebewesen gleichen Erbguts müssten somit in allen Merkmalen übereinstimmen. Wie die Praxis zeigt, ist das jedoch nicht der Fall.

Wird z. B. eine junge Pflanze der Kuhblume (Löwenzahn) halbiert und an unterschiedlichen Standorten (z. B. Gebirge, Wiese) angepflanzt, entwickeln sich unterschiedliche Pflanzen, die aber zur gleichen Art, zur Art Kuhblume, gehören.

Genetisch gleiche chinesische Primeln blühen bei niedrigen Temperaturen rot und bei Temperaturen über 30 °C weiß. Die Ausbildung des Merkmals Blütenfarbe ist demnach nicht nur von der Erbinformation, sondern auch von dem Umweltfaktor Temperatur abhängig.

Diese Beispiele zeigen, dass Umweltfaktoren die Ausbildung von Merkmalen beeinflussen. Dadurch können sich Organismen mehr oder weniger gut an bestehende Umweltbedingungen wie Temperatur, Licht, Wasser und Nahrung anpassen. Die Ausbildung von Licht- und Schattenblättern bei Pflanzen ist z. B. eine solche Anpassung an den Lichtfaktor.

Die Erhaltung der Arten ist wesentlich mit den Lebensprozessen Fortpflanzung und Vererbung verbunden. Durch Fortpflanzung werden Nachkommen erzeugt und durch die damit verbundene Vererbung erhalten die Nachkommen Merkmale der Eltern, die in ihrer Ausprägung durch Umwelteinflüsse modifizierbar sind.

Die Ausbildung von Licht- und Schattenblättern ist eine Anpassung an den Lichtfaktor.

Die Ausbildung von Licht- und Schattenblättern ist eine Anpassung an den Lichtfaktor.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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