Über die Aufgaben des Liberalismus äußerte DAHRENDORF in einem Interview:
„Liberalismus oder liberales Denken hat immer dieselben Grundaufgaben: die Schaffung der Verfassung der Freiheit, die Schaffung von Umständen, die es dem einzelnen und der einzelnen erlauben, ein Maximum an Lebenschancen zu gewinnen und zu realisieren. Das ist teils eine Frage der Rechtsordnung und des Rechtsstaates, das ist teils eine Frage der wirtschaftlichen Bedingungen, der Ermutigung von Eigentätigkeit. Und es ist teils eine Frage der Sozialpolitik, die nachhaltig ist und Einsatz freisetzt, anstatt ihn zu fesseln. Das sind Aufgaben, die sich nicht verändern und die im übrigen nicht Aufgaben einer einzigen Partei sind. Liberales Denken in diesem Sinne kann es in allen Parteien geben.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.10.2002)
Damit setzt DAHRENDORF (1929-2009) auf einen Liberalismusbegriff, der auf individueller Freiheit und gesamtgesellschaftlicher Gerechtigkeit fußt. Gekennzeichnet ist solch eine liberale Gesellschaft durch:
In einer Adresse anlässlich der Präsentation von Studien zu Ehren ROLV RYSSDALs am 08.06.2000 in Strasbourg bemerkte DAHRENDORF:
„Es kann den Anschein von Demokratie ohne Rechtsstaatlichkeit geben, und ebenso den Anschein von Rechtsstaatlichkeit ohne Demokratie. Aber nur wenn Demokratie fest auf Rechtsstaatlichkeit beruht, kann sie Vertrauen bilden und gegen kurzfristige Begeisterungs- oder Enttäuschungs-Ausbrüche schützen. Und nur wenn der Rechtsstaat auf demokratischen Institutionen und Verfahren beruht, stellt er mehr als eine rein formale Garantie der Freiheit der Bürger dar.“
RALF GUSTAV DAHRENDORF wurde am 1. Mai 1929 in Hamburg als Sohn von GUSTAV DAHRENDORF geboren. Sein Vater war SPD-Politiker, – und als solcher Vertreter in der Hamburger Bürgerschaft und Reichstagsabgeordneter – der sich während der Zeit des Nationalsozialismus im Umkreis der Widerständler des 20. Juli engagierte.
Bereits das erste Zeugnis RALF GUSTAVs versprach Großes:
„Ralf ist in seinen Leistungen hervorragend. Auf seine Entwicklung darf man gespannt sein.“
Wegen seiner Beteiligung an einer illegalen Schülervereinigung wurde er 1944 für einige Wochen inhaftiert. Diese Haft habe einen „fast klaustrophobischen Drang zur Freiheit in mir geweckt“ und ihn „immun gemacht gegen die Versuchungen jeder Art von Totalitarismus“, schreibt DAHRENDORF in seiner Autobiografie („Über Grenzen“). Sein Vater überlebte den Nationalsozialismus in einem Zuchthaus und engagierte sich nach dem Mai 1945 im „Zentralausschuss der SPD“. U. a. unterzeichnete er mit OTTO GROTEWOHL und MAX FECHNER den Gründungsaufruf für die SPD. Der Vater beeinflusste den jungen DAHRENDORF auch politisch: 1947 trat er in die SPD ein.
Von 1947 bis 1952 studierte er Philosophie, Klassische Philologie und Soziologie in Hamburg und London. Er promovierte 1952 über das Thema „Der Begriff des Gerechten im Denken von Karl Marx“ zum Dr. phil. und schloss ein postgraduales Studium der Soziologie an der „London School of Economics“ 1957 mit der englischen Promotion „Ph. D.“ ab. Hier lernte DAHRENDORF auch den Philosophen KARL RAIMUND POPPER (1902–1994) kennen, der dort seit 1949 als Professor für Logik und Wissenschaftstheorie wirkte. POPPER wurde DAHRENDORFs wichtigster Lehrer und zweite Vaterfigur.
1957 wude DAHRENDORF Assistent und Privatdozent an der Universitat des Saarlandes. Mit 29 Jahren habilitierte er zum Thema: „Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft“ und trat seine erste Professorenstelle für Soziologie an der Akademie für Gemeinwirtschaft in Hamburg an.
In seinem Essay „Gegenwärtige Veränderungen der Klassenstruktur in den europäischen Gesellschaften“ (1964) entwickelte DAHRENDORF seine Theorie der sozialen Klassen weiter und prägte den Begriff der Dienstklassengesellschaft. Er negierte darin die Marxsche Theorie von den zwei antagonistischen Klassen Bürgertum und Proletariat:
„Auf jeden Fall entwickelt sich in Europa ein neuer Typ von Klassenstruktur, der in vielerlei Hinsicht abweicht vom früheren... Für Europa als Ganzes ist die Gesellschaft, wie sie von Marx beschrieben wurde, mittlerweile eine alte, überholte Ordnung... Ihr Ableben wurde verursacht, oder doch beschleunigt, durch drei Faktorenbündel: soziale (soziales Wunder), ökonomische (wirtschaftliches Wunder) und politische Faktoren (Veränderung in den Machtstrukturen).“
Der Begriff Klasse wird von DAHRENDORF als „Beziehung ihrer Mitglieder zur Ausübung von Macht“ verstanden, demzufolge habe sie nichts mit der „Eigentumsstruktur der Ökonomie“ zu tun. Vielmehr unterscheidet DAHRENDORF:
„Unsere These in diesem Essay ist nicht, daß das Wirtschaftswunder allein und unmittelbar klassenbewußte Arbeiter in bürgerliche Konservative verwandelt hat. Wir haben besonderes Gewicht gelegt auf das soziale Wunder und auf Veränderungen in den Machtstrukturen, die von weit größerer Bedeutung sein können als ein Jahrzehnt der Prosperität. Insbesondere scheint für mich der wesentliche Wandel in den Einstellungen in dem Tatbestand zu liegen, daß Gefühle der Solidarität und der Wünschbarkeit kollektiver Aktion bei vielen Arbeitern zugunsten eines Bestrebens zurückgetreten sind, ihre Lage individuell zu verbessern.“
Im Zusammenhang mit seiner Untersuchung der Klassen greift DAHRENDORF auch das Problem der Konfliktanalyse auf:
„... alles soziales Leben ist Konflikt, weil es Wandel ist. Es gibt in menschlichen Gesellschaften nichts Beharrendes, weil es nichts Gewisses gibt. Im Konflikt liegt daher der schöpferische Kern aller Gesellschaft und die Chance der Freiheit – doch zugleich die Herausforderung zur rationalen Bewältigung und Kontrolle der gesellschaftlichen Dinge.“ (1961)
DAHRENDORF unterscheidet zwei Arten von Konflikten:
DAHRENDORFs Kernthesen zur Konfliktanalyse sind:
Reduktion von Konflikt
1960 trat DAHRENDORF, unter dem Einfluss des „liberalen“ POPPER stehend, aus der SPD aus. Später wird man ihn als „ideologisch ... verbohrter Liberaler“ denunzieren. Er seinerseits konstatierte das „Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts“ und trat 1967 in die FDP ein.
1960 wurde DAHRENDORF Professor in Tübingen, hatte Gastprofessuren in den USA (1960, 1962, 1968) und war von 1964 bis 1967 Stellvertretender Vorsitzender des Beirats für Bildungsplanung Baden-Würtemberg, als solcher arbeitete er den „Dahrendorf-Plan“ aus, in welchem er ein sechssemestriges Kurzzeitstudium forderte. 1965–67 war DAHRENDORF Stellvertretender Vorsitzender des Gründungsausschusses für die Universität Konstanz und Mitglied des Bildungsrates.
Mitte der sechziger Jahre hatte sich DAHRENDORF bereits einen Namen unter den Intellektuellen im Nachkriegsdeutschland gemacht. Er diskutierte 1968 mit RUDI DUTSCHKE auf dem Autodach vor der Freiburger Stadthalle, schon drei Jahre früher, 1965, vertrat er die These vom Versagen der Eliten in der Weimarer Republik. Er stellte fest, dass sich die feudal-aristokratische Elite des Kaiserreiches zwar in der Weimarer Republik fortsetzte, durch die nationalsozialistische Herrschaft jedoch gekappt wurde. Er forderte die Ausbildung einer liberalen, multiformen, vielfältigen Elite der ca. 2 000, die das liberaldemokratische Establishment der Gesellschaft darstellen soll. Er untermauerte diese These mit drei Gründen:
Die deutschen Eliten hätten sowohl die politische Auseinandersetzung verhindert als auch Stagnation befördert:
„Die Vielfalt der deutschen Führungsgruppen hat sich als eine Vielfalt derer erwiesen, die eines Tages erschrocken zu der Einsicht erwachten, daß sie nunmehr an der Spitze stehen und niemanden mehr über sich haben. Der Schreck war stärker als das Selbstbewußtsein; sie waren auf ihre neue Stellung nicht vorbereitet; so beschlossen sie, die Ansprüche, die sie aus dieser Stellung ableiten konnten, nicht zu erheben, sondern sich jeweils auf ihren eigenen Bereich zurückzuziehen.“ (1965)
DAHRENDORF verwendete den Begriff „demokratische Eliten“ als zu bildender Idealtyp: Können sich „demokratische Eliten“ etablieren, wenn gesellschaftliche Macht auf wenige Individuen konzentriert ist? „.. eine demokratische Elite muß in ihrem Status vereint, in ihrer Politik jedoch geschieden sein“. Allerdings konstatiert DAHRENDORF für die deutschen Eliten die fehlende soziale Bildung. Ziel müsse sein, „bei gleichen Chancen des Zugangs eine in ihrer Sozialbiographie homogene, insofern etablierte politische Klasse zu schaffen“.
1968–69 war DAHRENDORF Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Als Mitglied des Bundestages für die FDP war er 1969–1970 parlamentarischer Staatssekretar im Außenmnisterium unter Bundesaußenminister WALTER SCHEEL. 1970 wurde DAHRENDORF deutscher Kommissar bei der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel. Er wurde in den Bundesvorstand der FDP gewählt.
In den 1960er-Jahren beteiligte sich DAHRENDORF am so genannten Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, in dem es um Methodenprobleme der Sozialwissenschaften ging und der zwischen Vertretern des kritischen Rationalismus (KARL R. POPPER, HANS ALBERT) und der kritischen Theorie der Frankfurter Schule (THEODOR W. ADORNO, JÜRGEN HABERMAS) ausgefochten wurde. Der Streit begann auf der Tübinger Arbeitstagung der deutschen Gesellschaft für Soziologie im Oktober 1961, als ADORNO ein Referat von POPPER koreferierte. Rückblickend konstatierte DAHRENDORF:
„In der Tat konnte zuweilen der Anschein entstehen, als seien Herr Popper und Herr Adorno sich in verblüffender Weise einig. Doch konnte die Ironie solcher Übereinstimmung dem aufmerksamen Zuhörer kaum entgehen. Die Diskussion brachte eine Reihe von amüsanten Belegen für Gemeinsamkeiten der Referenten in Formulierungen, hinter denen sich tiefe Differenzen in der Sache verbergen.“
Es ging bei diesem Streit im Speziellen um die Frage der Wertfreiheit der Wissenschaft, um deren Forschungsmethoden. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatte MAX WEBER die Frage nach der Objektivität von Werturteilen gestellt. Er war der Meinung: „Eine empirische Wissenschaft vermag niemanden zu lehren, was er soll, sondern nur was er kann und – unter Umständen – was er will“ und plädierte für die Trennung von Normativem (= Wertungen: Konventionen, Normierungen, Auswahlkriterien, Urteile, Wahrnehmungen: Subjektivisches) und Faktischem (Wirklichkeit, Tatsache, Empirisches, Objektivisches).
DAHRENDORF war mit POPPER Anhänger des „Kritischen Rationalismus“ und vertrat in diesem Streit im Wesentlichen die Thesen MAX WEBERs. Für ihn ist die Soziologie, ganz im Geiste WEBERs, eine Wirklichkeitswissenschaft. Wertvorstellungen dürften nicht zu Erkenntnisschranken werden:
„Die Methode der Sozialwissenschaften wie auch die der Naturwissenschaften besteht darin, Lösungsversuche für ihre Probleme – die Probleme von denen sie ausgeht – auszuprobieren. Lösungen werden vorgeschlagen und kritisiert. Wenn ein Lösungsversuch der sachlichen Kritik nicht zugänglich ist, so wird er eben deshalb als unwissenschaftlich ausgeschaltet, wenn auch vielleicht nur vorläufig.“ (POPPER)
Der Wissenschaftler müsse „rein wissenschaftliche Werte“ von den „außerwissenschaftlichen Werten“ trennen. ADORNO hingegen wandte sich gegen die Wertfreiheit:
„Wissenschaftliches Bewusstsein von der Gesellschaft, das sich wertfrei aufspielt, versäumt die Sache ebenso wie eines, das sich auf mehr oder minder verordnete und willkürlich statuierte Werte beruft“.
Kritik müsse immer auch Kritik an der Gesellschaft sein. Die Gesellschaft ist für ihn der Gegenstand der Soziologie.
Von 1974 bis 1984 war DAHRENDORF achter Direktor an der London School of Economics (LSE), der Schule, an der er promoviert und POPPER kennengelernt hatte. Danach, von 1987 bis 1997 war er Leiter des St. Antony's College und Prorektor der Universität Oxford. Seit 1993 ist DAHRENDORF als Baron of Clare Market in the City of Westminster Mitglied des britischen Oberhauses. 1995 wurde er mit dem Publizistik-Preis Premio Napoli für herausragende Arbeiten im Sinne Europas ausgezeichnet.
Der 12. April 1997 war der Tag der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises für „bahnbrechende bildungs-, kultur- und europapolitischen Reformanstöße“.
2002 veröffentlichte der Verlag C.H. Beck ein Gespräch unter dem Titel „Die Krisen der Demokratie“. Die derzeit zu beobachtende Globalisierung geht für DAHRENDORF einher mit Entdemokratisierung. Der Schwerpunkt der Globalisierung liegt auf der Wirtschaft, auf dem Zusammenwachsen der weltweiten Märkte. Aber es gibt auch ein kulturelles, politisches, ethisches und ökologisches Problem der Globalisierung. Wirtschaftlich entstehe eine neue Ungleichheit: man brauche heute „nicht alle prinzipiell verfügbare Arbeit. Die (globale Klasse) braucht Computer, aber nicht Arbeiter. ... Die Arbeit, die für viele gefunden wird, hat daher etwas Beliebiges, fast Überflüssiges.“ DAHRENDORF verteidigt das Recht auf Arbeit als „Instrument der sozialen Kontrolle“ und hält es für ein „verzweifelt wichtiges Thema“. Er beobachtet einen „neuen Autoritarismus“, denn „Menschen zur Arbeit zu zwingen, auch wenn es durch indirekte Mittel geschieht, ist eine autoritäre Politik.“ Gesellschaften aber sollten das „Werk ihrer Bürger“ sein. Solange der Staat autoritär auftrete, würden sich immer undemokratische Herrschaftselemente finden. Seine Beispiele verweisen auf aktuelle Diskussionen und Prozesse: „Sozialleistungen müssen gekürzt werden für alle, die nicht arbeiten, auch wenn sie ledige Mütter mit ganz kleinen Kindern sind. Sozialbetrug muß schärfstens bekämpft werden, auch wenn seine Ausmaße durchaus bescheiden bleiben.“
Zwar müsse die „wirtschaftliche Entwicklung in großen Dimensionen einen sozialen Sinn haben“, wie GERHARD SCHRÖDER am 4. September 2001 betonte, allerdings sieht die politische Wirklichkeit in Deutschland völlig anders aus. So konstatiert DAHRENDORF auch die Tendenz des Populismus und der Antipolitik in der Gesellschaft. Die Beteiligung der Bürger an Wahlen wird immer geringer, die Politik tendiert immer stärker zu populistischen Äußerungen, d. h. dass sie mit scheinbar volksnaher, eher „dem Volke zum Munde redender“, demagogischer Politik die politische Lage zu dramatisieren und so die Gunst der Massen zu gewinnen trachtet. Der Bürger wird nicht mehr ernst genommen. dadurch wird die Resignation des Einzelnen immer stärker: „Autoritarismus beruht ja geradezu auf dem freiwilligen Verzicht auf Protest.“
Unter dem Deckmantel des Neoliberalismus finden Deregulierung, Privatisierung, Freihandel statt. 2002 konstatierte DAHRENDORF als Tendenz:
„Auf einmal musste die Globalisierung für alles herhalten – für die Schließung von Postämtern auf dem Land, die Verminderung des Rettungsdienstes in großen Städten, für die Abschaffung der Preisbindung für Bücher und anderes mehr. Globalisierung wurde zum großen Alibi, meist für wachsende Gewinne bei schrumpfenden Dienstleistungen [...] eines zunehmend gewinnorientierten Kapitalismus, der die Fesseln korporatistischer Einbindung, langfristiger Verantwortung und sozialer Verpflichtung abgelegt hatte.“
In seiner Rede anlässlich der Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung „Grundwerteforum 21: Programmatische Leitideen der Sozialdemokratie für das beginnende 21. Jahrhundert“, am 1. August 2001 in Berlin, stellte RUDOLF SCHARPING fest:
„Die Globalisierung stellt die Frage nach der Identität und dem Zusammenhalt der Gesellschaft wieder in aller Schärfe. Es gibt eine Trennlinie zwischen Insidern und Outsidern. Dadurch beschleunigt sich in der globalen Welt der Produktion und des Tauschs, der Kultur und Informationen der Verlust an Bindungen, der – wie Ralf Dahrendorf herausgearbeitet hat – die Folge des Zuwachs materieller Optionen in der modernen Gesellschaft ist. Wenn es nicht gelingt, die Globalisierung im weitesten Sinne sozial zu regeln, dann befürchtet Dahrendorf ein 'autoritäres Jahrhundert'. “
Die Krise der Demokratie stellt sich für DAHRENDORF als eine Krise ihrer Institutionen dar.
„Der Begriff Neoliberalismus ist geprägt worden für eine bestimmte wirtschaftspolitische Position, die vor allem mit der Ära Reagan in den Vereinigten Staaten und Thatcher in Großbritannien verbunden ist. Zweifellos sind in diesen Zeiten in beiden Ländern Energien freigesetzt worden, die vorher gefesselt waren. Insofern ist es kein Begriff, der mich umwirft. Was mir wichtig scheint, ist, nicht dem Irrtum zu verfallen, dass die Existenz globaler Märkte uns alle zwingt, präzis denselben wirtschaftspolitischen Weg zu beschreiten. Das ist nach meiner Meinung nicht der Fall. Die Globalisierung lässt ein breites Spektrum von Optionen offen.
Man kann auf den Sozialstaat soweit verzichten, wie das die Vereinigten Staaten tun und Menschen zwingen, im wesentlichen für sich selbst aufzukommen. Man kann sich auch einen Sozialstaat leisten, wenn dieser nicht an bestimmten Grenzpunkten beginnt, die Möglichkeiten der Wirtschaftsentwicklung einzuschränken. Es scheint mir sehr wichtig zu sein, dass wir dem Irrtum entgegenhalten, dass Globalisierung nur noch eine Art von Wirtschaftspolitik offen lässt. Das ist schlicht nicht der Fall. Insofern sind die verschiedenen europäischen Modelle eines sozialen Kapitalismus in ihrer Unterschiedlichkeit alle durchaus gangbar und verträglich mit der Globalisierung.“
Wirtschaftspolitisch tendiert DAHRENDORF, wie POPPER in seinem nach 1945 edierten Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“, zum Typ einer offenen Gesellschaft, die veränderbar ist durch rationale Reformen und erfahrungswissenschaftlich fundierte Planung sozialen Wandels. Er ist Kritiker der derzeit vonstatten gehenden unsozialen Globalisierung.
RALF DAHRENDORF starb am 17. Juni 2009 in Köln.
Wichtige Werke DAHRENDORFs sind:
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