Klezmermusik

Der Mensch – ein beseeltes Musikinstrument

Das jiddische Wort hebräischen Ursprungs „kle(j)s(e)mer“ bezeichnet den beseelten Körper. Der Körper ist Gefäß und Instrument zugleich (hebr.: kli) und die belebte Seele ist der Gesang (hebr.: s[e]mer). Die so zum Ausdruck gebrachte universale Idee der instrumentalen Weisen ist die Idee des Menschen als beseeltes Musikinstrument.

Heute ist die Klezmermusik im globalen Netzwerk mit unterschiedlichen Musikstilen verschränkt und vermischt. Dementsprechend ändern sich auch die Konstrukte der musikalisch-kulturellen Identitäten. Sie sind längst nicht alleine eindimensional nur aufs Historisch-Regionale der mittel- und osteuropäischen Herkunftsländer bezogen, sondern haben auch Jazzelemente und Unterhaltungsmusik des amerikanischen Einwanderungslandes nach dem Zweiten Weltkrieg neu verortet. Das einst Regionale der aschkenasischen Traditionen aus Mittel- und Osteuropa, das spanische Element der Sefarden und die Neo-Traditionen der „Neuen Welt“ haben sich verschwistert zum „Glokalen“ der vernetzen Wechselbeziehungen zwischen historischer Spurensuche, polnischer und ukrainischer Fidel- und Hackbretttradition, zwischen amerikanischem Klezmer-Jazz, Neofolklore und moderner Avantgarde.

Zwischen „freijgisch“ und „mischeberach“

Traditionelle Tonskalen sind Frejgisch und Mischeberach. Beide Tonskalen entsprechen harmonisch Moll (von der 5. bzw. von der 4. Stufe aus).

  • Freygisch:
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  • Mischeberach (Mi Sheberach):
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Neben diesen Tonskalen zwigen auch die Fluktuationen zwischen Dur und Moll, die „Blues-Notes“, das Flair übermäßiger Sekunden sowie das Aufbrechen von Tonsystemen bis hin zur freien Atonalität die weite Spannbreite dessen auf, was heute unter Klezmermusik alles verstanden werden kann.

Die einst in das religiöse Leben der Juden eingebundene Musik beim Purimspiel, beim Laubhüttenfest (sukke), bei Hochzeiten und anderen jüdischen Feiern ist heute mehrheitlich losgebunden von ihren traditionellen Funktionen. Klezmermusik hat die Bühne längst erreicht, sie wird zur Aufführung von musikalischen Erinnerungsbildern und zugleich ein aktuelles Forum in der Auseinandersetzung mit der Gegenwart, mit Pop, Jazz, Punk, elektronischer Musik, Latin und Tango.

Einerseits wird thematisch immer wieder zurückgeblickt auf die Vertreibung der Juden in der Geschichte, andererseits ist es auch der Aufbruch in die Neue Welt der Moderne im Zwiespalt zwischen Traditionalisten und Puristen, zwischen Erneuerern, Synkretisten und „Neutönern“. Zwischen chassidischer Ekstase und synagogal geprägten Weisen, zwischen Leid und Trauer im thematischen Erinnern des Vertriebenseins, zwischen Shoa, Tod oder Emigration, zwischen Fröhlichkeit und Hoffnung, Sehnsüchten, Revival, Renaissance und „Naftules Traum“ bewegt sich das kulturelle Gedächtnis in den Narrationen der Klezmermusik und der Klezmorim (d.h. Klezmermusiker).

Es ist eine Musik, die von der Geschichte getragen wird und selber in Texten, jiddischen Liedern, Melodien sowie in den fernen und vertrauten Weisen lebt, aber es ist auch – wie es die deutsch-US-amerikanische Gruppe BRAVE OLD WORLD zu ihrem eigenen Musikverständnis auf den Punkt brachte – eine Musik der

„Befreiung von endlosen Diskussionen über Authentizität, Geschichte und sozialer Bedeutung, und die Entscheidung für eine Musik, die ihre eigene Freiheit zelebriert – ‚New Jewish Music’“.

Klezmermusik, ein Segment der World Music

Ähnlich wie „Celtic Music“, argentinischer Tango, ungarische Zigeunermusik, französischer Raï, karibischer Reggae oder brasilianischer Samba weist die Rubrizierung einen paradigmatischen Charakter auf und steht stellvertretend für eine Sammlung von konzeptionellen Vorstellungen diverser Klezmermusiken und Gruppen, verschiedener Stile, Zeiten und Epochen.

Wie jede Roots-Bewegung entstammte sie aus dem Getto von Minderheiten und schwang sich auf zum Markenzeichen einer Folklore, die Geschichtliches und Brauchtumsbezogenes in die Gegenwart transportierte und mit unterschiedlichen Topoi sowohl textliche als auch musikalische Erinnerungs- und Erzählstrukturen besetzte.

„Klezmermusik“ ist eine stereotypisierte Abkürzung für eine Vielfalt von Ausdrucksformen. Diese umschließen im Kernrepertoire jüdische Tänze, jiddische oder Latino-Lieder, chassidische Gesänge (nigunim) gleicherweise wie paraliturgische Musik zu jüdischen Festen und deren Hochzeitsweisen (dobriden, dobranotsch, kale basetzn, masltow), sie umfasst regionaltypische Volkstänze (frejlechs, scher, chosidl) und instrumentale Versionen von Volksliedern und Balladen ebenso wie das akkulturierte Übernahmerepertoire von Tänzen aus Rumänien, Moldawien, Bukowina, Bessarabien und anderen Ländern mehr (bulgar, doina, hora, sirba, terkischer).

Die Klezmermusik umschließt jedoch auch Elemente der Musik der Sinti und Roma, des Weiteren die modernen westlichen Gesellschaftstänze wie Walzer, Polka, Marsch, Quadrille und Foxtrott. Daneben finden sich zahlreiche Stücke aus der „leichten Klassik“, der amerikanischen Unterhaltungsmusik und des Swing und Jazz, die allesamt ins Gesamtrepertoire eingeflossen sind.

Fast jede Folklore wirbt noch mit der Imagologie von Kleidung, traditionellen Musikinstrumenten und rhythmischen und melodischen Ausdrucksformen, sei es – wie in der Klezmermusik – der bulgar-Rhythmus, die Tonskalen (gustn) mit übermäßigen Sekunden oder die Ornamentierungen im Schluchzen (krechts), Lachen (tschok) oder Seufzen (knejtsch) der Geigen- oder Klarinettenspielpraxis.

Die Klezmermusik verortete sich, ihren Wurzeln gemäß, im frühen osteuropäischen Schtetl und verwendet im Kernensemble bis heute als konnotationsträchtige Ikonen das Hackbrett (Zimbl), die Fidel oder die Klarinette, verbunden mit einfachster Bordunharmonik.

Hackbrett

Hackbrett

Weltmusikinstrumente, Klassifikation - Hackbrett

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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