- Lexikon
- Kunst
- 2 Kunstgeschichte
- 2.4 Barock und Rokoko
- 2.4.1 Barock (1600-1730)
- Malerei des Barock
In den bildenden Künsten werden im Auftrag der herrschenden Schichten religiöse und mythologische Szenen dramatisch mit bewegten, kräftigen Körpern und bühnenmäßiger Inszenierung und Gestik dargestellt [die BRÜDER AUGUSTINO CARRACCI (1557–1602) und ANNIBALE CARRACCI (1560–1609), DOMENICHINO (1581–1641), GUIDO RENI (1575–1642), CHARLES LE BRUN (1619–1690)]. Legendäre Wunder und Martyrien erhalten durch drastischen Detailnaturalismus den Anschein des Realen. Das repräsentative Bildnis des Herrschers [ANTHONIS VAN DYCK (1599–1641), HYACINTHE RIGAUD (1659–1743)] wird durchgängig vorbildlich für die allerdings auch zeitweise in handwerklicher Massenproduktion betriebene Porträtkunst.
Von Rom aus verbreiten sich die tiefräumigen, wohlgebauten, oft mythologisch staffierten „idealen Landschaften“ [ADAM ELSHEIMER (1578–1610), CLAUDE LORRAIN (1600–1682)]; später entsteht die archäologische oder topographisch getreue Vedute [GIOVANNI PAOLA PANNINI (1691–1765), GIOVANNI ANTONIO CANALETTO (1697–1768), BERNADO BELOTTO, genannt CANALETTO (1721–1780)], die im „Capriccio“ FRANCESCO GUARDIs (1712–1793) eine phantasievolle Abwandlung erfährt bzw. bei GIOVANNI BATTISTA PIRANESI (1720–1778) zur dramatischer Vision großer Vergangenheit wird.
FRANCESCO GUARDI: „Capriccio“;2. Hälfte des 18. Jh.s; Öl auf Leinwand;Mailand, Privatsammlung
Die Barockmalerei gipfelt in der scheinbar Innen- und Außenraum, Erde und Himmel verbindenden illusionistisch untersichtigen, apotheotischen Deckenmalerei [PIETRO DA CORTONA (1596–1669), ANDREAS POZZO (1642–1709), LUCAS GIORDANO (1634–1705), GIOVANNI BATTISTA TIEPOLO (1696–1770), FRANZ ANTON MAULBERTSCH (1724–1796)].
Insgesamt kennzeichnend ist eine neue und vielgestaltige Bildpraxis. Sie wird geprägt durch eine in der Reformation angelegte Herausforderung des Bildverständnisses, mit Konsequenzen bis zur neuartigen Verflechtung von Wort und Bild (Emblemliteratur, Buchillustration, einschließlich der sich entfaltenden wissenschaftlichen Illustration; Druckgraphik, Flugblätter).
Im Barock vollzieht sich eine fortschreitende Differenzierung der Gattungen und Genres, einschließlich der Spezialisierung von Künstlern (nicht nur in der holländischen Kunst, z.B. nur auf Stilllebenmalerei, Seestücke oder Bildnisse).
AMBROSIUS BOSSCHAERT DER ÄLTERE: „Blumenvase in einer Fensternische“;um 1620, Holz, 64 × 46 cm;Den Haag, Königliche Gemäldegalerie Mauritshuis
Kennzeichnend ist ein ausgeprägt lebensnahes vergegenwärtigendes Bildverständnis mit einer entsprechend reichen Syntax und Vollkommenheit der Beobachtung und Darstellung. Das tendenziell vorherrschende Selbstverständnis des Künstlers als das eines Virtuosen in der perfekten Naturnachahmung als Resultat der Bildfantasie eines Künstlers. Hier hat auch das in der Kunsttheorie verbreitete Modus-Verständnis seinen Platz, das zum Teil zu einer neuen (akademischen) Hierarchie der Genres führte.
Die Bilder fordern auf eine neue Weise die Wahrnehmungskraft des Betrachters heraus, der die Kunst der Beobachtung und Selbstbeobachtung auch in seinem alltäglichen Leben brauchte. Die reiche und natürlich wirkende Bildform begünstigte ein „... Ausleben der Affekte im Zusehen ...“ (NORBERT ELIAS, 1897–1990).
Das schließt auch die Spannung zwischen Freude an den Dingen, der Natur und der Erkenntnis einerseits und andererseits den Zweifel an des Menschen Beständigkeit, an der Gewissheit seiner Wahrnehmung und an seiner Fähigkeit, die Affekte zu beherrschen. Zugleich wird die neue Fülle des Gegenständlichen, der Wahrnehmung zugänglich, geordnet, klassifiziert, noch einmal in universelle Zusammenhänge eingebunden (Jahreszeitfolge u.a. in der Landschaftskunst; Fünfsinn-Darstellungen u.a.m.).
Eine wachsende Rolle begann der Kunsthandel zu spielen, mit ihm ist, besonders in Holland, die Entfaltung des „mobil“ gewordenen Tafelbildes als profanes Handelsgut widersprüchlich verknüpft. Dazu gehört auch die große Bedeutung der Zeichnung und des Entwurfs, die auch Sammelgegenstand werden.
Der Wille zur monumentalen Repräsentation und zum absolutistischen Machtanspruch verliert gegen Ende der Epoche an Gültigkeit. Die Fürstenhöfe, der Adel und auch die Geistlichkeit entdecken den Reiz und die Schönheit einer Welt fern der großen Gesten des barocken Pathos. Kirchenräume werden zur Bühne gemacht. Dekoration und Plastik wirken fast überladen und mit verspielter Leichtigkeit organisiert. Die genialen Ideen eines GIOVANNI LORENZO BERNINI (1598–1680) sind nicht vergessen, leben aber in kleineren Gesamtkunstwerken fort und erfahren gelegentlich eine Spur von Witz und Ironie. Am Übergang zum Rokoko entfaltet der Barock noch einmal die ganze Fülle seiner Fantasie, die nun über Ernst, Schwere und Pathos triumphiert.
Mit der Architektur eng verbunden ist die Freskomalerei. An den großen Kuppeln und in den Tonnengewölben der Barockkirchen konnte sich die Malerei wieder entfalten. In den Palästen der mächtigen römischen Familien, der Päpste und ihrer Nepoden fand die weltliche Kunst ihren Ausdruck.
Der düsteren Wucht der Malerei MICHELANGELO DA CARAVAGGIOs (1571–1610) stellte der Bologneser ANNIBALE CARRACCI eine helle schönfarbige Bildwelt entgegen, die an RAFAEL (1483–1520), MICHELANGELO (1475–1564) und CORREGGIO (1489–1534) geschult war.
Im Festsaal des Palazzo FARNESE – einem der großartigsten Dekorationsprogramme des römischen Frühbarock – konnte CARRACCI seine Idee von einer Wiederkehr des „goldenen Zeitalters“ der Renaissance am besten verwirklichen. Das Hauptbild der Deckenmalereien zeigt in dynamischer Komposition den Triumphzug des liebestrunkenen Dyonysos und der Ariadne in Begleitung orgiastischer Tänzer und Musikanten. Der Wirklichkeitsgrad zwischen Gemaltem, Reliefhaftem und Vollplastischem in figürlichen Motiven, Rahmungen der Bildfelder und Architekturelementen ist hier kaum zu unterscheiden.
Sein Können stellte CARRACCI auch in seinen Ölgemälden unter Beweis.
ANNIBALE CARRACCI: Der Fischfang. vor 1596, Öl auf Leinwand, Paris, Musée du Louvre.
CARRACCIs Tradition setzt PIETRO DI CORTONA mit seinem riesigen Fresko im Palazzo BARBERINI (1639) fort. Es verherrlicht die Regierung Papst URBAN VIII. als ein Geschenk der göttlichen Vorsehung. Eine illusionistisch gemalte Rahmenarchitektur gibt den Blick in den Himmel frei. Dort empfängt die Gestalt der Vorsehung die Sternenkrone der Unsterblichkeit für das Haus BARBERINI. Tugendfiguren tragen sowohl die päpstlichen Insignien als auch das Familienwappen der BARBERINI himmelan.
Das Fresko ist ein Kompendium aller Gattungen und Aufgaben der Malerei und vereinigt gleichsam Figur, Landschaft, Stillleben, Historie, Mythos und Allegorie. Die Grenzen zwischen Bildwerk, Plastik und Architektur sind fließend und die Überfülle ist einem einzigen Ziel untergeordnet: der Apotheose Papst URBANs.
GIUSEPPE ANTONIO FELICE ORELLI (1706–1776) bemalte für den Palazzo Riva in Lugano die Decke mit der mythologischen Szene „Selen und Endymion“, allerdings schon unter dem Einfluss von TIEPOLO.
GIUSEPPE ANTONIO FELICE ORELLI: „Szene: Selen und Endymion“Palazzo Riva in Lugano
Der Bahnbrecher der barocken Tafelmalerei ist MICHELANGELO DA CARAVAGGIO. Er war in Mailand TIZIANs (um 1485–1576) Schüler und wirkte hauptsächlich in Rom und Neapel. Bei seinem Bild „Die Bekehrung des Saulus“ ist vom religiösen Gehalt des Bildthemas wenig zu spüren. Offenbar kam es dem Maler darauf an, gut durchzeichnete Körper bei starker Bewegung in komplizierten Perspektiven im dramatischen Spiel von Licht und Schatten zur Schau zu stellen.
MICHELANGELO CARAVAGGIO: „Bekehrung des Saulus“,Gemälde der Cerasi-Kapelle in Santa Maria del Popolo in Rom;1600–1601, Öl auf Leinwand, 230 × 175 cm;Rom, Santa Maria del Popolo
Das Bild des spanischen Barock wird vor allem durch einen Mann bestimmt, der zu den größten Malern der Epoche zählt: DIEGO VELAZQUEZ (1599–1660). Sein Meisterwerk schuf er als Hofmaler König PHILIPP IV. mit den „Las Meninas“. Links sehen wir den Maler selbst bei der Arbeit an der Staffelei. Im Mittelpunkt der Szenerie steht die kleine Prinzessin, umgeben von ihrem Gefolge, zwei Hofdamen und eine Zwergin. Den Schlüssel zu dem Gemälde birgt aber der Spiegel an der Rückwand, in dem das Doppelbildnis des Königspaares erscheint. Virtuos spielt VELAZQUEZ mit den verschiedenen Wirklichkeitsebenen, bringt gar sich selbst als Hofmaler in die königliche Familie ein und macht so die Würde der Malerei zum eigentlichen Thema.
DIEGO VELÁZQUEZ: „Las Meninas“(Selbstporträt mit der königlichen Familie);1656–1657, Öl auf Leinwand, 318 × 276 cm;Madrid, Museo del Prado
Wie VELAZQUEZ war auch der Flame PETER PAUL RUBENS (1577–1640) ein Mann von Welt und in fürstlichen Diensten tätig. Er ist der unumstrittene Gründer und Hauptmeister der flämischen Barockmalerei, die im katholischen Flandern viele große, oft spezialisierte Meister mit Weltgeltung hervorbrachte. RUBENS wirkte in Antwerpen. Als er dort 1640 starb, hinterließ er über 1.000 Bilder.
Das Selbstbildnis mit seiner Frau ist eines der wenigen Werke, in denen sein privates Glück zum Ausdruck kommt. Sein eigentliches Thema sind aber die großen Dramen der Bibel und der antiken Mythologie. Die ganze Dynamik und Bewegtheit der Barockmalerei zeigt sein Bild „Höllensturz der Verdammten“.
PETER PAUL RUBENS: Selbstporträt des Malers mit seiner Frau Isabella Brant in der Geißblattlaube;um 1609, Öl auf Leinwand, 178 × 136,5 cm;München, Alte Pinakothek
Der „Raub der Töchter des Leukippos durch Castor und Pollux“ ist eine einzige Verherrlichung des menschlichen Leibes als männliches und weibliches Prinzip in einer Komposition voller Dramatik und barocker Sinnenfülle.
PETER PAUL RUBENS: „Raub der Töchter des Leukippos durch Castor und Pollux“;um 1618–1620, Öl auf Leinwand, 222 × 209 cm;München, Alte Pinakothek
In dem vergleichsweise kleinen Gemälde der „Amazonenschlacht“ steigert sich diese Polarität zum mythischen Kampf der Geschlechter. Jeder Mann, jede Frauenfigur und jedes Pferd sind erfasst von einem kreiselnden Bewegungsstrom, der das ganze Bild erfüllt. In die entfesselten Leidenschaften mischen sich die Elemente. Wasser, Luft, Erde und ein Feuer, das zum Gleichnis von Krieg und Liebe wird. Seine figürlichen Malereien oft üppig proportionierter weiblicher Figuren und auch die dramatischen Jagdszenen sind typisch barocke Darstellungen meist stark bewegter Vorgänge.
PETER PAUL RUBENS: „Amazonenschlacht“;um 1619, Öl auf Holz, 121 × 165 cm;München, Alte Pinakothek
ANTONIS VAN DYCK ist neben RUBENS der bedeutendste Maler des flämischen Barock. Aus seinem Bild „Die Beweinung Christi“ sprechen die ganze Dynamik und Bewegtheit des Barockstiles.
ANTHONIS VAN DYCK: „Die Beweinung Christi“;1. Drittel des 17. Jh.s, Holz;Berlin, Gemäldegalerie
In dem gerade selbstständig gewordenen protestantischen Holland entwickelte sich im Zeitalter des Barocks eine Malerei, dessen sich nicht jedes Land rühmen kann. Ohne Vorgeschichte und Übergang hat sich zu Beginn des 17. Jh. eine eigene Schule entwickelt, die das ganze Land künstlerisch prägte.
FRANS HALS: Porträt eines sitzenden Offiziers mit aufgestütztem Arm;1637, Öl auf Leinwand, 88 × 66 cm;São Paolo (Brasilien), Museu de Arte
Ob FRANS HALS (1585–1660) mit seinen Offiziersporträts, AMBROSIUS BOSSCHAERT DER ÄLTERE (1573–1621) mit seinem „Blumenstrauß vor einer Landschaft“, WILHELM KALF (1619–1693) mit dem „Stillleben mit chinesischer Vase“, JACOB VAN RUYSDAEL (um 1600–1670) mit seinen Landschaften – in keinem anderen Land decken sich so sehr eine bestimmte Zeit und ihr Stil.
Über 30 anerkannte Meister, zu denen auch JAN VERMEER VAN DELFT (1632–1675) gehört, hat die Holländische Malerei hervorgebracht. Ihr unumstrittener Hauptmeister ist REMBRANDT HARMENSZ VAN RIJN (1606–1669). RUBENS' jüngerer Zeitgenosse war von ganz anderer Art als der Flame. Schon in frühen Auftragswerken zeigte er Eigensinn und Originalität. In einem Zunftbild wie der „Anatomie des Dr. Tulp“ liegt das Hauptaugenmerk eher auf der zur Sektion drapierten Leiche. Noch aber sind die Porträts gleichwertig präsentiert, aber in den Physiognomien charaktervoll differenziert.
REMBRANDT HARMENSZ. VAN RIJN: „Anatomie des Dr. Tulp“;1632, Öl auf Leinwand, 169,5 × 216,5 cm;Den Haag, Königliche Gemäldegalerie Mauritshuis
„Die Nachtwache“ ist sein wohl bekanntestes Werk. REMBRANDT bricht hier – sehr zum Unmut seiner Auftraggeber – mit den althergebrachten Traditionen repräsentativer Gruppenporträts und will im Triumph des Lichtes über die Finsternis eine neue Bildidee verwirklichen, die zugleich von dem für ihn typischen schonungslosen Realismus in den Einzelporträts begleitet wird. Eigentlich nebensächliche Details wie ein kleiner Hund oder ein Mädchen, das durch die offene Aufstellung der Mitglieder der Schützengilde huscht, lockern die ohnehin dynamische Komposition zusätzlich auf.
REMBRANDT HARMENSZ. VAN RIJN: „Die Nachtwache“;1642, Öl auf Leinwand, 363 × 437 cm;Amsterdam, Rijksmuseum
Wenn er ein religiös-mythologisches Motiv gestaltet, möchte man den Eindruck einer beinahe profan-realistische Szene haben, es kann aber auch fast zur Satire geraten. Im Gemälde „Raub des Ganymed“ entführt Zeus in Gestalt des Adlers seinen Mundschenk. Das Wickelkind, in den Fängen des gewaltigen Raubvogels brüllend vor Angst, uriniert mit weitem Strahl in die Weltlandschaft.
REMBRANDT HARMENSZ. VAN RIJN: „Raub des Ganymed“;1635, Öl auf Leinwand, 171 × 130 cm;Dresden, Gemäldegalerie
Seine Akteure sind keine Helden, sie sind einfache, ja oft hässliche Menschen. REMBRANDT ist der Maler der Seelentiefe und der Verinnerlichung. Wenn er Szenen aus der Bibel malt, verzichtet er auf allen Prunk. Wie CARAVAGGIO hat auch REMBRANDT Licht und Dunkel zur Dramatisierung seiner Bilderzählungen eingesetzt. In der nächtlichen Szene mit der „Kreuzabnahme“ leuchtet die Gruppe mit dem toten Christus geheimnisvoll auf und kündet vom Licht des Göttlichen in einer dunklen Welt.
REMBRANDT HARMENSZ. VAN RIJN: „Kreuzabnahme“;um 1633, Öl auf Holz, 89,4 × 65,2 cm;München, Alte Pinakothek
Im „Selbstporträt mit Saskia“ erleben wir in barock-bewegter Komposition den erfolgreichen, bemittelten und lebenslustigen Künstler mit seiner jungen, schönen Frau. REMBRANDTs Kunst – vor allem seine Selbstbildnisse – dokumentieren fast schockierend den von persönlichen und wirtschaftlichen Schicksalsschlägen zerstörten Künstler.
REMBRANDT HARMENSZ. VAN RIJN: Selbstporträt des Künstlers mit seiner jungen Frau Saskia;1635–1636, Öl auf Leinwand, 161 × 131 cm;Dresden, Gemäldegalerie
Im 18. Jh. gab es in Deutschland keinen Deutschen, der Weltgeltung erlangen konnte. Auch die Tafelmalerei des aus Frankfurt (Main) stammenden und in Italien tätigen Malers ADAM ELSHEIMER leidet oft an einer geradezu manierierten Übersteigerung der Beleuchtungsgegensätze.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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