Die Lebensgeschichte OSWALDs VON WOLKENSTEIN lässt sich aus dem umfangreichen Bestand an Korrespondenzen, Akten, Urkunden, Rechnungsbüchern und Besitzverzeichnissen rekonstruieren, die OSWALD persönlich in einem Archiv gesammelt und seinen Erben vermacht hatte.
Er wurde um 1375–1378 geboren, vermutlich auf Schloss Schöneck im Pustertal als zweiter von drei Söhnen. Er entstammte der Adelsfamilie der VILANDERS aus Südtirol. OSWALDs Urgroßvater war RANDOLT VON VILLANDERS; er war der Verwalter der bischöflichen Burg Säben und kaufte 1293 die Burg Wolkenstein im Grödnertal, nach der sich die Familie seit dem Ende des 14. Jahrhunderts benannte. OSWALDs Vater war FRIEDRICH VON WOLKENSTEIN, seine Mutter KATHARINA VON VILLANDERS.
OSWALD verlor in frühester Jugend das rechte Auge, wahrscheinlich durch einen Unfall, möglicherweise handelte es sich aber auch um eine angeborene Lidlähmung. Er trat schon als Kind mit etwa 10 Jahren in den Dienst eines fahrenden Ritters, wurde dadurch früh im Ritterhandwerk und in höfischen Fertigkeiten unterwiesen und bereiste weite Teile der damals bekannten Welt, bevor er 1400 nach Tirol zurückkehrte. Er beherrschte mehrere Sprachen und gehörte dem Ritterorden an. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1399 begann ein langjähriger Streit um die Erbschaft. Um 1407 wurde das elterliche Erbe zwischen den drei Brüdern geteilt. OSWALD erhielt u. a. ein Drittel der Burg Hauenstein bei Seis am Schlern, bei der es sich um ein Lehen des Bischofs VON BRIXEN handelte und deren andere zwei Drittel der Ritter MARTIN JÄGER besaß.
Um 1409–1410 unternahm OSWALD eine Pilgerfahrt ins heilige Land. Um 1411 erwarb er das Wohnrecht im Chorherrenstift Neustift bei Brixen. 1417 heiratete er MARGARETE VON SCHWANGAU, die aus einer wohlhabenden Adelsfamilie stammte. Mit ihr zeugte er 7 Kinder.
Um 1418 eignete er sich die Burg Hauenstein widerrechtlich an; infolgedessen musste er zwei Jahre in Gefangenschaft bei seinen Streitgegnern verbringen. Erst 1427 wurde der Streit endgültig beigelegt und MARTIN JÄGER abgefunden, sodass Burg Hauenstein im Besitz OSWALDs verblieb.
Nicht nur das private Leben des Dichters war von Unruhen geprägt, auch in politisch-militärischer Hinsicht war OSWALD in viele Streitigkeiten verstrickt. Bekannt ist, dass er seit 1415 unter KÖNIG SIGISMUNDs diente, der ihn mehrfach mit diplomatischen Missionen betraute, und an den Feldzügen gegen die Hussiten (1420, 1431) teilnahm. Nach dem Ende der Hussitenkriege war er in verschiedenen wichtigen Ämtern in Südtirol beschäftigt.
OSWALD soll Mitglied des Drachenordens gewesen sein, (ordo draconis oder societas draconia), zu dem u. a. VLAD II. DRACUL, der Vater von VLAD III TEPES DRACUELA, gehörte.
OSWALD starb am 2. August 1445 in Meran. Seine letzte Ruhestätte ist das Kloster Neustift bei Brixen (Südtirol, Italien).
Das künstlerische Werk OSWALDs VON WOLKENSTEIN ist im Gegensatz zu den Werken anderer Dichter des Mittelalters sehr gut überliefert. Es wird mit etwa 130 Liedern und zwei Reimpaarreden angegeben. Die Texte und Melodien seinerLiedersammlung wurden in zwei kostbar ausgestatteten Pergamenthandschriften unter seiner persönlichen Aufsicht in Versionen aufgezeichnet, die von ihm selbst autorisiert sind. Die Liedersammlung ist sehr vielgestaltig und berührt unterschiedliche Gattungen und Themen. OSWALD schrieb:
Unter den Liebesliedern sind sowohl solche, die der höfischen Tradition folgen, als auch solche, die ausgesprochen sinnlichen, erotischen Charakter tragen. Häufig finden sich in den Liedern autobiografische Bezüge, andere sind eher an die Burleske angelehnt (Burleske = derb-komische Improvisationsstücke, Komödien). Die Inhalte reichen von Frauen und Wein bis hin zu Reiseerlebnissen und Gefangenschaft.
OSWALD verfasste auch einige geistliche Lieder, wenngleich die meisten weltlicher Natur sind. Neben seinen Dichtungen sind zu fast allen Texten die von im selbst komponierten Melodien erhalten, die oft Bearbeitungen aus dem Französischen und Italienischen darstellen und von denen mehr als 30 sogar mehrstimmig ausgeführt sind.
Die jüngere der beiden Prachthandschriften (um 1432) enthält ein lebensgroßes Brustbild OSWALDs, das heute als das erste lebensechte Porträt eines deutschen Dichters gilt. Der Band wird in der Universitätsbibliothek Innsbruck aufbewahrt.
Im Gegensatz zu den klassischen Minnesängern wurde OSWALD erst im 20. Jahrhundert wieder entdeckt. Die heute als Zeichen seiner Genialität geltenden Besonderheiten seiner Liedkunst wurden bis dahin vor allem als persönliche Unfähigkeit des Lyrikers kritisiert. Dazu gehören u. a. die Mischung von Sprachen, die bewusste Durchbrechung von Syntax und Stil, Bildmontagen und ein selbstbewusster, freier Umgang mit klassischen Formen und Motiven. Auch innere Disharmonien in OSWALDs Werk boten Grund zur Kritik. So stehen z. B. Seite an Seite die Beschreibungen von ohne Reue genossener Sinnenfreude einerseits und reuevoller Furcht vor dem Jenseits andererseits oder von unersättlichem Verlangen nach Erkundung der Welt hier und entmutigter Verneinung der Welt da. Betrachtet man die Kunst des 20. Jahrhunderts, zeigen sich deutliche Parallelen, was erklärt, warum die erste wissenschaftliche Edition der Dichtungen OSWALDs erst in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts erschien. Da seitdem das Interesse an der Kunst und am Leben OSWALDs VON WOLKENSTEIN stark angestiegen ist, wurde 1980 die OSWALD VON WOLKENSTEIN-Gesellschaft gegründet.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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