Biodiversität bedeutet „biologische Vielfalt“. Dieser Begriff kann auf verschiedene Ebenen angewandt werden. Er betrifft die individuelle genetische Vielfalt innerhalb der Populationen, die Artenvielfalt sowohl innerhalb bestimmter Ökosysteme als auch weltweit und schließlich die Vielfalt der Lebensgemeinschaften bzw. der Ökosysteme.
Obwohl derzeit noch nicht einmal zwei Millionen verschiedene Arten beschrieben sind, gehen Experten von einer viel höheren Artenzahl auf der Erde aus. Die Schätzungen schwanken zwischen fünf Millionen und einhundert Millionen! Auch bei sehr vorsichtiger Schätzweise wird die Zahl der Insektenarten auf etwa acht Millionen geschätzt. Allein 400 000 Käferarten sind bereits beschrieben. Zwar schreitet die Erforschung der Artenvielfalt relativ zügig voran, doch angesichts dieser riesigen Fülle ist es sehr fraglich, ob Arten gefährdeter Lebensräume wie etwa der tropischen Regenwälder oder der Korallenriffe noch beschrieben werden können, ehe die entsprechenden Ökosysteme von der Erde verschwunden sind.
Im Laufe der Erdgeschichte sind ständig Arten ausgestorben und andere sind neu entstanden. Oft war die Ursache für das Aussterben einer Art eine andere Art, die sie verdrängte. Aber auch andere erdgeschichtliche Ereignisse wie Meerestransgressionen, Meteoriteneinschläge, Vulkanausbrüche, Klimaeinbrüche u. ä. haben zum Aussterben von Arten geführt. Besonders gravierende Einschnitte dieser Art gab es z. B. beim Übergang von der Kreide zum Tertiär (vor 65 Millionen Jahren) und beim Übergang vom Perm zur Trias vor 265 Millionen Jahren. Beide Ereignisse führten danach zu richtiggehenden Entwicklungsschüben z. B. bei den Landwirbeltieren oder bei den Korallen.
Beschriebene und geschätzte in der Biosphäre rezent vorhandene Arten
Waren für diese gewaltigen Rückgänge der Biodiversität jedoch geologische Faktoren verantwortlich, die sich sehr stark auf das Klima auswirkten, so ist das derzeitige Artensterben alleine auf die Aktivitäten einer Art, des Menschen, zurück zu führen. Es ist eine gewisse Tragik, dass das erste Lebewesen, das über die Geschichte des Lebens und die Biodiversität nachdenken kann, selbst für deren Minderung große Verantwortung trägt.
Die Verteilung der Arten und Ökosysteme auf unserem Planeten ist sehr ungleichmäßig. In Extremlebensräumen z. B. in Wüsten und polnahen Eisregionen leben nur verhältnismäßig wenige Arten, die sich jedoch durch eine hohe Individuendichte auszeichnen können.
Auf den Kontinenten gibt es ein Vielfältigkeitsmaximum in den feuchten Tropen und Subtropen. Dabei ist die Kronendachregion tropischer Regenwälder besonders artenreich und deshalb derzeit auch Ziel intensiver Biodiversitätsforschung. Eine ähnlich hohe Biodiversität weisen tropische Korallenriffe auf. Dabei spielen bei heutigen Artenzahlen nicht nur die gegenwärtigen Bedingungen, sondern auch die erdgeschichtlichen Entwicklungen eine entscheidende Rolle. So gilt heute der Janamomo-Regenwald in Peru als das artenreichste bisher gefundene Ökosystem. Eine sehr hohe Diversität weist auch das indonesisch-malayische Archipel auf.
Bei der Artenausstattung eines Gebietes spielt die Artneubildungsrate und die Aussterberate eine Rolle, aber auch die Zuwanderung und Abwanderung von Arten. Letzteres wird von der Lage des Gebietes (Isolation gegenüber anderen Arealen) und von der Ausbreitungsfähigkeit der Arten bzw. ihrer Populationsgröße maßgeblich mitbestimmt. So konnten MCARTHUR und WILSON einen einfachen Zusammenhang zwischen Artenvielfalt einer Insel und dem Grad ihrer Isolation, also ihrer Entfernung vom nächsten Festland, feststellen. Diese Beziehung (untere Abbildung) gilt nicht nur für Inseln im Meer, sondern auch für Berggipfel, Oasen u.ä. (vgl. Stichwort „Inselökologie“).
Derzeit findet weltweit eine starke Vernetzung von Ökosystemen statt, die vorwiegend zivilisationsbedingt ist (Straßen, Verkehrswege usw.). Sie scheint sich aber nicht so sehr für eine Erhöhung der biologischen Vielfalt insgesamt als eher für eine Verbreitung von pathogenen Tieren und Mikroorganismen günstig auszuwirken. Neu eingewanderte Arten (Neubürger, Neobiota) bzw. neue Tiere (Neozoen) und Pflanzen (Neophyten) können dagegen in Gebieten, in denen sie bisher nicht vorkamen, eine erhebliche Zahl anderer Arten in Bedrängnis bringen, indem sie ihnen Lebensräume und ökologische Nischen wegnehmen (Beispiele: Nordamerikanischer Kamberkrebs (Orconectes limosus) und Japanischer Strauchknöterich (Fallopia japonica) in Mitteleuropa).
Für die Vielfalt von Ökosystemen scheint außerdem ihre räumliche und zeitliche Variabilität wichtig zu sein. Die sogenannte „intermediate disturbance hypothesis“ (Hypothese mittlerer Störungsintensität) postuliert, dass höchste Vielfalt bei einer mittleren Häufigkeit natürlicher Störungen - etwa durch Baumstürze in einem Wald oder durch Erdrutsche in einem Gebirge - hervorgerufen wird. Die dadurch regelmäßig entstehenden Lücken werden immer wieder durch neue Sukzessionen gefüllt, so dass insgesamt im Ökosystem nie ein stabiler Endzustand (Klimax) erreicht wird. Gleichzeitug ermöglichen die Lücken die Anpassung der Neubesiedler und damit auch eine Aufspaltung vorhandener Arten (adaptive Radiation).
Artenzahl-Arealkurven für immergrüne Tieflandregenwälder. Der Janamomowald in Peru ist die artenreichste bisher gefundene Ge-sellschaft. Dort wurden bereits auf 1 ha annähernd 300 verschiedene Arten gefunden. Jeder zweite hier gefundene Baum gehört einer anderen Art an.
Man kann nicht sagen, dass optimale Bedingungen – z. B. hoher Mineralstoffgehalt des Bodens – sich förderlich auf Biodiversität auswirkt. Auch hier geht es eher um einen mittleren Wert. Lebensräume mit extremen Werte sind artenarm aber ebenso werden bei sehr günstigen Werten einige sehr raschwüchsige und durchsetzungskräftige Arten so gefördert, dass viele andere Arten keine Existenzmöglichkeit mehr haben. Ein gutes Beispiel hierfür sind die im Gegensatz zu Fettwiesen sehr artenreichen Magerrasengesellschaften Mitteleuropas.
Die Artenvielfalt innerhalb einer Lebensgemeinschaft wird als -Diversität bezeichnet. Sie hat zwei Aspekte, zum einen den Artenreichtum und zum anderen die Gleichverteilung der Individuen auf die verschiedenen Arten (Eveness oder Äquität). Gibt es wenige dominante Arten und viele sehr einzeln verstreute Individuen anderer Arten, so ist die Diversität insgesamt geringer, als wenn die Häufigkeit der verschiedenen Arten etwa gleich ist. Dies kann z. B. mit dem Shannon-Wiener-Index ermittelt werden.
Unter -Diversität oder Gradientendiversität versteht man den Unterschied in der Artenzusammensetzung zweier aneinandergrenzender Lebensräume oder die Änderung der Artenzusammensetzung entlang eines Umweltgradienten. Diese -Diversität ist um so größer je weniger Arten benachbarter Gemeinschaften gemeinsam haben. Eine Lebensgemeinschaft mit vielen unterschiedlichen, klar abgegrenzten Zonen hat eine besonders große -Diversität. Auch für die -Diversität lassen sich verschiedene quantitative Indixes bestimmen.
Unter Similarität versteht man die Ähnlichkeit in der Diversität zweier verschiedener Lebensgemeinschaften. Vergleicht man paarweise viele verschiedene Lebensgemeinschaften so können die Ähnlichkeitsmuster in einem hierarchischen Schema (Dendrogramm) dargestellt werden.
Jedes Individuum einer Art trägt einen individuellen Satz an Genen. Sein Genom unterscheidet sich von allen anderen Individuen dieser Art. Dies gilt natürlich in erster Linie für sich sexuell fortpflanzende Arten. Aber auch für vegetativ oder asexuell entstandene Nachkommen gibt es (geringe) genetische Unterschiede, die z. B. durch Mutationen, die Aktivität von Transposons oder horizontalem Gentransfer bewirkt werden.
Entscheidend für das Überleben einer Population ist die Erhaltung einer minimalen genetischen Vielfalt. Zu starke Inzucht und damit zu geringer genetischer Austausch führen in der Regel immer zu einer vermehrten Anfälligkeit für Krankheiten und einer geringeren Resistenz gegenüber den verschiedensten Umweltfaktoren. In diesem Zusammenhang ist besonders wichtig, dass größere Populationen in der Regel in Teilpopulationen zerfallen, zwischen denen zwar ein genetischer Austausch stattfindet aber in viel geringerem Maße als innerhalb der Teilpopulationen. Dies führt einerseits zu einer stärkeren genetischen Diversifizierung zwischen den verschiedenen Teilpopulationen, andererseits aber auch bei dem Austausch zu einer stärkeren Vielfalt innerhalb der Einzelpopulationen. Dies gilt insbesondere für Kernpopulationen, die von allen Seiten Gene aus Teilpopulationen erhalten. Für die Widerstandsfähigkeit und Überlebensfähigkeit einer Art sind solche Populationsstrukturen von großer Bedeutung (Metapopulationstheorie).
Der Mensch hat die für ihn wichtigen Organismen genetisch verändert. So entstanden Kulturpflanzen, Kultursorten und Haustierrassen. Bis heute werden durch gezielte Züchtung oder auch durch Gentechnik bestimmte Tier- und Pflanzenformen entwickelt, die sich durch besonders hohe Erträge oder für die Nutzung durch den Menschen günstige Eigenschaften anderer Art auszeichnen. Dadurch, dass die Gewinnung neuer Hochertragsformen immer erfolgreicher wurde, wurden zahlreiche traditionelle Landrassen immer mehr verdrängt. Um dieser genetischen Verarmung entgegen zu wirken, werden in sogenannten Genbanken Proben gelagert und es wird Erhaltungszüchtung betrieben. Auch das Genmaterial verwandter wildlebender Arten wird gezielt gesucht und erhalten.
Bis heute ist die Frage nach dem Wert der Biodiversität nicht eindeutig zu beantworten. Man kann z. B. folgende Punkte anführen:
1. Ökonomie: | |
Biodiversität bedeutet genetische Ressource z. B. für die Züchtung und Erhaltung von Kulturpflanzen und Haustierrassen. Die Vielfalt der Inhaltsstoffe birgt vielfältige Möglichkeiten der Nutzung z. B. in der Pharmakologie. Artenverlust führt zur Beeinträchtigung potenzieller Nutzungsfähigkeit und menschliche Handlungsfähigkeiten werden dadurch unwiderruflich beschränkt. | |
2. Ökologie: | |
Ökosysteme sind untereinander vernetzt. Die Vielfalt dieser Wechselwirkungen bezeichnet man als „funktionelle Biodiversität“. Das Zusammenwirken der Arten eines Ökosystems hat sich über einen langen Zeitraum eingespielt. Dabei sind Rückkopplungsprozesse entstanden, die eine gewisse Stabilität garantieren (vgl. Gaia-Hypothese). Die Frage, inwieweit Biodiversität die Stabilität eines Ökosystems begünstigt oder eher fraglich erscheinen lässt, ist noch nicht endgültig beantwortet. Es ist auch nicht ganz sicher, ob man sie überhaupt generell beantworten kann. Im Gegensatz zu theoretischen Erwägungen und Modellen deuten jedoch Felduntersuchungen darauf hin, dass es tatsächlich einen solchen Zusammenhang gibt. | |
3. Gesellschaftliche und kulturelle Interessen: | |
Biologische Vielfalt spricht uns unmittelbar emotional an. Sie dient der Befriedigung emotionaler Bedürfnisse. Natur, insbesondere auch ursprüngliche, vom Menschen nicht oder wenig beeinflusste, kann als „Kraftquelle“ genutzt werden. | |
4. Biologische Vielfalt ist ein Wert in sich: | |
Die Schöpfung ist es Wert, um ihrer selbst willen erhalten zu werden. Dieser Argumentation folgt vor allem die Tiefenökologie und die „radikale Ökologie“. |
Auf der UNO-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro im Jahre 1992 wurde ein Übereinkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt, die sogenannte Biodiversitätskonvention (CBD) beschlossen. Mittlerweile ist diese Vereinbarung von mehr als 180 Staaten unterzeichnet worden, leider immer noch nicht von den Vereinigten Staaten von Amerika. Dieses Übereinkommen verfolgt drei Hauptziele:
Ist die Verfolgung des ersten Zieles Voraussetzung für die beiden folgenden, so kann man das zweite Ziel als ökologisches Ziel ansehen, das dritte Ziel dagegen als ökonomisches: Ein wichtiges Anliegen ist die gerechte Aufteilung der ökonomischen Gewinne, die sich aus der Nutzung der biologischen Vielfalt ergeben. Die größte Artenvielfalt findet man heute in den sogenannten Entwicklungsländern. Diese Länder profitieren aber bisher nur sehr wenig von dieser wirtschaftlichen Ressource. Wenn z. B. ein Pharmaunternehmen neue Medikamente aus Pflanzen entwickelt, die in einem Entwicklungsland gefunden wurden, dann sollte auch das Herkunftsland davon profitieren (benefit sharing).
In den ersten Vertragsstaatenkonferenzen zur CBD wurden die internationalen Strukturen festgelegt. Das Sekretariat wurde im kanadischen Montreal eingerichtet. Heute sind dort mehr als 70 Mitarbeiter tätig und im Internet wird regelmäßig über neue Entwicklungen informiert (http://www.cbd.int/).
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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