- Lexikon
- Kunst
- 2 Kunstgeschichte
- 2.3 Renaissance (Neuzeit)
- 2.3.2 Veränderungen des Weltbildes im Mittelalter
- Entdeckung des Raumes und der Zeit
Noch DUCCIO (um 1250/60–1318) malte so. In seiner „Versuchung Christi auf dem Berg“ wird der Bildvordergrund zwar perspektivisch, jedoch viel kleiner als der Gottessohn mit Engeln und „Versucher“ im Bildhintergrund dargestellt. Die Bauwerke sind additiv ins Bild gestellt, haben jedes für sich eine eigene Perspektive, die nicht mit der des Gesamtbildes übereinstimmt. Deshalb wirken sie wie nicht zum Bild gehörig, puppenstubenhaft.
Diese Raumvorstellungen wurden erst allmählich, und zuerst in der Architektur (gotischer Kirchenbau), überwunden. Die neuen, lichtdurchfluteten Kathedralen der Gotik hoben die Schwere des Kirchenraums, wie sie noch in der Romanik präsent waren, auf. Um so bauen zu können, mussten die Architekten räumlich denken können, sich das Bauwerk als Ganzes vorstellbar machen. Dazu genügte das additive Bauprinzip nicht mehr.
Einzig GIOTTO (1266–1337) vermochte im 13. Jahrhundert einen neuen Stil innerhalb der bildenden Kunst zu kreieren. Auch er stellt die Gebäude ín seinem Fresko „Bürger von Assisi breitet seinen Mantel vor dem Hl. Franziskus aus“ in Assisi noch additiv nebeneinander, durch Licht- und Schattenwirkung Dreidimensionalität erreichend. Die Menschen im Vordergrund treten in eine glaubhafte Beziehung zu den Gebäuden im Hintergrund: Die Größenverhältnisse wirken harmonisch. Damit verlässt GIOTTO die Prinzipien der Bedeutungsperspektive und nähert sich denen der (Zentral-) Perspektive an. GIOTTOs Gestalten beginnen sich von den byzantinischen Vorbildern zu emanzipieren durch plastische, körperhafte Darstellung.
Kaum ein Ereignis veränderte das Denken jener Zeit so, wie die Entdeckungen neuer Räume jenseits des vermuteten Endes der Welt: Amerika. AMERIGO VESPUCCI, ein Florentiner Seefahrer, gab dem Kontinent Amerika seinen Namen, entdeckt hatte ihn am 12. Oktober 1492 aber ein anderer: CHRISTOPH KOLUMBUS. Allerdings war eine andere Entdeckung Amerikas längst in Vergessenheit geraten. Der Wikinger LEIF ERIKSSON hatte den Kontinent schon 500 Jahre früher betreten.
Bedeutende Entdeckungsreisende haben dazu beigetragen, das geographische Weltbild vor allem der Europäer von Irrtümern zu befreien und zu erweitern. Die großen geographischen Entdeckungen führten auch zur Einbeziehung bisher unbekannter Regionen und Länder in eine von Europa aus entstehende Weltwirtschaft.
FERNANDO MAGELLAN (1480–1522) umsegelte schließlich als erster Seefahrer die Erde und trug damit zum Nachweis der Kugelgestalt unseres Planeten bei. Er fand bei seiner Weltumseglung die sogenannte Westpassage, die nach ihm benannte Magellanstraße, an der Südspitze Amerikas, die den Atlantischen und den Pazifischen Ozean miteinander verbindet. Anlass für die Weltumseglung war der Auftrag des spanischen Königs, einen westlichen Seeweg zu den Gewürzinseln (Molukken) zu finden.
Neben einem neuen Raumverständnis bedurfte es jedoch auch eines neuen Verständnisses von Zeit. Der mittelalterliche Mensch außerhalb von Klöstern lebte faktisch ohne genaue Zeitangaben. Für ihn ging der Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, war im Sommer länger als im Winter. So wurde im Althochdeutschen der März Lenzing (fränkisch lenzinmanoth) genannt (von german. langa-tin = die Tage werden länger). Man richtete sich im Tagesverlauf nach dem Stand der Sonne. Es war ein Leben nach der Sonnenuhr. Auch die Arbeit auf dem Lande hatte ihre eigene Zeit. Im Frühjahr wurde das Feld bestellt, im Sommer wurde es beerntet. Daher bekamen die Monate ihre Namen: der August war in althochdeutscher Zeit der Ernting, der Erntemonat. Der Mensch richtete sich außerdem nach seiner eigenen „biologischen“ Uhr, die anzeigte, wann man durstig oder hungrig war.
Erst die Erfindung der Uhr im 13. Jahrhundert machte eine genauere Organisation von Zeit möglich. Mit der Erfindung der Taschenuhr (Nürnberger Ei) um 1510 von PETER HENLEIN wird die Zeit jedem zugänglich. Sie ist exakt ablesbar und der Tag wird genau in seine Stunden, Minuten und Sekunden zerlegbar, ist also genau planbar. Mit der Zeit konnte man jedoch auch die Erde in Längengrade einteilen. Orte, die auf einem gemeinsamen Längengrad liegen, haben dieselbe Zeit. Entfernt man sich in östlicher oder westlicher Richtung davon, ändert sich die Uhrzeit. Dieses Prinzip nutzten schließlich die Seefahrer, um ihre Position im Ozean zu bestimmen.
Die Bewusstwerdung von Raum und Zeit bereitete den Weg für ein perspektivisches, dreidimensionales Weltverständnis.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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