NICCOLÒ TARTAGLIA wurde 1499 oder 1500 in Brescia geboren. Sein eigentlicher Name war wahrscheinlich FONTANO. Als Zwölfjähriger erhielt er bei der Besetzung seiner Vaterstadt durch die Franzosen von einem Soldaten einen Hieb mit dem Gewehrkolben gegen den Kehlkopf. Infolge dieser Misshandlung war er sein ganzes Leben lang nicht fähig, flüssig und artikuliert zu sprechen. So nannte man ihn „Tartaglia“, was in Italienisch „Stammler“ bedeutet, und er übernahm diesen Namen.
Die Eltern waren arme Leute und konnten dem Knaben nur eine sehr begrenzte Ausbildung angedeihen lassen. So musste sich der Junge sein Wissen selbstständig aneignen (er soll dazu sogar Lehrbücher stibitzt haben), aber namentlich auf dem Gebiet der Mathematik tat er das mit solch Eifer und Erfolg, dass er bald ein anerkannter Rechenmeister wurde.
Das Amt des Rechenmeisters übte er von 1534 an in Venedig, später auch in Verona und Piacenza und in seiner Vaterstadt aus, und seine Dienste wurden von Ingenieuren, Architekten und Kaufleuten gern in Anspruch genommen. Das Ansehen eines Rechenmeisters wurde noch gesteigert, wenn dieser sich einem der (damals üblichen öffentlichen) Rechenwettstreite stellte und als Sieger daraus hervorging. Einen solchen Wettkampf wollte TARTAGLIA gegen ANTONIO FIORE, einen Schüler des Mathematikers SCIPIO DEL FERRO, austragen. Der Termin war auf den 12.02.1535 festgelegt. Einige Zeit vorher erfuhr TARTAGLIA, dass FIORE beabsichtigte, ihm einige kubische Gleichungen vorzulegen.
So wie es zuvor die Griechen getan hatten, teilten auch die italienischen Mathematiker Gleichungen nach Typen ein, wobei sie nur positive Glieder duldeten. (Das hatte seinen Ursprung in der Neigung der Griechen, Größen geometrisch zu deuten, was eben negative Werte ausschloss.) So wurden beispielsweise die quadratischen Gleichungen
unterschieden und auf verschiedenartige Weise gelöst. Das geschah auch mit kubischen Gleichungen, und es wurde (wie sich später herausstellte mit Recht) vermutet, dass DEL FERRO den Typ erfolgreich bearbeitet und das Lösungsverfahren an FIORE weitergesagt habe.
Unter unsäglichen Mühen und in nächtelanger Arbeit brachte TARTAGLIA es fertig, nicht nur diesen Weg neu zu entdecken, sondern auch den Typ zu lösen. Außerdem gelang es ihm, mit der geschickten Substitution das quadratische Glied aus der allgemeinen Form der kubischen Gleichung zu beseitigen. Dadurch wurden fast alle kubischen Gleichungen lösbar, und es entstand eine Lösungsformel.
Nach seinem Sieg im erwähnten Wettbewerb wurde TARTAGLIA zur Preisgabe seines Verfahrens gedrängt, dessen Kenntnis ihm allerdings Vorteile versprach, solange es sein alleiniger Besitz blieb. Erst 1539 gelang es dem Mathematiker GERONIMO CARDANO, ihm die Formel zu entlocken. Obwohl CARDANO vorher geschworen hatte, die Lösungsformel nicht weiterzugeben, veröffentlichte er sie später in seiner „Ars magna“. Dabei würdigte er zwar durchaus die Leistungen von TARTAGLIA und DEL FERRO, aber trotzdem entbrannte zwischen TARTAGLIA und CARDANO ein erbitterter Streit, und am Ende ging die Formel als cardanische Formel in die Mathematik ein.
TARTAGLIA hat zwar auch in den folgenden Jahren noch Bemerkenswertes geleistet, doch war er verbittert.
Am 14. Dezember 1557 starb er in Venedig.
In der 1537 erschienenen „Nuova scienza“ (Neue Wissenschaft) beschrieb TARTAGLIA die Konstruktion von Uhren. Zudem zeigte er die Ergebnisse seiner Untersuchungen von Flugbahnen, u. a. die Erkenntnis, dass bei einem Wurf (knapp) unter 45° die größte Weite zu erzielen ist.
Im Jahre 1546 erschien sein Werk „Quesiti et inventioni diverse“ (Verschiedene Probleme und Erfindungen).
Mit dem von 1556 bis 1560 entwickelten „General trattato di numeri et misuri“ (Allgemeine Abhandlung von Zahlen und Maßen) schuf er ein weite Verbreitung findendes Lehrbuch, in dem er seine brillanten Rechenfertigkeiten im Dienste der Algebra anwendete. Dabei nutzte er bereits Symbole wie ce für die zweite, cu für die dritte und cece für die vierte Potenz - Zeichen, die als Abkürzungen aus den Wörtern censo (Vermögen), cubo (Würfel) hervorgingen.
Für TARTAGLIAs virtuose Rechentechnik sei als Beispiel die folgende Aufgabe angeführt:
Die Zahl 8 ist so in zwei Faktoren zu zerlegen, dass das Produkt aus diesen beiden und ihrer Differenz am größten ist.
(Wir würden dafür heute etwa formulieren: ... sodass ein Maximum wird).
Durch phantasievolle und scharfsinnige Überlegung fand TARTAGLIA hierfür die Lösung .
Es sollte mehr als 100 Jahre dauern, bis zur Lösung solcher Aufgaben mit der Differenzialrechnung das erforderliche Handwerkszeug gefunden wurde.
Stand: 2010
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