Widerstandsrecht

Widerstand im Allgemeinen bedeutet die Abwehr einer Gefahr; politisch bezeichnet es ein Verhalten, das sich gegen eine als bedrohlich und nicht legitim empfundene Herrschaft richtet. Widerstand kann sich

  • gegen ein Herrschaftssystem richten (Diktatur),
  • gegen einzelne Personen (den oder die Herrschenden) oder
  • gegen eine einzelne politische Maßnahme.

Zu unterscheiden ist

  • eine passive Form und
  • aktive Form

des Widerstands: passiver Widerstand liegt bei einer gewaltlosen Weigerung, z. B. in Form eines Streiks oder einer Sitzblockade vor (wie z. B. 1983 vor der Militärbasis im schwäbischen Mutlangen, in denen Atomraketen stationiert werden sollten); aktiver Widerstand hingegen ist mit Gewalt gegen Personen und Sachen verbunden, wie etwa das Durchtrennen von Schienen, um so z. B. einen Transport von Atommüll (Castor-Transport) zu verhindern bzw. zu behindern.

Die Entscheidung, ob ein Widerstand passiver oder aktiver Natur ist, ist nicht immer eindeutig. Bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1996 war die Sitzblockade als aktiver Widerstand und Nötigung definiert; erst mit dem Urteilsspruch wurde sie als gewaltfreier Widerstand bewertet.

Das Widerstandsrecht im Grundgesetz Artikel 20 Abs. 4 GG

Das Widerstandsrecht ist im Grundgesetz Artikel 20 Absatz 4 geregelt. Dort heißt es:

„Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

Dabei ist Widerstand nach dem Widerstandsrecht

  • sowohl gegen Bedrohung und Störung der Ordnung von „oben“ erlaubt – also durch die Staatsgewalt und seine Vertreter –
  • als auch von „unten“ – z. B. gegen revolutionäre Kräfte, die einen Staatsstreich verüben (wollen).

Kommentatoren des Grundgesetzes haben jedoch kritisch angemerkt, dass Artikel 20 Absatz 4 weniger ein Mittel für die Bürger ist als vielmehr de facto eines für die Staatsorgane zur Bewahrung der existierenden Ordnung.

Das Widerstandsrecht gegen eine rechtswidrig handelnde Staatsgewalt leitet sich ab aus übergesetzlichen Grundnormen, die Widerstand um höherer oder besserer Werte wegen erlauben oder sogar zur Pflicht machen, z. B. wenn die Menschenrechte missachtet oder das Gemeinwohl schwer gefährdet werden. Entscheidend ist der Schutz überpersönlicher Werte (und nicht die Verfolgung persönlicher Interessen). Bei dem Widerstandsrecht handelt sich es um ein Notwehrrecht, das zur Wahrung bzw. Wiederherstellung der Rechtsordnung dient, es legitimiert den Widerstand der Bürger gegen ein Unrechtsregime. Es ist das letzte Mittel, wenn alle legalen und friedlichen Mittel bzw. alle Möglichkeiten des Rechtsstaates – z. B. Anrufung unabhängiger Gerichte und anderer Institutionen des Rechtsstaats – ausgeschöpft wurden und diese Institutionen nicht mehr handlungsfähig sind.

Nach gängiger Rechtsauffassung ist das Widerstandsrecht eng und konservativ auszulegen. Das heißt: Legitimiert werden lediglich Handlungen, welche die Ordnung erhalten bzw. wiederherstellen. Der bewahrende Gedanke des Widerstandsrechts wird deutlich durch die im Artikel 20 Absatz 4 verwandte Wendung, wonach Widerstand erlaubt ist, „gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung“ zu beseitigen. „Diese Ordnung“ bedeutet die verfassungsmäßige Ordnung und bezieht sich auf die drei vorangegangenen Absätze des Artikels 20, in denen die Staatsstrukturprinzipien der Bundesrepublik geregelt sind:

  • Demokratie,
  • Bundesstaat,
  • Rechtsstaat,
  • Sozialstaat.

Artikel 20 Absatz 1 lautet:

„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“

In Absatz 2 heißt es:

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“

Und in Absatz 3 ist festgehalten:

„Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“

Geschichte des Widerstands

Die Frage nach der Berechtigung des Widerstands gegen einen ungerechten oder illegitimen Herrscher wurde bereits in der Antike und im Mittelalter diskutiert. Es ging in den Tyrannenlehren (Tyrannenmord) um die Bewertung des „wahren“ Aufrührers und „wahren“ Verteidigers der gesellschaftlichen Ordnung. Ziel des Widerstands war – wie auch das Widerstandsrecht im Grundgesetz festlegt – die Verteidigung bzw. Wiederherstellung des Status quo ante – des Zustands, der vor dem Beginn der Tyrannenherrschaft existierte. Widerstand setzt sich hier also von revolutionären Handlungen ab, die auf einen Umsturz der Ordnung zielen.

In diesem Zusammenhang zu nennen ist der Widerstand im Dritten Reich, gegen ADOLF HITLER und das von ihm geführte nationalsozialistische Regime, der vielfach mit dem Recht zum Widerstand gegen einen Tyrannen begründet wurde. Die Widerstandsbewegung – dieser Begriff ist keine Bezeichnung einer einheitlichen Bewegung, sondern ein Sammelbegriff für die gesamte Opposition gegen HITLER und den Nationalsozialismus – entstand aus den beiden großen Kirchen, schloss aber schon 1933 auch den politischen Widerstand ein. Zentren waren: im Heer LUDWIG BECK, in Staatsleitung und Diplomatie ULRICH VON HASSEL, in Adel und Bürgertum GOERDELER sowie in studentischen Kreisen Geschwister SCHOLL und weitere. Daneben einzelne Personen wie DIETRICH BONHOEFFER, ALBRECHT HAUSHOFER und andere. Kommunistische und sozialistische Widerstandsgruppen existierten z. B. um den Kommunisten ANTON SAEFKOW oder den Österreicher BRUNO DUBBER sowie den Sozialdemokraten WALDEMAR VON KNOERINGEN. Gruppen und Personen traten z. T. untereinander sowie mit Sozialisten und dem Kreisauer Kreis um HELMUT JAMES und FREYA VON MOLTKE sowie PETER und MARION YORCK VON WARTENBURG in Kontakt. Seinen markantesten Ausdruck fand der Widerstand im missglückten Attentatsversuch auf HITLER am 20. Juli 1944 um CLAUS SCHENK GRAF VON STAUFFENBERG. In der Folge wurden die meisten Führer des Widerstands hingerichtet.

Das Recht auf Widerstand zählt seit der Entwicklung moderner Verfassungen Ende des 18. Jhs. zu den Grundrechten. Dennoch kannte das Grundgesetz zunächst kein Widerstandsrecht des Bürgers. Erst 1968 wurde es in Deutschland mit den Notstandsgesetzen in das Grundgesetz aufgenommen, um einen Missbrauch der Notstandsbefugnisse durch die Staatsgewalt zu verhindern.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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