- Lexikon
- Politik/Wirtschaft
- 6 Globalisierung und Global Governance
- 6.2 Globalisierung der Weltwirtschaft
- 6.2.2 Internationaler Handel
- Protektionismus und Freihandel
Zwischen 1948 und 2000 nahm der Handel mit Waren im jährlichen Durchschnitt um 6,1 % zu und weitete sich damit schneller aus, als die Produktion (3,9 %). Über den Warenhandel hinaus hat sich auch der Handel mit Dienstleistungen erheblich ausgeweitet.
Unter dem Einfluss der Globalisierung und zunehmenden Internationalisierung sind strukturelle Veränderungen im Welthandel zu beobachten. Der Anteil des Handels mit bergbaulichen und agrarischen Rohstoffen wuchs nicht so stark wie der Handel mit Halbfertig- und Fertigwaren aus der industriellen Produktion. Dazu hat beispielsweise die Verlagerung von Fertigungsprozessen aus Westeuropa nach Ostasien beigetragen. Bestimmend ist aber nach wie vor, dass die Industrieländer ihre technologisch anspruchsvollen Industrieprodukte gegen die arbeits- und rohstoffintensiven Erzeugnisse der Entwicklungsländer austauschen. Einzelnen Schwellenländern ist es allerdings gelungen, in typische Exportdomänen der Industrieländer einzudringen, z. B. Elektronik und Elektrotechnik, Automobile.
Zu den Herausforderungen, die der globale Austausch von Waren und Dienstleitungen mit sich bringt, gehört die Bewältigung des grundlegenden Konflikts zwischen Freihandel und Protektionismus.
Die Bestrebungen, den Welthandel zu liberalisieren, basieren auf der von ADAM SMITH (1723–1790) und DAVID RICARDO (1772–1823) konzipierten und in der Folgezeit wesentlich weiter entwickelten Theorie des Wohlstand fördernden Freihandels. Darunter wird der internationale Austausch von Waren und Dienstleistungen verstanden, der frei von jeglicher handelspolitischer Beeinflussung ist. Freihandel soll für alle Beteiligten zur Steigerung von Wohlstand führen.
ADAM SMITH ging davon aus, dass der Freihandel den Wohlstand dann vergrößert, wenn jedes Land die Güter exportiert, die es am billigsten herstellen kann, und die Güter importiert, die anderswo billiger produziert werden. DAVID RICARDO wies nach, dass ein Land auch dann durch den Außenhandel Vorteile erzielt, wenn es alle Güter billiger als das Ausland produzieren kann. Nach seiner Theorie der komparativen Kosten ist es für das Land sinnvoll, jene Güter herzustellen, bei denen sein Kostenvorteil gegenüber dem Ausland am größten ist. Eingeführt werden sollen dagegen jene Güter, die in anderen Ländern mit geringeren Kosten produziert werden.
Von dieser Handelsphilosophie ging auch das 1947 gegründete General Agreement on Tarifs and Trade (GATT) aus. Im Rahmen des GATT wird insbesondere seit den 1960er-Jahren versucht, weltweite Handelshemmnisse abzubauen und protektionistische Maßnahmen nur in Ausnahmefällen zu akzeptieren. In den vergangenen multilateralen Handelsrunden ist es gelungen, die Zollbelastung für gewerbliche und industrielle Handelsgüter in den Industriestaaten von etwa 40 % auf rund 4 % zurückzuführen. Die Erfahrungen seit Gründung des GATT belegen, dass liberaler Handel dazu führt, die Weltproduktion insgesamt zu erhöhen und ein besseres Angebot für die Verbraucher zu schaffen. Damit wurden Voraussetzungen geschaffen, mehr Wohlstand zu erreichen.
Westeuropa ist nach wie vor die führende Exportregion, gefolgt von Nordamerika und Asien. Besonders zugenommen hat die Bedeutung Asiens als Exportregion, bedingt durch starke Exportzuwächse in Japan und in den Schwellenländern. Demgegenüber sind die Anteile der Exportregionen Lateinamerika und Afrika deutlich zurückgegangen, insbesondere der Anteil der Gruppe der ärmsten Entwicklungsländer (LDC).
Die Gruppe der 49 LDC-Länder konnte zwar ebenfalls Exportzuwächse verzeichnen, ihr Anteil an den Weltexporten ging jedoch von 3,2 % 1950 auf 0,5 % im Jahr 2000 zurück. Diese Ländergruppe ist allerdings in sich sehr heterogen. Einige Länder profitieren vom Export von Erdöl und arbeitsintensiven Industrieprodukten. Andere müssen sich dagegen auf die Ausfuhr von auf dem Weltmarkt weniger nachgefragten Rohstoffen beschränken und sind aufgrund innerer und äußerer Konflikte sehr exportschwach.
Die Ausweitung des Welthandels wird seit den 1990er-Jahren auch durch starke gegenläufige Tendenzen begleitet. Dazu gehören die zunehmende Regionalisierung durch die Bildung von Wirtschaftsblöcken und Freihandelszonen sowie der staatliche Protektionismus, die den freien Welthandel behindern.
Der Warenaustausch innerhalb der Wirtschaftsblöcke, Freihandelszonen und Zollunionen hat sich von 30 % in den 1950er-Jahren und 40 % 1980 auf gegenwärtig über die Hälfte des Welthandels ausgeweitet. Innerhalb der vier größten regionalen Integrationsgemeinschaften,
wird mehr als ein Drittel des weltweiten Warenhandels abgewickelt, fast ein Viertel allein innerhalb der EU.
Insgesamt existieren weltweit etwa 40 Handelsbündnisse mit unterschiedlicher Integrationstiefe, wobei einige nur Warenhandel, andere nur Zollabbau unterstützen. Die Wirtschaftsblöcke und Freihandelszonen fördern zweifellos die Integration ihrer Mitglieder und den Handel zwischen ihnen. Sie wirken aber oft diskriminierend gegenüber Nichtmitgliedern, indem sie ihnen den freien Zugang zu ihren Märkten versperren. Der freie Handel wird dadurch behindert.
Mit der zunehmenden Regionalisierung des internationalen Handels haben sich auch die protektionistischen Maßnahmen seit den 1980er-Jahren in einzelnen Ländern und Ländergruppen wie bei verschiedenen Produkten und Produktgruppen weiter verstärkt. Inländische Produzenten sind bestrebt, sich vor billiger oder besserer ausländischer Konkurrenz zu schützen. Viele Entwicklungsländer versuchen, Importe von Industriegütern zum Schutz der eigenen, teilweise noch jungen Industrie sowie zur Einsparung von Devisen zu reglementieren oder zu verhindern. Aber auch viele Industrieländer wollen die eigene Industrie durch Einfuhrrestriktionen vor der Konkurrenz billiger produzierender Entwicklungs- und Schwellenländer schützen, um Arbeitsplätze zu erhalten.
Mit Subventionen und Steuervorteilen versuchen viele Industrieländer, eigenen Produkten im internationalen Wettbewerb Vorteile zu verschaffen. Dazu gehörten beispielsweise:
Das protektionistische Instrumentarium umfasst tarifäre wie nicht tarifäre Handelshemmnisse.
Seit den 1970er-Jahren haben insbesondere die verschiedenartigen Formen nicht tarifärer Handelshemmnisse, die auch als neuer Protektionismus bezeichnet werden, zugenommen.
In den Entwicklungsländern haben nicht tarifäre Handelsschranken insgesamt ein höheres Gewicht als in Industrieländern. In den Industrieländern ist es vor allem die Textil- und Bekleidungsindustrie, die durch nicht tarifäre Handelshemmnisse geschützt wird. Die weniger entwickelten Länder setzen dem technischen Vorsprung der Industrieländer ihre geringeren Produktionskosten entgegen und bieten ihre Erzeugnisse zu niedrigeren Preisen an. Um die europäische und nordamerikanische Textilindustrie vor überhöhten Billigimporten aus Entwicklungsländern zu schützen und die Anpassung an den verstärkten internationalen Wettbewerb zu erleichtern, werden die Textil- und Bekleidungsexporte aus Entwicklungsländern mengenmäßig durch Quoten beschränkt. Das Welttextilabkommen, das seit 1974 gilt und 1994 im Rahmen der Uruguay-Runde des GATT erneuert wurde, dient dem Zweck, den Industrieländern die Anpassung an den verstärkten internationalen Wettbewerbsdruck zu erleichtern. Das Abkommen zielt darauf, den Welthandel mit Textilien bis Ende 2004 zu liberalisieren und dann den allgemeinen Regeln der WTO über den weltweiten Freihandel anzupassen.
Der Marktzugang im Agrarbereich ist für viele Entwicklungsländer sowohl durch tarifäre wie nicht tarifäre Handelshemmnisse eingeschränkt. Die Industrieländer vergeben jährlich etwa 350 Mrd. US-Dollar an Subventionen und sonstige Stützungsmaßnahmen an die einheimische Landwirtschaft, rund eine Mrd. für die Landwirte pro Tag.
Nach dem Farmergesetz vom Frühjahr 2002 haben die USA ihre Beihilfen für die einheimischen Agrarunternehmen für die folgenden zehn Jahre um 70 % erhöht. Am Beispiel der Baumwolle wird deutlich, wie infolge des Preisverfalls durch Subventionen kleine Produzenten in den Entwicklungsländern in den Ruin getrieben werden. Obwohl die amerikanische Baumwolle qualitativ schlechter als die afrikanische oder indische ist, hat sie inzwischen fast 40 % des Weltmarktes erobert. Das hängt mit den hohen Subventionen zusammen, die die Baumwollproduzenten in den USA erhalten. Darunter leiden zum einen die Baumwolle exportierenden Entwicklungsländer, weil ihnen durch die sinkenden Rohstoffpreise wichtige Einnahmen verloren gehen. Zum anderen werden viele Kleinbetriebe in den Ruin getrieben, die vom Baumwollanbau leben, z. B. in Burkina Faso, wo jeder fünfte Einwohner vom Erlös aus Baumwolle abhängig ist.
Nach Einschätzungen der Weltbank sind die Subventionen und Handelsschranken in Europa und Japan noch höher als in den USA. Beispielsweise wird ein europäisches Rind täglich mit 2,50 Euro subventioniert, in Japan sogar mit umgerechnet 7,50 Euro. Demgegenüber müssen drei Viertel aller Afrikaner mit weniger als 2,00 Euro pro Tag auskommen.
Vielfältige protektionistische Maßnahmen stellen nach wie vor eine erhebliche Belastung für den internationalen Handel dar. Die Auffassungen über den Protektionismus und seine Wirkungen gehen jedoch stark auseinander. Diejenigen, die von den Vorteilen aus Schutzmaßnahmen gegen die ausländische Konkurrenz profitieren, sprechen sich für ihre Beibehaltung aus. Das sind vor allem starke wirtschaftliche Interessengruppen, die Nachteile im internationalen Wettbewerb befürchten. Die durch protektionistische Maßnahmen Benachteiligten treten dagegen für deren Beseitigung ein. Dazu gehören viele Entwicklungsländer, die beispielsweise im Rahmen der WTO nachdrücklich die Aufhebung des Agrarprotektionismus fordern. Als Argumente für den Protektionismus werden beispielsweise angeführt:
Diese Auffassungen zeigen, dass die Liberalisierung des Welthandels äußerst widersprüchlich verläuft. Zum einen preisen die Industrieländer die Vorteile des freien Handels, zum anderen schotten sie sich mit Handelsschranken auf den Märkten ab, so dass den Entwicklungsländern große Nachteile entstehen. An den Interessengegensätzen zwischen Industrieländern sowie den Entwicklungs- und Schwellenländern (z. B. über den Abbau der Agrarsubventionen) ist auch die WTO-Konferenz 2003 im mexikanischen Cancùn gescheitert.
Stand: 2010
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