JEAN-JACQUES ROUSSEAU wurde am 28. Juni 1712 in Genf geboren. Er entstammte einer calvinistischen Familie, die nach Aufhebung des Edikts von Nantes im schweizerischen Exil leben musste.
Kurz nach seiner Geburt war die Mutter verstorben. Ihren Platz nahm zunächst die Schwester seines Vaters ein. Gemäß ROUSSEAUs Erinnerungen beeinflusste sie das Lebensgefühl des Kindes mit ihrer Warmherzigkeit und sanften Art stark.
JEAN-JACQUES war ein sehr wissbegieriges Kind – bereits mit zweieinhalb Jahren lernte er lesen. Später interessierte er sich vor allem für Romane. Zum Lesen angeregt wurde er durch den Vater, den Uhrmacher ISAAC ROUSSEAU, der selbst mit größter Begeisterung Romane las. JACQUES lernte schon frühzeitig Schriften der Profan- und Kirchengeschichte, der Dichtung oder der Philosophie, Texte antiker Denker wie OVID oder PLUTARCH kennen. In seinem autobiografischen Werk „Bekenntnisse“ schreibt er, dass ihm diese Lektüre vom Leben
„wunderliche und romanhafte Vorstellung (vermittelte), von der Erfahrungen und Überlegungen mich niemals haben heilen können“.
Sein Vater musste 1722 aufgrund einer Auseinandersetzung mit einem ehemaligen Offizier Genf verlassen, um einer Verhaftung zu entgehen. Der zehnjährige JACQUES wurde deshalb dem Bruder der verstorbenen Mutter, GABRIEL BERNARD, und dessen Frau anvertraut. Der Onkel schickte den Jungen zu einem calvinistischen Geistlichen, JEAN-JACQUES LAMBRECIER. Jener betreute eine dörfliche Gemeinde südlich von Genf. In dieser ländlichen Idylle, fern von städtischer Hektik, entdeckte ROUSSEAU seine Liebe zur Natur. Das unbekümmerte Landleben wurde für ihn zum Inbegriff von Reinheit und Natürlichkeit. Von LAMBRECIER wurde er in Latein, Mathematik und den Vorschriften des Katechismus unterwiesen.
Nach einer grundlosen Beschuldigung wurde er von LAMBRECIER hart bestraft. Er verlor das Vertrauen zu LAMBRECIER und ging nach Genf zurück. Die Sensibilität für Ungerechtigkeit hat er zeitlebens nicht verloren.
Die Pubertät mit einhergehender Ablehnung jeglichen Zwangs führte zu häufigem Ärger mit verschiedenen Ausbildungsleitern. ROUSSEAU entfloh der Realität, indem er Bücher im wahrsten Sinn verschlang und sich eine Traumwelt schuf.
Zuletzt hatte ROUSSEAU eine Lehre bei dem Graveur ABEL DUCOMMUN aufgenommen. Mit 15 Jahren brach er die Lehre ab und verließ seine Vaterstadt. In den folgenden vier Wanderjahren ließ sich ROUSSEAU zum katholischen Glauben bekehren. Er lernte seine spätere Gönnerin und Geliebte Baronin DE WARENS kennen. Diese entdeckte sein musikalisches Talent. Er arbeitete als Lakai, Musiklehrer und Erzieher. Die Baronin ermöglichte ihm intensive Lektüre und vielseitige autodidaktische Studien. So las ROUSSEAU unter anderem Schriften von LOCKE, LEIBNIZ, DESCARTES, NEWTON, HOBBES, MACHIAVELLI und Werke über Geschichte, Religion, Psychologie und Anthropologie. Er beschäftigte sich mit PLATO, CICERO, VOLTAIRE, verbesserte seine Lateinkenntnisse, musizierte, zeichnete und führte chemische und medizinische Experimente durch.
ROUSSEAU ging nach Lyon, wo er als Erzieher arbeitete. Hier stellte er erste Überlegungen zu Fragen der Erziehung an.
1742 zog ROUSSEAU nach Paris. Er entdeckte die ihn faszinierende Lebensweise der Aufklärung. Er besuchte Theater, Konzerte, Lesungen an der Akademie der Schönen Künste und verfolgte interessiert die Debatten an der Akademie der Wissenschaften. Seinen Lebensunterhalt bestritt er als Musiklehrer, schrieb Noten ab und war Sekretär. Im Alter von 31 Jahren wurde er Sekretär des französischen Botschafters der Republik Venedig. Der Botschafter füllte sein Amt nur ungenügend aus und überließ ROUSSEAU den Hauptteil der Arbeit. Nach einem Streit mit seinem adligen Vorgesetzten kehrte der Handwerkersohn ROUSSEAU 1745 nach Paris zurück.
Er lernte den französischen Philosophen DENIS DIDEROT kennen, der ihn beauftragte, musiktheoretische Beiträge für die französische Encyclopédie zu schreiben. In Paris lebte er zusammen mit THÉRÈSE LEVASSEUR. Die fünf Kinder, die aus dieser Beziehung hervorgingen, ließ er im Waisenhaus aufziehen. Noch zu Lebzeiten musste er deswegen scharfe Kritik hinnehmen, nicht zuletzt durch die Schmähschriften VOLTAIREs.
1747 starb ROUSSEAUs Vater. Das Erbe und seine Einkünfte als Sekretär verschafften ihm erstmals finanzielle Sicherheit. Besonders durch seine Freundschaft mit DENIS DIDEROT (1713–1784) war er im Milieu der Aufklärung bereits akzeptiert. Nach seinem Beitrag für die Encyclopédie machte er auch durch eigene Kompositionen auf sich aufmerksam. Bekannt wurde sein Singspiel „Der Dorfwahrsager“, bei dessen Aufführung am Hofe Madame POMPADOUR eine Rolle übernahm. Rousseau wurde damit über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt.
Einen größeren und auch langlebigeren Erfolg brachte ihm 1750 seine Antwort auf die Preisfrage der Akademie von Dijon. ROUSSEAU beantwortete die Frage, ob der Fortschritt von Wissenschaft und Kunst zur Läuterung von Sitten und Moral beigetragen habe, mit einem negativen Beweis („Discours sur les sciences et les arts“) und erhielt dafür den Preis. 1755 stellt er in seinem „Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes“ die Entwicklungen von einer glücklichen Urgesellschaft bis zur Rechtsungleichheit in der zivilisierten Gesellschaft dar.
Danach begann ROUSSEAU in selbst gewählter relativer Armut zu leben. Dieser Lebensstil, der sich auch in seiner Kleidung offenbarte, war gepaart mit intellektueller Arroganz und führte zu Spannungen mit seiner Umgebung. Er verließ Paris, ging für kurze Zeit nach Genf, wo er erneut zum calvinistischen Glauben übertrat. 1756 zog er sich dann in die Abgeschiedenheit von Montmorency zurück.
In den Jahren 1756 bis 1762 verfasste ROUSSEAU in Montmorency seine Hauptwerke. Er schrieb 1761 den im Frankreich des 18. Jh. sehr beliebten tragisch-sentimentalen Briefroman „Julie oder Die neue Héloise“, 1762 die berühmte staatstheoretische Abhandlung vom Gesellschaftsvertrag „Du contrat social ou principes du droit politique“.
Im „Gesellschaftsvertrag“ vertrat er die Theorie, dass der Staat als politische Organisation auf dem Gesellschaftsvertrag beruht, der von den Bürgern freiwillig eingegangen wurde. Seine Verteidigung des Gemeinwillens (volonté générale) gegenüber dem absolutistischen Staat, bildete die theoretische Grundlage der Französischen Revolution. Diese Arbeit übte vor allem großen Einfluss auf die Rechtsphilosophen KANT, FICHTE, HEGEL und MARX aus. Sein Entwurf vom mündigen Bürger, der sich freiwillig dem idealen Gemeinschaftswillen unterwirft, ohne seine persönliche Freiheit aufzugeben, wirkt bis in unsere Gegenwart hinein.
Mit seinem einflussreichen Roman „Émile oder über die Erziehung“ („Émile ou de l'éducation“) geriet ROUSSEAU mit der französischen und schweizerischen Obrigkeit in Konflikt und floh zunächst nach Preußen. Weder Paris noch Den Haag oder Bern waren bereit, den unbequemen Philosophen aufzunehmen. Nach weiteren wechselnden Aufenthaltsorten floh er auf Einladung von DAVID HUME nach England. In seinem Erziehungsroman forderte ROUSSEAU die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes und stellte Erziehungstheorien auf, die PESTALOZZI stark beeinflussten und bis in die Gegenwart wirken. Leider kam es während dieser Schaffensperiode zum Bruch mit VOLTAIRE.
ROUSSEAU fühlte sich missverstanden, alleingelassen und verfolgt.
Der inzwischen psychisch labile Schriftsteller und Philosoph kehrte 1767/68 unter dem Pseudonym RENOU nach Frankreich zurück. Hier heiratete er schließlich 1768 THÉRÈSE LEVASSEUR und bezog 1770 wieder eine Wohnung in Paris. Er vollendete 1770 sein autobiografisches Werk „Confessiones“ („Bekenntnisse“). Die „Bekenntnisse“ sind eine vollständige Darstellung seines Lebens – von der Kindheit bis ins Alter. Schonungslos enthüllt er sein Leben, seine Gedanken, Handlungsmotive – es gibt wohl kaum eine ehrlichere Darstellung des eigenen Lebens. Die Bekenntnisse waren als Rechtfertigung konzipiert – in einer Zeit, die den unbequemen Denker nicht verstehen wollte.
JEAN-JACQUES ROUSSEAU starb am 2. Juli 1778 in Ermenonville bei Paris. Sein letztes Werk „Träumereien eines Spaziergängers“ konnte er nicht mehr vollenden. Auch die Französische Revolution, die er stark beeinflusst hat, erlebte er nicht mehr.
Werke:
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
Ein Angebot von