Afghanistan war 2001 ein sehr armes, von einem über 20-jährigen blutigen Bürgerkrieg verwüstetes Land. Zerstörte Städte, Dörfer, Häuser, Schulen, Krankenhäuser etc., eine kaum vorhandene Infrastruktur und vielfache politische, soziale und individuelle Unsicherheiten bestimmten das Leben der häufig noch in sehr traditionellen, ethnisch und religiös geprägten Strukturen lebenden Menschen.
Die gesellschaftliche und politische Ordnung war vor allem seit Beginn der 1990er-Jahre stark von skrupellosen und kriminellen Warlords (Kriegsherren) beeinflusst. Häufig ethnisch oder religiös motiviert führten sie einen Bürgerkrieg um die Herrschaft über bestimmte Gebiete und/oder den ganzen Staat.
Seit 1996 dominierte die islamistische Bewegung der Taliban (Gottesschüler) große Teile des Landes und regierte es mit einer mittelalterlichen Auslegung der Scharia, des islamischen Rechts, auf grausame Weise.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen baute das transnational agierende islamistische Terrornetzwerk Al-Qaida Afghanistan seit etwa 1990 zu seinem wichtigsten Stützpunkt aus und pflegte dabei enge Beziehungen mit der regierenden Taliban-Bewegung.
Nach den verheerenden Anschlägen des 11. September 2001 in New York und Washington, für die Al-Qaida verantwortlich war, beendete daher, gestützt auf afghanische Oppositionsgruppen, eine internationale, von den USA angeführte Anti-Terror-Koalition die Herrschaft der Taliban. Gleichzeitig wurden die Lager der Terrorgruppen zerstört und ihre Anhänger verfolgt.
Unter dem Namen „enduring freedom“ agiert diese vorwiegend auf den Einsatz des Militärs gestützte Koalition bis heute im weltweiten Antiterrorkampf auch in Afghanistan. Ihre Einsätze dürfen aber nicht mit denen der ISAF-Truppe verwechselt werden.
Die Anschläge des 11. September machten aller Welt klar, dass die Verhältnisse in Afghanistan nicht nur die Afghanen selbst betrafen. Auch die internationale Sicherheit und der Weltfrieden waren durch sie elementar betroffen.
Die internationale Gemeinschaft versuchte daher mit einer Vielzahl von Initiativen und Maßnahmen, den Weg für eine politische Neuordnung und einen Wiederaufbau des Landes ebnen.
Auf der internationalen Petersberg-Konferenz der Vereinten Nationen, die vom 27. November bis zum 5. Dezember 2001 auf Einladung der deutschen Bundesregierung nahe Bonn tagte, wurde unter Beteiligung afghanischer Repräsentanten ein Fahrplan zur Schaffung legitimer demokratischer Strukturen beschlossen. Ziel einer Übergangsphase unter einer provisorischen afghanischen Regierung sollten die Verabschiedung einer neuen Verfassung und demokratische Wahlen sein.Diese Ziele konnten inzwischen weitgehend umgesetzt werden:
Im August 2009 fanden in Afghanistan Präsidentschafts- sowie Provinzratswahlen statt. Internationale Truppen und auch ISAF Einheiten mussten diese Wahlen und ihre Vorbereitungen militärisch gegen Attacken der Taliban-Kräfte schützen. Diese Wahlen zeigten, dass die genannten Ziele formal zwar umgesetzt sein mögen; real ist der afghanische Staat aber momentan kaum in der Lage, demokratische Verhältnisse und ein stabiles Staatswesen zu garantieren.
Schon 2002 versprach die internationale Gemeinschaft dem Land auch ihre materielle Hilfe. Eine Geberkonferenz in Tokio sagte Unterstützungsbeiträge von insgesamt über 5 Mrd. Euro zu. Sie wurden zumeist an konkrete Hilfsprojekte gebunden. Deutschland beispielsweise engagiert sich heute u. a. intensiv beim Aufbau der Polizei in Afghanistan.
Nach 2001 und 2002 folgten weitere internationale Konferenzen zu Afghanistan, so 2004 in Berlin 2006 in London, 2008 in Paris sowie 2009 in Den Haag.
Eine zentrale Rolle übernahm die UNO in Afghanistan. Der Sicherheitsrat beschloss am 28. März 2002 die Einrichtung einer eigenen Mission, der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA). Sie sollte in Zusammenarbeit mit der afghanischen Übergangsregierung die Petersberger Beschlüsse umsetzen, die Einhaltung der Menschenrechte überwachen sowie die internationalen Hilfsmaßnahmen koordinieren und teilweise auch selbst durchführen.
Daneben unterstützen bis heute weitere UN-Unterorganisationen und UN-Sonderorganisationen sowie viele Nichtregierungsorganisationen (NGO) den Wiederaufbau und den begonnenen Friedensprozess.
Insgesamt kann man die Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft in vier zentralen Punkten zusammenfassen:
Im Rahmen dieser vielfältigen internationalen Hilfszusagen und Unterstützungsleistungen ist auch das Engagement der Internationalen Sicherheitsunterstützertruppe ISAF (International Security and Assistance Force) zu sehen. Sie wurde am 20. Dezember 2001 durch die Resolution 1386 vom UN-Sicherheitsrat mit Verweis auf Kapitel VII der UN-Charta („Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen“) geschaffen.
Das Mandat von ISAF beinhaltete anfänglich „die Einrichtung einer internationalen Sicherheitsbeistandstruppe für einen Zeitraum von sechs Monaten, um die afghanische Interimsbehörde bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit in Kabul und seiner Umgebung zu unterstützen, damit die afghanische Interimsbehörde wie auch das Personal der Vereinten Nationen in einem sicheren Umfeld tätig sein können“. ISAF sollte also zunächst in der Region um die Hauptstadt Kabul in Zusammenarbeit mit Einheimischen und internationalen Helfern den zivilen Wiederaufbau absichern.
Dieses Mandat wurde inzwischen mehrfach verlängert und ab 2003 auf das ganze Land ausgedehnt. Die Ausdehnung ging mit der schrittweisen Schaffung mehrerer Regionalkommandos von ISAF im Norden (seit 2006 unter deutscher Führung), Westen, Süden und Osten des Landes einher. Seit 2006 ist ISAF nunmehr in ganz Afghanistan präsent.
ISAF ist eine multinationale Friedenstruppe, an der sich 2009 über 40 Staaten beteiligen.
Die größten nationalen Kontingente des heute rund 130 000 Personen umfassenden ISAF-Einsatzes trugen von vornherein Länder der NATO.
Neben der Beteiligung ihrer Mitgliedsländer engagierte sich die Verteidigungsallianz auch als Organisation und stellte militärischen Strukturen und Ressourcen in den Dienst von ISAF. Nach anfänglich wechselnder Führungsverantwortung durch mehrere Nationen übernahm die NATO am 11. August 2003 auf unbestimmte Zeit und bis heute die politische und militärische Führung der ISAF. Sie ist dabei an das Mandat durch den UN-Sicherheitsrat gebunden.
In dessen Rahmen kommt die politische Leitung und Koordination nun dem Nordatlantikrat zu. Er ist das oberste politische Beratungs- und Beschlussorgan der NATO und tagt unter Beteiligung von Vertretern aller Mitgliedstaaten. Seine ISAF-Funktion nimmt er in enger Abstimmung mit den nicht der NATO angehörenden Unterstützern der Mission und mit Vertretern der afghanischen Regierung wahr. Dabei sind weitere politische Gremien der Organisation beteiligt.
Die militärische Führung wird durch die militärische Kommandostruktur der NATO ausgefüllt. Unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Nordatlantikrats trägt die oberste operative Kommandoebene der NATO, ACO (Allied Command Operations) mit Sitz im NATO-Hauptquartier der Alliierten Mächte in Europa, SHAPE (Supreme Headquarters Allied Powers in Europe), im belgischen Mons die Hauptverantwortung. Ihre grundsätzlichen Vorgaben setzen untergeordnete Ebenen bis hin zu regionalen Kommandos in Afghanistan selbst um. Die Leitung in Afghanistan wird von einem Hauptquartier in Kabul wahrgenommen, das sich auch mit afghanischen Regierungsstellen koordiniert.
Insgesamt übernimmt die NATO dabei im Rahmen von ISAF vielfältige militärische und zivile Aufgaben vor Ort, so z. B.:
Afghanistan ist sicher eines der brisantesten, schwierigsten, aber auch wichtigsten Konfliktfelder für die internationale Gemeinschaft.
Gerade deshalb steht der ISAF-Einsatz der NATO in Afghanistan beispielhaft für die neue NATO und den Wandel des Bündnisses hin zu einer Organisation, die sich zunehmend im internationalen Krisenmanagement engagiert.
Der Einsatz in Afghanistan zeigt exemplarisch und konkret die Wahrnehmung neuer Aufgaben angesichts einer veränderten internationalen Sicherheitslage mit neuen globalen Herausforderungen durch die NATO (siehe oben).
Zu diesem Engagement im Rahmen der internationalen Krisenbewältigung gehört es freilich auch, dass der Einsatz der NATO nur Teil eines vielfältigen Sets internationaler Hilfen für Afghanistan ist, an dem unterschiedliche Akteure beteiligt sind und zu dem die nordatlantische Allianz ihren spezifischen Teil beiträgt. Erfolg oder Misserfolg des NATO-Einsatzes sind daher auch abhängig vom Erfolg des gesamten Engagements und mit diesem untrennbar verbunden.
In einer Zwischenbilanz nach sechs Jahren internationaler Afghanistan-Politik stehen dabei daher auch für die NATO Erfolge neben Misserfolgen. Als Erfolge kann man zum Beispiel anführen:
Neben solchen Erfolgen stehen aber auch Defizite und Misserfolge, z. B.:
Solche Ergebnisse trugen in den vergangenen Jahren zu teils kontroversen Debatten bei, die zwar selten offen geführt wurden, aber letztlich den Hintergrund mancher Diskussion bildeten. Unterschiedliche Standpunkte gab es zum Beispiel über die Gewichtung ziviler und militärischer Komponenten des Einsatzes. Amerikaner und Briten wurden häufig kritisiert, weil sie sich zu einseitig auf militärische Operationen konzentrieren würden und dabei zu leichtfertig die Gegnerschaft der Zivilbevölkerung provozierten. Besonders Deutschland hingegen wurde vorgeworfen, sich schwierigen militärischen Einsätzen im Süden des Landes zu entziehen, wo andere Nationen teils hohe Verluste erlitten.
Einigkeit besteht aber darüber, dass für die NATO in Afghanistan heute viel auf dem Spiel steht. Von unterschiedlichen Seiten wird mehr oder weniger pointiert die Ansicht vertreten, dass ein Scheitern hier angesichts der selbst gestellten neuen Aufgaben die Handlungsfähigkeit und vielleicht sogar den Zusammenhalt des Bündnisses infrage stellen würden. Gleichzeitig würde das Bündnis auch nach außen hin an Autorität und Ansehen verlieren. Auch daher besteht weitgehend Konsens, dass man sich ein nachlassendes Engagement kaum leisten kann und vorhandene Strategien ständig zu überprüfen sind. Afghanistan erweist sich also auch als Testfall für die neue NATO.
In diesem Sinne beschließt die NATO auf ihrem Jubiläumsgipfel anlässlich ihres 60 jährigen Bestehens 2009 eine Überprüfung und teilweise Neuausrichtung ihrer Politik in Afghanistan. Sie beinhaltet u.a. ein noch stärkeres militärisches Engagement insbesondere der USA, die einige ihrer aus dem Irak abziehenden Kräfte nach Afghanistan beordert sowie zudem Änderungen militär-taktischer Natur, die beispielsweise das Risiko ziviler Opfer vermeiden helfen sollen. Auch sollen afghanische Sicherheitskräfte stärker in Einsätze einbezogen werden.
Gleichzeitig wird nunmehr ein regionaler, nicht allein auf Afghanistan gerichteter Ansatz verfolgt, der zum Beispiel in Rechnung stellt, dass die Taliban-Einheiten im benachbarten Pakistan immer wieder Rückzugsräume finden.
Durch verstärkte Anstrengungen im zivilen und zivil-militärischen Bereich soll der afghanische Staat gestärkt und zunehmend in die Lage versetzt werden, den Wiederaufbau und die eigene Sicherheit selbst gewährleisten zu können. Dazu zählen Maßnahmen wie ein noch stärkeres Engagement bei der Ausbildung einheimischer Polizei- und Sicherheitskräfte oder verstärkte zivile Aufbauhilfe
Mit diesem Ansatz reagiert die NATO auch auf eine zunehmende Kritik am Afghanistan-Einsatz in vielen ihrer Mitgliedsländer. Häufig wird zumindest eine sogenannte Exit-Strategie gefordert, das heißt eine Strategie, die Aufgaben, Ziele und Entwicklungsschritte des ISAF Einsatzes konkret benennt und mit einem Zeitrahmen versieht, und so ein (erfolgreiches) Ende des Einsatzes mit einem Abzug der Einsatzkräfte terminlich fixiert. Ob ein solcher Schlusspunkt aber in den nächsten 10 Jahren möglich ist, wird 2009 von vielen Experten bezweifelt.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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