- Lexikon
- Politik/Wirtschaft
- 4 Gesellschaft im Wandel
- 4.3 Sozialer Wandel
- 4.3.3 Wandel im Geschlechterverhältnis
- Gleichstellung von Mann und Frau
In der Bundesrepublik ist die Gleichberechtigung der Geschlechter als gesellschaftliches Grundprinzip verfassungsrechtlich verankert.
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“
(Art. 3 Abs. 2 GG)
Da die juristische Gleichberechtigung allein nicht ausreichte, um in der Praxis eine tatsächliche Gleichstellung zu erreichen, wurde das Grundgesetz 1994 noch ergänzt.
„Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Gleichstellung umfasst:
In der Bundesrepublik Deutschland entwickelte sich die neue Frauenbewegung in den 1970er-Jahren aus Impulsen der Studentenbewegung und parallel zu anderen Neuen Sozialen Bewegungen, wie Umwelt- oder Bürgerrechtsbewegung.
Die Frauenbewegung kritisierte u. a. die Dominanz der männlichen Form in der Sprache und kämpfte für die sprachliche Repräsentanz von Frauen (BürgerInnen, Bürgerinnen). Gegenwärtig werden zunehmend geschlechtsneutrale Formulierungen, wie „fachgerecht“ statt „fachmännisch“ oder „Studierende“ statt „Studenten“ bevorzugt.
Die neue Frauenbewegung setzte sich für gleiche Rechte und Chancen für Frauen und Männer in allen Lebensbereichen – Gleichstellung von Mann und Frau – ein. Zentrale Ziele waren:
Die Forderungen der Frauenbewegung haben die gesellschaftliche Realität in Deutschland in kontinuierlichen Diskussions- und Aushandlungsprozessen weitgehend verändert und zahlreiche Fortschritte in Bezug auf Gleichberechtigung gebracht:
Auch in der DDR war die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Verfassung verankert. In der DDR wurde der Grundsatz vertreten, dass sich die Gleichstellung der Geschlechter in der Berufstätigkeit von Mann und Frau sowie in gleichen Rechten und Pflichten der Ehepartner in allen Fragen des Zusammenlebens (Berufsausübung, Haushaltsführung, Kindererziehung) zeigt. Die Umsetzung dieses Ziels unterschied sich aber erheblich von der in der Bundesrepublik Deutschland, in der in den 1950er- und 1960er-Jahren das traditionell-bürgerliche Familien- und Frauenmodell dominierte.
Nach den Grundsätzen der Ideologie und Staatspolitik in der DDR war die wichtigste Voraussetzung für die soziale, ökonomische und politische Befreiung der Frau ihre Eingliederung in die Arbeitswelt. Das Ziel war, Frauen in die Erwerbstätigkeit voll einzubeziehen (Vollzeit-Berufstätigkeit). Die staatliche Politik war deshalb auf die Schaffung von Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern gerichtet. Das war verbunden mit einer systematischen und aktiven Frauen- und Familienförderung, u. a. durch:
Diese Politik zeitigte Fortschritte und Defizite in der praktischen Gleichstellung von Frauen. Einerseits hatte sich im Vergleich zur Bundesrepublik
Der Anteil erwerbstätiger Frauen mit Kindern war hoch, aber die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Familie bestand weitestgehend fort und führte eher zu einer Doppelbelastung der Frauen durch Erwerbsarbeit und Familienarbeit.
Trotz der Erfolge der Frauenbewegung und der Garantie der Gleichberechtigung im Grundgesetz, trotz der mittlerweile erfolgten Angleichung des Bildungsstandes und Ausbildungsniveaus von Männern und Frauen blieben auch in der Bundesrepublik Deutschland soziale und politische Benachteiligungen von Frauen bis heute bestehen, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt und in der Familie. Das gilt auch für die Länder der Europäischen Union.
Mit dem Amsterdamer Vertrag 1999 erhielt die Gleichstellungspolitik der Europäischen Union eine rechtliche Grundlage. Die konkreten Maßnahmen sind in den einzelnen europäischen Staaten jedoch national geregelt (z. B. Frauenförderung, Gleichstellungsbeauftragte).
Geschlechts- spezifische Benach- teiligungen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt | Europäische Union | Bundesrepublik Deutschland |
geringeres Einkommen | Frauen verdienen bei gleicher Arbeitszeit im Durchschnitt 15 % weniger als Männer. | 22 % weniger |
mehr Langzeit- arbeitslose | Die Langzeitarbeits- losenquote von Frauen ist um 2 % höher als bei Männern. | 1 % höher |
mehr Teilzeit- beschäftigung | 33 % der Frauen arbeiten in Teilzeit, aber nur 8 % der Männer. | 45 % der Frauen, 9 % der Männer |
weniger Entscheidungs- und Führungs- positionen in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik | 24 % der Parlamentssitze, 32 % der wirtschaftlichen Führungspositionen, 15 % der Professuren werden von Frauen besetzt. | 32 % der Parlamentssitze, 22 % der wirtschaftlichen Führungs- positionen, 13 % der Professuren |
Eine wichtige Ursache dieser Ungleichheiten liegt in der eingeschränkten Berufswahl junger Frauen, die sich weniger für technikorientierte, naturwissenschaftliche und innovative Berufe in wachsenden Zukunftsbranchen (z. B. neue Technologien) entscheiden. Junge Frauen und Männer wählen nach wie vor überwiegend „Frauen-“ bzw. „Männerberufe“. Statistisch gesehen handelt es sich dann um „Frauen-“ oder „Männerberufe“, wenn 80 % oder mehr Frauen bzw. Männer die Erwerbspositionen in einem bestimmten Beruf besetzen.
typische „Frauenberufe“ | typische „Männerberufe“ |
Berufe in den Bereichen Erziehung/Pädagogik, Gesundheit, Soziales (z. B. Kindergärtnerin, Krankenschwester, Altenpflegerin), Büro und Einzelhandel (Verkaufspersonal), Reinigungsbereich | Berufe in den Bereichen Technik, Elektronik, Mechanik, Ingenieur- und Bauwesen, Maschinenbau (z. B. Kfz-Mechaniker, Industriemechaniker, Informatiker, Ingenieur), Naturwissenschaften, Verkehrswesen |
Die Unterscheidung in „Frauen- und Männerberufe“ beruht auch auf traditionellen Rollenbildern über die geschlechtsspezifische „Eignung“ für bestimmte Berufe (körperliche und intellektuelle Fähigkeiten, soziale Kompetenzen). Viele Tätigkeiten in typischen „Frauenberufen“ ähneln unbezahlten Tätigkeiten im privaten Haushalt (Hausarbeit, Kindererziehung, Pflege). Sie sind häufig gesellschaftlich weniger anerkannt und werden geringer entlohnt.
Eine Hauptursache für die Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt liegt in der ungleichen Verteilung der Aufgaben innerhalb der Familie.
In der Familie ist die gleichberechtigte, partnerschaftliche Aufteilung der Aufgaben noch nicht erreicht, nach wie vor dominiert die Zuständigkeit der Frau für Haushalt und Kindererziehung.
Einerseits ist die Erwerbstätigkeit der Frauen selbstverständlich geworden, andererseits übernehmen Frauen auch weiterhin Verantwortung für Familie und Kinder. Mögliche Folgen oder Gefahren sind:
Vereinbarkeit von Familie und Beruf bleibt ein Frauenproblem. Die steigende Erwerbsquote von Frauen hat bereits erhebliche Auswirkungen auf die Geburtenrate in Deutschland. Frauen bekommen im Durchschnitt in immer höherem Alter immer weniger Kinder (niedrige Geburtenrate).
In Deutschland wählen die meisten Frauen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie das „Dreiphasenmodell“:
In der Erwerbsphase entscheiden sie sich überwiegend für Teilzeitarbeit, die jedoch weniger Aufstiegs- und Karrierechancen bietet. Dagegen orientieren sich die meisten Männer am erwerbszentrierten Lebenslaufmodell (berufliche Karriere und Vollzeit-Stelle) und setzen Familienarbeit und Kindererziehung in Verantwortung der Frau voraus.
Die Mehrheit der Frauen orientiert sich am Bild der modernen, emanzipierten Frau. Aspekte des traditionellen Frauenbildes (z. B. Mutterrolle) werden mit neuen Werten, wie Karriereorientierung, neue Pädagogik in der Kindererziehung kombiniert. Die Mehrheit der Männer akzeptiert zwar die neue Frauenrolle, orientiert sich selbst aber überwiegend noch am traditionellen männlichen Rollenbild, was sich z. B. in der geringen Inanspruchnahme der Elternzeit zeigt. Zudem sind Politik und Wirtschaft, insbesondere Arbeits- und Berufswelt, nach wie vor an männlichen Lebens- und Verhaltensmustern ausgerichtet.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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