- Lexikon
- Politik/Wirtschaft
- 2 Demokratie in Deutschland
- 2.1 Grundgesetz und Verfassungsprinzipien
- 2.1.2 Verfassungskern und Grundprinzipien
- Föderalismus und Subsidiarität
Föderalismus (abgeleitet aus lat. „foedus“ = Bund) bedeutet so viel wie „Bündnis“ oder „Vertrag“. Im Allgemeinen steht der Begriff für ein Ordnungsprinzip, bei dem sich weitgehend unabhängige Einheiten zu einer umfassenderen größeren Einheit zusammenschließen (z. B. mehrere Vereine zu einem Verband). Politisch und verfassungsrechtlich beschreibt Föderalismus ein staatliches Organisationsprinzip: Ein föderal organisierter Staat besteht aus Einzelstaaten – auch Gliedstaaten genannt – und einem Gesamt- oder Bundesstaat. Die staatlichen Aufgaben werden zwischen den verschiedenen Ebenen aufgeteilt, was in der Regel in der Verfassung festgelegt ist. Die Einzelstaaten sind dem Bundesstaat nachgeordnet, wirken jedoch an der politischen Willensbildung des Bundes mit und besitzen Staatscharakter in Form von Gesetzgebungs-, Verwaltungs- oder Rechtsprechungskompetenzen.
Föderale Systeme existieren in verschiedenen Formen und stehen in einem Spannungsfeld zwischen einer Allianz (lose Verbindung von Staaten) auf der einen Seite und dem Einheitsstaat (zentral organisierte Staatsgewalt) auf der anderen Seite des Spektrums. Zwischen diesen beiden Polen liegen der Staatenbund – auch Konföderation genannt – und der Bundesstaat. Beide unterscheiden sich im Grad der Selbständigkeit der Gliedstaaten gegenüber dem Zentrum und können wiederum in verschiedenen Variationen auftreten.
Als Vorteile föderaler Systeme gelten z. B. eine bessere demokratische Partizipation und ein stärkerer Schutz von Minderheiten, die Möglichkeit einer besseren Problemlösung durch Wettbewerb und größere Potenziale für kulturelle Vielfalt. Nachteile ergeben sich vor allem aus einem höheren Abstimmungsbedarf und Reibungsverlusten zwischen den verschiedenen politischen Ebenen.
Generelle Kennzeichen föderaler Systeme sind:
Der Föderalismus der Bundesrepublik Deutschland ist in der Verfassung als Organisationsprinzip der staatlichen Ordnung festgelegt:
„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ (Art. 20 Abs. 1 GG).
Im Grundgesetz sind auch die Zuständigkeiten von Bund und Ländern geregelt bzw. die Verteilung der staatlichen Aufgaben zwischen
Seit der deutschen Einheit umfasst die Bundesrepublik Deutschland 16 Bundesländer (Gliedstaaten):
Im Bundesrat (Bild 2) sitzen je nach Einwohnerzahl drei bis sechs Regierungsvertreter der Bundesländer, sodass man auch von der Länderkammer sprechen kann. Über den Bundesrat haben die Länder die Möglichkeit, Einfluss auf diejenigen Gesetze zu nehmen, die zur Verabschiedung einer Mehrheit im Bundesrat bedürfen. Derzeit sind ca. 60 % der Bundesgesetze zustimmungspflichtig.
Der bundesdeutsche Föderalismus ist stufenförmig von kleineren zu größeren Einheiten aufgebaut:
Die Aufteilung der Rechte und Pflichten erfolgt über das Prinzip der Subsidiarität:
Demnach sollen die staatlichen Aufgaben auf möglichst niedriger politischer Ebene – und damit bürgernah – wahrgenommen werden, d. h. nur jene Aufgaben sind der jeweils nächsthöheren Ebene zu überlassen, die über die spezifischen Interessen und Wirkungsmöglichkeiten der kleineren Einheit hinausgehen. Das bedeutet z. B., dass der Bund möglichst nur dann Regelungskompetenz beanspruchen soll, wenn ein Politikbereich auf der Ebene der Länder nicht oder nicht effektiv geregelt werden kann – z. B. weil das Problem von der Dimension her die Möglichkeiten der Länder übersteigt oder bundesweit einheitlich geregelt werden muss.
Der Grundgedanke der Subsidiarität (von lat. subsidium = Hilfe) reicht historisch weit zurück und zeigt verschiedene politische, philosophische und theologische Ausprägungen. Eine besondere Stellung nimmt diese Idee in der Katholischen Soziallehre ein: Demnach ist jeder Mensch grundsätzlich für seine eigenen Geschicke verantwortlich, und ihm soll erst dann geholfen werden, wenn er selbst an seine Grenzen stößt. Die Hilfe ist zuerst von der nächstgrößeren sozialen Einheit (Familie, Gemeinschaft) zu leisten, erst danach vom Staat.
Neben der horizontalen Gewaltenteilung einer rechtsstaatlichen Demokratie (Legislative, Exekutive, Judikative) existiert in der Bundesrepublik Deutschland damit auch die vertikale Gewaltenteilung des Föderalismus, die sich auf das Verhältnis zwischen den verschiedenen politischen Ebenen bezieht (Beschränkung und Kontrolle politischer Macht durch die Aufteilung auf verschiedene Ebenen). Einige Bereiche der Politik werden exklusiv vom Bund verantwortet, andere exklusiv von den Ländern. In einem dritten Bereich teilen sich beide die Kompetenzen. Insgesamt liegt das Schwergewicht der Gesetzgebung beim Bund, das der Gesetzesausführung bei den Ländern.
Durch die Mitgliedschaft in der Europäischen Union hat die Bundesrepublik Deutschland zudem Kompetenzen an die europäische Ebene abgegeben, vor allem in den Bereichen Handels- und Wettbewerbspolitik, Währungs- und Geldpolitik, Landwirtschaft und Umweltschutz.
Die bundesstaatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ist zwar als unveränderliches Staatsstrukturprinzip in der Verfassung festgelegt (Art. 79 GG), kann in ihrer Ausgestaltung (z. B. Kompetenzen zwischen Bund und Ländern) aber durch Gesetze verändert werden. In historischer Entwicklung zeigt sich eine zunehmende Verflechtung der politischen Entscheidungsebenen (Kooperationen zwischen Ländern und Bund oder zwischen Ländern): Tendenziell haben die Länder Gesetzgebungskompetenzen an den Bund abgegeben und im Gegenzug Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Gesetzgebung des Bundes erhalten. In der politischen Praxis hat sich im Zusammenwirken von Bund und Ländern ein „kooperativer Föderalismus“ entwickelt, der teilweise zu einer Verwischung der Kompetenzen führte und in vielen Fällen keine klare Trennung der Souveränitätssphären mehr möglich macht. Diese Entwicklung wurde von Politikwissenschaftlern auch kritisch als „Politikverflechtung“ bezeichnet, um darauf hinzuweisen, dass diese Form der Kooperation
Die Verfassungsreform 1994 nach der Deutschen Einheit hat im Ergebnis die Länder gestärkt (v. a. im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen, Art. 75 Abs. 2 GG).
Entsprechend der föderalen Staatsorganisation ist das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland aufgebaut: In den verschiedenen Rechtsgebieten (Gerichtsbarkeiten) bestehen in Bund und Ländern jeweils eigene Gerichte. In einem Konfliktfall (zwischen Staat und Bürgern oder Streitfällen zwischen Bürgern) sind zunächst die Gerichte des Landes zuständig (erste und zweite Instanz). Die Bundesgerichte sind oberste (dritte) Instanz der Gerichtsbarkeiten. Auch die Verfassungsgerichtsbarkeit ist in die Ebenen von Bund und Land (Bundesverfassungsgericht, Landesverfassungsgerichte) aufgeteilt, wobei alle diese Instanzen der Justiz unabhängig von Weisungen der Politik sind.
In Bereichen, in denen die Länder über eigene Gesetzgebungskompetenzen verfügen (z. B. Bildung) sind unterschiedliche gesetzliche Regelungen zwischen einzelnen Bundesländern möglich (z. B. verschiedene Bestimmungen für Abiturprüfungen in Berlin und Bayern). Die rechtliche Vielfalt ist jedoch begrenzt, da der Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes in vielen Politikfeldern einheitliche rechtliche Regelungen erforderlich macht.
Zusammensetzung des Bundesrates
Durch die Finanzreform von 1969 wurde mit Zustimmung der Länder ein Großer Steuerverbund geschaffen, wonach ertragreiche Steuern wie
zu Gemeinschaftssteuern von Bund und Ländern wurden. Die Länder traten dabei wesentliche Rechte zur Erhebung von Steuern an den Bund ab. Nach der damals beschlossenen Finanzverfassung erhalten Bund, Länder und Gemeinden jeweils ein Viertel des gesamten Steueraufkommens. Das verbleibende Viertel gelangt in einen gemeinsamen Topf, der dann wiederum nach einem bestimmten Verteilungsschlüssel auf die drei Ebenen verteilt wird.
In der Bundesrepublik Deutschland existiert nicht nur ein vertikaler Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, sondern zudem ein horizontaler Finanzausgleich: ein System finanzieller Unterstützung der Länder untereinander. Nach diesem Finanzausgleichssystem – oft auch Länderfinanzausgleich (Bild 3) genannt – unterstützen die „reicheren“ Länder die „ärmeren“. Grundlage für die Definition von reich und arm ist das Verhältnis der Einnahmen der Länder zu ihrer Bevölkerungszahl. Im Jahr 2000 standen den fünf „Geberstaaten“
elf „Nehmerstaaten“ gegenüber. Die Reformierung dieses Verteilungssystems wurde wiederholt gefordert. Die gegenwärtig geltende Regelung aus dem Jahr 2001 gilt bis 2019.
Mit dem Prozess der europäischen Integration ist eine neue politische Ebene neben Kommune, Land und Bund entstanden, was mit erheblichen Auswirkungen auf die föderale Struktur und das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland verbunden ist. Bund und Länder haben Kompetenzen an die Europäische Union abgegeben. Insgesamt stehen EU und Mitgliedstaaten vor der Herausforderung, die Zuständigkeiten und Mitwirkungsmöglichkeiten der verschiedenen politischen Ebenen rechtlich zu regeln. Im Fall des föderalen Bundesstaats Deutschland geht es dabei um die Ebenen
Der 1993 in Kraft getretene Vertrag über die Europäische Union (Maastrichter Vertrag) hat erste Regelungen zu den Kompetenzen der Mitgliedsstaaten festgelegt und das Subsidiaritätsprinzip im EU-Kontext verankert. Allerdings wurde – wie auch im Vertrag von Amsterdam (1999) – die subnationale Ebene nicht explizit erwähnt, sondern nur nur auf die europäische Ebene (EU) und die nationale Ebene (Mitgliedstaaten) Bezug genommen. Die Gliedstaaten der föderalen EU-Staaten (Deutschland, Belgien und Österreich) sind im Ausschuss der Regionen vertreten, der jedoch lediglich beratenden Charakter ohne weit reichende Mitwirkungsrechte besitzt und kein eigenständiges und unabhängiges Gremium darstellt. Im Ausschuss sitzen zudem Repräsentanten der so genannten „Regionen“ („Europa der Regionen“), die zumeist grenzüberschreitende regionale oder kommunale Gebietskörperschaften sind und im Unterschied zu den Bundesländern keine Gesetzgebungskompetenz haben (und daher in der Regel auch nicht die gleichen Interessen und Forderungen). Der Einfluss der Bundesländer ist also begrenzt, weil nur ein kleiner Teil der maximal 350 Mitglieder des Ausschusses von den Gliedstaaten gestellt wird.
Im „Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa“, der im Juni 2003 vom Europäischen Konvent im Konsensverfahren angenommen wurde, steht in Artikel 9 Absatz 3 über die Grundprinzipien der EU:
„Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend erreicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser erreicht werden können.“
Explizit ist im „Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit“ den „nationalen Parlamenten“ oder den „verschiedenen Kammern nationaler Parlamente“ die Möglichkeit eingeräumt, eine Stellungnahme zu einem Gesetzesvorhaben der EU-Kommission abzugeben. Die Regierungen konnten sich jedoch nicht auf die Verabschiedung des Entwurfs einigen. 2007 wurde beschlossen, Inhalte des Verfassungsvertrags in ein erneuertes Vertragswerk zu übernehmen („Vertrag von Lissabon“).
Länderfinanzausgleich im Jahr 2005
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