Entwicklung und Bedeutung des Grundgesetzes der BRD

Drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Beginn der Besatzung Deutschlands waren die politischen Differenzen zwischen den drei westlichen Siegermächten

  • USA,
  • England und
  • Frankreich

und der Sowjetunion

so tief greifend geworden, dass ein Konsens über die zukünftige Entwicklung Deutschlands ausgeschlossen war. Die westlichen Alliierten legten entsprechend ihrer gemeinsamen Deutschlandpolitik fest, dass auf dem Gebiet der drei westlichen Besatzungszonen ein föderaler, freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat entstehen sollte. Es wurde eine Verfassung ausgearbeitet – in den Grundzügen durch einen Sachverständigenausschuss, in der Endfassung durch den Parlamentarischen Rat.

Der Parlamentarische Rat tagte von September 1948 bis Mai 1949 in Bonn und bestand aus 65 Abgeordneten aller Parteien, die von den Landtagen der 11 westdeutschen Länder entsandt worden waren. Der CDU-Politiker KONRAD ADENAUER wurde zum Präsidenten des Rates gewählt.

Die Verfassung eines Staates regelt die Grundzüge der politischen Ordnung. Sie enthält grundlegende Gesetze über

  • die Organisation,
  • Funktionen und
  • Ziele des Staates sowie
  • die Rechte des Einzelnen.

Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland wird als Grundgesetz (GG) bezeichnet.
Vor dem Hintergrund der deutschen Teilung wurde die Verfassung als Zwischenlösung bis zur Wiedervereinigung mit dem östlichen Teil aufgefasst. Um den provisorischen Charakter zu verdeutlichen, wurde statt des staatsrechtlichen Begriffs „Verfassung“ die Bezeichnung „Grundgesetz“ gewählt.

  • Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz als Verfassung verkündet und damit die Bundesrepublik Deutschland gegründet.
    Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland folgte
  • am 7. Oktober 1949 die Errichtung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) in der Sowjetischen Besatzungszone.
  • Durch den Abschluss des Einigungsvertrages zwischen den beiden deutschen Staaten am 31. August 1990 gilt das Grundgesetz seit dem 3. Oktober 1990 für ganz Deutschland.

Die politische, wirtschaftliche und soziale Einheit wurde nicht durch die Ausarbeitung einer neuen Verfassung vollzogen (nach Art. 146), sondern durch den Beitritt der ostdeutschen Bundesländer zum Geltungsbereich des Grundgesetzes (nach Art. 23).

Bedeutung und Aufbau des Grundgesetzes

Das Grundgesetz hat als Verfassungsgesetz Vorrang vor allen anderen Gesetzen. Es ist die oberste Richtschnur politischen Handelns. In schriftlicher Form ist es in einer Verfassungsurkunde niedergelegt.
Die Kernaufgabe des Staates ist der Schutz der Grundrechte, die auch nicht durch eine Verfassungsänderung beseitigt werden können. Eine Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesländern erarbeitete 1992/1993 umfassende Vorschläge für Verfassungsänderungen, die 1994 aber nur zum Teil verabschiedet wurden.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik ist in 14 Abschnitte gegliedert, denen eine Präambel vorangestellt ist.

AbschnittArtikelRegelungen betreffen
IArt. 1–19Grundrechte
IIArt. 20–37Staatsaufbau, Verhältnis von Bund und Ländern
III–VIArt. 38–69Verfassungsorgane: Bundestag, Bundesrat, Gemeinsamer Ausschuss, Bundespräsident und Bundesregierung
VIIArt. 70–82Gesetzgebung des Bundes
VIII + VIIIaArt. 83–91bAusführung der Bundesgesetze,
Bundesverwaltung und Gemeinschaftsaufgaben
IXArt. 92–104Rechtsprechung
XArt. 104a–115Finanzen
XaArt. 115a–115lVerteidigungsfall
XIArt. 116–146Übergangs- und Schluss-
bestimmungen

Lehren aus historisch-politischen Erfahrungen

Das Grundgesetz von 1949 zieht Konsequenzen aus historisch-politischen Erfahrungen:

Scheitern der ersten deutschen Demokratie („Weimarer Republik“) und ihrer Verfassung von 1919Erfahrung der totalitären Diktatur des Nationalsozialismus und ihrer Missachtung der Rechte des IndividuumsErfahrung des geteilten Deutschlands und der sozialistischen Diktaturen in der Sowjetunion und den Staaten Ost- und Mitteleuropas

Bei der Ausarbeitung einer neuen Verfassung spielte die historische Erfahrung der ersten deutschen Demokratie – der Weimarer Republik – eine besondere Rolle. In der Verfassung der Weimarer Republik waren bereits wesentliche Elemente eines demokratischen, rechtsstaatlichen Systems vorhanden, so

  • der Grundsatz der Volkssouveränität,
  • die Prinzipien von Gewaltenteilung und
  • unabhängiger Rechtsprechung,
  • Parteienvielfalt,
  • Wahlen und
  • ein Grundrechtskatalog.

Die Weimarer Verfassung beinhaltete aber keine institutionellen Sicherungen gegen die Feinde der Demokratie und konnte von ihren Gegnern (legal) missbraucht werden. Deshalb sollten im Grundgesetz die wesentlichen Aspekte einer freiheitlichen Demokratie klar und verbindlich als wirkungsvolle Basis für ein stabiles demokratisches System definiert werden. Die Lehren aus dem Scheitern der „Weimarer Republik“ wurden deshalb direkt in die Verfassung von 1949 eingearbeitet.

Weimarer VerfassungVerfassung der Bundesrepublik
parlamentarisch-autoritäres
Präsidialsystem
parlamentarisch-repräsentative
Demokratie
weit reichende Verfassungsänderungen und Grundrechtsaufhebungen durch Notverordnungen möglichunveränderliche Kernprinzipien; feste Verankerung von institutionellen Sicherungen gegen die Feinde der Demokratie
Machtfülle des Reichspräsidenten (direkt vom Volk gewählt) mit umfassenden Kompetenzenbeschränkte Befugnisse des Bundespräsidenten mit überwiegend repräsentativer Funktion (nicht direkt von der Bevölkerung gewählt)
schwache Position des Reichskanzlers – absetzbar durch einfache Mehrheitstarke Stellung des Bundeskanzlers – Sturz nur bei gleichzeitiger Neuwahl eines Nachfolgers
schwaches Parlament – kann
vom Präsidenten „übergangen“ werden
starkes Parlament – Regierung ist dem Bundestag rechenschaftspflichtig
reines Verhältniswahlrecht
(zahlreiche Splitterparteien im Parlament)
Verhältniswahl (über Landes-
listen), verbunden mit direkter Personenwahl und Fünf-Prozent-Hürde
Verfahren direkter Demokratie (Volksbegehren und -entscheide)keine plebiszitären Elemente wie beispielsweise Volksentscheide auf Bundesebene

Verfassungsänderungen

Das Grundgesetz hat Vorrang vor allen anderen Rechtsnormen. Verfassungsänderungen bedürfen deshalb eines Gesetzes, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt (Art. 79 Abs. 1).
Um auf politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandel reagieren zu können, sieht das Grundgesetz die Möglichkeit der Verfassungsänderung vor (Art. 79 Abs. 2).

Im Unterschied zur einfachen Gesetzgebung gelten bei verfassungsändernden Gesetzen erschwerte Bedingungen.

  • Sie brauchen jeweils die Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit sowohl im Bundestag wie auch im Bundesrat.
  • Grundsätzlich dürfen die Grundrechte nicht „in ihrem Wesensgehalt angetastet“ werden (Art. 19 Abs. 29).
  • Die elementaren Verfassungsgrundsätze (Art. 1 und Art. 20) können prinzipiell nicht geändert werden (nach Art. 79 Abs. 3).

Offenheit des Grundgesetzes

Das Grundgesetz ist bindend für die Staatsgewalt, will aber nicht alle Themen bis ins Detail regeln.
Bei der Auslegung der Gesetze bestehen Spielräume für den konkreten politischen Prozess und die gesellschaftliche Entwicklung. Das wird als Offenheit des Grundgesetzes bezeichnet.

Das Uneindeutige des Verfassungstextes ist über Interpretationen zu bestimmen: Die Verfassung wird anhand eines konkreten Falles ausgelegt. Das Grundgesetz kann (rechts-)wissenschaftlich interpretiert werden, z. B. über Verfassungskommentare. Rechtlich bindend sind aber nur Auslegungen

  • des Gesetzgebers – durch Gesetze – oder
  • der Rechtsprechung – durch Urteile.

Oberste Instanz ist das Bundesverfassungsgericht, das die Interpretation des Grundgesetzes verbindlich vorgibt.

Verfassungskern und Grundprinzipien

Das Grundgesetz beinhaltet mit Art. 79 Abs. 3 eine „Ewigkeitsklausel“, die Veränderungen der grundlegenden Werte und Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ausschließt. Damit sollen die Selbstabschaffung der Demokratie sowie die Verletzung von Menschen- und Freiheitsrechten verhindert werden.
Zum unveränderlichen Verfassungskern gehören:

  • die Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1) und die daraus abgeleiteten Grundrechte,
  • die Prinzipien von Republik und Demokratie, Rechts-, Bundes- und Sozialstaat (Art. 20).

1994 wurde das Grundgesetz um das Staatsziel „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ (Art. 20a) erweitert, das ebenfalls der Veränderung entzogen ist.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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