- Lexikon
- Politik/Wirtschaft
- 2 Demokratie in Deutschland
- 2.1 Grundgesetz und Verfassungsprinzipien
- 2.1.1 Entstehung und Entwicklung des Grundgesetzes
- Entwicklung und Bedeutung des Grundgesetzes der BRD
Drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Beginn der Besatzung Deutschlands waren die politischen Differenzen zwischen den drei westlichen Siegermächten
und der Sowjetunion
so tief greifend geworden, dass ein Konsens über die zukünftige Entwicklung Deutschlands ausgeschlossen war. Die westlichen Alliierten legten entsprechend ihrer gemeinsamen Deutschlandpolitik fest, dass auf dem Gebiet der drei westlichen Besatzungszonen ein föderaler, freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat entstehen sollte. Es wurde eine Verfassung ausgearbeitet – in den Grundzügen durch einen Sachverständigenausschuss, in der Endfassung durch den Parlamentarischen Rat.
Der Parlamentarische Rat tagte von September 1948 bis Mai 1949 in Bonn und bestand aus 65 Abgeordneten aller Parteien, die von den Landtagen der 11 westdeutschen Länder entsandt worden waren. Der CDU-Politiker KONRAD ADENAUER wurde zum Präsidenten des Rates gewählt.
Die Verfassung eines Staates regelt die Grundzüge der politischen Ordnung. Sie enthält grundlegende Gesetze über
Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland wird als Grundgesetz (GG) bezeichnet.
Vor dem Hintergrund der deutschen Teilung wurde die Verfassung als Zwischenlösung bis zur Wiedervereinigung mit dem östlichen Teil aufgefasst. Um den provisorischen Charakter zu verdeutlichen, wurde statt des staatsrechtlichen Begriffs „Verfassung“ die Bezeichnung „Grundgesetz“ gewählt.
Die politische, wirtschaftliche und soziale Einheit wurde nicht durch die Ausarbeitung einer neuen Verfassung vollzogen (nach Art. 146), sondern durch den Beitritt der ostdeutschen Bundesländer zum Geltungsbereich des Grundgesetzes (nach Art. 23).
Das Grundgesetz hat als Verfassungsgesetz Vorrang vor allen anderen Gesetzen. Es ist die oberste Richtschnur politischen Handelns. In schriftlicher Form ist es in einer Verfassungsurkunde niedergelegt.
Die Kernaufgabe des Staates ist der Schutz der Grundrechte, die auch nicht durch eine Verfassungsänderung beseitigt werden können. Eine Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesländern erarbeitete 1992/1993 umfassende Vorschläge für Verfassungsänderungen, die 1994 aber nur zum Teil verabschiedet wurden.
Das Grundgesetz der Bundesrepublik ist in 14 Abschnitte gegliedert, denen eine Präambel vorangestellt ist.
Abschnitt | Artikel | Regelungen betreffen |
I | Art. 1–19 | Grundrechte |
II | Art. 20–37 | Staatsaufbau, Verhältnis von Bund und Ländern |
III–VI | Art. 38–69 | Verfassungsorgane: Bundestag, Bundesrat, Gemeinsamer Ausschuss, Bundespräsident und Bundesregierung |
VII | Art. 70–82 | Gesetzgebung des Bundes |
VIII + VIIIa | Art. 83–91b | Ausführung der Bundesgesetze, Bundesverwaltung und Gemeinschaftsaufgaben |
IX | Art. 92–104 | Rechtsprechung |
X | Art. 104a–115 | Finanzen |
Xa | Art. 115a–115l | Verteidigungsfall |
XI | Art. 116–146 | Übergangs- und Schluss- bestimmungen |
Das Grundgesetz von 1949 zieht Konsequenzen aus historisch-politischen Erfahrungen:
Scheitern der ersten deutschen Demokratie („Weimarer Republik“) und ihrer Verfassung von 1919 | Erfahrung der totalitären Diktatur des Nationalsozialismus und ihrer Missachtung der Rechte des Individuums | Erfahrung des geteilten Deutschlands und der sozialistischen Diktaturen in der Sowjetunion und den Staaten Ost- und Mitteleuropas |
Bei der Ausarbeitung einer neuen Verfassung spielte die historische Erfahrung der ersten deutschen Demokratie – der Weimarer Republik – eine besondere Rolle. In der Verfassung der Weimarer Republik waren bereits wesentliche Elemente eines demokratischen, rechtsstaatlichen Systems vorhanden, so
Die Weimarer Verfassung beinhaltete aber keine institutionellen Sicherungen gegen die Feinde der Demokratie und konnte von ihren Gegnern (legal) missbraucht werden. Deshalb sollten im Grundgesetz die wesentlichen Aspekte einer freiheitlichen Demokratie klar und verbindlich als wirkungsvolle Basis für ein stabiles demokratisches System definiert werden. Die Lehren aus dem Scheitern der „Weimarer Republik“ wurden deshalb direkt in die Verfassung von 1949 eingearbeitet.
Weimarer Verfassung | Verfassung der Bundesrepublik |
parlamentarisch-autoritäres Präsidialsystem | parlamentarisch-repräsentative Demokratie |
weit reichende Verfassungsänderungen und Grundrechtsaufhebungen durch Notverordnungen möglich | unveränderliche Kernprinzipien; feste Verankerung von institutionellen Sicherungen gegen die Feinde der Demokratie |
Machtfülle des Reichspräsidenten (direkt vom Volk gewählt) mit umfassenden Kompetenzen | beschränkte Befugnisse des Bundespräsidenten mit überwiegend repräsentativer Funktion (nicht direkt von der Bevölkerung gewählt) |
schwache Position des Reichskanzlers – absetzbar durch einfache Mehrheit | starke Stellung des Bundeskanzlers – Sturz nur bei gleichzeitiger Neuwahl eines Nachfolgers |
schwaches Parlament – kann vom Präsidenten „übergangen“ werden | starkes Parlament – Regierung ist dem Bundestag rechenschaftspflichtig |
reines Verhältniswahlrecht (zahlreiche Splitterparteien im Parlament) | Verhältniswahl (über Landes- listen), verbunden mit direkter Personenwahl und Fünf-Prozent-Hürde |
Verfahren direkter Demokratie (Volksbegehren und -entscheide) | keine plebiszitären Elemente wie beispielsweise Volksentscheide auf Bundesebene |
Das Grundgesetz hat Vorrang vor allen anderen Rechtsnormen. Verfassungsänderungen bedürfen deshalb eines Gesetzes, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt (Art. 79 Abs. 1).
Um auf politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandel reagieren zu können, sieht das Grundgesetz die Möglichkeit der Verfassungsänderung vor (Art. 79 Abs. 2).
Im Unterschied zur einfachen Gesetzgebung gelten bei verfassungsändernden Gesetzen erschwerte Bedingungen.
Das Grundgesetz ist bindend für die Staatsgewalt, will aber nicht alle Themen bis ins Detail regeln.
Bei der Auslegung der Gesetze bestehen Spielräume für den konkreten politischen Prozess und die gesellschaftliche Entwicklung. Das wird als Offenheit des Grundgesetzes bezeichnet.
Das Uneindeutige des Verfassungstextes ist über Interpretationen zu bestimmen: Die Verfassung wird anhand eines konkreten Falles ausgelegt. Das Grundgesetz kann (rechts-)wissenschaftlich interpretiert werden, z. B. über Verfassungskommentare. Rechtlich bindend sind aber nur Auslegungen
Oberste Instanz ist das Bundesverfassungsgericht, das die Interpretation des Grundgesetzes verbindlich vorgibt.
Das Grundgesetz beinhaltet mit Art. 79 Abs. 3 eine „Ewigkeitsklausel“, die Veränderungen der grundlegenden Werte und Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ausschließt. Damit sollen die Selbstabschaffung der Demokratie sowie die Verletzung von Menschen- und Freiheitsrechten verhindert werden.
Zum unveränderlichen Verfassungskern gehören:
1994 wurde das Grundgesetz um das Staatsziel „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ (Art. 20a) erweitert, das ebenfalls der Veränderung entzogen ist.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
Ein Angebot von