2. Armuts und Reichtumsbericht der Bundesregierung (2005)
Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht (siehe PDF "Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung") basiert entsprechend auf einem relativen Armutsbegriff, der Armut als eine „auf den mittleren Lebensstandard bezogene Benachteiligung“ auffasst. Zugrundegelegt wird die zwischen den EU-Staaten vereinbarte Definition der „Armutsrisikoquote“ (Anteil der Personen in Haushalten, deren „bedarfsgewichtetes Nettoäquivalenzeinkommen“ weniger als 60 % des Mittelwerts aller Personen beträgt). Dieser definierte Abstand vom gesellschaftlichen Mittelwert kann sich als benachteiligte Lebenslage auf verschiedene Weise äußern:
- als relative Unterversorgung mit Ressourcen,
- als unterdurchschnittlicher Lebensstandard,
- als Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben („Exklusion“).
Die Analyse der Daten orientiert sich am Konzept der „Teilhabe- und Verwirklichungschancen“ des Wirtschaftswissenschaftlers und Nobelpreisträgers AMARTYA SEN, was im Bericht wie folgt zusammengefasst wird:
„Armut ist dann gleichbedeutend mit einem Mangel an Verwirklichungschancen, Reichtum mit einem sehr hohen Maß an Verwirklichungschancen [...] Teilhabe lässt sich an den Chancen und Handlungsspielräumen messen, eine individuell gewünschte und gesellschaftlich übliche Lebensweise zu realisieren."
Ergebnisse des 2. Armuts- und Reichtumsberichts
Allgemeine Einschätzung zur sozialen Lage:
„Deutschland ist ein reiches Land. Der großen Mehrheit der hier lebenden Menschen geht es gut. Aber Armut und Ausgrenzung sind nicht nur Randphänomene, Armutsrisiken können auch die Mitte der Gesellschaft bedrohen. Soziale Ungleichheit ist eine Tatsache, und analog zur Entwicklung am Arbeitsmarkt ist sie in manchen Bereichen in den letzten Jahren gewachsen.“
Armutsrisiko
- Arbeitslosigkeit als Hauptursache von Armut: Zwischen Armutsrisiko und Arbeitslosigkeit zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang. Arbeitslosigkeit ist Hauptursache von Armut. Die Armutsrisikoquote von Arbeitslosen lag 2003 bei 40,9 %, in Haushalten mit einer teilzeiterwerbstätigen Person bei rund 30 %. In Haushalten, in denen mindestens ein Vollzeiterwerbstätiger oder mindestens zwei Teilzeiterwerbstätige leben, lag die Armutsrisikoquote nur noch bei etwa 4 %.
- Gestiegenes und ungleich verteiltes Armutsrisiko: Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung lebt in Bezug auf Einkommen und Lebensstandard in „gesicherten Verhältnissen“. Doch ist das Armutsrisiko zwischen 1998 und 2003 bei den meisten gesellschaftlichen Gruppen gestiegen, insgesamt von 12,1% auf 13,5%. Unterdurchschnittlich ist das Armutsrisiko bei Erwerbstätigen, Selbstständigen und älteren Menschen.
Einkommen, Vermögen und Überschuldung
- Steigende Haushaltsnettoeinkommen: In den alten Bundesländern erhöhte sich das durchschnittliche monatliche Haushaltsnettoeinkommen von 2 686 Euro (1. Halbjahr 1998) auf 2 895 Euro (1. Halbjahr 2003), was einem realen Zuwachs von 1,1 % entspricht. In den neuen Ländern stieg es im gleichen Zeitraum von 2 023 Euro auf 2 233 Euro an und damit real um 3,5 %.
- Wachsende Einkommensungleichheit: Zwischen 1998 und 2003 zeigt sich ein Trend zunehmender Ungleichheit der Bruttoeinkommen.
- Verfestigung von Einkommensarmut: Einkommensarmut ist in den meisten Fällen kein permanenter, sondern ein vorübergehender Zustand: Von 1998 bis 2003 waren nach einem Jahr etwa ein Drittel, nach zwei Jahren etwa zwei Drittel der Phasen relativer Einkommensarmut (vorläufig) beendet. Allerdings bestand für 7 % der Bevölkerung fast durchgehend ein Risiko relativer Einkommensarmut (Gefahr der „Armutskarrieren“ über Generationen).
- Ungleiche Vermögensverteilung: Viele private Haushalte in Deutschland verfügen über sehr hohe Vermögen (2003: insgesamt 5 Billionen Euro). Von 1998 bis 2003 ist das Nettovermögen nominal um rund 17 % gestiegen. Die Vermögenshöhe und -verteilung wird vom Immobilienvermögen dominiert, das etwa 75 % des Gesamtvermögens ausmacht. Doch zeigen sich deutliche Unterschiede in der Vermögensverteilung.
Ausgeprägte Unterschiede bestehen zwischen alten und neuen Ländern: 2003 belief sich das durchschnittliche Privatvermögen in den ostdeutschen Haushalten auf 60 000 Euro; das entspricht nur etwa 40 % des Vermögens westdeutscher Haushalte (149 000 Euro). Allerdings hat sich der Abstand seit Anfang der 1990er-Jahre erheblich verringert: Seit 1993 sind die Nettovermögen ostdeutscher Haushalte nominal um 63 % gewachsen und damit viel stärker als jene westdeutscher Haushalte (+19 %).
Auch innerhalb der Vermögensstruktur zeigt sich in Deutschland eine erhebliche Ungleichverteilung der Privatvermögen: Während die unteren 50 % der Haushalte nur über weniger als 4 % des gesamten Nettovermögens (ohne Betriebsvermögen) verfügen, entfallen auf die vermögendsten 10 % der Haushalte knapp 47 %. Der Anteil des obersten Zehntels ist zwischen 1998 und 2003 um gut zwei Prozentpunkte gestiegen.
- Steigende Zahl überschuldeter Privathaushalte: Die Überschuldung privater Haushalte hat zwischen 1999 und 2002 zugenommen: Die Gesamtzahl erhöhte sich von 2,77 Mio. um 13 % auf 3,13 Mio. 2002 waren von allen Privathaushalten in Deutschland (38,7 Mio.) 8,1 % von Überschuldung betroffen (alte Bundesländer: 7,2 %, neue Länder: 11,3 %); ihr Einkommen und Vermögen reichte also nicht aus, um fällige Forderungen zu begleichen. Hauptursachen für Überschuldung waren Arbeitslosigkeit, dauerhaftes Niedrigeinkommen, Trennung bzw. Scheidung und gescheiterte Selbstständigkeit. In den neuen Ländern waren die Mietschulden ein gravierendes Problem.
Staatliche Unterstützungsleistungen
- Hohe Zahl an Hilfeempfängern: Personen ohne ausreichendes Einkommen und Vermögen erhalten in der Bundesrepublik unter bestimmten Voraussetzungen staatliche Unterstützungsleistungen. 2003 waren in Deutschland 2,81 Mio. Menschen auf staatliche Hilfe angewiesen.
- Erhöhter Hilfebedarf bei Kindern und Alleinerziehenden: Unter den Beziehern staatlicher Unterstützungsleistungen waren Kinder unter 18 Jahren mit rund 1,1 Mio. die weitaus größte Gruppe (Quote 7,2 %, in der Gesamtbevölkerung 3,4 %). Mehr als die Hälfte dieser auf Hilfe angewiesenen Kinder wuchsen in Haushalten von Alleinerziehenden auf. 26,3 % aller alleinerziehenden Frauen bezogen staatliche Unterstützungsleistungen.
Lebenslagen von Familien und Kindern
- Gestiegenes Armutsrisiko für Familien und Kinder: Die meisten Familien lebten 2003 in sicheren materiellen Lebensverhältnissen. Doch haben Familien besondere Lasten und ein erhöhtes Armutsrisiko zu tragen. Im Vergleich zu 1998 war ihre Armutsrisikoquote von 12,6 % auf 13,9 % gestiegen. Das Risiko für Einkommensarmut unter Kindern (bis unter 16 Jahre) hatte ebenfalls zugenommen – von 13,8 % (1998) auf 15 % (2003) – und lag damit höher als in der Gesamtbevölkerung (Anstieg von 12,1 % auf 13,5 %). Wesentliche Armutsrisiken von Familien sind Arbeitslosigkeit und niedrige Erwerbseinkommen.
Bildung
- Bildung und Ausbildung als Schutz vor Armut: Ein guter Bildungs- und Berufsabschluss erweist sich als Prävention vor Armut und Arbeitslosigkeit: Je niedriger der berufliche Ausbildungsabschluss, desto höher die Gefahr der Arbeits- bzw. Dauerarbeitslosigkeit. Fehlende schulische und berufliche Qualifikationen, insbesondere junger Menschen, tragen zu einem erhöhten Armutsrisiko bei. Eine abgeschlossene Schul- und Berufsausbildung ist Grundvoraussetzung für eine Integration in die Berufs- und Arbeitswelt und ermöglicht damit die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
- Hoher Anteil junger Menschen ohne beruflichen Abschluss: 2003 waren 1,36 Mio. bzw. 14,9 % der 20- bis 29-Jährigen ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Sehr viel häufiger und mit steigender Tendenz (ca. 36 %) handelt es sich dabei um Jugendliche ausländischer Herkunft, die vergleichsweise schlechtere Bildungsabschlüsse aufweisen und damit schlechtere Chancen auf dem Ausbildungsmarkt haben als Deutsche. Männer und Frauen ohne beruflichen Ausbildungsabschluss tragen das weitaus größte Risiko, arbeitslos zu werden.
- Geschlechtsspezifische Ungleichheiten bei Bildungsbeteiligung: Obwohl Mädchen und Frauen in den 1990er-Jahren im Hinblick auf die Bildungsbeteiligung erheblich aufgeholt und in vielen Bereichen die Männer überholt haben (zum Teil bessere und höherwertige Bildungsabschlüsse), zeigen sich weiterhin Benachteiligungen im Beschäftigungssystem (geringere Bezahlung, höhere Arbeitslosenquote, weniger Führungspositionen). Ein wesentlicher Grund liegt in Problemen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. in mangelhaften Möglichkeiten der Kinderbetreuung. Dadurch verschlechtern sich die Möglichkeiten weiblicher Erwerbstätigkeit und die Berufschancen von Frauen allgemein.
- Stark ausgeprägter Zusammenhang von Bildungsgrad und sozialer Schicht: Der Zugang zu höherwertigen Schul-, Ausbildungs- und Berufsabschlüssen sowie zum Studium war 2003 stark durch Herkunft, Bildungsstand und berufliche Stellung der Eltern bestimmt. Obwohl sich eine allgemeine Tendenz zu höherwertigen Schulabschlüssen (Fachhochschul-, Hochschulreife) zeigt und der Anteil der Kinder aus Arbeiterfamilien und „bildungsfernen“ Schichten beim Erwerb der Hochschulreife gestiegen ist, bleibt dennoch ein erheblicher Abstand zum Anteil der Kinder aus Familien mit höherem Einkommen und höherer Bildung: Im Vergleich zu einem Facharbeiterkind hat ein Kind aus einem Elternhaus mit hohem sozialen Status eine 2,7-mal höhere Chance auf eine Gymnasialempfehlung. Die Chance, ein Studium zu beginnen, ist für dieses Kind sogar um das 7,4-fache höher als die eines Kindes aus einem Elternhaus mit niedrigem sozialen Status bzw. aus einer einkommensschwachen Schicht.Der Anteil ausländischer Kinder an höheren Bildungsabschlüssen hat sich zwar langfristig verbessert, bleibt aber deutlich unter dem Durchschnitt deutscher Kinder.
Arbeitsmarkt
- Leicht steigende Erwerbstätigenquote: Von 1998 bis 2003 hat die Erwerbstätigenquote leicht zugenommen, von 63,8 % auf 64,9 %. Verursacht wurde dieser Anstieg vor allem durch zunehmende Erwerbstätigkeit in den alten Bundesländern sowie der höheren Anzahl erwerbstätiger Frauen. So stieg die Erwerbstätigenquote der Frauen von 55,5 % (1998) auf 58,8 % (2003). Die erhöhte Erwerbsbeteiligung von Frauen ist jedoch vor allem auf eine Zunahme von Teilzeit- und geringfügigen Beschäftigungen zurückzuführen, die vorwiegend von Frauen übernommen wurden.
- Hohe Arbeitslosenquote: Im Jahr 2004 war die Arbeitslosigkeit auf 4,4 Mio. angestiegen und erreichte damit eine Quote von 11,7 %.
- Ungleiche Verteilung der Arbeitslosigkeit: In den neuen Ländern war die Arbeitslosenquote mit 20,1 % etwa doppelt so hoch wie im früheren Bundesgebiet (9,4 %). Schwerbehinderte Menschen waren nach wie vor überdurchschnittlich stark von Arbeitslosigkeit betroffen. Ungleichheiten zeigen sich aber auch bei Ausländerinnen und Ausländern, die etwa doppelt so häufig arbeitslos sind wie die Gesamtbevölkerung. Die Arbeitslosenquote der unter 25-Jährigen sank zwischen 1998 und 2004 von 11,8 % auf 9,9 % und lag damit unter der Quote aller Arbeitslosen (11,7 %).
- Verfestigung und ungleiche Verteilung von Langzeitarbeitslosigkeit: Der jahresdurchschnittliche Anteil Langzeitarbeitsloser an allen Arbeitslosen stieg bundesweit von 37,4 % (1998) auf 38,4 % (2004). Der Anteil der Langzeitarbeitslosen war unter den Frauen mit 40,5 % höher als bei den Männern (36,7 %), und in den neuen Ländern mit 43,6 % deutlich höher als in den alten Ländern (35,3 %).
Wohnsituation
- Verbesserung des Wohnstandards: Von 1998 bis 2002 hat sich die Versorgung mit ausreichendem und bezahlbarem Wohnraum weiter verbessert und insgesamt einen guten bis sehr guten Standard erreicht. Die Versorgung mit Wohnfläche hat sich auf 41,6 qm pro Person im Jahr 2002 erhöht.
- Entstehung sozialräumlicher Brennpunkte: Trotz der insgesamt positiven Entwicklung der Wohnsituation sind vor allem in Großstädten Problemviertel entstanden, die aus einer sozialräumlichen Konzentration von Arbeitslosigkeit, sozialer Ausgrenzung, Hilfebedürftigkeit und Verwahrlosung des öffentlichen Raums resultieren. In Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und wachsender Bevölkerungsabwanderung sind auch mittlere und kleine Städte zunehmend von dieser Entwicklung betroffen.
Gesundheitliche Situation
- Reformbedürftiges Gesundheitssystem: Deutschland verfügt über ein qualitativ hochwertiges, aber reformbedürftiges Gesundheitssystem. Die gesetzliche Krankenversicherung, in der fast 90 % der Bevölkerung versichert sind, gewährleistet eine umfassende medizinische Versorgung. Strukturelle Mängel, medizinischer Fortschritt und demografische Entwicklung (Überalterung der Gesellschaft) führen jedoch zu steigenden Ausgaben und einer Reformbedürftigkeit des Systems.
- Enger Zusammenhang zwischen Gesundheit und Bildung/Schicht/Einkommen/Beruf: Belastende Lebensumstände wie niedriges Einkommen, geringe Bildung, mangelhafte Wohnsituation oder Arbeitslosigkeit können sich negativ auf Gesundheit, Gesundheitsverhalten und den Zugang zur gesundheitlichen Versorgung auswirken. Insbesondere Arbeitslosigkeit trägt zur Entstehung oder Verstärkung einer Vielzahl von Krankheiten bei. Gesundheitliche Risikofaktoren und Gesundheitsbewusstsein stehen in engem Zusammenhang mit der Schichtzugehörigkeit und dem Bildungsgrad eines Menschen. Insgesamt war die Lebens- und Gesundheitszufriedenheit bei hohem Einkommen und Bildungsstand sowie guter beruflicher Position größer als im unteren Einkommensbereich, bei geringer Bildung und mit niedrigem beruflichen Status.
Situation behinderter Menschen.
- Benachteiligungen von Behinderten auf dem Arbeitsmarkt: Die Lage von behinderten Menschen ist weiterhin geprägt durch soziale Ungleichheiten, z. B. haben sie im Durchschnitt ein geringeres Haushaltsnettoeinkommen als nichtbehinderte Menschen. Ein deutliches Zeichen für die soziale Ausgrenzung der Behinderten zeigt sich in einem beschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. So lag die Arbeitslosenquote schwerbehinderter Menschen 2003 mit 17 % immer noch erheblich höher als die allgemeine Arbeitslosenquote.
Migration und Integration
- Soziale Ungleichheiten der ausländischen Bevölkerung: Die ökonomische und soziale Situation der ausländischen Bevölkerung unterschied sich weiterhin von der Gesamtbevölkerung. Migrantinnen und Migranten waren wegen mangelnder Sprachkenntnisse und fehlender Qualifikationen stärker von Erwerbslosigkeit und sozialer Ausgrenzung betroffen. Die Arbeitslosenquote der Ausländerinnen und Ausländer lag mit 20,4 % (2004) deutlich höher als die der Gesamtbevölkerung (11,7 %). Kinder ausländischer Herkunft hatten vergleichsweise niedrigere Bildungsabschlüsse als deutsche Kinder. Bei ausländischen Jugendlichen zeigte sich eine geringere Ausbildungsbeteiligung, auch war ihr Anteil unter den Jugendlichen ohne Schulabschluss und ohne berufliche Ausbildung deutlich höher. Die geringere Bildungs- und Ausbildungsbeteiligung, aber auch die Defizite im Bereich der beruflichen Qualifikation verringern ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erheblich. Überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit und schlechtes Qualifikationsniveau der ausländischen Bevölkerung zeigen sich unmittelbar in der wirtschaftlichen Situation. So sind ausländische Haushalte viel häufiger als deutsche Haushalte auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen. Der Zusammenhang von mangelhafter Bildung, schlechter beruflicher Qualifikation, geringem Einkommen und Arbeitslosigkeit spiegelt sich auch im Armutsrisiko von Ausländerinnen und Ausländern wider (zwischen 1998 und 2003 stieg das Armutsrisiko von 19,6 % auf 24 % und lag damit deutlich über dem Armutsrisiko der Gesamtbevölkerung).
Obwohl Deutschland zu den wohlhabendsten Länder der Welt gehört, gibt es Personengruppen, bei denen sich nachteilige Lebensbedingungen konzentrieren und die am Rand der Gesellschaft stehen. Extreme Armut von Menschen ist häufig durch eine Anhäufung verschiedener Probleme gekennzeichnet, wie Langzeitarbeitslosigkeit, Einkommensarmut, Wohnungslosigkeit, Drogen- bzw. Suchtmittelgebrauch, häusliche Gewalt, Straffälligkeit sowie gesundheitliche Einschränkungen. In Deutschland lebten 2003 etwa 330 000 Wohnungslose, darunter – nach Schätzungen – 5 000 bis 7 000 Kinder und Jugendliche.
Gesellschaftliche Partizipation und bürgerschaftliches Engagement
- Zusammenhang von Lebenslage (Einkommen, Bildung) und Partizipation: Die Chance der Bürgerinnen und Bürger, politische Entscheidungsprozesse mitzugestalten und am kulturellen und gesellschaftlichen Leben zu partizipieren, zeigt einen deutlichen Zusammenhang mit der Einkommens- und Vermögenslage ebenso wie mit Bildung. Das Maß an politischer Partizipation ist bei Personen aus einkommenschwachen Haushalten geringer als bei Personen mit höherem Einkommen. Sie sind z. B. seltener Mitglied einer Partei, Gewerkschaft oder Bürgerinitiative. Eine ähnliche Tendenz zeigt sich bei einem Vergleich der Personen mit einem Einkommen unterhalb und oberhalb der Armutsrisikogrenze: Unterhalb dieser Schwelle sind 25 % regelmäßig bürgerschaftlich engagiert (oberhalb mehr als ein Drittel), 39 % üben Sport- und Freizeitaktivitäten aus (über dieser Grenze 47 %).
Fazit
„Armut in Deutschland ist eine Tatsache, und soziale Ausgrenzung gibt es auch in diesem reichen und hoch entwickelten Land. [...] Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung kann sich nicht im Ausgleich ökonomischer Ungleichheiten erschöpfen. Ein rein passiver Ausgleich sichert den materiellen Status nur vorübergehend. [...] Deshalb greift ein Verständnis von Armut und Reichtum zu kurz, das sich nur auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse konzentriert. Gewiss gilt: Wer arm ist, ist auch arm an Chancen. Aber umgekehrt gilt auch: Wem Chancen geboten werden, der muss nicht arm bleiben. [...] Sozial gerechte Politik zur Bekämpfung sozialer Ausgrenzung misst sich deshalb nicht nur an der Einkommens- und Vermögensverteilung. Ebenso wichtig ist eine gerechte Verteilung der Befähigungen. [...] Die Verantwortung des Einzelnen besteht darin, diese Chancen und seine Fähigkeiten auch zu nutzen. [...] Chancengerechtigkeit als zentrales Leitbild, sozial gerechte Politik als kontinuierliche Aufgabe, soziale Teilhabe und die Verwirklichung individueller Lebensentwürfe als ehrgeiziges Ziel – das ist der Weg zu einer Gesellschaft, die auf Offenheit und Innovation, auf Engagement und Integration sowie auf Solidarität setzt.“