- Lexikon
- Politik/Wirtschaft
- 4 Gesellschaft im Wandel
- 4.3 Sozialer Wandel
- 4.3.1 Wandel in der Arbeits- und Berufswelt
- Arbeitslosigkeit und ihre sozialen Folgen
Der „Mythos Arbeit“, dessen Grundlagen in der Ideologie der mittelalterlichen Klöster wurzeln, hat sich in den letzten Jahren zum „Mythos der Selbstverwirklichung“ gewandelt. Dieser Wandel wird als ein Wechsel von eher materieller zu eher postmaterieller Wertverwirklichung beschrieben. Gleichzeitig verschiebt sich damit die Orientierung von Pflichtwerten zu Selbstentfaltungswerten. Dabei ist unter Selbstentfaltung ein steigender Anspruch an die Erwerbsarbeit hinsichtlich des Arbeitsinhaltes zu verstehen, aber auch eine stärkere Bedeutung der Freizeit. Freizeit soll neben Erholung auch Zeit für selbst bestimmte, befriedigende Tätigkeiten sein.
Diese Entwicklung ist zu beachten, wenn wir später die Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit genauer ansehen.
Trotz der Verschiebung der Wertorientierungen bleibt Arbeit wesentlicher Bestandteil der Sozialisation. Arbeit bestimmt
Einige Soziologen stehen dieser Entwicklung skeptisch gegenüber. Vor allem für Jugendliche folgern sie, dass sie aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem eingeschränkten Arbeits- und Ausbildungsmarkt nicht zu veränderten Werteinstellungen neigen. Sie sind deshalb viel eher zu Anpassungen bereit.
DAHRENDORF nennt die modernen Gesellschaften Arbeitsgesellschaften.
Als weiteren Aspekt des Wertewandels fügt er hinzu:
„Wenn nicht mehr alle Arbeitswilligen eine Beschäftigung finden, wird Arbeit zu einem raren Gut, das nicht mehr als Last sondern als Privileg betrachtet wird.“
„Das bedeutet, dass nicht wenige Menschen zwar Arbeit finden, aber arm bleiben. Dauerarmut ist das Gegenstück zur Dauerarbeitslosigkeit.“
Das Leitbild der modernen Gesellschaft ist das eines erfolgsorientierten, um Selbstverwirklichung bemühten dynamischen Individuums. Langzeitarbeitslose sind damit unfreiwillig ausgegrenzt von den gesellschaftlichen Entwicklungsräumen für ein tätiges Sein. Auf diese Situation sind die meisten Menschen in keiner Weise vorbereitet. Ihre allgemeinen Normen und Werte waren auf ein anderes Leben ausgerichtet. Die Betroffenen verlieren mit dem Stellenverlust eine wesentliche Quelle der Bestätigung und der sozialen Wertschätzung. Daraus entstehen ihre sozialen und persönlichen Konflikte. Da die Langzeitarbeitslosen trotz steigender Zahlen nicht als Mitglied einer gesellschaftlichen Gruppe, sondern als Individuum (meist noch als versagtes) wahrgenommen werden, wird auch von dem Betroffenen dieses soziale Problem als persönliches Versagen empfunden und erlebt. Damit wird die Verantwortung von der strukturellen auf die individuelle Ebene verwiesen.
Die Reaktion der Arbeitslosen auf ihre Situation ist unterschiedlich. Sie hängt ab:
Die meisten Arbeitslosen erleben ihren Arbeitsverlust äußerst destruktiv. Das drückt sich aus in:
So hat KIRCHLER nach einer Untersuchung festgestellt:
„Nach einer anfänglichen Phase des Schocks sucht der Betroffene noch zuversichtlich nach einem neuen Arbeitsplatz. Nach wiederholten Misserfolgen folgt eine Phase des Pessimismus und der Hoffnungslosigkeit. Angst, Verzweiflung und Ohnmacht sind prägend und führen in die letzte Phase, die durch Fatalismus gekennzeichnet ist.“
Diese letzte Phase führt dann nicht selten zu Alkoholmissbrauch und Drogenkonsum.
Nach Ansicht einiger Soziologen leiden Frauen durch den Stellenverlust weniger. Das betrifft aber vor allem verheiratete oder in Lebensgemeinschaft lebende Frauen. Diese leiden weniger als Männer an Statusproblemen. Für sie eröffnet sich meist das konventionelle Rollenbild – zurück an den Herd – dem sie versuchten erfolgreich zu entfliehen. Viele Frauen sind von vornherein der Ansicht, dass sie keine neue Beschäftigung finden, und treten so nicht einmal mehr auf dem Arbeitsmarkt in Erscheinung und verschwinden so auch aus der Statistik.
Eine weitere Folge der Langzeitarbeitslosigkeit ist besonders für unqualifizierte Arbeitnehmer das geringe Einkommen, das es ihnen nicht erlaubt, Ersparnisse zu machen. Sie kommen nun in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. So ist in allen Ländern der EU festzustellen, dass mit der Dauer der Erwerbslosigkeit die Armut zunimmt.
Inzwischen fallen zwischen einem Drittel bis zur Hälfte der Langzeitarbeitslosen unter die Armutsgrenze. Die fehlenden finanziellen Möglichkeiten der Arbeitslosen sind ein wesentlicher Grund, dass sie vom „normalen“ sozialen Leben ausgeschlossen werden.
Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in Deutschland
Das allgemeine Ziel der Arbeitsmarktpolitik ist eine möglichst schnelle Reintegration der Arbeitslosen ins Erwerbsleben. Viele Maßnahmen wurden erprobt, andere sind weiterhin in der Diskussion. Die Bundesagentur für Arbeit sowie die untergeordneten Agenturen bieten Maßnahmen an, die aber bisher zu keinem durchschlagenden Erfolg geführt haben.
So zählen zu den traditionellen Maßnahmen:
Der Erfolg dieser Maßnahmen ist eher bescheiden.
Radikale liberale Forderungen laufen darauf hinaus, den Arbeitsmarkt zu deregulieren. Das Konzept sieht
vor, um den Produktionsfaktor Arbeit zu verbilligen. Das soll Anreize geben für die Schaffung von Arbeitsplätzen. In diesem Zusammenhang sollten auch Tarifverträge gekündigt und die Löhne den regionalen Strukturen angepasst werden. Dadurch soll die Konkurrenzfähigkeit Deutschlands gegenüber Tieflohnländern erhöht werden.
Andere Ökonomen und Politiker fordern eine Einschränkung des Leistungsbezugs von Arbeitslosengeld. Nach amerikanischem Vorbild sollen so die Arbeitslosen gezwungen werden, schlechter bezahlte Stellen anzunehmen.
Außerdem wird aufgrund des sich in allen Industriegesellschaften vollziehenden Strukturwandels eine stärkere und dauerhafte Anpassung aller Wirtschaftsakteure gefordert. So sollten die Arbeitnehmer sowohl in der Qualifikation als auch räumlich flexibel sein, um sich den veränderten Bedingungen besser anzupassen. In diesem Zusammenhang wird auch eine Reform des Aus- und Weiterbildungssystems als die wirksamste Maßnahme zur Reduktion von Langzeitarbeitslosigkeit gesehen.
Neue Arbeitszeitmodelle und Selbsthilfeorganisationen von Erwerbslosen sind weitere Überlegungen. Eine Studie zeigte, dass im Zuge von lokalen Projekten etwa 40 % der Teilnehmer nach Beendigung eine feste Stelle gefunden haben.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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