Verantwortung des Wissenschaftlers

Physik und ihre Auswirkungen

Ohne die Nutzung physikalischer Erkenntnisse wären weder Computer oder Raumfahrt noch moderne Kommunikations- oder Verkehrssysteme möglich. Nicht möglich wären allerdings auch Massenvernichtungswaffen wie Kernfusionsbomben (Wasserstoffbomben) oder Neutronenbomben, die Leben vernichten, aber Anlagen weitgehend unbeschädigt lassen.
Ein besonders gravierendes Beispiel für die Auswirkungen physikalischer Forschung ist die Kernphysik: Die 1938 entdeckte Kernspaltung kann einerseits genutzt werden, um Energie zu erzeugen oder Schiffe anzutreiben. Andererseits ermöglichte es die Nutzung der Kernenergie, Waffen zu produzieren, mit denen sich die Menschheit selbst vernichten kann. Der „Vater der amerikanischen Atombombe“, JULIUS ROBERT OPPENHEIMER, meinte dazu nach dem Abwurf der ersten Atombomben 1945:

„In einem elementaren Sinne haben die Physiker die Sünde kennengelernt, und das ist ein Wissen, das sie niemals mehr verlieren können“.

Und ALBERT EINSTEIN, der mit der 1905 (also weit vor der Entdeckung der Kernspaltung) von ihm entdeckten Masse-Energie-Äquivalenz wichtige physikalische Grundlagen fand, der ein überzeugter Pazifist war und der trotzdem durch Briefe an den amerikanischen Präsidenten ROOSEVELT einen wichtigen Anstoß zum Bau von Kernwaffen gab, erklärte später:

„Ich war mir der fundamentalen Gefahr wohl bewußt, welche das Gelingen dieses Unternehmens (Bau von Kernwaffen - der Verfasser) für die Menschheit bedeutete. Aber die Wahrscheinlichkeit, daß die Deutschen an demselben Problem mit Aussicht auf Erfolg arbeiten dürften, hat mich zu diesem Schritt gezwungen. Es blieb mir nichts anderes übrig, obwohl ich stets ein überzeugter Pazifist gewesen bin.“

Allein dieses Beispiel zeigt, wie kompliziert und widersprüchlich die Frage der Verantwortung eines Wissenschaftlers ist.

Was heißt Verantwortung?

Für die in der Physik tätigen Wissenschaftler wie auch für die „Anwender“ und „Nutzer“ der Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung stellt sich aber immer wieder die Frage nach der Verantwortung, die sie für die Ergebnisse ihrer Arbeit haben. Unter Verantwortung verstehen wir dabei eine ethische Kategorie, die ein moralisch-rechtliches Verhältnis einer Persönlichkeit gegenüber der Gesellschaft widerspiegelt. Verantwortung drückt sich in der Fähigkeit aus, eigenes und fremdes Handeln zu bewerten und auf dieser Grundlage bewusst Entscheidungen zu treffen. Sie hängt eng mit Freiheit und Notwendigkeit zusammen.

Was gehört zur Verantwortung eines Wissenschaftlers ?

Bild 2 zeigt in der Übersicht einige Aspekte, die man zur Verantwortung eines Wissenschaftlers zählen kann. Die entscheidenden Fragen sind hier vor allem, wofür ein Wissenschaftler verantwortlich ist und weswegen er verantwortlich sein sollte. Dabei werden häufig hohe moralische Maßstäbe eingefordert, über deren Sinn man durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann, vor allem deshalb, weil es häufig keine linearen Zusammenhänge zwischen einer neuen Erkenntnis und ihrer möglichen Nutzung gibt und weil viele andere Einflussfaktoren eine Rolle spielen. So formulierte JOST HERBIG mit Blick auf die Biotechnologie in einer Bundestagsanhörung:

„Erbitterter Wettkampf um Prioritäten und Patente, privates Gewinnstreben, nationale Konkurrenz um zukünftige Absatzmärkte und Einflussgebiete sind die Kriterien ... Grenzenloser Optimismus, ein durch keinerlei politische Zweifel getrübtes Fortschrittspathos und eine Blindheit für die sozialen Folgen von Technik ... beherrschen in allen großen Industriestaaten die Szene.“

Wir gehen davon aus, dass sich Verantwortung immer auf das bezieht, was an Erkenntnissen in der wissenschaftlichen Arbeit gewonnen wird und was dann in der einen oder anderen Weise genutzt werden kann. Wie kompliziert die Frage der Verantwortung dann ist, soll anhand weniger Positionen verdeutlicht werden.

  • Viele physikalische Erkenntnisse können zum Nutzen oder zum Schaden des Menschen angewendet werden, können positive oder negative Effekte haben. Wie Erkenntnisse genutzt werden, kann häufig aber von demjenigen, auf den die Erkenntnis zurückgeht, überhaupt nicht eingeschätzt und beeinflusst werden. Eine direkte und unmittelbare Verantwortung für Folgen liegt in der Regel nicht vor. Das stellt nicht von Verantwortung frei, zeigt aber ein Problem auf.
  • Heutige Forschung erfolgt in der Regel in Teams bei hoher Spezialisierung. Dass ein Einzelner eine tiefgreifende Entdeckung macht, dürfte eher die Ausnahme als die Regel sein. Wenn ein Forscherteam neue Erkenntnisse in einem speziellen Gebiet gewinnt, ist der mögliche Umfang einer Nutzung häufig zunächst unklar und damit auch nicht einfach überschaubar, wofür der Einzelne Verantwortung haben könnte.
  • Entscheidungen über die Anwendung von Forschungsergebnissen werden häufig von gesellschaftlichen Gremien (Ministerien, Regierungen, Parlamenten) oder von Betriebsverantwortlichen getroffen, die weniger fachliche Kompetenzen als vielmehr gesellschaftspolitische oder wirtschaftliche Kompetenzen haben. Diese Entscheidungen sind vom einzelnen Wissenschaftler in der Regel nicht beeinflussbar.
  • Bei der Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse spielen nicht in erster Linie Faktoren eine Rolle, die in der Wissenschaft selbst liegen, sondern solche außerhalb der Wissenschaft (soziale, ökonomische, verteidigungspolitische, ethische, moralische ...). Es ist deshalb sinnvoll, weitreichende Entscheidungen unter Einbeziehung einer breiten Öffentlichkeit zu treffen. Solche gesellschaftlichen, demokratischen Entscheidungen und Korrektive sind sinnvoll und notwendig, verlagern aber zugleich die Verantwortung weg vom Wissenschaftler.

Trotzdem sollte für jeden wissenschaftlich Tätigen folgendes humanistische Ziel gelten:

Wissenschaft und Technik sollten genutzt werden für all das, was das Leben der Menschen bewahrt, verbessert, sicherer macht.

Welche Meinungen vertreten Wissenschaftler selbst?

Zur Frage der Verantwortung haben sich eine Reihe von bedeutenden Wissenschaftler selbst geäußert, vor allem im Zusammenhang mit solchen Anwendungen, die gravierende Auswirkungen auf das Leben vieler Menschen haben können. Nachfolgend sind einige Zitate genannt, in denen ebenfalls wieder unterschiedliche Aspekte deutlich werden.

So formulierte ALBERT EINSTEIN im Jahre 1946, also nach dem Abwurf der ersten Kernwaffen und ihrem möglichen weiteren Einsatz:

„Die Naturwissenschaft hat zwar die gegenwärtige Gefahr herbeigeführt, aber das wirkliche Problem liegt im Denken und im Herzen des Menschen“.

Eine Reihe von Nobelpreisträgern, unter ihnen MAX BORN, JAMES FRANCK, OTTO HAHN, FREDERIC JOLIOT-CURIE, LINUS PAULING, WERNER HEISENBERG UND MAX VON LAUE, verabschiedete bei einem Treffen am Bodensee 1955 eine Erklärung, die als Mainauer Erklärung der Nobelpreisträger bekannt wurde. In dieser Erklärung, die sich auf die nukleare Aufrüstung bezieht, heißt es:

„Mit Freuden haben wir unser Leben in den Dienst der Wissenschaft gestellt. Sie ist, so glauben wir, ein Weg zu einem glücklicheren Leben der Menschen. Wir sehen mit Entsetzen, daß eben diese Wissenschaft der Menschheit Mittel in die Hand gibt, sich selbst zu zerstören.... Alle Nationen müssen zu der Entscheidung kommen, freiwillig auf die Gewalt als letztes Mittel der Politik zu verzichten...“.

In einer Erklärung unter dem Titel „Die Verantwortung der Wissenschaft“, die auf der Dritten Pugwash-Konferenz (benannt nach dem kanadischen Ort Pugwash)1958 verabschiedet wurde, heißt es:

„Aufgrund ihrer Sachkenntnis sind die Wissenschaftler in der Lage, die Gefahren und auch die Verheißungen, die sich aus naturwissenschaftlichen Entwicklungen ergeben, frühzeitig zu erkennen. Sie haben dafür eine besondere Kompetenz und tragen andererseits auch eine besondere Verantwortung hinsichtlich des dringendsten Problems unserer Zeit.“
Der eigentliche Zweck der Naturwissenschaft „...besteht darin, das menschliche Wissen zu vermehren und bei der Bändigung der Naturkräfte zum Wohl aller zu helfen.“

Und der Physiker und Philosoph CARL FRIEDRICH VON WEIZSÄCKER formulierte 1961:

„Wissen ist Macht und sollte Veranwortung bedeuten. Daß uns die wissenschaftliche Erkenntnis zugleich mit der sittlichen Größe ausstattet, die wir brauchen, um diese Verantwortung zu tragen, das ist eine Hoffnung, der die Tatsachen nicht entsprechen ...“

Möglichkeiten und Grenzen der Verantwortung

Nachfolgend sind einige Thesen genannt, in denen versucht wird, Grundpositionen zum Problem der Verantwortung zusammenfassend darzustellen.

  • Wissenschaft als Teil der menschlichen Kultur steht unter gesellschaftlicher Verantwortung. Damit ist auch die Gesellschaft mit ihren Entscheidungsgremien in hohem Maße verantwortlich für die Nutzung von Wissenschaft und Technik.
  • Wissenschaftler besitzen in einem (meist sehr engen) Bereich besondere Kompetenzen hinsichtlich der Bewertung von Möglichkeiten und Gefahren der Nutzung von Erkenntnissen. Es gehört zu ihrer Verantwortung, Entscheidungsgremien insbesondere auf mögliche Gefahren aufmerksam zu machen.
  • Antihumanistischer, gegen die Interessen von Menschen gerichteter Forschung kann man sich verweigern.
  • Wissenschaftler können nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass andere ihre Erkenntnisse in antihumanistischer Weise, zum Schaden von Menschen, nutzen.
Die Verantwortung des Wissenschaftlers kann aus verschiedener Sicht betrachtet werden.

Die Verantwortung des Wissenschaftlers kann aus verschiedener Sicht betrachtet werden.

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