Der Mensch besitzt sowohl mit seinem Körper als auch mit seiner Stimme (lat. organum) musikalisch-instrumentelle Fähigkeiten. Mit dem „natürlichen Organ“ der Stimme vermag er Naturlaute von Vögeln, das Summen und Zirpen von Insekten oder den Schrei wilder Tiere auf kreative Weise zu imitieren.
Mit seinen zu einer Gefäßflöte verschränkten Händen und Fingern ahnt er den Kuckucksruf nach, oder aber es sind sein rhythmisches Händeklatschen und Stampfen mit den Füssen, mit dem sowohl Ritualtänze als auch Kunsttänze, vom zapateo des Flamenco bis zum tap-dance der Unterhaltungsmusik, kraftvoll untermalt werden.
Musikinstrumente sind wie alle Arbeitswerkzeuge Erweiterungen des menschlichen Körpers. Zur Verstärkung und spielerischen Ausformung der atmenden, pulsierenden und rhythmisierten Stimme nutzt der Mensch insbesondere das Klangfarbenspektrum unterschiedlich angeblasener Trompeten-, Flöten- Klarinetten- und Oboeninstrumente. Das Atmen wird in ein Erklingendes umgesetzt. Im Hinblick von Handbewegung und Fingertechnik sind es vor allem geschüttelte Rasseln, gestampfte, geschrapte oder zusammengeschlagene Klanghölzer, Xylophone, Lithophone, Gongs und Becken, mit denen Körper- und Arm- und Fingerbewegungen direkt in Klänge umgesetzt werden. Die Bewegungsimpulse artikulieren sich zum Teil in überaus differenzierten Techniken des Trommelspiels und ebenso in virtuos gezupften, gestrichenen oder geschlagenen Saiteninstrumenten.
Die enge Verbundenheit des Menschen mit den Baustoffen der Natur, dem Holz und dem Tierfell, z.B. für die Schamanen-Trommel oder die Darmsaiten einer mongolischen Fiedel, drücken sich in zahlreichen Mythen und Erzählungen über die Entstehung von Musikinstrumenten aus. Es ist die Seele des Tieres, dessen Haut die Trommel belebt. Die Tierseele wird zum Schutzgeist des Schamanen und wirkt als Hilfsgeist bei dessen Trance-Reise „zum Zentrum der Welt“ oder bei Heilungszeremonien von Kranken mit. Die Trommel selber wird zugleich als Abbild der Welt konzipiert.
Im Amazonas, bei den Kamayurá, entstammt die Musik (maraka) einer mythischen „zeitlosen Zeit“ mawe. Ein Held dieser Urzeit tötete einst einen besonders großen Jaguar-Geist und soll ihm alle Musikinstrumente entnommen haben, mit denen man daraufhin das erste Ritual zu feiern begann.
Auch die zweisaitige mongolische Pferdekopf-Fiedel morin chuur ist gemäß der Liederzählung ein Musikinstrument, das über die mythische Erinnerung hinaus von einem Pferdegeist beseelt bleibt. Die Spießgeige (Fiedel) soll ursprünglich aus einem Holzkorpus gebaut worden sein, über den das Fell des Pferdes gespannt wurde. Der aus einem Knochen des Skeletts geschnitzte Pferdekopf schmückte den Hals des Instruments und die Saiten aus dem Rosshaar des Schweifs lassen den Musiker das Wiehern, Traben und Galoppieren des Pferdes sowie seine Trauer über das zu Tod gekommene Pferd musikalisch wieder lebendig werden.
Die enge Verwandtschaft von Sprache, Musik und Signal ist im Klang verschiedener Instrumente verkörpert. Nicht überall werden Musikinstrumente „gespielt“. Im Chichewa sprechenden Süden von Malawi sagt man: kuyimba bangwe, kuyimba gitala, kuyimba sansi, was so viel heißt wie: eine Zither „singen“, eine Gitarre „singen“, ein Lamellophon (Sanza) „singen“.
Musikinstrumente symbolisierten zudem in vielen traditionellen Kulturen übernatürliche Stimmen von Geistwesen bzw. Ahnen, wie das auf allen fünf Kontinenten belegte Schwirrholz, das als „Stimme der Traumzeit“ in Australien den Ahnengeist herbeiruft und damit auch eine andere Welt markiert.
Von der großen Priester-Trommel (huehuetl) des alten Azteken-Reiches (1325–1519) hieß es, sie verkörpere die Stimme des uralten Gottes, des Vaters der Götter namens Huehueteotl. Bei den ostafrikanischen Shona soll der Klang der mit den Fingern gezupften mbira (sanza) eine Brücke bauen zwischen der übernatürlichen Geisterwelt und der irdischen Welt des Menschen. Auch die in ganz Südamerika beheimatete Kalebassenrassel (Maraca) ist mit vielen mythischen Erzählungen verbunden und soll gute Geister herbeirufen und ungebetene vertreiben.
In den religiösen Trommelkulten des Candomblé in Bahia, im Xangô von Recife sowie in den Voodoo-Kulten auf Haiti sind einzelne Instrumente ganz bestimmten „Heiligen“ bzw. orixás geweiht. Die speziellen Rhythmen rufen die verschiedenen „Geistwesen“ herbei, so dass diese mit den Tänzern verschmelzen und ihnen neue Kraft zum Leben geben.
Bei der Sprechtrommel der Yoruba gibt der Musiker dagegen die „menschliche Sprache“ wieder, d.h. melodisch-rhythmische Phrasen sind worterweckend. Das Instrument imitiert und „spricht“ mit den gewohnten Sprachtönen (hoch, mittel oder tief) der Yoruba-Sprache und vermittelt deren Satzrhythmus. Sanduhrförmige dundun-Trommeln mit Schnurspannungen ermöglichen auf diese Weise kurze Mitteilungen, wie Warnung bei Gefahr, Aufrufe zu Versammlungen, Hinweise auf Gefahren und Anzeigen von Todesfällen.
Neben den Trommeln werden vor allem Naturtrompeteninstrumente als Signalinstrumente eingesetzt. Das Blasen des Widder- oder Antilopenhorns (shofar) diente als Signalinstrument im Krieg, warnte vor Gefahren und erinnert inzwischen in der jüdischen Liturgie an Rosch Ha-Schana, den Tag, an dem Gott die Welt erschaffen hatte: mit seinem Klang soll der Schreck vor Gott in die Glieder eines jeden einzelnen fahren. Hirtentrompeten und Alphörner dienten für lange Zeit als praktisches Signalinstrument, für einfache Mitteilungen, zum Aus- und Eintreiben der Kühe, zum Zeichen der Melkzeit, bei Holzfällerarbeiten, zur Verständigung zwischen benachbarten Orten, in der musikalischen Ausschmückung aber auch zur Unterhaltung.
Musikinstrumente dienen auf vielfältige Weise als Kommunikationsmittel zwischen irdischer und über- oder unterirdischer Welt und repräsentieren nicht selten auch den Sitz der spirituellen Essenz von Ahnen, Tier- oder Pflanzenwesen (so die Gongs in Asien und bestimmte Trommeln der Ashanti in Ghana).
Darüber hinaus werden Musikinstrumente als rituelle Gegenstände und Signalgeber zu Beginn, während oder am Ende von religiösen Zeremonien eingesetzt. Glocken oder Schlagbretter markieren wichtige Zeitabschnitte; zur rhythmischen Begleitung von Rezitationen und Gebeten werden in buddhistischen Tempeln etwa der Fischkopf, eine Schlitztrommel aus Holz geschlagen (mokugyo).
Die anthropomorphe Auffassung der Musikinstrumente findet sich bereits in der Bezeichnung der einzelnen Teile von Musikinstrumenten. Man spricht vom Geigenkopf, dem Instrumentenhals, dem Körper und der Taille des Instruments. Beim südamerikanischen charango wird das Schalloch mit „boca“, Mund, bezeichnet, aus dem die Stimme kommt. Die arabische Kurzhalslaute al-'ud („das Holz“), aus der die europäische Renaissance-Laute hervorging (port.: alaude, span. laúd, engl. lute, franz. luth, ital. liuto), soll nach dem arabischen Musiktheoretiker und Musiker ZYRIAB mit ihren vier Saiten die vier Temperamente des Menschen darstellen. Rituelle Musikinstrumente wurden teilweise auch von Menschenknochen hergestellt, wie die tibetische Kurztrompete mi-rkan-glin aus dem Oberschenkelknochen, oder der Korpus der damaru-Doppelfelltrommel aus zwei aneinandergefügten Schädeldecken.
Eine Legende aus den Andenhochländern berichtet auch, wie ein Priester aus Liebeskummer über seine heimliche und zu früh verstorbene Geliebte ständig ein Klagelied auf einer Kerbflöte spielte, die er aus einem Schenkelknochen der Verblichenen gefertigt hatte.
Anthropomorphe Vorstellungen von Musikinstrumenten manifestierten sich sehr oft im paarweisen Zusammenspiel von einem männlichen (dunklen/tiefen) und einem weiblichen (hellen/hohen) Instrument, seien es nun Trommelpaare wie die indische kleine tabla und große baya oder die japanischen Trommeln ko-tsumi und ôtzuzumi, die tibetischen Langtrompeten (dung chen), die altchinesischen Panflöten oder die andinen Panflöten (julajulas und sikus), die chilenischen Eintonflöten (pifalkas) sowie Doppelflöten (z.B. dvojnice) oder Doppelklarinetten (Arghul).
Aber auch Xylophone werden im Kongo in ein weibliches und ein männliches Instrument unterteilt, dasselbe gilt von Schlitztrommeln im Sepik-Gebiet von Neuguineas, von den Metallophonen auf der Insel Bali und vielen anderen Instrumenten.
Selbst die Tonleitern der Instrumente werden oft diesem Prinzip unterworfen. So unterscheidet man zwischen weiblichen und männlichen Konzept bei den indonesischen Patet-Skalen und den indischen Raga-Skalen, ganz ähnlich wie in Europa das Moll mit dem weichen weiblichen, das Dur mit dem kraftvollen männlichen Tongeschlecht assoziiert wird.
Musikinstrumente verkörpern auf diese Weise nicht nur Grundprinzipien der menschlichen Vorstellungskraft in sichtbarer Form sondern spiegeln auch das Menschlich-allzu-Menschliche im Medium ihres Klanges wider: Es ist der Mundbogen der Jivaro-Indianer, mit dem ein Junge sein Mädchen mit einem Liebeslied verzaubert, in Indien ist es die Flöte, mit der die göttliche Inkarnation Krishna das Hirtenmädchen verführt. Zahlreiche Instrumente werden in vielen Fällen wie ein Tanzpartner behandelt, sei es die türkische davul-Trommel, die laotische Mundorgel khene oder die puk beim koreanischen Tanz mit der Trommel (puk-ch’um).
In Westafrika kann eine Trommel gleichsam als Mensch verstanden werden. Solche Trommeln werden nur von Meistermusiker gespielt und sie geben ihnen einen Frauennamen. Die Instrumente werden in speziellen Hütten aufbewahrt und man gibt ihnen „sakrale Speisen zu essen“. Solch einer Bechertrommel wurde zum Beispiel der Frauenname Goma gegeben, was in etwa heißt, „teile mit mir“. Ohren, Körper, Taille und Füße, alle menschlichen Merkmale sind in den Korpus geschnitzt. Der kultische Charakter von Musikinstrumenten, ihre Bauweisen und Ausdrucksformen heben allgemein einen besonderen ästhetischen Charakter hervor. Das gleichsam menschliche Antlitz geht aus vielen künstlerischen Instrumentenskulpturen direkt sichtbar hervor.
Einzelne Musikinstrumente und Ensembles gelten seit jeher als Hoheitssymbole. Musikinstrumente als Standessymbole sind Insignien der Macht und Repräsentation, wie in Musikkapellen am Hofe in Europa, Trommelorchester in Afrika, traditionelle Hoforchester in China, Korea, Japan, Asien und Gamelan-Orchester in Bali und Java, oder sikus-Orchester im alten Reich der Inka. Gerade über die herausgehobene Stellung an Höfen wurden die besonders verzierten Instrumente selber auch zum ästhetischen Kult- und Kunstobjekt. Mit ihnen als Gegenstand wird sowohl Wohlhabenheit, Reichtum und Schönheit als auch ästhetisch-spielerische Vielfalt der Klangerzeugung repräsentiert. Musikinstrumente widerspiegeln zum Teil auch soziale Statussymbole.
Im indischen Kastensystem gehörte die Langhalslaute Vina zur oberen Kaste der Brahmanen; die weniger „reinen“ Rohrblattinstrumente, die mit dem Mund gespielt werden, gehörten den niederen Kasten der Hindu und Moslems an.
Auch das Klavier hat seit dem 19. Jahrhundert seine Stellung im gehobenen Bürgertum behalten.
In der Mehrheit der Kulturen wird heute zwar noch eine Unterscheidung gemacht zwischen einfacher Volksmusik- und gehobeneren Kunstmusikinstrumenten, doch im Zuge der Demokratisierung des Musiklebens und der Globalisierung der Vertriebsmechanismen überwinden Instrumente nicht nur soziale Barrieren, sondern auch regionale und nationale Grenzen.
Musikinstrumente sind virtuell in allen Kulturen vorhanden. Die Vielzahl der Formen ist nahezu unerschöpflich, dennoch gibt es gewisse Gemeinsamkeiten unter den Instrumenten in den verschiedenen Kulturen und Regionen. So ist zum Beispiel die mit einem Bogen gestrichene und in vertikaler Haltung gespielte Fiedel (Fidel, Spießgeige) in Mittelasien entstanden und hat sich im 10. Jahrhundert mit dem Islam bereits bis nach Ägypten und an den Indus ausgebreitet. Mit den Mongolen wanderte das Instrument im 13. Jahrhundert bis in den Fernen Osten. Unter dem Einfluss des byzantinischen Kulturraumes sowie des Islam wurde das Instrument im ganzen Mittelmeerraum als Rabab bekannt sowie in Teilen Afrikas. Über den islamischen Kulturaustausch kam über Spanien auch die Fiedel mit Bogen nach Zentraleuropa. Die in Nordamerika bekannte Appache-Fiedel ist allerdings bei den Indianern, wie vermutet wird, erst mit dem Kontakt europäischer Siedler eingebürgert worden. Auch in Mittel- und Südamerika waren mit Ausnahme des Musikbogens (arco musical) in präkolumbischer Zeit keine Saiteninstrumente bekannt gewesen. Ähnliches gilt von Australien.
Die xylophonähnlichen Instrumente haben sich vor allem in Südostasien hoch entwickelt und sind am vielfältigsten in Afrika. Die in Mittel- und Südamerika heute anzutreffenden Xylophone werden meist Marimbas genannt und wurden dort durch afrikanische Sklaven eingeführt.
Metallgongs und Gongspiele sind in ihrer größten Vielfalt wiederum auf dem Festland und in der Inselwelt Südostasiens vorhanden (Thailand, Laos, Kampuchea, Birma, Java, Bali, Sumatra, Kalimantan, Philippinen). Die Gongs in Korea, Japan, Tibet und Vietnam wurden von China übernommen, wo man auch das Ursprungsland vermutet.
Stand: 2010
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