Spielleute im Mittelalter

Mit dem Begriff des Spielmanns (althochdeutsch „spiliman“; mittelhochdeutsch „spilman“; niederdeutsch „spelman“) und seinen Wandlungen verbindet sich die Geschichte des Musikerstandes und die Herausbildung des modernen Berufsmusikertums. Obwohl die weibliche Form „Spielfrau“ bzw. „Spielweib“ bekannt ist, waren Frauen in diesem Berufsstand jedoch die Ausnahme.

Zum Begriff des Spielmanns

Der Begriff Spielmann ist im 8. Jh. das erste Mal nachweisbar. Bis zum 13. Jh. wurde er sehr unspezifisch gebraucht. Im Vordergrund standen die „Kunst der Unterhaltung“ und die Nichtsesshaftigkeit dieses Berufsstandes. Erst danach rückte der Aspekt des Musizierens in den Mittelpunkt. Der Berufsstand war allerdings nun mit der Bedeutung des „Niederen“, dem Volk und „Pöbel“ verhaftet, da die „höheren“ Musiker bei Hof und bei den Städten fest angestellt waren.

Nichtsesshafte Spielleute und sesshafte Musiker standen sich gegenüber. Die Musiker waren mit ihrer Kunst in die repräsentativen Funktionen des Hofes und in die höfischen Zeremonien, als Pauker und Trompeter in den Militärdienst, als Begleitung in den Gottesdienst der Kirchen oder in die Rituale der weltlichen Feiertage fest eingebunden. Die Spielleute lebten demgegenüber von Zulaufpublikum, dem sie zu Tanz und Unterhaltung aufspielten. Dieser Gegensatz hat bis in die Gegenwart hinein in der Gegenüberstellung von „E“-(ernste)-Musik und „U“-(Unterhaltungs-)-Musik seine Spuren hinterlassen.

Im 16. und 17. Jh. war das Aufspielen zu Tanz und Unterhaltung, bei Hochzeiten und privaten Feiern „Privileg“ der Stadt- und Ratsmusiker. Der Begriff rückte „Spielleute“ damit in der Nähe des Volksmusikers und an die Schwelle zum Berufsmusiker. Spielleute wurden den „ernsthaft“ tätigen Berufsmusikern gegenübergestellt, obwohl auch sie ihren Lebensunterhalt durch Musizieren bestritten. Im 18. Jh. wurde der Begriff dann aufgehoben. Seither wird von Musikanten gesprochen. Diese Bezeichnung verweist auf eine immer noch bestehende Unterscheidung von dem für die „Tonkunst“ zuständigen Musiker.

„Spielmann“ hat noch eine weitere, bis in die Gegenwart erhaltene Bedeutung. In der Militärmusik werden als „Spielleute“ die Trommler und Pfeifer bezeichnet, ein Relikt des Begriffsgebrauchs im Mittelalter. Die nach ihrem Vorbild gebildeten zivilen „Spielmannszüge“ aus Trommlern und Pfeifern spielten für die öffentliche Darstellung der um Mitglieder werbenden Turnvereine wie auch der örtlichen Feuerwehren schon seit dem frühen 19. Jh. eine Rolle. Sie werden bis heute in vielen Regionen gepflegt.

Herausbildung der Spielleute

Die Spielleute hatten sich im Zuge der Völkerwanderung (375–568) als nichtsesshafte Musikerschaft herausgebildet. Sie zogen im Tross der Heerzüge über Land. Als der Begriff im 8. Jh. auftauchte, bezog er sich jedoch pauschal auf alle Fahrenden, die ihre „Künste“ gegen Entgelt anboten. Das verweist sowohl auf dem Umstand, dass allein mit dem Musizieren ein Überleben nicht möglich war, aber auch auf die Tatsache, dass die „Kunst der Unterhaltung“ mehr verlangte als nur die Fähigkeit, zum Tanz aufspielen zu können.

Im frühen Mittelalter waren die herumziehenden Musiker gezwungen, die ganze Breite des musikalischen Repertoires abzudecken. Spielleute lebten nicht nur von Jahrmärkten und Auftritten in Gastwirtschaften, sondern auch vom „Hofieren“. Das heisst, sie wurden auch bei Hof beschäftigt, weil sich nur wenige Höfe eigene ständige Ensembles leisten konnten oder kleine bestehende Gruppen bei Bedarf durch herumziehende Spielleute ergänzt wurden. Spielleute übernahmen aber auch Funktionen in den Kirchen und spielten zu kirchlichen Feiertagen.

Zum Status der mittelalterlichen Spielleute

Die Zahl der Spielleute im Mittelalter war beträchtlich, wovon die in einigen Städten erhaltenen Rechnungen Zeugnis ablegen. Danach bewegte sich die Zahl der in einer einzigen Stadt entlohnten Spielleute pro Saison zwischen 100 und 200. Zum 1397 in Frankfurt am Main abgehaltenen Reichstag strömten nach einer zeitgenössischen Quelle „funftehalp hondert farender lude, so spellude, pifer, dromper, sprecher unde farende schuoler“ in die Stadt.

Der Makel der Nichtsesshaftigkeit war insofern berufsbedingt, weil das zunächst noch begrenzte musikalische Repertoire und die nur rudimentäre Form der Berufsausbildung anhaltende Musikerfolge an einem Ort nahezu unmöglich machten. Daraus resultierte eine sehr problematische rechtliche und soziale Stellung der Spielleute.

Da im Mittelalter von herumziehendem Gesindel aller Art eine reale Gefahr ausging, waren auch die fahrenden Berufe – nicht nur Musiker, auch eine Vielzahl von Handwerkern (Scherenschleifer, Töpfer, Kesselschmiede, Wurzelkrämer), ferner die Schausteller oder auch die fahrenden Geistlichen (Goliarden, Vaganten) – trotz ihrer teils großen Popularität verfemt und geächtet. Sie unterstanden als Fahrende zudem keiner Obrigkeit, weshalb sie den Herrschenden überall als gefährlich galten.

Da die Spielleute außerhalb der mittelalterlichen Ordnung standen, waren sie ehr- und rechtlos. Das übertrug sich sogar auf die von ihnen gebrauchten Musikinstrumente. Ganz unten in der Hierarchie standen die für die Spielleute typischen Instrumente wie Sackpfeife (Dudelsack) und Drehleier, ganz oben – neben der durch die Kirche geweihten Orgel stand die Trompete. Dieses Instrument erfüllte sowohl bei Hof wie im Militär eine wichtige Funktion. In manchen Regionen war den Spielleuten deshalb der Gebrauch der Trompete untersagt.

Ungeachtet ihrer offiziellen Ächtung wurden die Dienste der Spielleute jedoch von den Städten, vom Adel und der Kirche gern in Anspruch genommen. Ihrem Status nach waren sie aber – vor allem auch hinsichtlich der Bezahlung – völlig von der Willkür ihrer Auftraggeber abhängig.

In den Städten versuchte man zunehmend, den Risiken im Umgang mit Fahrenden dadurch zu entgehen, dass sie ihnen innerhalb ihrer Stadtmauern eine Perspektive anboten. So wurden Musiker als Türmer, Stadtpfeifer oder Ratsmusiker sesshaft. Im Hochmittelalter finden sich zunehmend Hinweise auf fest angestellte Musiker, sowohl bei den Städten wie an den Fürstenhöfen.

Bildung von Bruderschaften

Die Spielleute versuchten die Risiken ihres Berufsstandes dadurch zu verringern, dass sie sich in zunftähnlichen Vereinigungen zusammenschlossen, den „Bruderschaften der Spielleute“. Das war eine Selbstbezeichnung, die bewusst an die geistlichen Bruderschaften angelehnt war, um den Makel der Nichtsesshaftigkeit auszugleichen. Die ersten solcher Zusammenschlüsse muss es in Frankreich schon in der ersten Hälfte des 11. Jh. gegeben haben. Die erste nachweisbare Gründung einer solchen Spielleute-Vereinigung ist die 1288 in Wien ins Leben gerufene Bruderschaft der „Nicolai-Zechbrüder“ (mittelhochdeutsch Zeche= Gewerk, Innung, Genossenschaft).

Den Bruderschaften stand ein Pfeiferkönig vor, der vom Landesherrn eingesetzt wurde. Für das landesherrliche „Privileg“ der unbeeinträchtigten Berufsausübung, das sogenannte „Pfeiferlehen“, war von den Bruderschaften ein Obolus zu entrichten. Dafür erwarb die Bruderschaft das Recht, dass nur offiziell „bestellte“ und von der Bruderschaft für „spielberechtigt“ erklärte Musikanten zur Musik aufspielen durften und Verstöße durch die Landesherren geahndet wurden. Der Pfeiferkönig fungierte als Mittler zwischen den Spielleuten und den Landesherren, brachte Verstöße zur Anzeige und trieb den Obulus ein.

Einmal im Jahr, an den „Pfeifertagen“, strömten die Spielleute zusammen, um ihre Angelegenheiten zu regeln, „Pfeifergericht“ zu halten und Streitigkeiten zu schlichten bzw. durch den Pfeiferkönig schlichten zu lassen. Auch verständigten sie sich über Regeln, insbesondere über Entlohnungsregeln, gegen unlauteren Wettbewerb. Sie gaben sich so eine Bruderschaftsordnung.

Diese Zusammenkünfte waren mit Darbietungen und Umzügen der Spielleute verbunden und stellten zugleich einen Höhepunkt der Volksbelustigung dar. Im elsässischen Rappoltsweiler (Ribeauville), wo jahrhundertelang die Bruderschaft der elsässischen Spielleute – eine der bedeutendsten im deutschsprachigen Raum – ihre Zusammenkünfte abhielten, wird dieser Tradition bis heute durch jährliche Veranstaltung eines historischen Pfeifertages gedacht.

Instrumentarium und Repertoire der Spielleute

Spielleute waren in der Regel Multiinstrumentalisten. Sie beherrschten mehrere Instrumente, um sich den Gegebenheiten flexibel anpassen zu können. Beliebte Instrumente der Spielleute waren zeitgenössischen Darstellungen zufolge Fiedel, Flöten und Pfeifen, Schalmeien, Dudelsack, Drehleier, Hackbrett, Laute, Trompeten und die unterschiedlichsten Schlaginstrumente. Erst im 17. Jh., als der Spielmann bereits vom „ernsthaften“ Musiker unterschieden wurde, kamen Berichte über Spielleute auf, die sich als Instrumentalisten mit einem einzigen Instrument einen Namen gemacht hatten. Sie waren in die Berichte eingegangen, weil sie aus dem Lager der Spielleute in das der „ehrbaren“ Musiker wechselten.

Das Repertoire der Spielleute erstreckte sich von einstimmigen, häufig fantasievoll ausgestalteten Spielweisen über Lieder – Lied ist ein Begriff, der von daher im sprachlichen Umfeld von „Liederlichkeit“ angesiedelt ist – bis hin zur bäuerlichen Tanzmusik. Spielleute musizierten schriftlos. Sie improvisierten nach festen Regeln und variierten durch Tradition und Anlass vorgegebene Modelle. Die variierte Wiederholung war ein wichtiges Gestaltungsmittel ihrer Darbietung. Doch sie machten sich auch durch eigene Schöpfung einen Namen, wobei sie Anregungen aus den unterschiedlichen regionalen Traditionen, mit denen sie in Berührung kamen, aufgriffen.

Die Darbietungen erfolgten auf öffentlichen Plätzen, in Wirtshäusern und auf Jahrmärkten. Sie waren den Berichten nach von lebhafter Mimik und Gestik begleitet. Vielfach agierten die Spielleute zugleich als Possenreißer. Oft war ihr Spiel mit akrobatischen Kunststücken versehen und wurde so, ähnlich den späteren Virtuosen, zur allgemeinen Sensation.

Ende der Spielleute-Zeit

Die bunte Schar der Spielleute spielte im europäischen Kultur- und Musikleben eine einzigartige Rolle. Sie sorgte für die überregionale Verbreitung des regionalen Repertoires an Tänzen und Liedern. Ihre Routen verliefen oft quer durch Europa, wo sie Anregungen aufgriffen und weitergaben. Die Spielleute nahmen so die volksmusikalischen Traditionen in ein berufsmusikalisches Umfeld auf und bewahrten sie vor dem Vergessen.

Ihre Tätigkeit fand ein unerwartetes und jähes Ende. Mit der Beseitigung der feudalabsolutistischen Herrschaftsform durch die französische Revolution verschwanden auch die „Pfeiferlehen“. Die schrittweise Einführung der Gewerbefreiheit führte zu einem Wandel des Musikerberufs mit seiner Einbindung in die fein abgestuften Privilegien der Spielmannsbruderschaften, der Musikerzünfte in den Städten, der Stadtpfeifereien und vertraglich bestallten Musikbeamten bei Hof von Grund auf. In diesem Prozess verschwand mit dem Begriff des Spielmanns dieser selbst. Ihm folgten die Wandermusikanten mit Gewerbeschein und städtischen Musikgeschäfte.

Seit den 1980er-Jahren feiern historische Ensemble in der Art der mittelalterlichen Spielleute auf Historienmärkten, privaten Gesellschaften (Hochzeiten, Geburtstagen etc.) und Ortsjubiläen eine bemerkenswerte Renaissance. Vielfach haben sie einen romantisierend-nostalgischen Charakter. Oftmals stehen dahinter aber auch ernsthafte kulturhistorische Absichten, was sich auch im originalgetreuen Nachbau der Instrumente und in der Suche nach authentischem Repertoire niederschlägt.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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