Die Romantik entsteht im Wesentlichen nach 1789 als eine Reaktion auf die Französische Revolution. Bereits seit den 1760er-Jahren gibt es hauptsächlich in England Strömungen besonders in der Literatur und Ästhetik, die im Zeichen des „Gefühls“, der Empfindung, der freien menschlichen Natur die bürgerlich-kapitalistische Entwicklung kritisieren. Die frühe Romantik in Frankreich und Deutschland war zunächst vor allem eine literarische Bewegung. Die in diesem Zusammenhang ausformulierten Ansätze einer romantischen Musikästhetik entstehen daher früher als die eigentlich romantische Musik.
Ein Hauptwerk ist die Aufsatzsammlung „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ von WILHELM HEINRICH WACKENRODER (1773–1798). Sie erschien 1796 anonym, ergänzt durch einige Beiträge seines Freundes und Mentors, des Schriftstellers JOHANN LUDWIG TIECK (1773–1853). Hier sind einige zentrale romantische Motive versammelt. WACKENRODER beklagt die Trennung der Künste voneinander und von der Religion. Das verklärt gesehene Mittelalter wird zum Bezugspunkt der Sehnsucht. Musik wird mit Bezügen auf Religion und auf ältere Denkformen wie die Vorstellung einer Musik der Sphären oder der „Engel“ aufgeladen. Zugleich wird das Gefühl gegenüber dem Rationalen in Musik ungeheuer aufgewertet. Dabei vermerkt WACKENRODER die Spannung zwischen extrem rationaler, oft mathematisch-zahlenhafter Ordnung und extremer Affektwirkung der Musik, lässt sie aber als Wunder unerklärt.
WACKENRODERs poetisierende Musikbeschreibungen wurden als Alternative zur analytischen Musikbetrachtung Vorbild für einen Großteil der Musikkritik im 19. Jh. Wichtig für dieses Umfeld der romantischen Musikästhetik wurden, weniger kirchenfromm orientiert, der Dichter JEAN PAUL (eigentlich JOHANN PAUL FRIEDRICH RICHTER, 1763–1825), und – besonders nach 1848 einflussreich, verstärkt durch RICHARD WAGNER (1813–1883) – der Philosoph ARTHUR SCHOPENHAUER (1788–1860), der seit 1820 die Musik als die höchste aller Künste pries.
Der Dichter, Komponist und Kapellmeister ERNST THEODOR AMADEUS HOFFMANN (eigentlich ERNST THEODOR WILHELM HOFFMANN, E.T.A., 1776–1822) konkretisierte und intensivierte die romantische Musikästhetik. So komponierte er
Er entwickelte die Vorstellung vom Vorrang der abstrakten, „reinen“ Instrumentalmusik, die schon bei TIECK anklingt, weiter zur Idee der „absoluten Musik“. Ein Schlüsseltext ist hier die Rezension von LUDWIG VAN BEETHOVENs (1770–1827) 5. Symphonie von 1810. Musik erschließt nach HOFFMANNs Auffassung, losgelöst von konkreten Gehalten, die Welt eines „Geisterreichs“, eine poetische Fantasiewelt. HOFFMANN nimmt dabei BEETHOVEN bereits für die „Romantik“ in Beschlag. Sein eigener Musikstil orientiert sich im Übrigen eher an WOLFGANG AMADEUS MOZART (1756–1791) und hat wenig eigentlich romantische Züge. Die musikalische Romantik beginnt im Wesentlichen erst um 1814. Literatur und Musikästhetik gehen der Musik also etwas voraus.
Die Romantiker gehörten in den 1830er-Jahren und später zu den „Beethovenern“, den Anhängern von BEETHOVENs Spätwerken. Die romantische Musikästhetik stand den bürgerlichen Institutionen wie Hausmusik, Liedertafeln, Singakademien oder Musikfesten kritisch gegenüber, bezog sich aber andererseits gerade auf das Musizieren einerseits in der häuslich-privaten Intimität, andererseits im Konzert, das oft mit kunstreligiösen, sakralen Weihen versehen wurde. Die Kunstwerke wurden Abdruck einer Seele: Sprache des frei sich äußernden Ichs, der weltfernen Subjektivität.
Die Vereinigung aller einzelnen Künste, deren Trennung als Mangel galt, im Gesamtkunstwerk ist ein zentrales Leitbild, das z.B. innerhalb der Musiktheater-Entwicklung die Gattungsvariante des „Musikdramas“ bestimmt. Idealvorstellungen beziehen sich v.a. auf die gotische Kathedrale des Hochfeudalismus, seltener auch auf das gesamtkunstwerkhafte Fest der Renaissance. Davon ausgehend meinte ROBERT SCHUMANN (1810–1856), der die romantische Musikästhetik wesentlich ausformte, die Ästhetik der einen Kunst sei auch die der anderen.
ROBERT SCHUMANN verbindet die kompositionstechnischen und materialen Errungenschaften von BEETHOVENs Musik mit romantischen Vorstellungen. Bei ihm gewinnt im Zeichen des „Poetischen“ und des unbedingten Neuen die Idee des Gesamtkunstwerks insofern an Bedeutung, als er die Musik vor allem durch Verbindungen mit literarischen Ideen und Wortbezügen bedeutsam auflädt. Mit „absoluter“ Musik im Sinne einer Abstraktion von konkreten Bedeutungen hat er also nichts im Sinn – sowenig wie dann sein Freund und „Erbe“ JOHANNES BRAHMS (1833–1897).
SCHUMANN stellt das „Poetische“, „Romantische“ gegen die nüchterne „Prosa“ des bürgerlichen Alltags, komponiert zugleich aber wach, aufmerksam der Welt zugewandt. In seinem Klavierzyklus „Faschingsschwank aus Wien. Fantasiebilder für das Pianoforte“ op. 26 (1839) zitiert er z.B. sowohl den biederen sogenannten „Großvatertanz“ aus dem 18. Jh. – eine Variante des Volkslieds „Es klappert die Mühle“ – als auch die revolutionäre und in Wien verbotene Marseillaise – vorsichtshalber im ¾-Takt, als Walzer getarnt.
Mit Tonbuchstaben, Zitaten, Anspielungen erzeugt er ein geheimnisvolles Gewebe von Beziehungen und Verweisungen innerhalb seines Gesamtwerks über das Einzelwerk hinaus – und auf die Realität. In „Papillons pour le Pianoforte seul“ (Schmetterlinge für Klavier solo) op. 2 (1829–1831) montiert er Walzer, Volkston und Studentenlied mit Bezügen auf JEAN PAULs (1764–1825) Roman „Flegeljahre“ zusammen. Der Variationenzyklus „Thème sur le nom Abegg varie pour le Pianoforte“ op. 1 verwendet als deutlich vernehmbares, weit gespanntes „Thema über den Namen Abegg“ eben die Tonbuchstaben A-B-E-G-G – META ABEGG hieß eine Studentenliebe aus Mannheim.
In „Carnaval. Scenes mignonnes composees pour le Pianoforte sur quatre notes [A-Es-C-H]“ op. 9, 1834/35 legt er wieder den Namen einer Geliebten als Thema bzw. Motto zugrunde: Asch war der Heimatort der von SCHUMANN eine Zeit lang angebeteten ERNESTINE VON FRICKEN (und s [es] c h a sind auch die einzigen musikalischen Buchstaben in SCHUMANNs eigenem Namen). Außerdem zitiert er in der Nr. 21, „Marsch der Davidsbündler gegen die Philister“, nochmals den erwähnten „Großvatertanz“ als Symbol einer unromantischen und überholten Haltung.
1834 hatte SCHUMANN die „Neue Zeitschrift für Musik“ gegründet, die er bis 1844 redigierte. Sie war für SCHUMANN das Organ der „Davidsbündler“, die (nach dem biblischen Sänger David genannt) gegen die Philister kämpften. Der idealistische Bund war eine Fiktion SCHUMANNs und bestand nur in seiner Fantasie. Um als Kritiker die Musik unter verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten, hatte SCHUMANN sich drei Künstlercharaktere ausgedacht: den feurigen, voranstürmenden Florestan, den sanften, lyrischen Eusebius und den zwischen beiden vermittelnden Meister Raro. Kunst und Leben greifen so auf eigentümliche Weise vielfach ineinander.
RICHARD WAGNER (1813–1883) vollstreckte einerseits in seinen „romantischen Opern“ die romantische Musikästhetik und übersteigerte sie andererseits in ekstatische Weltflucht. Das Musikdrama des reifen WAGNERs nach 1848 verbindet Weltverneinung im Sinn ARTHUR SCHOPENHAUERs (1788–1860) – dessen Werk er 1854 kennen gelernt hatte –, (musikalischen) Rausch und unerhörten (psychologischen) Realismus („Tristan und Isolde“, begonnen 1857). Besonders im „Ring des Nibelungen“ (begonnen 1853) wird bürgerliche Realität selber – in mythologischer Verbrämung, aber doch sehr kenntlich – dargestellt.
Der Musikkritiker EDUARD HANSLICK (1825–1904) radikalisierte einerseits die romantische Musikästhetik, und wandte sich andererseits scharf gegen sie. Denn er verleugnete das Gefühl in der Musik, letztlich sogar überhaupt jeden „außermusikalischen“ Gehalt von Musik. Seine 1854 erstmals veröffentliche polemische Schrift „Vom Musikalisch-Schönen“ brachte ihm sofort große Aufmerksamkeit, teils Anerkennung, teils aber auch die erbitterte Feindschaft RICHARD WAGNERs und seiner Anhänger ein. Es ging HANSLICK um eine allerdings eng gefasste Spezifik der Musik. So verwarf er poetische Ideen, also gerade romantische Konzepte, und nannte Komponieren „Arbeiten des Geistes in geistfähigem Material“. Seine Ästhetik gipfelte in der berühmt-berüchtigten Behauptung, der Inhalt der Musik seien nur „tönend bewegte Formen.“
HANSLICK feierte JOHANNES BRAHMS (1833–1897), doch BRAHMS meinte, er schaue nach einer anderen Seite. Bei ihm als SCHUMANN-Nachfolger spielte das „Poetische“ immer noch eine erhebliche Rolle. Allerdings war er weit weniger wortgewandt und neigte dazu, mit seiner Musik verbundene Vorstellungen und Ideen eher zu verheimlichen als zu veröffentlichen.
Mit BRAHMS kommt die romantische Musikästhetik zu einem gewissen, allerdings nicht endgültigen Abschluss. In verwandelter und erneuerter Gestalt leben romantische Vorstellungen der Weltflucht, des Gesamtkunstwerks, des Poetischen und dem Alltag Entgegengesetzten gerade in der Musik, auch in der neuen Musik, weiter.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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