Opéra comique, Singspiel, Melodram

Dem Theater als Sprechtheater näher steht der Opern-Typus, bei dem gesprochene Dialoge mit musikalischen Nummern verschiedenen Ausmaßes abwechseln, vom schlichten Einlagelied bis zum komplizierten, ausgedehnten Finale wie exemplarisch in WOLFGANG AMADEUS MOZARTs (1756–1791) „Zauberflöte“ (1791).

Diesem Singspiel-Typus steht die musikalisch durchkomponierte Oper gegenüber, in der auch der Dialog, hauptsächlich in Form des Rezitativs, in Musik integriert ist. Dieses Prinzip der durchgehenden Musikalisierung wurde vor allem in der italienischen Oper seit dem ausgehenden 16. Jh. konsequent verwirklicht.

Gattungen wie die englische „Ballad opera“, die spanische „Zarzuela“, das Singspiel im 17. und 18. Jh., später seit dem 19. Jh. die Operette, episches Musiktheater und Musical blieben jedoch beim Singspiel-Typus.

Englische Ballad opera und spanische Zarzuela

Die englische Ballad opera mit gesprochenen Dialogen und Liedern ist mit volkstümlichen (englischen, schottischen, irischen) Weisen (Ballad tunes) und bekannten Melodien zeitgenössischer Opernkomponisten gestaltet. Die Wurzeln der Ballad opera liegen

  • in der während der 2. Hälfte des 17. Jh. nach England gelangten Dialogoper,
  • in Parodien auf Werke ernsten Charakters sowie
  • in der satirisch-polemischen englischen Komödie.

In den 1730er-Jahren entstand eine große Anzahl solcher Werke; danach wurde – statt der Ballad tunes – Musik bekannter englischer Komponisten verwendet.

Konservativ in der Grundhaltung, aber kritisch gegen Korruption und Gaunerei in den höheren Schichten der Gesellschaft ist z.B. die „Beggar’s Opera“ („Bettleroper“, 1728) von JOHN GAY (1685–1732). JOHANN CHRISTOPH PEPUSCH (1667–1752), ein Musiker deutscher Herkunft, schrieb die Ouvertüre und den Generalbass für die Songs. Die Musik war ansonsten eben eine Zusammenstellung von Vorhandenem (volkstümliche Lieder, Chöre, Tanzsätze, Opern-Nummern). Die in ihrer Zeit außerordentlich erfolgreiche „Beggar’s Opera“ wurde im Verlauf der Zeit mehrfach bearbeitet.

Eine spanische Ausprägung des Singspiel-Typus ist die Zarzuela. Sie entstand als höfische Gattung im 17. Jh. und bevorzugte daher mythologische und heroische Stoffe und prunkvolle Aufführung. Im Laufe des 18. Jh. aber geriet sie gegenüber der dominierenden italienischen Oper in Vergessenheit.

Französische Opéra comique

Diese Gattungen gehören in den historischen Zusammenhang der bürgerlichen Aufstiegsbewegung im 18. Jh. besonders etwa seit den 1740er-Jahren. Wesentliche Neuerungen wie die Herausbildung von kontrastreichen Ensembles oder groß angelegten und Akt-Schlüssen gingen von der italienischen komischen Oper und der „Opera buffa“ aus. Beide waren ein entscheidendes Vorbild für die französische „Opéra comique“ („komische Oper“). Sie arbeitet wie das Singspiel im Unterschied zum durchkomponierten italienischen Operntyp mit gesprochenen Dialogen.

Der Philosoph, Schriftsteller und Musiktheoretiker JEAN JACQUES ROUSSEAU (1712–1778) komponierte 1752 ein Muster der neuen Gattung mit seinem idyllisch-pastoralen „Le Devin de Village“ („Der Dorfwahrsager“). Hier komponierte er, der radikale plebejische Aufklärer, der kurz darauf die französische Sprache als schlechthin ungeeignet fürs Musiktheater erklärte, in eben dieser Sprache eine Art französische Opera buffa – sogar mit Musikalisierung der Dialoge. Das Stück hielt sich auf der Pariser Bühne bis 1829. 1766 erschien in London eine englische Version, und 1768 komponierte WOLFGANG AMADEUS MOZART (1756–1791) den Stoff als „Bastien und Bastienne“.

In diesem Zusammenhang entfaltete sich die französische „Opéra comique“. Im volkstümlichen französischen Typus des Schauspiels mit Musik bzw. Singspiels auf dem städtisch-plebejischen Jahrmarktstheater gab es, abgesehen von Pantomime und Improvisation, nur gesprochenen Dialog. Gewissermaßen als Kreuzung dieses Typs mit der Opera buffa entwickelte sich dann die Opéra comique mit ihrem ebenfalls nur gesprochenen Dialog. Bei diesem setzte sich dann rasch gegenüber der Variante des Vers-Dialogs die Prosa durch.

Hauptentwicklungstendenz auch schon vor 1750 war die Wechselbeziehung von Musikalisierung der Komödie und Dramatisierung der Musik. Hier spielte nicht zuletzt das Vorbild der Opera buffa eine erhebliche Rolle. Besonders in den 1760er-Jahren wuchs der Anteil der zunächst ergänzenden Originalmusik sprunghaft, also neue Lieder (airs nouveaux) anstelle der standardisierten Vaudevilles (Refrainlieder als Neutextierungen auf bekannte populäre Melodien.) Als rondoartig angelegtes Finale überlebte aber das Vaudeville noch lange, so etwa auch in MOZARTs „Entführung aus dem Serail“ (1782).

Ein wesentliches Merkmal der Opéra comique ist der Zeit- und Aktualitätsbezug mit einem breiten Panorama von Szenen aus dem bürgerlichen Leben. Nicht zuletzt entsprechend der sich ausbreitenden Mentalität der „Empfindsamkeit“ (sensibilité) und der wachsenden Bedeutung der Musik schwindet in der Opéra comique, wie in der Opera buffa, während der 1760er-Jahre der Charakter des Nur-Komischen im eigentlichen Sinn, indem sich das Rührende, das „Larmoyante“ (Weinerliche) von einzelnen Szenen auf das Ganze ausdehnt.

Besonders erfolgreich wurde FRANCOIS-ANDRÉ PHILIDOR (1726–1795), unter anderem Gründer der epochemachenden Konzertreihe der „Concerts spirituels“. Er komponierte sämtliche Typen der Opéra comique (u.a. „Le Jardinier et son Seigneur“, 1761; „Le Sorcier“, „Tom Jones“, 1765) ; „Sancho Pansa“, „La Belle Esclave“,1787). Er verband häufig Idyllik und Sozialkritik.

Sogar CHRISTOPH WILLIBALD GLUCK (1714–1787) bearbeitete bzw. komponierte zwischen 1755 und 1763 mehrere Werke der Gattung. Eine auf kaiserlichen Befehl 1752 nach Wien gekommene französische Theatertruppe spielte sowohl Komödie wie auch Opéra comique. GLUCK bearbeitete einige Werke und reicherte sie vor allem mit Musik an, so etwa bei „La fausse esclave“ („Die falsche Sklavin“, 1758). Bei „Le Cadi dupé“ („Der betrogene Kadi“, 1761) ersetzt GLUCKs Musik die eines französischen Komponisten. Sein Hauptbeitrag ist „La rencontre imprévue“ („Die Pilger von Mekka“, 1764). Musikalisch bringt GLUCK hier – neben drastischem Naturalismus etwa der Charakterisierung von Bettelmönchen und Tonmalereien nach französischem Geschmack – Elemente der Opera buffa besonders in die Melodik ein.

Von Umfang wie stofflich-musikalischer Spannweite und sozialer Reichweite der Produktion her am wichtigsten wurde ANDRÉ ERNEST MODESTE GRÉTRY (1741–1813). Komödien sind dabei nur ein relativ geringer Teil seines Gesamtwerks – etwa „La Fausse Agie“ (1775), „Le Tableau Parlant“ (1769). „Zémire et Azor“ (1771), einer der größten Opernerfolge der Zeit, verbindet traditionelle „féerie“ mit dem auf die romantische Oper voraus weisenden Erlösungsgedanken.

„Magnifique“ (1773) bringt als Neuerung eine Verbindung von Ouvertüre und Anfangsszene mit musikalischer Schilderung der (historischen) Straßenkulisse. Nach „Aucassin et Nicolette“ (1779) folgt als ein Hauptwerk „Richard Löwenherz“ (1784). Geschichtsträchtig wurde die Oper durch die Einführung eines Erinnerungsmotivs. Bereits in die Revolutionszeit fallen das Schauerstück vom Blaubart „Raoul Barbe Bleu“ (1789) und – mit heroischen Volks- und Aufstandsszenen – „Guillaume Tell“ (1791). Mit GRÉTRYs Werk geht die Opéra comique in die „Rettungsoper“ und Revolutionsoper der Revolutionszeit nach 1789 über.

Deutsches Singspiel

Das Singspiel als ein gesprochenes, meist heiteres Theaterstück mit mehr oder minder ausgedehnten musikalischen Einlagen (vor allem Lieder, aber auch Instrumental-Sätze und Tänze) ist eine gesamteuropäische Erscheinung. Den wichtigsten Anstoß für das deutsche Singspiel gab 1743 in Berlin die Aufführung der ins Deutsche übertragenen Ballad opera „The Devil to Pay“ als „Der Teufel ist los“. Mehrere Bearbeitungen, unter dem Titel „Die Verwandelten Weiber“, schlossen sich in den 1750er- und 1760er-Jahren daran an.

Die Musik erhielt besonders bei JOHANN ADAM HILLER (1728–1804) allmählich mehr Raum und bestand vor allem aus liedhaften Arietten, mitunter aus größeren Arien, später auch aus Ensembles (Duette, Terzette, Quartette). Den Schluss bildete regelmäßig ein dem Vaudeville nachgebildeter Rundgesang mit Chor. HILLER vermehrte in einer von ihm veranlassten neuen Textfassung der „Verwandelten Weiber“ 1766 die Zahl der Musiknummern von 18 auf 37.

Weitere Singspiele von HILLER, basierend auf französischen Vorlagen, sind „Lottchen am Hofe“ (1767), „Die Liebe auf dem Lande“ (1768), „Die Jagd“ (1770). Die Stoffe waren meist dem Landleben entnommen und hatten oft sentimental-bürgerlichen Charakter bis hin zum sehr Biederen. Bei starker Neigung zu Idyllik und Verklärung enthalten diese Singspiele doch direkt oder indirekt eine anti-höfische Spitze. Vorbild blieb musikalisch und textlich die Opéra-comique.

Vom Singspiel angeregt wurde auch die Idee einer deutschen Oper. Einen Versuch in dieser Richtung unternahm z.B. CHRISTIAN GOTTLOB NEEFE (1748–1798) mit „Adelheid von Veltheim“ (1780). Zentrum des Singspiels war zunächst Leipzig, bis eine Neubelebung durch das von JOSEPH II. (1741–1790) gegründete kurzlebige Wiener „National-Singspiel“ (1778 eröffnet) erfolgte. Bodenständige Traditionen (Marionettenoper) und Elemente und Typen der Opera buffa, auch der Opéra-comique, verbanden sich hier.

Zum Umfeld des Wiener Singspiels mit seiner reicheren Ausbildung der Musik gehören u.a. die erfolgreichen Werke von KARL DITTERS VON DITTERSDORF (1739–1799), z.B. „Doctor und Apotheker“ (1786). Für ihn war vor allem die Opera buffa Vorbild; lediglich in der Melodik bewahrte die Musik einen volkstümlichen Zug süddeutscher Prägung. Das Wiener Zauber-Singspiel pflegte vor allem PAUL WRANITZKY (1756–1808), u.a. mit „Oberon“ (1791). Singspielhaft-idyllisch bleiben JOSEF WEIGLs (1766–1846) Werke, u.a. die lange sehr erfolgreiche „Schweizerfamilie“ (1809).

MOZART griff mit der „Entführung aus dem Serail“ (1782) einen verbreiteten, bereits als Singspiel komponierten Text auf samt einem im Zuge der „Türkenmode“ aktuellen und populären Stoff. Die „Zauberflöte“ (1791) ist dann formell ein Singspiel, musikalisch-dramaturgisch eine deutsche Oper. Sie leitet zu deren deutschen Ausprägungen im frühen 19. Jh. über.

Melodram

Weitreichend wurde die Gattung des Melodrams, das zur Geschichte des deutschen Singspieltypus gehört. Ausgangspunkt war hier die „lyrische Szene“ „Pygmalion“ von JEAN JACQUES ROUSSEAU (1712–1778) von 1770. Das strukturell-technisch entscheidende Merkmal ist eine Art Umgehung des Rezitativs durch eine spezifische Kombination von Sprechen und Instrumentalmusik: das Orchester erläutert, untermalt, kommentiert – zeitgleich oder zeitversetzt (vorher oder nachher einsetzend) – das Sprechen (Monolog beim Monodrama, Dialog bei Einführung mehrerer Personen) und die Handlung bzw. Aktion.

Das Muster wurde das „Duodrama mit musikalischen Zwischensätzen in einem Akt“ „Ariadne auf Naxos“ (1775) von GEORG ANTON BENDA (1722–1795). BENDA entwickelte hier in Umsetzung des orchesterbegleiteten Accompagnato-Rezitativs einen kurzgliedrigen, dichten Orchesterkommentar mit ausdruckgeladenen Erinnerungsmotiven. BENDA komponierte auch Singspiele wie „Der Dorfjahrmarkt“ (1775) oder „Romeo und Julia“ (1776).

Das Prinzip des Melodrams wie BENDAs Verfahren beeindruckte noch MOZART, der mit „Zaide“ (1781) sogar ein eigenes Melodram komponierte. Den durchschlagenden Erfolg wiederholte BENDA mit „Medea“ (1775), einem einaktigen Mehrpersonen-Stück samt stummen Rollen. Den Vorrang des Theaters zeigt die Gattungsbezeichnung als „Ein mit Musik vermischtes Drama“.

Ein weiteres Beispiel der Gattung ist „Sophonisbe“ (1778) von CHRISTIAN GOTTLOB NEEFE (1748–1798), der sogar Chor einsetzt. Schon Anfang der 1780er-Jahre erlosch die Neuproduktion von selbstständigen Melodramen weitgehend, auch wenn einzelne Werke wie die von BENDA bis weit ins 19. Jh. populär blieben. Wichtig und lebendig aber blieb das Melodram-Prinzip: Einerseits in Gestalt von Konzert-Melodramen – vor allem Balladen mit Klavier- oder Orchesterbegleitung – andererseits innerhalb von Schauspiel- bzw. Bühnenmusiken.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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