- Lexikon
- Musik
- 5 Gattungsgeschichte
- 5.3 Musikalisches Theater
- 5.3.3 Musizieren als Theater
- Musizieren als Theater bei Kagel und Schnebel
Die Theatralisierung des Musizierens vollzog sich parallel zur Erweiterung des musikalischen Materials und der Hinwendung zur „offenen Form“, zu der Idee, die Komposition als Prozess zu begreifen. Oft steht die Klangerzeugung, also die Aktion des Musizierens, dabei im Mittelpunkt und bestimmt den Verlauf der Komposition. Deren Ausgang ist damit nicht mehr vorhersehbar, sie entsteht bei jeder Aufführung also „neu“.
Den Anstoß für diese Entwicklung gab JOHN CAGE (1912–1992). In seinen experimentellen Stücken, die zu den Ursprüngen der Happening-Bewegung gehören, spielen theatrale Momente eine entscheidende Rolle. So hat in seiner „Water Music“ (1952) der Pianist in einem vorgegebenen Zeitrahmen Tasten anzuschlagen, aber auch andere Aktionen, wie
zu vollziehen. Das szenische Moment des Musizierens, die theatrale Qualität von Musik durch das Zusammenspiel von Optischem und Akustischem, wird hier ins Bewusstsein gerufen. Die Aktionen treten in den Mittelpunkt und werden durch den Komponisten gestaltet und miteinander verknüpft.
Kompositionsgeschichtlich kann man die neuen Formen des Musiktheaters auch als eine Konsequenz des seriellen Denkens betrachten, das in den 1950er-Jahren seinen Höhepunkt erreichte und hier nun alle Dimensionen des Klanges – einschließlich des Raumes, in dem er sich entfaltet – mit einschließt. Das Orchester wird am Aufführungsort um das Publikum herum gruppiert oder die Musiker bewegen sich durch den Raum, z.B. bei dem Stück „Gruppen“ für drei Orchester (1955–1957) von KARLHEINZ STOCKHAUSEN (* 1928). Auch die neuen musikalischen Möglichkeiten, die die elektronische Musik bietet, und aufführungstechnische Bedingungen haben hier zu neuen musikalischen Perspektiven geführt. In seinem Stück „Gruppen“ für drei Orchester (1955–1957) bewegen sich die Musiker durch den Raum.
KARLHEINZ STOCKHAUSEN (1928–2007)
Sichtbare Musik ist Musik, die des Zuschauens bedarf, weil sie sich ins Optische entfaltet. DIETER SCHNEBEL (* 1930), der für die Theatralisierung der Musik den Begriff „Sichtbare Musik“ prägte, betonte
Das Szenische – Bewegungen und Gestisches – erhält gegenüber der Musik einen eigenen Wert. Hören und Sehen sind gleichermaßen wichtig.
werden autonom, als voneinander unabhängige Ausdrucks- und Gestaltungsmittel behandelt, beispielsweise in
Dies ist mit einer Auflösung der traditionellen Aufführungspraxis verbunden. Eine experimentelle kompositorische Praxis erlaubt, das erweiterte musikalische Material strukturell und formal auf neue Art und Weise zu organisieren.
Musik als Theater, das bedeutete auch, die Musik selbst zu hinterfragen und ihre gesellschaftlichen Bedingungen offenzulegen. In der Auseinandersetzung mit der Musik und Ästhetik der Avantgardewegung, mit JOHN CAGE und Fluxus (intermediale Kunstform, in der Elemente aus Musik, Theater, Film, Kunst, Literatur und elektronischen Medien gleichberechtigt genutzt wurden), schrieb DIETER SCHNEBEL um 1960 eine Reihe von Stücken, die die Musik selbst und ihre aufführungspraktischen Konventionen zum Thema machen und zur Schau stellen. Dazu gehört beispielsweise die kleine Werkreihe „Visible music I–III“ (1960/1961). Anfang der 1960er-Jahre wurden die Stücke mit großem Erfolg, aber auch skandalumwittert uraufgeführt. Beim Publikum, das teilweise auch einbezogen ist, riefen diese Werke oft Irritationen hervor.
Sprache, Gestik, Verhalten und Kommunikation sind die Angelpunkte des gesamten künstlerischen Schaffens von SCHNEBEL.
Auch MAURICIO KAGEL (* 1931) komponierte um 1960 eine Reihe von Werken, in denen das Theatrale der Musik und des Musizierens im Mittelpunkt steht und die neue Formen des Musiktheaters hervorbrachten. Schon seit den 1950er-Jahren experimentierte KAGEL mit verschiedenen Schallträgern, mit elektroakustischen und audiovisuellen Medien und ist Komponist wie Regisseur seiner Werke, für
Wie auch SCHNEBEL beschäftigte sich KAGEL mit den Bedingungen des Musizierens und der Aufführung. KAGELs „Instrumentales Theater“ bezieht
Ins Zentrum rücken das „Musikmachen“, also das Hervorbringen von Klängen und die Aktionen der Interpreten, die hier zu schauspielernden Musikern werden. Verbunden damit sind
Der Effekt der Verfremdung tritt hier in Erscheinung und „Altes“ erscheint in neuem Zusammenhang. KAGEL bedient sich u.a. des Mittels der Montage und verwendet unterschiedliche Medien, um den eindeutigen semantischen Bezug des musikalisch verwendeten Materials aufzulösen und das Moment der Offenheit und Vieldeutigkeit zu erreichen. Zum „Instrumentalen Theater“ KAGELs gehören beispielsweise die Stücke
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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