Messe-Typen in der Renaissance

Begriffsbestimmung

Das Wort „Messe“ ist unmittelbar aus der kirchenlateinischen Formel „ite missa est“ (Geht, die [gottesdienstliche] Versammlung ist entlassen) hervorgegangen. Der Begriff steht für den Hauptgottesdienst der frühchristlichen und der katholischen Kirche. Als Sinn der Messe gilt die symbolische Wiederholung des Opfertodes Christi (kirchenlat.: „missa“ = liturgische Opferfeier). Folgende Einteilun in zwei Hauptbereiche der Messe kann man vornehmen:

  1. das Ordinarium missae
    (Folge von feststehenden Teilen) und
  2. das Proprium missae
    (Folgen von veränderlichen Teilen).

Das Ordinarium missae (lat.: „ordinarius“ = ordnungsgemäß) besteht aus fünf Teilen:

  • Kyrie,
  • Gloria,
  • Credo,
  • Sanctus (mit Benedictus und Osanna) sowie
  • Agnus Dei.

Diese Abschnitte haben einen feststehenden Text und sind ein fester Bestandteil der Messe.

Zum Proprium missae (lat.: „proprius“ = eigentümlich, besonders) gehören:

  • Introitus,
  • Graduale,
  • Alleluja,
  • Offertorium,
  • Communio.

Diese Teile ändern sich gemäß der Ordnung des Kirchenjahres. Der Text ist dem jeweiligen Anlass zugehörig.

Papst GREGOR  I. („der Große“, um 540–604) reformierte die römische Liturgie und sorgte dafür, dass die nach ihm benannten (gregorianischen) Choräle zur Norm des liturgischen Gesangs der katholischen Kirche wurden.

Papst GREGOR I. („der Große“, um 540–604) reformierte die römische Liturgie und sorgte dafür, dass die nach ihm benannten (gregorianischen) Choräle zur Norm des liturgischen Gesangs der katholischen Kirche wurden.

Messe-Typen in der Renaissance - Gemälde Papst Gregor I.

Gregorianischer Choral

Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Messe entsteht der Gregorianische Choral. Darunter versteht man die einstimmigen, unbegleiteten, lateinsprachigen, liturgischen Gesänge der römischen Kirche. Die Reformation der römischen Liturgie durch Papst GREGOR I. (um 540–604) sorgte dafür, dass die nach ihm benannten Choräle zur Norm des liturgischen Gesangs der katholischen Kirche wurden. Die Melodien der Messgesänge entsprachen also den Melodien Gregorianischer Choräle.

Die Gregorianischen Gesänge waren seit dem 9. Jh. ebenso die Grundlage früher mehrstimmiger Kompositionen. Eine wichtige Quelle dieser Zeit ist die „Musica Enchiriadis“ (um 900). In den hier beschrieben Kompositionen tritt zu

  • dem unveränderten Choral, dem cantus firmus oder auch tenor,
  • eine Oberstimme, der Diskant, hinzu.

Nach diesen Regeln baut sich auch der vierstimmige Satz von GUILLAUME MACHAUTs (um 1300–1377) „Messe de Nostre Dame“ (1364) auf. Ausgangspunkt ist wieder ein Gregorianischer Choral, dessen Melodie im Tenor vorgetragen wird. Diese Messe stellt die erste mehrstimmige Vertonung eines gesamten Ordinarium missae vor.

Die Messe als Zyklus

Zunächst war diese vollständige mehrstimmige Vertonung des Ordinariums noch ein Einzelfall. Doch seit dem beginnenden 15. Jh. machten es sich immer mehr Komponisten zur Aufgabe, die separaten Teile der Messe miteinander zyklisch zu verbinden. Sie versuchten also, zwischen den einzelnen Abschnitten thematische Verknüpfungen herzustellen.

In der Fülle an Möglichkeiten, dieser Aufgabe gerecht zu werden, liegt die Entstehung der verschiedenen Messetypen begründet. Eine grobe Gliederung der entstandenen Formen orientiert sich an drei Fragestellungen:

  1. Werden nur Abschnitte des Ordinariums oder auch des Propriums vertont?
  2. Wie wird der cantus firmus behandelt?
  3. Welcher Vorlagen bedient sich der Komponist: weltlicher oder geistlicher bzw. einstimmiger oder mehrstimmiger?

Jedoch kann es bei dieser Einteilung auch teilweise zu Überschneidungen kommen.

Ordinarium- und Propriumvertonungen

In der Regel werden in einer mehrstimmigen Messekomposition nur die fünf Ordinariumssätze (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus dei) vertont. Wenn der Komponist in seine Vertonung außerdem noch Teile des Propriums mit einbezieht, entsteht die sogenannte „Plenar-Messe“.

Einen Sonderfall der Plenar-Messe bildet das „Requiem“. Dabei handelt es sich um eine musikalische Totenmesse, die ihren Namen den eröffnenden Worten des Introitus „Requiem aeternam dona eis, Domine“ (Die ewige Ruhe gib ihnen, o Herr) verdankt.
Ein erstes Requiem komponierte GUILLAUME DUFAY (um 1400–1474) um 1470. Es handelt sich um ein dreistimmiges Werk, in dem die Anzahl der Propriumsvertonungen sogar überwiegt.

Behandlung des cantus firmus

Die Namen bestimmter Messe-Typen können sich aus der Lage der zugrunde gelegten Melodie, des cantus firmus, ergeben.

  • Liegt der cantus firmus in der Oberstimme, dem Diskant, spricht man von der sogenannten „Diskant-Messe“.
     
  • Wenn sich nach altem Vorbild der cantus firmus durchgängig im Tenor befindet, gehört die Messe dem Typus der „Tenor-Messe“ an. Diese Hauptstimme erscheint in langen Noten als festigender Grund und wird zum Ausgangspunkt aller Sätze. Der Tenor muss nicht aus den Gregorianischen Gesängen stammen, sondern kann sich auch auf weltliche Liedweisen berufen.
     
  • Die „Diskant-Tenor-Messe“ bezieht sich nicht auf geistliche, sondern ausschließlich auf weltliche Gesänge. Die Melodie liegt als cantus firmus rhythmisch ausgedehnt im Tenor und wird gleichzeitig im Diskant melodisch umschrieben.
     
  • Geht die Melodik der einstimmigen Vorlage in alle Stimmen des mehrstimmigen Satzes ein, ordnet man die entstandene Messe der Gruppe der „Paraphrasen-Messe“ zu. Die Herausbildung dieses Typus steht in Zusammenhang mit der satztechnischen Entwicklung vom Cantus-firmus-Satz zum durchimitierenden Satz.
     
  • Eine besondere Form der Imitation ist der Kanon. Während der Renaissance-Zeit war mit dem Wort „Kanon“ eine Anweisung verbunden, nach der aus einer oder mehreren gegebenen Stimmen weitere abzuleiten sind. Die damals übliche Musikpraxis machte ein solches Vorgehen möglich. Messen dieser Art erhalten den Namen. „Kanon-Messe“.

Die unterschiedlichen Vorlagen

Die ursprünglichen mehrstimmigen Messvertonungen ordneten den einzelnen Teilen des Ordinariums bestimmte Gregorianische Choräle bzw. cantus firmi zu. Oft lagen diesen unterschiedlichen Vorlagen zusätzlich noch verschiedenen Tonarten zugrunde. An eine wirkliche zyklische Einheit war also kaum zu denken.

Deshalb begann man noch vor der Mitte des 15. Jh., alle Ordinariumssätze mit einem gleichbleibenden cantus firmus zu versehen. Da es sinnwidrig gewesen wäre, die fünf unterschiedlichen Funktionsteile des Ordinariums auf beispielsweise nur einem einzigen Kyrie-Choral aufzubauen, mussten sich die Komponisten anders zu helfen wissen. Es blieb nur die Möglichkeit, eine neue einstimmige Tonfolge zu komponieren, die dann als Grundlage der gesamten Messekomposition diente. So kam es zur Unterscheidung zwischen

  • der „Cantus-firmus-Messe“ und
  • der „Fremd-Tenormesse“.

Als Untergruppe zur Fremd-Tenormesse entwickelte sich die „Chanson-Messe“, welche sich auf bereits vorhandene, nicht liturgische Melodien, die Chansons, stützt.
Solche Fremd-Tenormessen wollten nicht einfach Weltliches in die sakrale Sphäre der Kirche hineintragen. Vielmehr ging es darum, den Aussagen in Kyrie und Gloria etwas Menschliches zu verleihen. Die Komponisten versuchten, die Geheimnisse der Religion in einen menschlichen Kontext zu stellen, in dem sie auf gängige Themen wie Liebe, Leid, Abschied usw., anspielten.

Normalerweise fanden die Messekompositionen ihren Ursprung in einstimmigen Vorlagen. Es gab aber auch Messen, die sich an mehrstimmigen Vorbildern orientierten. Derartige Messen heißen „Parodie-Messen“. In ihnen wird eine bereits vorhandene mehrstimmige Vokalkomposition umgestaltet. Das musikalische Material der schon fertigen Messe geht in mehrere oder alle Stimmen der neu entstehenden „Parodie-Messe“ ein. Das Verfahren der „Parodie“ in einer Messekomposition ist erstmals 1587 bei JAKOB PAIX (1556–nach 1623) nachweisbar. Er verwendet den Begriff schon im Titel seiner Messe „Parodia Mottetae Domine da nobis auxilium, Thomae Crequilonis, senis Vovibus, ad Dorium“.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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