Das Wort „System“ hat seine Wurzeln im griechisch-lateinischen „sýstéma“. Es steht für ein aus mehreren Teilen zusammengesetztes und gegliedertes Ganzes (griech.: „syn“-„istánai“ = zusammen-stellen, -fügen, vereinigen, verknüpfen).
Ein Tonsystem beschreibt demzufolge einen Gesamtvorrat an Tönen oder Klängen, die einer inneren Ordnung unterliegen. Das maßgebliche Tonsystem der Antike geht auf den altgriechischen Philosoph und Musiktheoretiker ARISTOXENOS (ca. 354–300 v.Chr.) zurück. Es beruht auf dem Tetrachord.
Der Begriff Tetrachord trägt zwei Bedeutungen in sich:
Das Intervall einer Quarte konnte mit Hilfe eines Monochord (griech.: „mono“ = eins) ermittelt werden. Dabei handelt es sich um einen kastenförmigen Resonanzkörper, der mit einer Saite überspannt ist. Durch einen beweglichen Steg lässt sich die Schwingung der Saite beliebig unterteilen. So erklingt beispielsweise bei der Halbierung der Saite (Verhältnis 1:2) die obere Oktave des ursprünglichen Tons. Wird diese Saitenlänge wiederum halbiert (Verhältnis 3:4), ergibt sich die Quarte zum Ausgangston. Eine gesamte Saite entspricht also vier Quarträumen bzw. vier Tetrachorden.
Es konnte zwischen drei verschiedenen Möglichkeiten differenziert werden, die vier Töne eines Tetrachords in absteigender Folge anzuordnen:
Diese drei Tetrachorde können auf unterschiedliche Weise miteinander verbunden werden. Entweder sie fügen sich so aneinander, dass sie beide einen gemeinsamen Ton besitzen (überlappende Tetrachorde), oder sie werden unverbunden nebeneinandergestellt und durch einen Ganzton voneinander getrennt. Im ersten Fall entsteht eine siebenstufige Leiter, in letzterem Fall eine Oktave.
Ausgangspunkt für das aristoxenische Tonsystem bildet die Tetrachordverbindung, die sich über den Oktavraum erstreckt. Fügt man dieser Oktave in der Höhe sowie in der Tiefe jeweils ein überlappendes Tetrachord und einen tiefsten Ton (Proslambanomenos = „hinzugenommener Ton“) hinzu, entsteht eine Doppeloktave. Das entspricht einer Saitenlänge eines Monochords. Bei der Verbindung von vier gleich gebauten diatonischen Tetrachorden spricht man von einem „Systema teleion“ (griech.: vollständiges System).
Die Namen der Tonstufen orientierten sich an den Saitennamen einer acht- bzw. siebensaitigen Kithara. Die Bezeichnungen der Saiten beziehen sich auf ihre räumliche Lage. Die höchste Saite trug den Namen „Néte“ (= „die Unterste“). Die tiefste Saite wurde als „Hypáthe“ (= „die Zunächstliegende“) bezeichnet. Genau dazwischen befand sich die mittlere Saite, die „Mése“.
Während die äußeren Saiten den Abstand einer Oktave repräsentieren (e1 – e), steht die Mése (a) eine Quarte über der Hypáthe.
Der Quintraum zwischen Néte „e1“ und Mése „a“ wird durch zwei Tonstufen ausgefüllt, die „neben“ diesen beiden Tönen liegen: durch die „Paranéte“ (d1) und die „Paramése“ (h, griech.: „para-“ = „neben“). Eine Stufe zwischen Mése „a“ und Hypáthe „e“ wurde ursprünglich wohl durch eine Verkürzung der tieferen Saite mit einem Fingeraufsatz gewonnen. Setzte man den Zeigefinger in einer bestimmten Position auf die Hypáthe, so erklang der Ton „g“. Er wird mit „Lichanós“ (= „der Zeigefinger“) bezeichnet.
Die Stimmung der Kithara entsprach einer halbtonlosen-pentatonischen Reihe (e1 – d1 – h – a – g – e). Sie gilt als Urform des griechischen Tonsystems.
Die Skala wurde schließlich zur diatonischen Leiter durch die „Tríte“ („c1“, = „der dritte Ton“) und die „Parahypáthe“ („f“, = „der neben der Hypáthe liegende Ton“) ergänzt. Diese siebenstufige Tonleiter besteht also aus zwei gleich gebauten Tetrachorden „e1—h“ und „a—e“, zwischen denen man sich eine Trennungslinie, die „Diazeuxis“ (= „Trennung“), dachte.
Insgesamt ergibt sich also: e1 – d1 – c1 – h – a – g – f – e
(wobei die Tonleiter hier von rechts nach links gelesen wird, wir das heute aber genau umgekehrt tun).
Innerhalb der Doppeloktave „a1 – g1 – f1 – e1 – d1 – c1 – h1 – a – g – f – e – d – c – H“ lassen sich sieben verschiedene Oktavausschnitte darstellen, die sich in ihrer Intervallfolge voneinander unterscheiden. Die Namen dieser Oktavgattungen, die Harmoniae, leiten sich von griechischen Stammesgruppen ab.
So wird beispielsweise die Reihe „e1 – e“ als dorisch bezeichnet, die Leiter „d1 – d“ als phrygisch. Die Namen stimmen aber nicht mit den mittelalterlichen Kirchentönen überein.
Um die sieben Oktavgattungen in eine bequem singbare Höhenlage zu bringen, wurden sie auf andere Tonhöhen transponiert. Es entstanden die griechischen Transpositionsskalen, die „Tónoi“ oder „Trópoi“. Die Namen der zugehörigen Oktavgattungen wurden beibehalten.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
Ein Angebot von