Feldforschung

Musikologische Feldforschung: Begriff

Unter ethnomusikologischer Feldforschung versteht man ein ethnografisches Verfahren, mit dem musikalische Systeme einer oder mehrerer Ethnien, Gruppen oder Einzelpersönlichkeiten dokumentiert, untersucht und monografisch beschrieben werden. Dies kann im Vergleich zu einzelnen oder mehreren Gruppen- bzw. Musiksystemen geschehen.

Die Forschung kann sich beziehen auf einen Stamm in Neuguinea als mehr oder weniger geschlossene Erscheinung, so gut wie auf ein ländliches oder städtisches Gebiet in Franken oder aber zum Beispiel auf eine Region in Afrika, wo die Beeinflussung kolonialer und industrieller Prozesse zu musikalischen Akkulturationserscheinungen geführt hat.

Sie kann sich beziehen auf einen Einzelmusiker, auf eine ganze Musikgruppe oder auf eine Musikerdynastie, auf einzelne typische Fragestellungen zur Musikpraktik, zum Musikkonzept, zu Instrumententypen, Musikgattungen und -stilen.

Denkbar ist die Feldforschung auch unter dem Aspekt des Musiklebens bestimmter Subkulturen, indigener Minderheiten oder Randgruppen und deren Wechselbeziehungen zum dominanten Musikleben einer Ethnie, einer Stadt, eines Landes oder einer „Nation“.

Unter dem Gesichtspunkt der heutigen Mediamorphosis (KURT BLAUKOPF, 1992) und der kulturellen Globalisierung ist die sekundäre Oralität zusätzlich ein wichtiger Ansatzpunkt für eine zeitgemäße Feldforschung. Wichtigster Aspekt bleibt jeweils die Frage nach dem Eingebettetsein des musikalischen Systems in den Gesamtablauf geschichtlicher, sprachlicher und (inter)kultureller Prozesse wie auch Identitäten, die allesamt für die Praxis und das Musikkonzept entscheidende Faktoren bilden.

audio

Historie

Im Hörbeispiel 1 ist „Kham hom“ („Sweet Words“) zu hören, ausgeführt von dem siamesischen Hoforchester aus Bangkok (Siam, heute Thailand), das u.a. im Zoologischen Garten von Berlin auftrat. Die Aufnahme wurde von dem Psychologie-Professor CARL STUMPF, einem der Wegbereiter der und Begründer der Vergleichenden Musikwissenschaft in Berlin am 24. September 1900 mit einem Wachs-Zylinder-Phonographen aufgenommen.

Die historische Aufnahme gehört zu den frühesten Tonaufzeichnungen in den Beständen des Berliner Phonogramm-Archivs und trägt die Eingangsnummer 1. Das Archiv umfasst heute über 150.000 Aufnahmen von Musik, Lied und Tanz aus der ganzen Welt.

Mit dem enzyklopädischen Anspruch alle „Stimmen der Völker“ zu dokumentieren, entstanden ab 1900 in der ganzen Welt und in den meisten Ländern zahlreiche Tonarchive. Komponisten wie BÉLA BARTÓK und ZOLTÁN KODÁLY suchten mit dem Phonographen in fernen Dörfern und Siedlungen nach traditionellen Weisen, um aus den Spuren der Geschichte auch Inspirationen für neue Klänge zu finden.

siamesisches Hoforchester aus Bangkok um 1900

siamesisches Hoforchester aus Bangkok um 1900

Feldforschung - siamesisches Hoforchester aus Bangkok um 1900

Strategie der Feldforschung

Die Strategie der Feldforschung wird entweder durch einen einzelnen Forscher oder eine Forschergruppe geplant, organisiert und durchgeführt. Sie richtet sich als Ethnografie (Beobachten, Befragen, Protokollieren, Beschreiben) der materiellen wie auch kultursozialen Manifestationen entweder auf synchrone, diachrone oder polychrone Fragestellungen aus.

Methoden der Feldforschung: Beobachten, Befragen, Protokollieren, Interpretieren (Verstehen, Erklären, Evaluieren)

Methoden der Feldforschung: Beobachten, Befragen, Protokollieren, Interpretieren (Verstehen, Erklären, Evaluieren)

Ursprünglich war der Feldforschungsgegenstand durch die Definition der Ethnologie vorwiegend auf sogenannte „schriftlose“ Völker und Kulturen, insbesondere auf „Fremdkulturen“ bezogen. Zunehmend wurde jedoch der Begriff auf die Arbeit im eigenkulturellen Bereich ausgeweitet, nicht zuletzt durch die sich heute als „europäische Ethnologie“ verstehende Volkskunde.

Der Bereich des „Forschungsgegenstandes“ kann sich in diesem Sinn sowohl auf eigen- wie auch auf fremdkulturelle Terrains beziehen, sei dies nun ein rurales oder urbanes „Milieu“, eine schriftkundige oder nicht-schriftkundige Ethnie, seien dies Klein- oder Großgruppen, Subkulturen oder Randgruppen, ethnische Minoritäten oder Majoritäten, einfache oder komplexe Gesellschaften, einschließlich der sich gegenseitig zueinander und/oder gegeneinander jeweils abzeichnenden intra- oder interkulturellen Verhaltensformen und Entwicklungsprozesse.

Ein Xikrín-Indianer (Cateté, Pará, Brasilien, 1988) beim Sound-Check von Feldforschungsaufnahmen.

Ein Xikrín-Indianer (Cateté, Pará, Brasilien, 1988) beim Sound-Check von Feldforschungsaufnahmen.

Feldforschung - Xikrín-Indianer

Die Praxis der Feldforschung ist herausgewachsen aus der Ethnografie, deren Ausgangspunkt die Datenerhebung zur systematischen Erfassung von Sitten, Konventionen und Institutionen eines oder mehrerer sich überlagernden Kultursysteme bildet. Die Arbeitstechniken des Beobachtens, Sammelns, Befragens, Protokollierens und Beschreibens in der direkten Begegnung von Mensch zu Mensch (face to face), von Mensch zu Gruppe(n) im Kontext der gemachten Erfahrungen, der selber durchgestandenen Erlebnisse und/oder des engagierten Handelns bilden die Grundlagen eines sich ständig ausweitenden äußeren und inneren Dialogs zwischen der vorerst eigenen vorerst „ethnozentrischen“ Wirklichkeit des Feldforschers und der „fremden Objektivität“ des anderen Daseins.

Der Ort des Verstehens liegt zwischen dem Hier und dem Dort, konkret in der Konfrontation des eigenen Kulturverständnisses mit dem Anderen (Fremden). In der Abständigkeit vom Eigenen zum Anderen, vom Hier und Dort, in der dialogischen Auseinandersetzung mit diesem anderen Fremden liegt das kreative Potenzial der Differenzierung und des interkulturellen Verstehens.

Ein Xikrín-Indianer (Cateté, Pará, Brasilien, 1988) bei der Selbstdokumentation mit einem portablen Kassetten-Recorder.

Ein Xikrín-Indianer (Cateté, Pará, Brasilien, 1988) bei der Selbstdokumentation mit einem portablen Kassetten-Recorder.

Feldforschungen - Xikrín-Indianer

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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