Der einstimmige Choral der römisch-katholischen Liturgie, der Gregorianische Choral, wird Kern und Grundlage. Er wird ab 600 zunächst textlich und ab etwa 650 durch Papst GREGOR I. (540–604) dann auch musikalisch vereinheitlicht. Aus dieser liturgischen Musikpraxis heraus entsteht zum einen die Notenschrift, die Komponieren überhaupt erst möglich macht. Zum anderen bildet der gregorianische Choral als cantus firmus („festliegende Stimme“) das Fundament für das mehrstimmige Komponieren (Polyphonie).
Im Karolingerreich (nach 850) zeigen sich mit den sogenannten Neumen frühe Formen der Notation. Darüber hinaus lassen sich hier auch Beispiele für eine komponierte Mehrstimmigkeit im Organum (Bezeichnung für einen mehrstimmigen Gesang in Quarten und Quinten) nachweisen. Begleitet von einer entsprechenden Musiktheorie entfaltet sich die Mehrstimmigkeit als spezifisch europäische Errungenschaft zunächst in den Klöstern, dann auch im Umkreis der städtischen Kathedralen.
Ab etwa 1090 verstärkt sich neben den sakralen Gattungen die Rolle der weltlichen Musik durch die ritterliche Liedkunst (Minnesang), die von Südfrankreich ausgehend auch auf den deutschsprachigen Raum übergreift und der seit dem späteren 13. Jh. verschiedene Entwicklungen in den städtischen Zentren folgen.
Mit der Ars Nova in Paris und dem Trecento in Norditalien wird eine neue Stufe in der Entwicklung der Notation (Mensuralnotation) und der Kompositionstechniken erreicht. Sowohl die Ars Nova als auch das Trecento sind Sammelbegriffe für die als neu empfundene Musiklehre und -praxis im 14. Jh. Gemein ist dem französischen und italienischen Stil die artifizielle Verbindung von literarisch-poetischen Texten mit der Musik. Zu den repräsentativen Gattungen des 14. Jh. gehören die Motette, das Madrigal, die Caccia und die Ballata/Ballade.
Die musikalische Renaissance entsteht ab 1400 durch franko-flämische Komponisten aus Norditalien, Nordfrankreich sowie Burgund. In dieser sogenannten franko-flämischen Vokalpolyphonie werden eine Vielzahl von geistlichen und weltlichen Gattungen wie die Mottete, das Madrigal oder das Chanson auf einen Höhepunkt geführt. Erstmals treten hier die Künstler als Schöpfer geschlossener, unverwechselbarer Kompositionen auf und beeinflussen über staatliche und sprachliche Grenzen hinweg die Musikentwicklung in ganz Europa. Nicht zuletzt die Erfindung des Notendrucks ermöglicht diese bis dahin nicht gekannte Wirkung und Verbreitung musikalischer Werke und Lehren. Als kulturelle Zentren sind sowohl die Kantoreien großer Kathedralen (Paris, Cambrai, Rom, Venedig) als auch die Hofkapellen der Fürstenhöfe von Burgund, Florenz oder Ferrara zu nennen. Obwohl den geistlichen Gattungen wie der Messe oder Motette ein höherer Stellenwert eingeräumt wird, integrieren die „alten Niederländer“ auch nationale weltliche Formen (Chanson, Caccia oder Fauxburdun) in ihre Kompositionen. Mit Gattungen wie dem Chanson und dem Madrigal als Form der „Vokalpolyphonie“ nehmen im 16. Jh. Sprachlichkeit und die Ausgeglichenheit des Tonsatzes zu. Die Vokalpolyphonie wird durch die textbezogene Expressivität zunächst noch intensiviert, aber auch von innen her aufgelöst und durch die instrumentale Ausführung mehr und mehr in Frage gestellt.
Mit der Reformation nach 1517 und der Gegenreformation seit den 1540er-Jahren beginnt das Ende der Renaissance. Die sich u.a. im Madrigal angekündigte Sprachbezogenheit leitet den Übergang zur Monodie („Sologesang mit Instrumentalbegleitung“) ein, die schließlich zu einer neuen Periode führt.
Das Musikdenken ist vorrangig christlich-europäisch geprägt. In der christlichen Musik verschmelzen antike (griechische, römische, hellenistische) sowie vorderasiatische (syrische, palästinensische, ägyptische) und jüdische Formen des Musizierens zu einer neuartigen Synthese.
Der griechische Theologe CLEMENS VON ALEXANDRIA (um 150–217) kritisiert in seiner Schrift „Paidagogós“ („Der Erzieher“) die eigenständige Musik (besonders Instrumentalmusik) und befürwortet geistliche Gesänge, v.a. Psalmen, sowie die vorsichtige Einbeziehung antik-hellenistischer Musikelemente.
Der griechische Musikschriftsteller ARISTIDES QUINTILIANUS schreibt mit seinen drei Büchern „Peri mousikes“ („Über die Musik“) eine umfassende Zusammenfassung der griechischen Musiktheorie, die zur Quelle zahlreicher mittelalterlicher Traktate avanciert.
Die historische Stadt Oxyrhynchos südlich von Kairo ist heute eine bedeutende archäologische Ausgrabungsstätte, in der vermutlich Ende des 3. Jh. das Papyrus von Oxyrhynchos entsteht. Dieses Fragment einer frühchristlichen Hymne auf die Dreifaltigkeit ist die einzige erhaltene Quelle aus dieser Zeit, in der eine Buchstabennotation sowie zusätzliche Rhythmuszeichen verwendet werden.
EPHRAIM DER SYRER (um 306–373) wirkt als Diakon und Kirchenlehrer in Nisibis und Edessa. Er gilt als wegweisender orientalischer Hymnendichter der christlichen Antike, der mit neuen Hymnenformen wie der Madrasa oder der Sogiatha die Entwicklung des frühen liturgischen Gesangs prägt.
HILARIUS VON POITIERS (um 315–um 367) ist der Verfasser der ersten Gesamtdarstellung über die Dreieinigkeit. In dem zwölfbändigen Werk „De Trinitate“ erweist sich HILARIUS VON POITIERS zudem als bedeutender Dichter lateinischer Hymnen nach syrischen und griechischen Modellen.
Der Erzbischof AMBROSIUS VON MAILAND (um 350–397) übernimmt die Tradition des Psalmengesangs (Psalmodie) aus dem Orient und schafft lateinische Hymnen mit vierfüßigen Jamben und vierzeiligen Strophen. Zumindest vier Hymnen („Aeterne rerum conditor“, „Deus creator omniu“, „Iam surgit hora tertia“ und „Intende qui regis Israel“) weisen AMBROSIUS als Schöpfer und als Gründer des Ambrosianischen Gesangs aus. Mit dem Ambrosianischen Gesang entsteht eine Sonderform des Chorals, die sich bis heute als liturgische Sondertradition erhalten hat. Das sehr weit verbreitete „Te Deum laudamus“ (auch „Ambrosianischer Lobgesang“) stammt hingegen nicht von AMBROSIUS.
Der Theologe und Philosoph AURELIUS AUGUSTINUS (354–430) verfasst „De musica libri sex“ („Sechs Bücher über die Musik“) und definiert die Musik als freie Kunst, die in pythagoreisch-platonischer Tradition stehend sowohl mathematisch als auch ethisch-ästhetisch bestimmt ist. Im Zentrum seiner musikmathematischen Überlegungen stehen Rhythmusfragen, während auf ethischer Ebene die Musik als wirksames Abbild des Göttlichen verstanden wird.
Der lateinische Schriftsteller MARTIANUS CAPELLA (um 400) übernimmt das antike Erbe von ARISTIDES QUINTILIANUS und überträgt es durch seine Schrift „De nuptiis Mercurii et Philologiae Libri IX“ („Neun Bücher über die Hochzeit Merkurs mit der Philologie“) ins Mittelalter. Die Bücher III–IX gelten als bis dato umfangreichste Darstellung der septem artes liberales, der sieben freien Künste und Wissenschaften.
Nach 400 beginnt sich mit dem Gallikanischen Gesang eine Sonderform des Chorals in Frankreich zu entwickeln, die bis ins 9. Jh. Bestand hat.
Der römische Philosoph und Staatsmann BOETHIUS (um 480–524) begründet in seinem ca. um 500 entstandenen Traktat „De institutione musica“ („Über den Unterricht in Musik“) das Fundament der mittelalterlichen Musiktheorie. Unter Bezugnahme auf das griechische Musiksystem entwickelt BOETHIUS die für das Mittelalter verbindliche Dreiteilung der Tonkunst in
BOETHIUS’ Musikanschauung bleibt im gesamten Mittelalter unangefochten.
Der römische Staatsmann und Schriftsteller CASSIODORUS (um 485–580) gründet das Kloster Vivarium und verfasst die Schriftensammlung „Institutiones divinarum et humanarum literarum“, in der er eine auf dem Konzept der Artes liberales basierende Elementarlehre entwickelt, die vor allem für die klösterliche Musikausbildung wegweisend wird.
Im Auftrag der fränkischen Königin RADEGUNDE dichtet VENANTIUS FORTUNATUS (um 540–etwa 600) ca. 569 den Kreuzeshymnus „Pange lingua“ („Preise, Zunge“), der auf viele nachfolgende Hymenkompositionen formgestaltend wirkt. Auch heute noch ist dieser Hymnus fester Bestandteil der katholischen Liturgie und wird beispielsweise am Gründonnerstag oder am Fronleichnam gesungen.
Um 600 ordnet Papst GREGOR I. (540–604) die Gesänge der katholischen Kirche neu und vereinheitlicht sie im Gregorianischen Choral. Als Gregorianischer Choral wird der einstimmige, liturgische Gesang in lateinischer Sprache bezeichnet, der von einem Spezialchor, der Schola cantorum, in Rom vorgetragen wird. Bis heute wird der Gregorianische Choral gesungen und ist damit die älteste lebendig gebliebene musikalische Kunstform in der Geschichte des Abendlandes. Die zuvor üblichen lokalen Chorrepertoires, u.a. der ambrosianische Gesang aus Mailand oder der mozarabische Gesang aus Spanien, werden durch die gregorianische Musikpraxis verdrängt. Von besonderer musikgeschichtlicher Bedeutung ist die Entwicklung der Notenschrift sowie die Herausbildung des cantus firmus im Gregorianischen Gesang, da mit der schriftlichen Fixierung von Musik das Fundament für ein mehrstimmiges Komponieren gegeben ist.
Der spanische Universalgelehrte und Theologe ISIDOR VON SEVILLA (um 560–636) schreibt etwa 630 mit seinen „Originum sive etymologiarum libri XX“ („20 Bücher über Wort- wie Sach-Ursprünge“) eine bis in die Renaissance einflussreiche Enzyklopädie, die neben dem mathematischen Musikbegriff auch die Musik als Affekt berücksichtigt.
Um 700 entsteht das byzantinische Tonsystem, als dessen Schöpfer der Theologe und Priester JOHANNES DAMASCENOS (um 675–749) gilt. Das byzantinische Tonsystem besteht aus acht Modi und wird daher auch als Oktoechos (von griech. Okto = acht und echos = Klang, Modus, Ton) bezeichnet.
Die „Musica Disciplina“ („Musiklehre“) des geistlichen Musiktheoretikers AURELIANUS REOMENSIS (um 850–877) ist das erste vollständig erhaltene Musiktraktat des Mittelalters und überdies eine außergewöhnlich praxisbezogene Schrift, in der AURELIANUS REOMENSIS nicht nur die Behandlung der Kirchentonarten und ihrer Intervalle thematisiert, sondern auch Regeln für die Praxis des Gregorianischen Chorals entwirft.
Etwa um oder nach 850 entsteht mit der „Musica enchiriadis“ („Handbuch der Musik“) in Nordfrankreich ein anonymes mittelalterliches Musiktraktat, in dem sich erstmals schriftlich aufgezeichnete Beispiele früher Mehrstimmigkeit nachweisen lassen. Neben dem Parallelsingen von Oktaven lehrt die „Musica enchiriadis“ ein fast improvisatorisches Singen in Quintparallelen (Quintorganum) sowie ein Singen in Quarten (Quartorganum). Sowohl das Quint- als auch das Quartorganum basieren auf einer musikalischen Improvisationspraxis: zu einer feststehenden Choralmelodie (vox principalis) tritt eine zweite Stimme (vox organalis), die entweder im Quint- oder Quartabstand die gregorianische Melodie begleitet. Da es sich bei den Organa in der „Musica enchiriadis“ um die schriftliche Fixierung von mündlich überlieferten Traditionen handelt, kann man hier noch nicht vom Komponieren im engeren Sinne sprechen.
Der Schweizer Gelehrte, Dichter und Musiker NOTKER BALBULUS (um 840–912) ist einer der frühesten Verfasser von Sequenzdichtungen. Seine Sequenzsammlung „Liber hymnorum“ („Das Buch der Hymnen“) entsteht zwischen 860 und 887 im Kloster St. Gallen. Ähnlich wie der Tropus ist die Sequenz eine Gattung des liturgischen Sologesangs, die als deutende Erweiterung bzw. Ausschmückung zwischen den Lesungen des Gottesdienstes oder nach dem Alleluja gesungen wird.
HUCBALD VON ST. AMAND (um 840–930) lebt in verschiedenen Klöstern, bis er 893 den Auftrag erhält, die beiden Kathedralschulen in Reims neu aufzubauen. Seine Schrift „De harmonica institutione“ ist neben der „Musica enchiriadis“ eine der wichtigsten mittelalterlichen Musiktraktate. Von besonderer musikgeschichtlicher Bedeutung ist seine Kritik an der bestehenden Neumenschrift. Durch die Verbindung von Neumen (Bezeichnungen für Vortrags- und Melodiebewegungszeichen) mit Buchstaben sowie die Einführung von Linien entwickelt HUCBALD erste Ansätze zu einer exakten Tonhöhennotation.
Der italienische Musiktheoretiker GUIDO VON AREZZO (um 992–nach 1033) ist wegweisend in der Weiterentwicklung der musikalischen Notation und genießt einen herausragenden Ruf als Musikpädagoge. Sein Hauptwerk ist der Traktat „Micrologus de disciplina artis musicae“ (nach 1026), der zu den weitverbreitetsten Musiklehren des Mittelalters gehört und in dem er das Tonsystem in Hexachorde gliedert. Der Hexachord ist eine Sechstonskala, die
Aus den Hexachorden durum und molle entstehen später die Begriffe Dur und Moll. Neben dem Denken in Hexachorden entwickelt GUIDO VON AREZZO in seiner Schrift „Epistola de ignoto cantu“ („Brief über die Art, einen unbekannten Gesang zu erlernen“) das sogenannte Solmisieren: Den einzelnen Tönen des Hexachordes werden Silben zugeordnet, um das Lernen neuer Gesänge sowie das Improvisieren zu unterstützen. Diese Silben entstammen einem Johanneshymnus und lauten ut, re, mi, fa, sol, la. Ebenfalls als Lernhilfe dienen die Notenlinien, die GUIDO VON AREZZO u.a. in seinen „anderen Regeln“ („Aliae regulae“) entwirft. Erstmalig werden Noten auf einem System von Linien im Terzabstand fixiert, wie es auch heute noch üblich ist. Mit der Festlegung dieser (gefärbten) Linien durch die Tonbuchstaben c und f legt AREZZO schließlich das Fundament für die späteren Notenschlüssel.
Zwischen 1000 und 1050 entsteht das „Winchester Tropar“, eine Handschrift aus der Kathedrale in Winchester, die zu den ältesten erhaltenen Quellen für mehrstimmige Musik zählt. Das „Winchester Tropar“ enthält u.a. 2-stimmige Organa.
Mit WILHELM VON AQUITANIEN (1071–1127) beginnt sich ab 1090 die ritterliche Liedkunst in Südfrankreich/Aquitanien und mit ihr der Troubadour (auch trobador; frz. Begriff für einen schreibenden Dichter und Schöpfer volkssprachlicher Kunstlyrik) auszubreiten. Zu den wichtigsten Troubadoren des 11. und 12. Jh. gehören des Weiteren
Die Theologin und Ärztin HILDEGARD VON BINGEN (1098–1179) ist eine der bedeutendsten Frauen des Mittelalters und Verfasserin einer Sammlung einstimmiger liturgischer Gesänge („Symphonia armoniae celestium revelationum“, etwa 1140), die im Gegensatz zu dem gregorianischen Repertoire sehr individuell geprägt und eigenständig sind.
Angeregt durch die südfranzösischen Troubadore etabliert sich ab 1150 auch in Nordfrankreich eine ritterliche Liedkunst, die von den sogenannten Trouvères getragen wird.
Auch im mittelhochdeutschen und süddeutschen Raum pflegen Minnesänger die ritterliche Liedkunst. Zu den bekanntesten Vertretern gehören u.a.
Die Kathedrale Notre-Dame in Paris wird ab 1160 zum Zentrum der komponierten Mehrstimmigkeit. Die dort tätigen Magister LEONINUS (ca. 1135–ca. 1201) und PEROTINUS (ca. 1160–ca. 1236) sind die ersten namentlich bekannten Komponistenpersönlichkeiten der europäischen Musikgeschichte. An der Schule von Notre-Dame werden die zuvor zweistimmigen Kompositionen auf insgesamt vier Stimmen erweitert. Mit der Vierstimmigkeit wird eine exakte rhythmische Notation notwendig und die sogenannte Modalnotation entwickelt sich.
Die Reimgebete „Dies irae“ („Tag des Zorns“) und „Stabat mater dolorosa“ („es stand die schmerzhafte Mutter“) entstehen vermutlich zu Beginn des 13. Jh. und werden als Sequenz in die römisch-katholische Messe aufgenommen. Die bekannte Reimsequenz „Dies irae“ wird bis heute verwendet und steht im Zentrum der Liturgie des Requiems, der Totenmesse.
Zwischen 1217 und 1250 entsteht mit der „Carmina Burana“ eine umfangreiche Sammlung von weltlichen und geistlichen Liedern. Die „Carmina Burana“ umfasst vier Teile mit insgesamt 254 Einzelstücken:
Seit 1803 ist die „Carmina Burana“ in Besitz der Bayerischen Staatsbibliothek München.
Der „Sonnengesang“ des heiligen FRANCISCUS VON ASSISI (1181/82–1226) gilt als Beginn des einstimmigen Lobgesanges, der sogenannten Lauda. Die Lauda ist eine literarische, musikalische und religiöse Gattung, die sich vor allem in Umbrien, der Toskana und in Norditalien weit verbreitet.
Etwa 1280 verfasst FRANCO VON KÖLN (um 1250) das Traktat „Ars cantus mensurabilis“, mit dem er die Entwicklung der Notenschrift und der Mehrstimmigkeit nachhaltig beeinflusst.
FRANCO VON KÖLN legt das Fundament für die Mensuralnotation, die im Gegensatz zur Modalnotation die Länge eines Tones an eine Einzelnote bindet. Das heißt, verschiedenen Notenwerten werden auch unterschiedliche Notenformen zugeordnet. Die franconische Notation kennt folgende Notenwerte:
Um 1260 entsteht mit dem „Sommerkanon“ („Sumer is icumen“) das berühmteste mittelalterliche englische Musikstück. Dieser 4-stimmige Kanon ist vom Durdreiklang geprägt und besitzt eine untextierte Fundamentstimme, die aufgrund ihrer stützenden sowie formstiftenden Funktion Pes („Fuß“) genannt wird.
ADAM DE LA HALLE (um 1237–1286/87) wird zu einem bedeutenden französischen Vertreter des mittelalterlichen weltlichen Dramas (Jeu = „Spiel“). Sein berühmtestes weltliches Spiel ist „Le jeu de Robin et de Marion“ (um 1280), dessen dramatische Ausformung aus einstimmigen Gesängen und gesprochenem Dialogen besteht.
Die Große „Heidelberger Liederhandschrift“ ist eine der umfangreichsten Sammlungen mittelhochdeutscher Lyrik und wird aufgrund des Zürcher Ratsherrn RÜDIGER MANESSE auch „Manessesche Handschrift“ genannt. Anfang des 14. Jh. entstanden, enthält sie auf 426 Pergamentblättern zahlreiche Lieder, Sprüche und Leiche (auch Lai = gälische Bezeichnung für Lied) von 140 namentlich bekannten Minnesängern, darunter WALTER VON DER VOGELWEIDE (um 1170–1230) und NEIDHARDT VON REUENTHAL (um 1180–1240).
JOHANNES DE GROCHEO wirkt um 1300 in Paris. In seiner Schrift „De musica“ verwirft er die zuvor übliche universistisch-kosmologische und abstrakte Musikauffassung. In Anlehnung an die urbane Pariser Musikkultur und Musikpraxis seiner Zeit klassifiziert er die Stile und Gattungen der Musik empirisch und unter Einschluss der volkssprachlichen, „niederen“ Musik.
Der englische Astronom und Musiktheoretiker WALTER ODINGTON (um 1278–nach 1316) schreibt etwa 1316 seine „Summa de speculatione musicae“, ein Musikkompendium mit traditioneller mathematischer Orientierung, und entwickelt die moderne englische Auffassung von der Terz (große und kleine) als Konsonanz.
Um 1316 entsteht der zweiteilige Roman „Roman de Fauvel“ von GERVAIS DE BUS (um 1310). Dabei handelt es sich um eine satirisch-moralische, bühnenmäßig realisierte Fabel, in deren Zentrum ein Pferd namens Fauvel steht. Die Fabel beinhaltet zahlreiche mehrstimmige Stücke, u.a. Motetten von PHILIPPE DE VITRY (1291–1361), die in französischer Notation (fünf Notenlinien und Notenschlüssel) fixiert sind.
Der französische Musiktheoretiker und Komponist PHILIPPE DE VITRY (1291–1361) schreibt ca. 1320 seinen Traktat „Ars nova“ („Neue Kunst“), in dem er die Mensuralnotation wesentlich weiterentwickelt. Der Traktat wurde derart wegweisend, dass man nach ihm eine musikgeschichtliche Epoche, die Ars nova, bezeichnet hat. Als Komponist wird PHILIPPE DE VITRY für die mehrtextige, isorhythmische Motette berühmt.
JOHANNES DE MURIS (1290–nach 1351) gehört neben PHILIPPE DE VITRY (1291–1361) zu den wichtigsten Vertretern der Ars nova. Seine Schrift „Musica speculativa secundum Boetium“ (etwa 1323) ist ein universitäres Lehrwerk mit Betonung der quadrivialen (mathematisch-spekulativen) Musikauffassung und wirkt bis ins 16. Jh.
Die „Messe von Tournai“ (Nordfrankreich zwischen 1300 und 1350) und die „Messe de Nostre Dame“ (um 1360) von GUILLAUME DE MACHAUT (1300–1377) gehören zu den frühesten Messezyklen, die vollständig erhalten sind. MACHAUTs Messe ist zudem die erste Messe mit vierstimmigen Messordinarien.
Um 1390 entsteht im Niederrheinischen das älteste erhaltene deutsche Weihnachtslied „Sijs willekommen heirre kerst“.
OSWALD VON WOLKENSTEIN (um 1377–1445) gilt als „letzter Minnesänger“. Aus seinem Werk sind zwei Prachthandschriften (etwa 1425 vollendet) erhalten, die neben 126 Liedern auch ein Portrait von ihm als Ritter enthalten.
Zwischen 1415 und 1420 entsteht der „Squarcialupi-Codex“ in Florenz. Diese systematische Sammlung der italienischen Trecento-Musik des 14. Jh. wird nach dem Florentiner Organisten ANTONIO SQUARCIALUPI (1416–1480) benannt.
GUILLAUME DE DUFAY (um 1400–1474) ist einer der bedeutendsten Komponisten des 15. Jh. und gilt als Begründer der franko-flämischen Vokalpolyphonie. Seine vierstimmige Motette „Nuper rosarum flore“ zählt zu seinen wichtigsten Werken und wird am 25. März 1436 zur Weihe des Florentiner Doms uraufgeführt. Die Kompositionen DUFAYs (Messen, Motetten, Hymnen, Chansons, Rondeaux) bringen den Durchbruch der Renaissance-Musik und tragen wesentlich zum Stilwandel vom isorhythmischen Motettenstil der Ars Nova zum polyphonen Satz bei.
Das „Lochamer Liederbuch“ (zwischen 1452 und 1460) wird nach seinem ersten Besitzer WOLFLEIN VON LOCHAMER aus Nürnberg benannt und ist neben dem „Glogauer Lieder- und Musikbuch“ (um 1480) eine Hauptquelle für die deutsche Liedkunst in der ersten Hälfte des 15. Jh. Das „Lochamer Liederbuch“ enthält 46 Lieder, deren Herkunft teilweise OSWALD VON WOLKENSTEIN (um 1377–1445) oder GILLES DE BINCHOIS (um 1400–1460) zugeschrieben werden können. Das „Glogauer Liederbuch“ ist eine umfangreiche Sammlung von mehrstimmigen Sätzen mit sehr populären Melodien (z.B. „Ach Elslein, liebes Elselein“) und die früheste erhaltene deutsche Musikhandschrift in Stimmbuch-Notation.
Der franko-flämische Komponist und Musiktheoretiker JOHANNES TINCTORIS (um 1435–1511) schreibt 12 Traktate, die ihm den Ruf als bedeutendsten Musikgelehrten seiner Zeit einbringen. Zu seinen wichtigsten Schriften zählt das „Terminorum musicae diffinitorium“ („Lexikon der musikalischen Fachbegriffe“, 1473), das durch die Erläuterung von 299 Termini in alphabetischer Reihenfolge als erstes Musiklexikon gilt.
ADAM VON FULDA (um 1455–1505) unterscheidet in seiner Abhandlung „De Musica“ (etwa 1490) erstmals explizit zwischen Vokal- und Instrumentalmusik und setzt sich gegen die spielmännische Praxis und für die Tradition des franko-flämischen Vokal-Stils von GUILLAUME DE DUFAY (um 1400–1474) sowie ANTHOINE BUSNOIS (* 1492) ein.
Der Spanier FRANCISCO DE LA TORRE (um 1480–1500) ist der Urheber eines der seltenen frühen Beispiele komponierter und notierter Tanzmusik. Sein Stück „La Spagna“ (um 1490) gehört zu der sogenannten Alta-Praxis. Alta ist vermutlich die Abkürzung für „alta musica“ und bezeichnet im 15. Jh. ein Ensemble aus drei lauten Instrumenten, beispielsweise Schalmei, Bomhart (Holzblasinstrument) und Laute.
Der italienische Musiktheoretiker FRANCHINUS GAFURIUS (auch GAFFORI, 1451–1522) veröffentlicht 1480 seine Musiklehre „Theoricum opus musicae disciplinae“. In dem dreiteilig angelegten Musiktraktat („Theorica musicae“, „Practica musicae“, „De harmonica musicorum instrumentorum opus“) verbindet er antikes und mittelalterliches Musikdenken mit den Musikerscheinungen seiner Zeit.
Am 15.01.1501 erscheint der erste Notendruck („Harmonicae musicae odhecatum A“) des venezianischen Verlegers OTTAVIANO PETRUCCI (1466–1539). Indem PETRUCCI das Gutenbergsche Buchdruckverfahren mit beweglichen Lettern auf den Notendruck überträgt, entwickelt er ein neuartiges Verfahren mit noch heute imponierender Perfektion und Präzision. Bis 1510 bleibt PETRUCCI der einzige europäische Musikdrucker und ediert zahlreiche Ausgaben zeitgenössischer Komponisten.
Im Rahmen der Erneuerung der Kirche beginnt der deutsche Reformator MARTIN LUTHER (1483–1546) ab 1523 mit der Dichtung deutscher Choräle, die häufig Bearbeitungen lateinischer Gesänge darstellen. Zu diesen neuen Kirchenliedern gehören z.B.
Mit den „Chansons nouvelles“ erscheint 1528 einer der ersten Drucke des französischen Verlegers PIERRE ATTAINGNANT (um 1494–1551/52). ATTAINGNANT vereinfacht das Druckverfahren von OTTAVIANO PETRUCCI (1466–1539), indem er Noten und Liniensystem in einer Drucktype (Typendruck) vereinigt.
Der deutsche Komponist und Musiktheoretiker MARTIN AGRICOLA (1486–1556) wirkt ab 1519 in Magdeburg. Nach seinem Übertritt zum Protestantismus fördert er die Entwicklung des protestantischen Choralgesangs und schreibt Traktate für den Schulunterricht und für den Laiengebrauch. Zu seinen wichtigsten Lehrwerken gehören die Schriften:
Die Liedsammlungen „Gassenhawerlin/Reutterliedlin“, die 1535 im Verlag des Druckers CHRISTIAN EGENOLFF (1502–1555) ediert werden, sind wichtige Quellen des mehrstimmigen deutschen Lieds.
Die Lautenbücher „Ein Newgeordent künstlich Lautenbuch“ (1536) oder „Ein neues Lautenbüchlein“ (1540) von HANS NEWSIEDLER (auch NEUSIEDLER, 1508–1563) dokumentieren mit ihren Tabulaturen von Tanz- und Liedsätzen die deutsche Lautenmusik der ersten Hälfte des 16. Jh.
Als überzeugter Anhänger von MARTIN LUTHER (1483–1546) veröffentlicht der deutsche Kantor JOHANN WALTER (1496–1570) nicht nur die erste Bearbeitung mehrstimmiger lutherischer Lieder, sondern er hilft LUTHER auch bei der Fertigstellung seiner „Deudschen Messe“. JOHANN WALTERs musikgeschichtliche Bedeutung liegt in der Begründung einer eigenständigen deutschsprachigen Kirchenmusik. In diesem Zusammenhang gilt WALTER als Initiator der protestantischen Choralpassion (Matthäuspassion, Johannespassion).
Der franko-flämische Komponist ADRIAN PETIT COCLICO (1499/1500–1562) benutzt in seinem Traktat „Compendium musicae“ (1552) den in der musikwissenschaftlichen Forschung häufig diskutierten Begriff der „musica reservata“. Der Terminus „musica reservata“ beinhaltet u.a. die Idee von einer Musik für gehobene und besonders gebildete Hörerkreise.
In der Sammlung „Musica nova“ (1559) führt der franko-flämische Komponist ADRIAN WILLAERT (um 1490–1562) die zeitgenössischen führenden Stile – den niederländischen, französischen und italienischen – zu einer Synthese. Die „Musica nova“ beinhaltet sowohl Madrigale als auch Motetten mit bis zu sieben Stimmen und ist nach der Stimmenanzahl systematisiert.
ADAM PUSCHMANN (1532–1600) wird zum wichtigen Vertreter des deutschen Meistersangs. Seine 1571 verfasste Schrift „Gründtlicher Bericht des Deudschen Meistergesangs“ enthält neben Tonsatzregeln auch die Organisations- und Zusammenkunftsregeln der Meistersänger („Schulordnung“).
Der englische Komponist THOMAS TALLIS (um 1505–1585) komponiert um 1573 die 40-stimmige Motette für acht 5-stimmige Chöre „Spem in alium numquam habui“ möglicherweise als Ständchen für den 40. Geburtstag von Elisabeth I.
VINCENZO GALILEI (um 1520–1591) schreibt 1580 den „Dialog über die antike und die moderne Musik“ („Dialogo della musica antica e della moderna“), der als Manifest der Monodie bezeichnet wird. In dieser Schrift polemisiert der Vater von GALILEO GALILEI (1564–1642) gegen die Polyphonie und fordert eine auf den Satzsinn achtende Textvertonung. Im Anhang der Dialoge findet sich erstmals ein Abdruck antiker Musik.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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