- Lexikon
- Musik
- 1 Musik als Kunst, Bildung und Wissenschaft
- 1.1 Was ist Musik?
- 1.1.4 Musik als Wissenschaft
- Entwicklung der Musikwissenschaft
Der Begriff „Musikwissenschaft“ ist zusammengesetzt aus zwei Wörtern: „Musik“ und „Wissenschaft“. Um den Beginn der Entwicklung der Musikwissenschaft herauszufinden, müssen deshalb beide Termini näher untersucht werden.
Schon in der Antike beschäftigte man sich mit der Erforschung der Grundlagen der „Musik“. Im 6. Jh. v.Chr. gab es physikalische Berechnungen zu Intervallen durch PYTHAGORAS (ca. 570–500 v.Chr.), auf die sich das griechische Tonsystem und die geordnete Aneinanderreihung von Tönen stützte. Solche Tonleitern werden bspw. im Musikkapitel von PLATONs (um 428–347 v.Chr.) „Politea“ („Der Staat“) beschrieben.
Die Erforschung physikalischer und mathematischer Eigenschaften von Klängen und Tönen wurde im Mittelalter fortgeführt. Die Musik zählte als theoretisches Fach zu den vier mathematischen Disziplinen:
(Quadrivium) der „sieben freien Künste“ (septem artes liberales). Dabei wird das Wort „Kunst“ nicht im heutigen Sinne verstanden. Es steht für wissenschaftliche Kenntnisse, die die eigentliche Bildungsgrundlage des „freien“ Mannes ausmachten.
Die neu gewonnenen theoretischen Erkenntnisse fanden seit dem 14. Jh. immer mehr Bezug zur praktischen Musikausübung. Die Musik orientierte sich nun an den sprachlichen Disziplinen:
(Trivium) der „sieben freien Künste“. Auch heute noch gehören die sprachwissenschaftlichen Arbeitsweisen zu den wichtigsten Methoden der Musikwissenschaft.
Der eigentliche „Wissenschafts“-Begriff ist erst seit dem 16./17. Jh. im deutschen Sprachraum nachweisbar. Er entspricht dem lateinischen „scientia“ und steht für ein geordnetes, in sich zusammenhängendes Gebiet von Erkenntnissen. Dies ist also der frühestmögliche Zeitpunkt, von Musikwissenschaft als einem tatsächlichen Wissenschaftsgebiet zu sprechen.
Musik blieb aber noch lange Zeit ein bloßes Teilgebiet übergeordneter Wissenschaftsbereiche. Als eigenes wissenschaftliches Fach wurde sie erst im 19. Jh. begründet.
Als Musikwissenschaft wird die Gesamtheit der Fachgebiete und Methoden verstanden, die sich mit allen musikalischen Phänomenen auseinandersetzen. Dazu gehören u.a. Untersuchungen auf den Gebieten
sowie Methoden
Allein diese Auswahl zeigt den breit gefächerten Umfang der Musikwissenschaft. Eine gesamte Darstellung der Geschichte der Musikwissenschaft würde an sich eine Gesamtschau aller Fachgebiete bedeuten. Doch diesem Anspruch kann man kaum gerecht werden.
Deshalb wird die geschichtliche Entwicklung der Musikwissenschaft auf einen bestimmten Zeitraum eingegrenzt. Sie beginnt mit der Herausbildung des modernen Wissenschaftsbegriffs in der Aufklärung.
Der Begriff „Musikwissenschaft“ erschien zum ersten Mal 1827 bei JOHANN BERNHARD LOGIER (1777–1846) im Titel seines Werks „System der Musik-Wissenschaft und der praktischen Komposition“. Zu diesem Zeitpunkt befasste sich das Fach fast ausschließlich mit Musik in ihrer historischen Entwicklung. Erst ab 1885 setzte sich die Bezeichnung Musikwissenschaft vollständig durch.
Seit diesem Jahr werden auch die Fachgebiete Akustik und Tonpsychologie in ihrem vollen Umfang zur Musikwissenschaft gezählt. Außerdem erschien ab 1885 die „Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft“, die im schon in ihrem Titel die Bezeichnung Musikwissenschaft trägt. Im selben Jahr legte GUIDO ADLER (1855–1941) die Trennung zwischen einem historischen und einem systematischen Bereich fest.
Die Entstehung der Musikwissenschaft als eigenständiges Fachgebiet wurde durch weitere Aspekte stark gefördert:
Die Historische Musikwissenschaft befasst sich – wie der Name schon andeutet – mit der Geschichte der Musik von der Antike bis zur Gegenwart.
In der Entwicklung dieses Fachbereichs lassen sich drei verschiedene Herangehensweisen unterscheiden.
Durch bedeutende Musikwissenschaftler des beginnenden 20. Jh. wurden die bis dahin gewonnenen Erkenntnisse zu einzelnen Epochen oder Musikbereichen noch näher untersucht.
Die Systematische Musikwissenschaft beschäftigt sich mit den physikalischen, physiologischen, psychologischen Aspekten der Musik. Vielfach ist ihr auch die Musikästhetik zugeordnet.
Die Entwicklung einer Systematischen Musikwissenschaft ist zu Beginn des 20. Jh. in Berlin anzusetzen. Durch
Die Vergleichende Musikwissenschaft (Musikethnologie bzw. Ethnomusikologie) beschäftigt sich mit den Musikkulturen der Welt und ihrem Vergleich.
Sie entwickelte sich um 1900 mit dem Ziel, „schriftlose Kulturen“ und die Musik außereuropäischer Völker zu erforschen. Als Begründer gelten
die als Herausgeber der „Sammelbände für Vergleichende Musikwissenschaft“ (1922/1923) dem Fach wichtige Impulse vermittelten. Mit der Emigration der wichtigsten deutschen Musikforscher nach 1933 in die USA in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entfaltete sich das Fach der Vergleichenden Musikwissenschaft zunächst an den amerikanischen Universitäten, bevor es in den 1960er-Jahren mit der Einrichtung entsprechender Lehrstühle auch in Deutschland wieder Fuß fasste.
Die Musiksoziologie widmet sich den gesellschaftlichen Voraussetzungen, die zur Entstehung einzelner Musikrichtungen, -formen, -gattungen usw. führen. Dazu zählt u.a. auch die Erforschung und Entwicklung musikalischer Bedürfnisse.
Ursprünglich war die Musiksoziologie ein Teilgebiet der Systematischen Musikwissenschaft. Die Entwicklung zu einem eigenständigen Teilbereich der Musikwissenschaft begann in den 1920er-Jahren bei PAUL BEKKER (1882–1937). Die frühen 1930er-Jahre sind bestimmt durch Personen, wie
Die vollständige Ausbildung zu einem selbstständigen Fach der Musiksoziologie fand erst nach dem Zweiten Weltkrieg statt.
Nach 1945 vergrößerte sich das Feld der Musikwissenschaft enorm. Immer mehr Musikwissenschaftler arbeiteten und studierten an immer mehr musikwissenschaftlichen Einrichtungen. Das beschränkte sich nicht nur auf Europa. Außerdem wurden neue Gegenstände erforscht und neue Methoden entwickelt. Bereits bekannte Dinge mussten einer genaueren Betrachtung standhalten. Diese quantitative und qualitative Ausweitung des Fachs brachte eine ständig wachsende Erkenntnis über die Musik mit sich.
Als Folge dieser beschriebenen Ausdehnung und Verfeinerung wurden die Musikwissenschaften in Teildisziplinen aufgegliedert. 1953 setzte sich die von FRIEDRICH BLUME (1893–1975) in Anknüpfung an GUIDO ADLER vorgeschlagene Aufteilung in drei Hauptbereiche durch. Er unterschied zwischen:
HANS-HEINZ DRÄGER (1909–1968) führte neben den genannten Bereichen noch eine Angewandte Musikwissenschaft (Musikkritik, musikalische Technologie) auf.
Als Reaktion auf die zunehmende Bedeutung populärer Musik in der zweiten Hälfte des 20. Jh. entstand Anfang der 1980er-Jahre die Popmusik-Forschung als eigenständiger Zweig der Musikwissenschaft. Sie beschäftigt sich insbesondere mit der Rock- und Popmusik, ihren gesellschaftlichen Hintergründen und den Technologien der Klangerzeugung. Damit greift sie auf historische, soziologische und systematische Fragestellungen zurück.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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