FRANÇOIS VIÈTE – der Name wird meist in der latinisierten Form VIETA (gesprochen: Vi-eta) angegeben – wurde 1540 in Fontenay-le-Comte (nordöstlich von La Rochelle) geboren.
Das genaue Geburtsdatum ist unbekannt. Die Familie, aus der VIETA stammte, war recht wohlhabend. Sein Vater war – wie auch andere Vorfahren – Kaufmann und konnte deshalb seinem Sohn eine gute und umfassende Ausbildung zuteil werden lassen. An einer Klosterschule der Minoriten eignete sich FRANÇOIS VIETA ein gründliches Wissen, vor allem in Fremdsprachen, an. Seine Kenntnisse in Altgriechisch gestatteten es ihm, die Werke der großen griechischen Mathematiker (wie etwa ARCHIMEDES, DIOPHANT, APOLLONIOS) im Original lesen zu können.
Mit 18 Jahren begann VIETA an der Universität von Poitiers ein Studium der Rechtswissenschaften, das er nach kurzer Zeit erfolgreich abschloss. Danach ließ er sich in seiner Vaterstadt als Anwalt nieder. Welche Wertschätzung er genoss, zeigt sich u. a. daran, dass er ausgewählt wurde, die Interessen der schottischen Königin MARIA STUART zu vertreten, als auf einem ihrer Besitztümer ein Schatz gefunden wurde.
FRANÇOIS VIETA selbst war katholisch, er wirkte aber auch für hugenottische Bürger und bewies in einer Zeit blutiger Glaubensfehden, die in der berüchtigten Bartholomäusnacht (1572) gipfelten, große Toleranz. Dank seines Ansehens berief man ihn 1571 als Advokat an das Parlament nach Paris. In dieser Stellung wurde er zum persönlichen Ratgeber von König HEINRICH II. und hatte u. a. die Aufgabe, Geheimschriften der Gegner des Königs zu entziffern.
Als der hugenottische Prinz HENRI VON NAVARRA als HEINRICH IV. König von Frankreich geworden war, ließ er sich in gleicher Weise von VIETA beraten.
In diese Jahre seiner Pariser Tätigkeit fallen auch VIETAs mathematische Studien und die Früchte seiner Beschäftigung mit dieser Wissenschaft.
1602 bat VIETA aus gesundheitlichen Gründen um seinen Abschied, der ihm unter hohen Ehrungen gewährt wurde. Bald darauf, am 13. Dezember 1603, verstarb er in Paris.
Zu seinen Lebzeiten wurden nur einige der Schriften VIETAs gedruckt, andere wurden als Nachlass herausgegeben. Bedenkt man, dass VIETA – ähnlich wie PIERRE DE FERMAT – kein Berufsmathematiker war, so sind Umfang und Wert seiner Leistungen höchst erstaunlich.
VIETAs Hauptverdienst ist die Schaffung der Grundlagen für die moderne Algebra. Zwar gab es schon in der Antike Versuche einer Formalisierung (z. B. durch DIOPHANT), auch benutzten Rechenmeister schon etliche Symbole, dennoch wurden Gesetze und Beziehungen zwischen Größen meist verbal ausgedrückt. Bei SIMON STEVIN (1548 bis 1620) findet man noch Folgendes:
einige sec 1 sind gleich 1 Mal sec 1 + einige 2
(was unserem heutigen entspricht)
Das Arbeiten mit solchen zudem oft unklaren Ausdrücken war hinderlich. Hier setzte VIETA an. Er führte konsequent neben den Ziffern Buchstaben ein, und zwar Vokale für unbekannte und Konsonanten für bekannte (variable) Größen. Das erlaubte es, mit unbekannten Größen in Form von Buchstaben wie mit Zahlen zu rechnen, sie in Gleichungen zu schreiben und diese umzuformen. (Noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sprach man in der Schule von „Buchstabenrechnung“, wenn man Algebra meinte.)
Damit wurde der Weg erschlossen, den VIETA so charakterisierte: Die Annahme des Gesuchten als bekannt und der Weg von dort durch Folgerungen zu etwas als wahr Bekanntem. Dabei benutzte er schon früher von anderen eingeführte Symbole wie z. B. die Operationszeichen „+“ und „–“ und sorgte für deren Verbreitung und Durchsetzung. Zum anderen führte er weitere Zeichen ein. Für die Multiplikation benutzte er das Wort „in“, für die Division verwendete er (auch) den Bruchstrich, bediente sich geschweifter Klammern, schrieb zwar für noch a Quadratum, aber er nutzte schon Dezimalbrüche, wobei er für unser heutiges 3,14 noch oder 3/14 schrieb.
Das Zeichen „=“ war zwar schon vom englischen Arzt und Cossisten ROBERT RECORDE (1510 bis 1558) „erfunden“ worden, doch noch nicht gebräuchlich, so schrieb VIETA aequatur oder aequale, um Gleichheit auszudrücken.
Hier ein Beispiel für die von ihm verwendete Schreibweise:
(was in unserer Schreibweise bedeuten würde)
Mit all diesen Neuerungen wurde nicht bloß die Bezeichnung verbessert. Die bessere Überschaubarkeit und Klarheit der Darstellung führte auch zu einer neuen Qualität.
So ließen sich denn auch die nach ihm benannten Wurzelsätze einfacher formulieren:
Für die Lösungen (Wurzeln) einer quadratischen Gleichung gilt:
Diese Beziehungen waren zwar schon GERONIMO CARDANO (1501 bis 1576) bekannt, doch VIETA nutzte sie konsequent und entwickelte solche Sätze für Gleichungen bis fünften Grades, sodass man sie nach ihm vietasche Wurzelsätze nannte.
VIETAs Hauptwerke zur Algebra waren die folgenden:
Bevor VIETA sich intensiv mit der Algebra befasste, hatte er sich mit Trigonometrie beschäftigt. 1579 erschien sein „Canon mathematicus“, ein Tafelwerk der trigonometrischen Funktionen. Zur Trigonometrie veröffentlichte er eine Zusammenstellung von Sätzen der ebenen und der sphärischen Trigonometrie mit entsprechenden Herleitungen (darunter den Kongruenzsatz www für sphärische Dreiecke).
Er übertrug auch CARDANOs Lösungsformel für kubische Gleichungen in trigonometrische Beziehungen und vermied dadurch den mit CARDANOs Formel nicht lösbaren Fall (casus irreducibilis). Möglicherweise gaben ihm diese Untersuchungen auch den Anstoß für seine Beschäftigung mit der Algebra.
Hervorragendes leistete VIETA bei der möglichst genauen Ermittlung der Kreiszahl . Zunächst fand er nach dem Verfahren von ARCHIMEDES mithilfe ein- und umbeschriebener regelmäßiger Vielecke aus dem 393216-Eck (216 · 6-Eck) mit einen auf neun Dezimalstellen genauen Wert und mit einen relativ leicht handhabbaren Wert, der sich auch leicht einprägen ließ. Dann aber ging er einen ganz neuen Weg, indem er durch unendliche Reihen ausdrückte, so z. B.:
Und diesen recht komplizierten Ausdruck vereinfachte er mit Mitteln der Trigonometrie zu
Es seien noch zwei Einzelergebnisse VIETAs erwähnt: Bei seiner Beschäftigung mit der antiken griechischen Mathematik rekonstruierte er den archimedischen Weg zur Dreiteilung des Winkels und fand Wege zur Konstruktion von Sehnenvierecken aus den vier Seiten, ein Problem das schon APOLLONIOS beschäftigt hatte.
Stand: 2010
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