Urnenmodelle

Urne zur Simulation des Werfen eines gezinkten Würfels

Urne zur Simulation des Werfen eines gezinkten Würfels

Um ein Los „auf gut Glück“ zu ziehen, benutzte man früher gern eine Urne. Sie bot den Vorteil, dass man in sie hineingreifen kann, ohne dabei hineinzusehen. Außerdem war es damit möglich, Alternativentscheidungen dem Zufall zu überantworten, indem zum Beispiel schwarze und weiße Steine oder farbige Kugeln als Repräsentanten der jeweiligen Alternativen zu ziehen waren. Durch eine unterschiedliche Anzahl entsprechender Ziehungsobjekte konnte obendrein die Ziehungswahrscheinlichkeit beeinflusst werden. So nutzten schon im antiken Griechenland die Priesterinnen im Tempel von Delphi Urnen mit schwarzen und weißen Bohnen, um ein Orakel zu erstellen.

Die Bedeutung von Urnenmodellen bei der Lösung stochastischer Probleme beruht wesentlich auf folgenden Umständen:

  1. Jedes Zufallsexperiment mit endlich vielen Ergebnissen, deren Wahrscheinlichkeiten rationale Zahlen sind, kann durch ein adäquates (strukturgleiches) Urnenmodell ersetzt und interpretiert werden.
  2. Mit dem Übergang zum Urnenmodell wird der reale zufällige Vorgang geordnet, auf seine wesentlichen wahrscheinlichkeitstheoretischen Zusammenhänge und Strukturen gebündelt und auf eine Art Standardsituation, die relativ einfach und bequem zu handhaben ist, zurückgeführt. Unterschiedlichste praktische Probleme können so durch dasselbe (eventuell parameterabhängige) Urnenmodell beschrieben werden.
  3. Das gedankliche Urnenmodell kann ein Objekt der Ideenfindung bei der Suche nach Lösungsansätzen für das Ausgangsproblem sein, da an ihm leichter, gleichsam experimentell Abänderungen und Modifikationen vorgenommen werden können.

Schon CHRISTIAAN HUYGENS (1629 bis 1695) benutzte in seinem Traktat über Glücksspiele zur wahrscheinlichkeitstheoretischen Analyse der fairen Wette das Ziehen eines weißen Steines aus acht schwarzen und vier weißen Steinen mit verbundenen Augen.

Im Weiteren sollen einige Urnenmodelle dargestellt werden, die gleichsam Standardsituationen bei der Analyse praktischer Probleme verkörpern.

Beispiel 1

In einer Urne befinden sich genau N gleichartige Kugeln, von denen M schwarz und N – M weiß sind. Die Kugeln sind gut durchmischt. Der Urne wird „auf gut Glück“, „blind“ eine Kugel entnommen, sodass die Wahrscheinlichkeit für die Ziehung einer bestimmten Kugel für alle gleich ist, nämlich 1 N .
Für die Wahrscheinlichkeit, eine schwarze Kugel zu entnehmen, gilt dann:
M N = p .

Diesem Urnenmodell entspricht ein BERNOULLI-Experiment mit der Erfolgswahrscheinlichkeit p (wobei „Erfolg“ bedeutet, eine schwarze Kugel gezogen zu haben).

Beispiel 2

Ausgegangen wird von der gleichen Urnensituation wie in Beispiel 1. Von der „auf gut Glück“ entnommenen Kugel wird die Farbe registriert. Danach wird die gezogene Kugel in die Urne zurückgelegt und der Urneninhalt gut durchmischt, sodass sich für eine nächste Ziehung die gleiche Wahrscheinlichkeitsverteilung und damit Unabhängigkeit ergibt.

Wird dieses Ziehungsschema mit Zurücklegen n-mal durchgeführt, so entspricht dies einer BERNOULLI-Kette und die Anzahl der insgesamt gezogenen schwarzen Kugeln ist binomialverteilt, d.h., es gilt:
P ( { A n z a h l d e r s c h w a r z e n K u g e ln k } ) = B n ; p ( { k } ) = ( n k ) p k ( 1 p ) n k ( m i t 0 k n )

Beispiel 3

Betrachtet wird das gleiche Urnenmodell wie unter Beispiel 2. Registriert wird aber nur die Anzahl der Ziehungen bis erstmalig eine schwarze Kugel entnommen wird.
Diese zufällige Anzahl X ist geometrisch verteilt, und es gilt:
P ( X = k ) = ( 1 p ) k 1 p

Beispiel 4

Betrachtet wird das unter Beispiel 2 beschriebene Urnenmodell, allerdings wird die jeweils gezogene Kugel nicht in die Urne zurückgelegt. Bei diesem Ziehungsschema ohne Zurücklegen ändert sich die Wahrscheinlichkeitsverteilung bei jeder Entnahme in Abhängigkeit vom Ausgang der vorangegangenen Entnahme. Wurde z.B. beim ersten Mal eine schwarze Kugel gezogen, so gilt für die Wahrscheinlichkeit, beim zweiten Mal wieder eine schwarze Kugel zu ziehen:
M 1 N 1

Dieses Urnenmodell entspricht einer hypergeometrischen Verteilung, und die Wahrscheinlichkeit, bei insgesamt n Ziehungen genau k schwarze Kugeln entnommen zu haben, beträgt:
( M k ) ( N M n k ) ( N n )

Beispiel 5

Eine Urne enthalte genau M schwarze und N – M weiße Kugeln. Der Urne wird „auf gut Glück“ eine Kugel entnommen und deren Farbe registriert. Die gezogene Kugel wird zusammen mit s Kugeln der jeweils gleichen Farbe in die Urne zurückgelegt. Dieser Vorgang wird insgesamt n-mal durchgeführt.

Dieses Urnenmodell entspricht einer PÓLYA-Verteilung und die Wahrscheinlichkeit, bei n Ziehungen genau k schwarze Kugeln entnommen zu haben, beträgt:
    ( n k ) M ( M + s ) ... [ M + ( k 1 ) s ] ( N M ) ( N M s ) ... [ N M + ( n k 1 ) s ] N ( N + s ) ... [ N + ( n 1 ) s ]

Die PÓLYA-Verteilung wird z.B. angewandt, um die Ausbreitung ansteckender Krankheiten zu untersuchen, wenn also das Erkranken einer Person (schwarze Kugel gezogen) die Wahrscheinlichkeit für das Erkranken anderer erhöht (mit der gezogenen schwarzen Kugel kommen s weitere schwarze Kugeln in die Urne zurück). Sie wird deshalb mitunter auch Ansteckungsverteilung genannt.

Beispiel 6

In einer Urne befinden sich genau N Kugeln, wobei jede Kugel zu einer anderen Sorte gehört, also N Sorten. Die Einteilung der Kugeln in Sorten kann am einfachsten mithilfe einer Durchnummerierung erreicht werden. Aus der Urne wird eine Kugel „auf gut Glück“ gezogen. Die Wahrscheinlichkeit, eine Kugel mit der Nummer k ( m i t k N ) zu ziehen, beträgt 1 N , d.h. diesem Urnenmodell entspricht die Gleichverteilung.

Beispiel 7

In jeder der m + 1 Urnen U 0 , U 1 , ..., U m befinden sich m Sorten von Kugeln und zwar in solchen Proportionen, dass die Wahrscheinlichkeit, in der i-ten Urne eine Kugel der j-ten Sorte zu ziehen, p i j beträgt. Für die Urne U 0 sei die Wahrscheinlichkeit eine Kugel der j-ten Sorte zu entnehmen p j . Zuerst wird der Urne U 0 „auf gut Glück“ eine Kugel mit Zurücklegen entnommen. Wurde eine Kugel der k-ten Sorte gezogen, so wird als nächstes der k-ten Urne eine Kugel „auf gut Glück“ mit Zurücklegen entnommen. Wurde jetzt eine Kugel der j-ten Sorte gezogen, so erfolgt die nächste Ziehung aus der j-ten Urne usw.
Auf diese Weise erhält man einen zufällig ablaufenden Ziehungsprozess, der einer homogenen MARKOW-Kette mit den Zuständen Z 1 , Z 2 , ..., Z m , den Übergangswahrscheinlichkeiten p i j und den Anfangswahrscheinlichkeiten p j ( m i t i , j = 1, 2, ..., m ) entspricht.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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