- Lexikon
- Mathematik Abitur
- 6 Differenzialrechnung
- 6.4 Sätze über differenzierbare Funktionen
- 6.4.0 Überblick
- Regel von Bernoulli-l'Hospital (erste Regel von l'Hospital)
Die im Folgenden betrachtete erste Regel stammt eigentlich vom Schweizer JOHANN BERNOULLI (1667 bis 1748); deswegen findet man dafür mitunter auch die Bezeichnung Regel von BERNOULLI-L'HOSPITAL.
Ausgangspunkt unserer Betrachtungen ist ein physikalisches Problem:
Die Beantwortung dieser Frage führt zur Bildung des folgenden einseitigen Grenzwertes:
Fasst man nun den Zähler als Funktion u mit und den Nenner als Funktion v mit auf, dann läge es nahe, den Grenzwertsatz für den Quotienten zweier Funktionen anzuwenden, doch dessen Voraussetzung ist wegen nicht erfüllt.
Wendet man ihn dennoch formal an, so führt das auf den unbestimmten Ausdruck .
Mathematisch stößt man hier auf bestimmte Grenzen, physikalisch ist das Problem aber lösbar: Beim Schließen des Gleichstromkreises bewirkt die Selbstinduktion ein verzögertes Ansteigen des Stroms. Der Widerstand R des Stromkreises führt dazu, dass sich nach kurzer Zeit der nach dem ohmschen Gesetz geltende konstante Wert einstellt.
Die punktuelle Änderungsrate (Anstieg, Steigung) der Stromstärke ist durch die 1. Ableitung bestimmt.
Für den Einschaltmoment nimmt sie den von R unabhängigen Wert an. Wäre also der Widerstand R gleich null, so würde dieser Anstieg unverändert andauern, also für die Stromstärke würde gelten .
Als (rein) mathematisches Beispiel betrachten wir das folgende:
Sowohl die Zählerfunktion als auch die Nennerfunktion streben für gegen null.
Wir erhalten also wiederum einen unbestimmten Ausdruck der Form .
Zerlegt man nun f in ein Produkt aus den beiden Faktoren x und , dann kann man mit dem Grenzwertsatz für das Produkt zweier Funktionen schlussfolgern:
Mithilfe des Mittelwertsatzes der Differenzialrechnung ist es möglich, dieses Ergebnis unter anderen Gesichtspunkten zu begründen und entsprechend zu verallgemeinern. Dazu betrachten wir die Graphen von u und v.
Beispiel zur (ersten) Regel von l'Hospital
Eine Parallele zur y-Achse im Abstand schneidet die Graphen von u und v in den Punkten . Verbindet man nun diese beiden Punkte mit dem Koordinatenursprung O, so sind die Geraden OP und OQ Sekanten der Graphen von u und v. Da beide Funktionen im Intervall differenzierbar sind, gibt es nach dem Mittelwertsatz im offenen Intervall mindestens zwei Stellen a und b, sodass gilt:
Somit ist , und für den Grenzwert erhalten wir:
Strebt nun x gegen null, so streben offensichtlich sowohl a als auch b ebenfalls gegen null. Da ist, ergibt sich .
Demzufolge ist:
Für sind die Überlegungen analog, so dass in der Tat gilt:
Dieses Ergebnis lässt sich zur (ersten) Regel von L'HOSPITAL verallgemeinern:
Anmerkungen: Die Regel von L'HOSPITAL kann (wenn jeweils die Voraussetzungen erfüllt sind) auch mehrfach hintereinander angewendet werden.
Zu beachten ist ferner, dass man Zähler- und Nennerfunktionen getrennt ableitet und nicht nach der Quotientenregel verfährt.
Beispiel 1:
Es ist:
Beispiel 2:
Für gehen sowohl die Zählerfunktion als auch die Nennerfunktion gegen null, aber es ist nicht absehbar, was mit dem Quotienten passiert, deshalb überprüfen wir den Grenzwert des Quotienten der Ableitungen:
Also ist .
Beispiel 3:
Für streben sowohl die Zähler- als auch die Nennerfunktion gegen null. Der Quotient der Ableitungen ist:
Da wiederum Zähler- und Nennerfunktion für gegen null streben, wird ein weiteres Mal abgeleitet:
Jetzt ist und demzufolge gilt:
.
Anmerkung: Die Regel von L'HOSPITAL lässt sich nicht anwenden, wenn die Zähler- oder die Nennerfunktion einen endlichen von null verschiedenen Grenzwert hat. Zum Beispiel ist . Eine formale (nicht die Voraussetzungen prüfende) Anwendung der Regel von L'HOSPITAL führt zu dem falschen Ergebnis .
Greifen wir nochmals das Eingangsbeispiel auf.
Mithilfe der Regel von L'HOSPITAL erhält man:
Im Unterschied zu den physikalischen Überlegungen erweckt das mathematische Resultat eine unbegrenzte Zunahme der Stromstärke mit der Zeit. Praktisch stellt sich jedoch ziemlich schnell der konstante Wert ein (s. obiges Textbild).
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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