Lehrer Stochasius hat für den Mathematikunterricht drei Würfel mit den nachstehend abgebildeten Netzen mitgebracht.
Er schreibt eine von zehn Ziffern an die Wandtafel, die er vorher mit einem von den drei Würfeln erstellt hat:
Anmerkung: Interaktiv kann man sich auch eigene Zahlen erwürfeln.
Würfeln mit dem Würfel V
Lehrer Stochasius bittet nun die Schüler, anhand der gewürfelten Zahlenfolge eine Vermutung über den von ihm benutzten Würfel zu äußern. Es beginnt eine lebhafte Diskussion, aus der sich folgende Aussagen herauskristallisieren:
Wesentlich für die hier wiedergegebenen Überlegungen ist, dass versucht wird, aus dem Ergebnis des durchgeführten zehnmaligen Würfelns auf die schon erfolgte unbekannte Auswahl des Würfels zurückzuschließen. Man entscheidet sich dann für den Würfel, bei dem diese sogenannte Rückschlusswahrscheinlichkeit am größten ist. Geschlossen wird also aus einem stattgefundenen Ereignis auf die Wahrscheinlichkeit seiner „Gründe“, seiner „Ursachen“. Die Rückschlusswahrscheinlichkeit ist dabei eine spezielle bedingte Wahrscheinlichkeit.
Die schrittweise Analyse der Zahlenfolge bedeutet, dass man mit jedem Würfelergebnis neue Informationen erhält, die zu einer neuen Bewertung der Chancen führen, um den tatsächlich benutzten Würfel herauszufinden.
Mit dieser Problematik beschäftigte sich vor fast 250 Jahren der anglikanische Methodisten-Geistliche Reverend THOMAS BAYES (1702 bis 1761). Die dazu von ihm verfasste Abhandlung wurde allerdings erst nach seinem Tode im Jahr 1763 veröffentlicht.
Bekannt wurde das auf den Rückschlusswahrscheinlichkeiten beruhende Entscheidungsprinzip nach der Neuformulierung durch den französischen Mathematiker PIERRE SIMON DE LAPLACE (1749 bis 1829).
Beweis:
Die Ereignisse sind eine Zerlegung von genau dann, wenn es paarweise unvereinbare Ereignisse mit positiver Wahrscheinlichkeit und sind.
Somit gilt nach der Definition der bedingten Wahrscheinlichkeiten sowie der ersten Pfadregel (dem allgemeinen Multiplikationssatz) und der zweiten Pfadregel (dem Satz von der totalen Wahrscheinlichkeit):
Jetzt kann die obige Vermutung der Schüler mit dem Satz von BAYES und der darauf fußenden Entscheidungsregel überprüft werden:
Da keine Informationen über die Würfelauswahl von Lehrer Stochasius vorliegen, besitzen in der Ausgangslage alle Würfel die gleiche Wahrscheinlichkeit, d.h., es gilt:
Aufgrund der jeweiligen Würfelnetze erhält man:
Jetzt können mithilfe des Satzes von BAYES die verschiedenen Rückschlusswahrscheinlichkeiten (bezüglich des ersten Schrittes) berechnet werden:
Benutzt man diese Wahrscheinlichkeiten als neue Ausgangswahrscheinlichkeiten und wendet den Satz von BAYES rekursiv an, so ergibt sich für die von Lehrer Stochasius gewürfelte Zahlenfolge nachstehende Übersicht.
Anmerkung: Man kann die Effektivität des Satzes von BAYES interaktiv mit anderen Zahlenfolgen überprüfen wie die folgende Abbildung demonstriert.
Anwendung des Satzes von Bayes
Die Entwicklung der Rückschlusswahrscheinlichkeiten bestätigt im Wesentlichen die Aussagen der Schüler. Der Würfel V besitzt die größte Rückschlusswahrscheinlichkeit. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit von rund 0,3 für den Würfel U nicht zu vernachlässigen, so dass für eine verlässlichere Aussage weitere Würfelergebnisse günstig wären.
Ein wichtiges Anwendungsfeld für den Satz von BAYES ist die medizinische Diagnostik. Ein Arzt stellt z.B. bei einem Patienten das Symptom A fest, das von den Krankheiten verursacht sein kann. Er wird versuchen, eine Aussage über die Rückschlusswahrscheinlichkeiten zu bekommen, um diese gegeneinander abzuwägen. Dabei muss er allerdings berücksichtigen, dass bei seltenen Krankheiten die Wahrscheinlichkeit einer Fehldiagnose sehr hoch ist.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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