- Lexikon
- Kunst
- 2 Kunstgeschichte
- 2.6 Von 1900 bis zur Jahrhundertmitte
- 2.6.1 Wegbereiter der Moderne
- Wegbereiter der Moderne
Die mimetische Funktion der Kunst (Mimesis = nachahmende Darstellung der Natur), die nachahmende, gegenständlich-naturalistische Abbildung in der Malerei, war durch die Erfindung der Fotografie vor neue Herausforderungen gestellt worden. Auch die gesellschaftlichen Entwicklungen führten zu einem facettenreichen, oft unversöhnlich-gegensätzlichen Kunstpluralismus, der durch den Wandel in der gestalterischen Entwicklung der individuellen Künstler noch vielfältiger wurde. Gemeinsame Grundlinie aller Bestrebungen blieb jedoch der ständige Kampf um die Freiheit der Kunst und der Anspruch auf Befreiung des Individuums aus seinen inneren und äußeren Zwängen. Obwohl die „moderne Kunst“ besonders in ihrer Entwicklung zur „abstrakten“ Malerei meist als überwiegend formale Kunst und als Gegensatz zu allen Arten „realistischer“ – abbildender Malerei gesehen wird, zeigen gerade die inhaltlichen Themen oft die tiefe Sehnsucht nach einem neuen Menschen in einer besseren, natürlichen Umwelt.
PAUL CÉZANNE: Badende, um 1870, Öl auf Leinwand, 33 × 40 cm, PrivatsammlungSehr auf das Wesentliche reduziert arbeitete CÉZANNE schon 1870 in dem Bild „Badende“. Mehrere Werke jener Zeit verzichten fast völlig auf Farbe. Schwarz und ein ins Schwarz reiche
gingen in ihrer Malerei über den Impressionismus hinaus und wurden zu Wegbereitern der Moderne. VAN GOGH schrieb zu seiner Arbeitsweise,
„Ich habe Augenblicke, in denen die Begeisterung bis zum Wahnsinn oder zur Prophetie gesteigert ist. Anstatt, dass ich das, was ich vor mir habe, genau wiedergebe, bediene ich mich willkürlicher Farben, um mich stark auszudrücken“ (VINCENT VAN GOGH).
PAUL GAUGUIN: Der gelbe Christus, 1889, Öl auf Leinwand, 92,1 × 73 cm, Buffalo (N Y.), Albright-Knox Art Gallery„Der gelbe Christus“ kommt der naiven Kunst ROUSSEAUs schon sehr nahe. Zugleich verweisen die Malweise sowie die nur angedeuteten Proportionen
Auf der Suche nach dem „Ursprünglichen“ entdeckten Künstler und Kunstwissenschaftler die bis dahin unbeachteten Werke naiver Kunst. Die Gemälde des pensionierten Zollbeamten HENRI ROUSSEAU (1844–1910) nehmen dabei eine Schlüsselstellung für die weitere Entwicklung der Kunst im 20. Jahrhundert ein.
HENRI ROUSSEAU: Am Waldrand, um 1886, Öl, 70 × 60,5 cm, Zürich, Kunsthaus.
In seinem Bemühen, das Erlebte, das Erdachte und das Erträumte möglichst eindringlich und überdeutlich darzustellen, verändert ROUSSEAU die Größenverhältnisse, um die Bedeutung der für ihn wichtigen Einzelheiten zu betonen. Starke Hell-Dunkel-Kontraste und magische Farben lassen eine wie verzaubert wirkende Traumwelt entstehen, die zu einer Reise in die Erinnerungen und Träume der eigenen Kindheit einladen. Die Maler des Expressionismus, des Kubismus, des Surrealismus und des magischen Realismus berufen sich auf die naive Kunst und machen sie so zu einer bedeutenden Quelle ihres Schaffens.
Auch die naive Schaffensfreude und unbewusste Gestaltungskraft der Kinder fand wieder eine neue, verstärkte Beachtung. Schon zur Zeit der Aufklärung und der Romantik wurde die eigenständige Fantasie der kindlichen, bildnerischen Tätigkeit entdeckt, doch erst um 1900 entfaltete sich mit der Kunsterzieherbewegung ein systematisches, pädagogisches sowie psychologisches Interesse an der Pflege der schöpferischen Kräfte der Kinder.
Ausstellungen wie „Das Kind als Künstler“ in Hamburg 1897 und Veröffentlichungen wie „Der Genius im Kinde“ entdeckten die Kinderzeichnung als eigenständiges Ausdrucksmittel. Der erste Kunsterzieherkongress in Dresden 1901 fand mit seinen Forderungen nach einer musisch-ästhetischen Erziehung großen Widerhall innerhalb und außerhalb der Schule, und seine Empfehlungen mündeten in die Reformbewegung der 1920ger-Jahre.
Die Folgen dieser psychologischen Erkenntnisse wirken auch auf die Kunst zurück und finden sich in Bildern des Expressionismus und des Surrealismus wieder.
GIORGIO DE CHIRICO (1888–1978) schrieb 1911:
„Wenn ein Kunstwerk unsterblich sein soll, muss es alle Schranken des Menschlichen sprengen: Es darf weder Vernunft noch Logik haben. Auf diese Weise kommt es dem Traum und dem Geiste des Kindes nahe.“
Die Entwicklung im Überblick:
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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