- Lexikon
- Kunst
- 2 Kunstgeschichte
- 2.3 Renaissance (Neuzeit)
- 2.3.4 Hochrenaissance (1500-1520)
- Leonardo da Vinci
LEONARDO DA VINCI war ein Multitalent seiner Zeit. Der in Italien Geborene war zugleich Maler, Bildhauer, Architekt, Kunsttheoretiker, Naturforscher und Ingenieur. LEONARDO verkörpert wie kaum ein anderer Zeitgenosse die in der Renaissance entwickelte Idee vom Universalmenschen („uomo universale“).
LEONARDO DA VINCI wurde am 15.04.1452 in Vinci (bei Florenz) als unehelicher Sohn des Notars SERPIETRO und des Bauernmädchens CATARINA geboren. Er begann nach dem Umzug seines Vaters nach Florenz (1466) um 1469 seine Lehre bei ANDREA DEL VERROCCHIO (1436–1488) in Florenz, in dessen Werkstatt er nach seiner Aufnahme in die Malergilde 1472 noch etwa vier Jahre blieb.
Nach 17-jähriger Tätigkeit am Hof des Herzogs LUDOVICO SFORZA (1452–1508) von Mailand floh er nach dessen Sturz 1499 über Mantua und Venedig nach Florenz (1500), kehrte 1506 auf Einladung des französischen Statthalters nach Mailand zurück (hielt sich 1507 und 1508 länger in Florenz auf) und begab sich 1513 nach Rom. 1516 folgte er der Einladung FRANZ’ I. (1494–1547) nach Frankreich.
Durch seine vielseitige künstlerische Tätigkeit und unermüdliche Beschäftigung mit nahezu allen seiner Zeit bekannten Wissensbereichen verkörpert LEONARDO die in der Renaissance entwickelte Idee vom Universalmenschen („uomo universale“). Da sich für ihn Erkenntnis v. a. auf visuelle Wahrnehmung gründete, entstand eine einzigartige Wechselbeziehung zwischen Wissenschaft und Kunst.
Malerei (die LEONARDO als die Königin aller Wissenschaften bezeichnete) bedeutete ihm sowohl Quelle der Erkenntnis als auch Mittel zur anschaulichen Vermittlung wissenschaftlicher Beobachtungen. Obwohl ihm nur wenige Gemälde mit Sicherheit zugeschrieben werden können, beweisen seine theoretischen Überlegungen, dass ihn Probleme der Malerei ständig beschäftigten. Das von ihm geplante Buch über Malerei wurde um 1550 von seinem Schüler FRANCESCO MELZI (1491-1568) aus seinen zahllosen Notizen zusammengestellt, aber erst 1651 von RAPHAEL DU FRESNE gedruckt („Trattato della pittura“).
Bereits in der „Taufe Christi“ von VERROCCHIO (um 1474/1475; Florenz, Uffizien), für die LEONARDO einen Engel und Teile der Landschaft malte, werden seine Beobachtungsschärfe und die neuartige Auffassung der Kunst deutlich:
Mit den Mitteln der Farb- und Luftperspektive, die er später auch wissenschaftlich analysierte, ließ er den festgelegten, mathematisch konstruierten Raum der Frührenaissance in unbestimmbarer Ferne verdämmern und ersetzte die harten Umrisse und Formen durch feinste Nuancierungen in Licht- und Schattentönen und eine psychologisch motivierte Bewegung. Diese Merkmale sind entscheidend für die Zuschreibung weiterer Frühwerke, u.a.
In Mailand schuf LEONARDO außer der „Felsgrottenmadonna“ (1483/1486; Paris, Louvre; zweite Fassung unter Mitwirkung von Schülern 1503/1506; London, National Gallery) v.a. „Das Letzte Abendmahl“ (Wandgemälde für das Refektorium von Santa Maria delle Grazie, 1495/1497), in dem er eine neue überzeugende Interpretation dieses Themas fand.
LEONARDO DA VINCIs Fresko markiert den Beginn der Hochrenaissance und zeigt das Abendmahl als eine Szene wie aus der Wirklichkeit:
Man blickt in ein zentralperspektivisch dargestelltes Zimmer und erkennt die symmetrische Anordnung der Wände, der Rückwand mit den Fenstern und der Balkendecke; man sieht das von links einfallende Licht, den quer gestellten Tisch mit den aufgeregt gestikulierenden Männern und in der Bildmitte eine einzelne Person, ruhig, still, die Augen niedergeschlagen, das Haupt leicht geneigt, die Arme symmetrisch vor sich auf dem Tisch: Das ist Christus, die anderen sind die Apostel.
Es ist ein Zeitpunkt markiert: Jesus hat etwas gesagt, die zwölf Jünger reagieren: verblüfft, erschrocken, fragend, ungläubig, heftig, empört, unsicher, skeptisch, zweifelnd usw. Sie bilden links und rechts von Christus je zwei Dreiergruppen.
Auch hier ist Christus hervorgehoben, allerdings mit anderen Kniffen: Er ist Bildmittelpunkt. Sein rechtes Auge liegt sowohl im Bildzentrum, wie auf dem Fluchtpunkt der Perspektivkonstruktion als auch auf dem Mittelpunkt des Segmentbogens über dem mittleren Fenster.
Christus ist einem auf seiner Basis ruhenden gleichseitigen Dreieck einbeschrieben, was verlässliche Stabilität ausdrückt. Er trägt ein Gewand in den reinen Farben rot und blau – anders die gebrochenen Töne in den Kleidern der Jünger. Seine Linke weist auf das Brot, die Rechte auf den Wein: Er hat die Eucharistie gestiftet, Brot in sein Fleisch und Wein in sein Blut verwandelt – das ist den Jüngern unverständlich und will nicht in ihre Köpfe, daher ihre Aufregung.
Der schlechte Erhaltungszustand des „Abendmahls“, der neben Umwelteinflüssen auch auf LEONARDOs Experimentieren mit noch unerprobten Techniken zurückgeführt werden kann, machte schon im 16. Jahrhundert erste Restaurierungsmaßnahmen erforderlich. In jüngster Zeit erfolgte 1977/1978 eine umfangreiche Restaurierung des Wandgemäldes (seit 1995 wieder für die Öffentlichkeit zugänglich).
Die Gebärdensprache der in Gruppen angeordneten erregten Apostel, die in einer rhythmisch wogenden Gesamtbewegung zusammengefasst sind, steht für LEONARDOs Forderung, nicht nur den Menschen, sondern durch die Bewegung auch die „Absicht seiner Seele“ darzustellen.
Zunehmend bildeten die wissenschaftlichen Einsichten die Grundlage seiner Malerei, in der die in ständigem Werden und Vergehen begriffene Welt als Einheit erscheint (während die Frührenaissance sie aus messbaren Einzelphänomenen zusammenfügte).
Die irreal anmutenden Landschaften in den beiden berühmten Gemälden „Mona Lisa“ (um 1503/1506) und „Heilige Anna selbdritt“ (um 1508/1511; beide Paris, Louvre) werden neuerdings als Deutung erdgeschichtlicher Entwicklung interpretiert, in der Nähe mit Ferne, Vergangenheit mit Gegenwart und Zukunft verbunden sind.
LEONARDO DA VINCIs Porträt einer jungen Florentinerin ist unter dem Namen „Mona Lisa“ bekannt. Es stellt nach den Schilderungen VASARIs wahrscheinlich die Kaufmannsfrau LISA DEL GIOCONDO dar. Es könnte sich aber auch um die Ehegattinnen anderer hochgestellter Florentiner Bürger handeln. In einigen neueren Theorien taucht der Gedanke auf, LEONARDO – bekannt für seine Vorliebe für junge Männer – habe einen Jüngling in Frauenkleidern dargestellt oder das Bildnis sei ein androgynes Selbstportrait des Künstlers.
LEONARDO wendete bei diesem Porträt offenbar sein Wissen über das binokulare (zweiäugige) Sehen an, wodurch nahe Gegenstände oder Personen leicht unscharf erscheinen.
Dass „Mona Lisa“ leicht verwischt erscheint, liegt – maltechnisch gesehen – am sfumato, womit der Maler eine Verschleierung der dargestellten Konturen erreicht. Die Vollkommenheit der Gestaltung von Form und Inhalt und die in weichen Tonübergängen modellierende Malweise (sfumato) begründeten schon zu LEONARDOs Lebzeiten seinen Ruhm und die bis in die Gegenwart anhaltende Faszination seiner Werke. Des Weiteren besticht die „Mona Lisa“ bis heute durch die Chiaroscuro (ital.: „hell-dunkel“), die Hell-Dunkel-Malerei.
Das Ergebnis ist ein Bild idealisierter Harmonien, vor allem eine Harmonie der Proportionen. Dies wird u.a. durch die konsequente Anwendung räumlich-perspektivischer Darstellung (Licht-Schatten, Sfumato u.s.w.) erreicht, die auch im Porträt der Mona Lisa zum Ordnungsprinzip wird.
Nicht nur von den biografischen Umständen bedingt sind die auffallend vielen unvollendeten, zum Teil nur zu Entwurfszeichnungen gediehenen Werke LEONARDOs, u.a.:
Den Vorrang, den er dem schöpferischen Entwurf (Disegno) vor der Ausführung einräumte, dokumentieren insbesondere seine zahlreichen meisterhaften Zeichnungen (z.B. „Heilige Anna Selbdritt mit Johannes dem Täufer“, 1498/99; London, National Gallery), darunter viele Detailstudien oder Kartons für geplante Gemälde.
LEONARDOs wichtigste Leistungen als Bildhauer sind die Entwürfe für zwei Reiterstandbilder
LEONARDOs Tätigkeit als Architekt beschränkte sich außer auf seine Rolle als Gutachter v.a. auf theoretische Entwürfe, die sein Interesse an den architektur- und ingenieurtechnischen Aufgaben seiner Zeit zeigen. Neben
waren v.a. seine Zentralbauentwürfe in ihrer Systematik von Bedeutung für die Baukunst des 16. Jahrhunderts.
Der Naturforscher LEONARDO ist einerseits philosophisch orientiert, ablesbar v.a. an seinem künstlerischen Werk (z.B. den Landschaftsgestaltungen), andererseits empirisch, wenn er Einzelerscheinungen untersucht, um die dahinter stehenden Kräfte und Gesetze zu erkennen.
Seine Erkenntnisse hielt er ohne planmäßige Ordnung in Merkbüchern oder auf Notizblättern fest. Er befasste sich mit Bewegungs- und Hebelgesetzen ebenso wie mit Strömungsforschung und beobachtete den Vogelflug, über den er einen Traktat im Hinblick auf die Entwicklung eines Flugkörpers für Menschen plante. In praktischer Anwendung aufgefundener Gesetzmäßigkeiten konstruierte LEONARDO Geräte und Maschinen:
Der Codex Atlanticus („Codice Atlantico“) ist Teil des Nachlasses von LEONARDO DA VINCI. Er hatte seine Zeichnungen seinem Schüler FRANCESCO MELZI vermacht. Über diesen ging er schließlich an dessen Sohn ORAZIO und später an den Bildhauer und Kunstsammler POMPEO LEONI (um 1530–1608), der die Sammlung wieder zusammenfügte.
So gelangte die Sammlung zu Graf ARCONATI, der den Codex 1636 der Ambrosianischen Bibliothek in Mailand schenkte. Der Codex Atlanticus besteht aus 1119 Blättern, (64,5 x 43,5 cm, die zwischen 1480 und 1518 entstanden sind. Er wird in der „Biblioteca Ambrosiana“, Mailand, aufbewahrt. In ihm befinden sich u.a. Zeichnungen von Maschinen und Kriegsgeräten:
Auf einer verklebten Rückseite des „Codice Atlantico“ fanden sich in den letzten Jahren Konstruktionsentwürfe für ein fahrradähnliches Fahrzeug. Auf dem Gebiet der Anatomie plante LEONARDO einen Traktat über den Bau des Körpers (Studien gibt es zu Skelett und Muskulatur, Herz und Blutkreislauf, Zeugung und Schwangerschaft). Seine Landkarten der Toskana, die er als Begleiter von CESARE BORGIA (1475–1507) schuf, gehören zu den frühesten Zeugnissen moderner Kartografie. Seine Zeichnungen auf den Gebieten der
die er als Linkshänder in Spiegelschrift kommentierte, sind in ihrer Anschaulichkeit wegbereitend für die didaktische, wissenschaftliche Demonstrationszeichnung und einzigartig in ihrer künstlerischen Intensität. Ziel seiner fragmentarischen Notizen und Illustrationen war eine groß angelegte Kosmologie und die bildliche Vermittlung eines enzyklopädischen Wissens in zahlreichen Traktaten, die jedoch im Stadium der Materialsammlung verblieben.
LEONARDOs Synthese von Wissenschaft und Kunst findet in den „Sintflut-Blättern“ (um 1512/1514; Windsor Castle, Royal Library) einen komplexen Ausdruck; in ihnen verbinden sich antike und mittelalterliche Vorstellungen mit modernen Einsichten in die Bewegungsgesetze der Elemente zu bildkünstlerischen Visionen kosmischer Katastrophen. Zu seinen letzten Gemälden gehört die Darstellung des zum Himmel weisenden Johannes des Täufers (um 1513/1516; Paris, Louvre), das sehr geteilte Aufnahme fand.
LEONARDO gilt als einer der ganz großen Anreger der Kunst- und Wissenschaftsgeschichte. Er lebte die letzten zwei Jahre auf Einladung des französischen Königs FRANZ I. in Frankreich, dort bezog er eine großzügige Pension und durfte Festlichkeiten für den Hof ausrichten. Hier, auf Schloss Cloux (heute Clos-Lucé, bei Amboise) malte er auch sein letztes Bild: „Johannes der Täufer“, das Kardinal LOUIS D’ARAGON noch kurz vor seiner Fertigstellung gesehen und überschwänglich gelobt hatte. Der Oberkörper des Johannes ragt aus dem dunklen Bildhintergrund heraus, als ob er leuchte. Sein Gesicht ähnelt in der malerischen Technik dem der Mona Lisa, die Konturen sind leicht verwischt, so erscheint es unwirklich, idealisiert und zugleich vertraut. Johannes streckt seinen Finger zum oberen rechten Bildrand empor, entrückt lächelnd. In Frankreich auf Schloss Cloux starb LEONARDO am 2. Mai 1519.
Wichtige Werke LEONARDO DA VINCIs sind:
Malerei:
Zeichnungen/Studien:
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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