Konstruktionsprinzipien: Räumliches Tragwerk (Raumtragwerk)

Beim Entwurf der Tragkonstruktion werden heute vier grundlegende Konstruktionsprinzipien unterschieden:

  • Massenbau,
  • Massivbau (Flächenbau),
  • Skelettbau (Gliederbau),
  • räumliches Tragwerk (Raumtragwerk).

Räumliches Tragwerk (Raumtragwerk)

Man bezeichnet Raumtragwerke auch als multifunktionale Konstruktionen. Die Lastabtragung kann auf mehrere Raumebenen verteilt erfolgen. Das ermöglicht

  • eine stützenfreie Überspannung sehr großer Räume und
  • höhere Tragleistung bei geringerer Masse.

Alle traditionellen im Massivbau verwendeten Dach-, Kuppel- und Gewölbeformen können als Raumtragwerke industriell hergestellt werden. Darüber hinaus sind viele neue Formen möglich, die mithilfe spezieller Computerprogramme „gezeichnet“ und berechnet werden. Der freie Entwurf von Architekten wird erst durch die komplexe Arbeit von Bauingenieuren realisierbar.

Man unterscheidet bei Raumtragwerken zwischen

  • Raumfach- oder Raumstabwerken,
  • Gitterschalen,
  • Seilnetztragwerken,
  • Zelten,
  • pneumatischen Tragwerke (Luft getragene Bauten) und
  • Schalen.

Raumfachwerke / Raumstabwerke

Ein spektakulärer Bau beim Übergang ins neue Jahrtausend war der Bau einer Werfthalle bei Brand (Lausitz) für den sogenannten „Cargo Lifter 160“. Die Größe der Halle ermöglichte im Innern die Herstellung eines Transport-Luftschiffes sowie die Wartung eines zweiten. Mit 107 m Höhe, 360 m Länge und 220 m Breite ist diese Werfthalle die zurzeit größte stützenfreie Halle der Welt. Sie bietet genügend Raum, um die gesamte Skyline des Potsdamer Platzes in Berlin aufzunehmen. Fünf tonnenförmig gewölbte Bogenbinder aus Stahlrohr sind an ihren Enden in Stahlbetonsockel (Widerlager) eingespannt und bilden das Tragwerk des Mittelteiles. Die äußere Hülle – ein aus vier Schichten bestehendes Membransystem – funktioniert gleichzeitig als Dach- und Wandabschluss sowie Wärmedämmung. Sechs Torsegmente bestehen aus diagonal, vertikal und horizontal verstrebtem Fachwerk, das mit Aluminiumplatten „beplankt“ ist.

Das Raumstabwerk stellt eine moderne Weiterentwicklung des Fachwerkes dar. Während beim Fachwerk das Grundelement meist die Form eines Dreieckes hat, bildet es bei räumlichen Stabwerken häufig würfel- oder pyramidenförmige Formen.

Gitterschalen

Eine Gitterschale wurde erstmals von FREI OTTO (* 1925) und OVE ARUP (1895–1988) 1974 entwickelt. OTTO experimentierte mit hängenden Netzen. Durch deren Versteifung und Umkehrung gelangte er zur Form einer Gitterschale. Mit Hilfe des Computers wurde die experimentell entwickelte Form des Tragwerkes durch die Firma Arup berechnet und 1975 für die Bundesgartenschau in Mannheim erstmalig realisiert.

Seilnetztragwerke und Zelte

Neue Wege der Konstruktionstechnik fand der Architekt HELMUT JAHN (* 1940) beim gläsernen Zeltdach des Sony-Areals in Berlin (1996–2000). Die Stahlseil-Stab-Konstruktion scheint über dem zentralen Platz zu schweben.

In den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts wurde Textiles Bauen als Alternative zu Stahl, Glas oder Beton wiederentdeckt. Schon in der Antike waren Sonnensegel für die Theater gebräuchlich. Alle nomadisierenden Völker benutzten Zelte, die als transportables Haus mitgeführt wurden. Nomadenzelte und Campingzelte beruhen meist auf zusammengefügten ebenen Flächen, die senkrecht keine Lasten abtragen können und ein aussteifendes Gerüst benötigen.

Heute übliche sogenannte Membrankonstruktionen (Gewebe- und Zelttragwerke) beruhen im konstruktiven Prinzip vor allem auf Zugkräften. Da Membranen immer vorgespannt werden, treten dadurch auch im unbelasteten Zustand Zugkräfte in allen Richtungen auf.

Seilnetze folgen in ihrer Formfindung und Lastabtragung den gleichen statischen Gesetzen (Gegenkrümmung, Vorspannung) wie Gewebe. Die Abstände des Netzes zwischen den „Gewebefäden“ Kette und Schuss sind größer und die Netze bestehen statt aus textilem Gewebe meist aus Stahlseilen. Als Material, das die Seilmaschen ausfacht oder bedeckt und damit den Raum schließt, werden Holz, Glas oder auch Textilien eingesetzt.

Die Olympiahalle in Tokio (Japan, 1964, Architekt: KENZO TANGE, geb. 1913) basiert aufeiner Stahl(seil)netzkonstruktion.

Die Olympiahalle in Tokio (Japan, 1964, Architekt: KENZO TANGE, geb. 1913) basiert aufeiner Stahl(seil)netzkonstruktion.

Konstruktionsprinzipien: Räumliches Tragwerk - Die Olympiahalle in Tokio

Das international bekannteste Zelttragewerk ist die Überdachung der Olympiastätten in München (1972; Architekten: FREI OTTO, * 1925; GÜNTHER BEHNISCH, * 1922). Zunächst wurden zeltdachartige Tragewerke aus gespannten Seilnetzen entwickelt, die eine stützenfreie, leichte und schwebende Überdachung der Stadien erlaubten. An Seilmasten (Pylonen) wurden die Netzflächen aufgehängt und mit Stützen und Abspannungen stabilisiert. Lichtdurchlässige und nur 4 mm dicke, auf dem Seilnetz angebrachte Plexiglasplatten schirmten die Zuschauer vor Wind und Wetter ab.

Pneumatische Tragwerke

Pneumatische Tragwerke (griech.: „pneuma“ = Atem) sind eine weitere Art der leichten Zug beanspruchten Konstruktionen, die unter künstlich erzeugtem Überdruck stehen. Das Stützmedium ist bei diesen Bauten die Luft – genauer, eine Druckdifferenz der Luft zwischen innen (höher) und außen (niedriger). Die bei diesem System angreifenden Kräfte werden über an Fundamenten befestigtem, vorgespanntem Textilgewebe als Zugkraft und über die eingeschlossene Luft abgeleitet. Dabei erzeugt ein erhöhter Innenluftdruck eine Stützkraft auf alle Punkte der Oberfläche und krümmt diese gleichsinnig (synklastisch).

Neben spektakulären Ideen und Projekten gibt es schlichtere Konstruktionen. Wie eine riesige gekrümmte Luftmatratze wirkte der Fuji-Pavillion auf der Weltausstellung in Osaka (1970; Architekten: YUKATA MURATA, 1917–1988; MAMORU KAWAGUCHI, * 1932). Einfache Traglufthallen setzten sich durch und fanden auch in landwirtschaftlich geprägten Regionen schnelle Verbreitung.

Schalen

Den Gegensatz zu Membran- und Seilnetzkonstruktionen bilden die Schalen. Bei den Schalen wird eine dünne, selbst tragende Konstruktion nach dem Vorbild der Eierschale – meist aus Stahlbeton – hergestellt. Sie kann aber auch als Gittertragwerk ausgebildet sein. Man unterscheidet Tonnen- und Kegelschalen, Kuppel- und Sattelschalen (hyperbolisches Paraboloid). Der in Mexiko lebende Architekt FÉLIX CANDELA (1910–1997) ist durch seine Schalenkonstruktionen international bekannt geworden (Pavillon für kosmische Strahlenforschung, 1953; Ausflugslokal in Xochimilco, 1958).

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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