- Lexikon
- Kunst
- 2 Kunstgeschichte
- 2.5 Das 19. Jahrhundert
- 2.5.1 Baukunst
- Ingenieurarchitektur
Da als Material zunehmend Gusseisen oder Stahl verwendet wurde, spricht man auch von der Eisenarchitektur. Mit Eisenarchitektur werden also Bauwerke bezeichnet, die überwiegend ais Eisen gebaut wurden. Diese Epoche in der Architekturgeschichte wurde als Folge der industriellen Revolution ermöglicht.
In Großbritannien wurden für Textilfabriken, v. a. aus Gründen größerer Feuersicherheit, eiserne Gerüste aus Stützen und Trägern innerhalb steinerner Außenwände entwickelt: Vorläufer des Eisen-, später Stahlskelettbaus. Daneben gab besonders der Brückenbau im Zuge des rasch wachsenden Straßen- und Schienennetzes entscheidende Impulse.
Die aufsehenerregendste Ingenieurkonstruktion in der Mitte des 19. Jahrhunderts war der „Kristallpalast“ von JOSEPH PAXTON (1801–1865) für die erste Weltausstellung von 1851 in Londons Hydepark.
Hauptziel der Weltausstellungen war von Anfang an die Darstellung, Vermittlung und dadurch Förderung des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts und besonders die miteinander konkurrierende Selbstdarstellung der beteiligten Länder aus aller Welt. Es waren Großereignisse, die ungeheure Besucherströme anzogen (1851 in London 6 Millionen, 1900 in Paris über 50 Millionen; auch die Ausstellungsfläche nahm kontinuierlich zu: 8,4 ha 1851 London, 81 ha 1893 in Chicago).
PAXTONs Kristallpalast ist als eine der bedeutendsten Pionierleistungen des 19. Jahrhunderts in die Architekturgeschichte eingegangen. Er wurde aus vorfabrizierten gusseisernen Stützen über einem durchgehenden Raster von 7,32 m in nur acht Monaten errichtet und war ringsum verglast (er fiel 1936 einem Brand zum Opfer).
Eine ähnlich bedeutende Ingenieurleistung in der Eisenarchitektur ist der nach seinem Architekten GUSTAVE EIFFEL (1832–1923) benannte Turm aus Schmiedeeisen für die Weltausstellung von 1889 in Paris; ebenso der für dieselbe Ausstellung bestimmte „Palais des Machines“, eine verglaste Eisenkonstruktion des Ingenieurs CONTAMIN (1840–1893) und des Architekten FERDINAND DUTERT (1845–1906).
Mit 115 m lichter Spannweite bei 45 m Höhe und 420 m Länge war sie damals das größte Gebäude auf der Welt. Das Problem der Streckung oder Verkürzung des Eisens bei Temperaturschwankungen wurde mit der Erfindung des Dreigelenkbogens gelöst, der beweglich auf dem Bodenlager aufsetzt: Die Halle erhebt sich nicht auf schweren Fundamenten, sondern steigt von einer schmalen Auflage empor.
Hatte PAXTON mit den durchsichtigen Glaswänden seines Kristallpalasts schon den unendlichen Raum geschaffen, so war jetzt eine wie schwebende Architektur entstanden. (Die Halle wurde 1910 abgebrochen.) Die neue Schönheit der Stahlbauten wurde von den Zeitgenossen durchaus erkannt.
„Seht euch die Wege an, die gewählt wurden, das Ziel zu erreichen, die Leichtigkeit der Struktur, den kühnen Schwung der anmutigen Biegung der Bogen, die gleich den ausgebreiteten Schwingen des Vogels in seinem Flug den Raum teilen.“ (ROGER MARX)
Der 300,5 m hohe und 7 000 t schwere Eiffelturm wurde nach einer Bauzeit von nur 16 Monaten am 6. Mai 1889 anlässlich der Weltausstellung in Paris und der 100-Jahrfeier der Französischen Revolution eröffnet. Es gab mehrere Kritiker, die den stählernen Turm als ein Symbol einer neuen, kunstfeindlichen Zeit bekämpften. So auch der Schriftsteller GUY DE MAUPASSANT:
„Nicht genug, dass man ihn überall sieht, mein, er ist auch überall und in jedem erdenklichen Material erhältlich, in jedem Schaufenster ausgestellt, ein unentrinnbares, ein quälendes Albdrücken.“
Trotz dieser Schmähung wurde der „hässliche Turm“ zum bekanntesten und meistbesuchten Gebäude in Paris.
Das größte Ingenieurwerk des Kontinents und des 19. Jahrhunderts zu schaffen, dieses Ziel stellte sich 1869 der deutsche Einwanderer JOHANN AUGUST ROEBLING mit der Konstruktion und dem Bau der Brooklyn Bridge in New York. Dieses Ziel erinnert an die biblische Legende vom Turmbau zu Babel.
Doch die Brücke konnte vollendet werden, wenn auch unter widrigen Begleitumständen. Noch heute spannt sich die Brücke als vergitterte Hängekonstruktion über den East River. Die Widerlager und Aufhängevorrichtungen für die Spannseile sind als neugotische Triumphtore gestaltet.
Leider kostete der Bau der Brücke den Architekten das Leben und auch sein Sohn, WASHINGTON AUGUSTUS, der die Arbeiten des Vaters fortsetzte, erkrankte bei den Aushubarbeiten an der Druckluftkrankheit und war seitdem an den Rollstuhl gefesselt. Auf Initiative seiner Frau EMELY konnte die Brücke dann 1883 eröffnet werden.
Vor diesem Bau hatte ROEBLING mit der Niagara Railway Bridge (1851–1855) und der 322 m langen Hängebrücke über den Ohio (1856–1867), die heute noch Cincinnati und Covington verbindet, frühe Konstruktionen verwirklicht.
Die Kostruktionen der ROEBLINGs leiteten in den USA eine Tradition ein, die schließlich in der berühmten, 1937 eingeweihten Golden Gate Bridge in San Francisco gipfeln sollte.
Als erste gusseiserne Brücke gilt die Brücke von Coabrookdale in Mittelengland (1775–1779). Sie wurde nach dem Entwurf von THOMAS FARNOLLS PRITCHARD über den Severn geschlagen.
Die erste Balkenbrücke aus Schweißstahl war die Britanniabrücke über die Menaistraße (1845–1850).
Wegen steigender Bodenpreise in den USA wurden Hochhäuser erforderlich. Möglich machte sie auch die Erfindung des elektrischen Fahrstuhls im Jahre 1852. Der erste Wolkenkratzer entstand in den 1870er-Jahren in New York. Er war rund 80 Meter hoch und in traditioneller Mauertechnik errichtet mit historischem Dekor.
Das erste Hochhaus, das als Skelettbau ausgeführt und bei dem neben Guss- und Schmiedeeisen erstmals Bessemerstahl verwendet wurde, war das „Home Life Insurance Company Building“ in Chicago. Es wurde von 1883–1885 erbaut. Auch hier gab es eine historische Verkleidung aus Haustein. Bis zu den auf jedes Dekor verzichtenden Bauten des Funktionalismus im 20. Jahrhundert (MIES VAN DER ROHE) war es noch ein weiter Weg.
Ein Angebot von