- Lexikon
- Kunst
- 2 Kunstgeschichte
- 2.5 Das 19. Jahrhundert
- 2.5.3 Malerei
- Historienmalerei – Bildvergleich
Es gab sie schon in der Antike, wenn auch selten (Mosaik mit der
„Alexanderschlacht“, 3. Jh. v. Chr.). Erst seit dem 14. Jahrhundert werden sie selbstverständlich. Ihre Blüte fällt ins 19. Jahrhundert.
In dieser Zeit herrschte das Prinzip der sogenannten Inhaltsästhetik, d.h. ein Bild musste vor allem ein bedeutendes Thema darstellen. Darum suchten die Künstler damals oft nach möglichst sensationellen, Aufsehen erregenden Motiven, und die entnahmen sie zunehmend der Geschichte.
Entsprechend galt an den Kunstakademien die Historienmalerei als höchste Bildgattung. Stillleben, Landschaften und Porträts rangierten deutlich darunter. Diese Stufung hatte sich bereits seit der Renaissance entwickelt.
SCHELLING ordnete in seiner „Philosophie der Kunst“, (1859 veröffentlichte er seine Vorlesungen von 1802/03 und 1804/05) die Malerei nach folgender Hierarchie: Auf der tiefsten Stufe stehen die Stillleben, dann folgt die Blumen- und Fruchtmalerei, dann die Tiermalerei, dann die Jagdstücke, dann die Landschaftsmalerei, dann folgen die Porträts, dann allegorische Darstellungen und schließlich:
„Die Historie ist ohne Zweifel der vornehmste Gegenstand der Malerei“.
Sowohl DAVIDs Gemälde, wie auch das von PILOTY zeigen einen Ermordeten.
Bei DAVID handelt es sich um einen aktuellen Mord: der Künstler hatte den zu den radikalsten Führern der französischen Revolution gehörenden JEAN PAUL MARAT (1744–1793) noch am Abend vor dessen Tod besucht.
Bei PILOTY dagegen geht es um ein lange zurück liegendes Ereignis aus dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648), das der Maler so dargestellt hat, wie es von FRIEDRICH SCHILLER (1759–1805) in seinem Schauspiel „Wallenstein, ein dramatisches Gedicht“ (1798/99) aufgefasst worden war.
Historischer Hintergrund des Gemäldes
JAQUES-LOUIS DAVIDs Bild stellt den in der Badwanne ermordeten JEAN PAUL MARAT dar. Der studierte Physiker und Arzt war als Präsident des Jakobinerklubs ein fanatischer Verfechter der Volkssouveränität und einer der radikalsten Führer der Französischen Revolution, die 1789 mit freiheitlichen Idealen begonnen hatte und 1792 in ihre totalitäre Phase eingetreten war.
Schon 1790 aber hatte MARAT in seiner Zeitung „Ami du peuple“ (Volksfreund) die Errichtung von 860 Galgen gefordert, 200 000 Menschen wollte er aufs Schafott schicken. Wegen einer juckenden Hautkrankheit verbrachte er täglich Stunden in einer Wanne. In ihr wurde er am 13. Juli 1793 von der aus der Normandie stammenden königstreuen Aristokratin CHARLOTTE DE CORDAY (1768–1793) erdolcht.
Der Nationalkonvent beauftragte den Maler JAQUES-LOUIS DAVID, selbst radikaler Jakobiner und Abgeordneter des Konvents, mit der Ausrichtung der Begräbnisfeierlichkeiten und der Anfertigung eines Gemäldes, um der Nachwelt das Bild des für seine Ideale Gestorbenen zu überliefern. Der Künstler hatte MARAT am Tag vor seinem Tod besucht:
„Ich traf ihn in einer Haltung an, die mich frappierte. Er hatte neben sich eine Holzkiste mit Tinte und Papier, seine Hand schrieb aus der Wanne heraus seine letzten Gedanken für das Glück des Volkes nieder. ... ich habe mir gedacht, es würde interessant sein, ihn in jener Lage zur Schau zu stellen, in der ich ihn angetroffen habe: schreibend für das Glück des Volkes.“
DAVID malte MARAT als Märtyrer der Revolution: Tot liegt er in der Wanne, schlaff hängt sein Arm, die Feder entgleitet seiner Hand, die Seitenwunde klafft, der blutbefleckte Dolch liegt am Boden. Die Wanne und die Tücher bezeugen sein Leiden, die billige Kiste seine Armut. Das Ganze wird überhöht durch die karg-feierliche Bildbeschriftung:
„À MARAT, DAVID – l’an DEUX“ (Für Marat, David, im Jahr zwei [der Revolution]).
In seiner Linken hält MARAT einen Brief. Es ist der, den die CORDAY bei ihrem ersten Besuch am Morgen des Mordtages in der Wohnung zurückgelassen hatte. Mit ihm wollte sie sich Zutritt verschaffen:
„am 13. Juli 1793 / MARIE ANNE CHARLOTTE / CORDAY an den Bürger / MARAT / Es genügt, dass ich / sehr unglücklich bin / um ein Recht auf Ihr Wohlwollen / zu haben.“
Auf der Kiste das Schreiben eines Unbekannten, der MARAT einen Geldschein anvertraut und bittet:
„Geben Sie / diesen Assignaten jener / Mutter von 5 Kindern / deren Mann / für seine Heimat gestorben ist.“
Beide Schriftstücke machen hier Sinn: Der Brief der CORDAY soll zeigen, wie niederträchtig sich die Mörderin bei MARAT eingeschlichen hatte. Der andere, welches Vertrauen der Ermordete genießt.
JACQUES-LOUIS DAVID: „Der ermordete Marat“;1793, Öl auf Leinwand,165 × 128 cm;Brüssel, Musée Royaux des Beaux Arts.
Aufbau des Gemäldes und religiöser Kult
DAVIDs Bild ist ein sehr einfach organisiertes Hochformat, dessen ganze obere Hälfte mit wattig aufgetupfter grauer Farbe gefüllt und also fast leer ist. In der unteren Hälfte sehen wir den Leichnam in der Wanne. Sein Haupt ruht genau auf der waagerechten Bildmittelachse, die Hand mit der Feder auf der senkrechten. Die Vertikale im linken Viertel berührt MARATs Kinn, folgt dem Oberarm und trifft unten auf das Heft des Mordmessers. Die Vertikale im rechten Viertel geht vom Papierblatt in MARATs Linker durch die Mitte der Kiste und der Widmung.
Die Intensität des Gemäldes folgt aus der Beschränkung auf nur wenige Requisiten in überlegter Anordnung und vor allem deren Verbindung mit der Erinnerung an Darstellungen des toten Christus, wie sie etwa von MICHELANGELO 1498/99 gemeißelt und von CARAVAGGIO 1602/04 gemalt worden waren.
Kompositionsskizze zu JACQUES-LOUIS DAVIDs Gemälde „Der ermordete Marat“
Eine Verbindung herzustellen zwischen dem in der Wanne ermordeten MARAT und dem am Kreuz gestorbenen Christus lag nahe, denn sofort nach dem Mord war um den Toten ein unverhüllt religiöser Kult entstanden. So verbreitete ein Straßburger Flugblatt eine „Lobrede auf den Märtyrer der Freiheit JOHANN PAUL MARAT“, in der es unter anderem hieß:
„MARAT liebte wie Jesus das Volk innigst und liebte nur dasselbe. Er verabscheute wie Jesus die Könige, den Adel, die Pfaffen, die Reichen, die Betrüger und hörte nicht auf, diese Seuche der menschlichen Gesellschaft zu bekämpfen. Er lebte wie Jesus, arm und einfach“.
Dieser Kult gipfelte in einem blasphemischen „Glaubensbekenntnis an MARAT“:
„Ich glaube an MARAT, den Allmächtigen, Schöpfer der Freiheit und Gleichheit, unsere Hoffnung, den Schrecken der Aristokraten, der hervorgegangen ist aus dem Herzen der Nation und offenbart ist in der Revolution, der ermordet ist von den Feinden der Republik, der ausgegossen hat über uns seinen Gleichheitsatem, der niedergefahren ist zu den Elyseischen Feldern, von dannen er eines Tages kommen wird zu richten und zu verdammen die Aristokraten.“
Zum Vergleich sei hier das Gemälde CARAVAGGIOs genannt: „Grablegung Christi“.
MICHELANGELO CARAVAGGIO: „Grablegung Christi“;1602–1604, Öl auf Leinwand, 300 × 203 cm;Rom, Pinacoteca Vaticana.
Ganz anders PILOTYs Gemälde. Es ist kein Auftragsbild, wurde aber noch im Jahr seiner Vollendung von König LUDWIG I. von Bayern vom Künstler erworben. Die zeitgenössische Kritik bewunderte es, zahlreiche Kopien und druckgrafische Reproduktionen entstanden, und so begründete es PILOTYs Ruhm als Historienmaler. Dabei ist es eine reine Erfindung, rekonstruiert nicht die historischen Fakten, sondern orientiert sich an SCHILLERs Wallenstein-Trilogie.
Historischer Hintergrund des Gemäldes
ALBRECHT WENZEL EUSEBIUS VON WALLENSTEIN, Herzog von Friedland, Mecklenburg und Sagan (1583–1634) war Feldmarschall und Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen gegen die Schweden unter König GUSTAV ADOLF. Eigenmächtige Verhandlungen mit Schweden und Frankreich hinter dem Rücken des Kaisers zum Zweck eines schnellen Friedens und undurchsichtige Pläne für ein großes Ostseereich führten zu seiner Absetzung und der Ermordung am 25. Februar 1634 in Eger.
Aufbau des Gemäldes
Den Augenblick unmittelbar nach dem Mord setzt PILOTY in Szene: In einem mit reichen Stoffen, Teppichen, Möbeln, Papieren und verschiedenen Requisiten ausgestatteten Zimmer liegt WALLENSTEIN tot quer auf dem Boden. Ein Tuch ist über seinen Leib geworfen, das seidene Tischtuch hat er halb herabgezogen, die Bücher sind nahe an die Kante des Tisches gerutscht. Neben dem Leichnam steht resigniert der Astrologe SENI, hatte er den Feldherrn doch zuvor noch gewarnt und versucht, ihn zur Flucht zu bewegen, denn die Sterne verrieten Unheil:
„Die Zeichen stehen grauenhaft, nah, nahe umgeben dich die Netze des Verderbens.“ (SCHILLER)
Alle Details sind wie Regieeinfälle für eine Bühnenaufführung platziert, das geht bis zur Lichtführung, die effektvoll den Leichnam beleuchtet (üppig gefärbte Textilien – das goldseidene Tischtuch, der grüne Bettvorhang im Hintergrund, der rote Teppich). Auf dem Tisch einige vielsagend gruppierte Dinge: die gerade verlöschende Kerze (das ausgeblasene Lebenslicht) mit ihrem senkrecht aufsteigenden Rauchfaden, die kleine Glücksgöttin auf dem Leuchter, die weggedreht ist, der Globus, die Lage und Haltung der Leiche in der Stellung des toten Christus. Alles Bühne und alles Appelle ans Bildungswissen der Bürger, bei dem die Kenntnis von SCHILLERs Theaterstück vorausgesetzt ist.
Die konzentriert einfache Komposition von DAVIDs „Marat“ hat PILOTY gerade vermieden. Sein sehr großformatiges Bild (15 m² gegen rund 2 m² bei DAVID) wirkt mit Gegenständen so erstickend überfüllt wie ein Gründerzeitsalon und lebt von den vielen Requisiten, von den Anspielungen, Andeutungen, den Hinweisen auf Stellen in SCHILLERs Drama.
KARL THEODOR VON PILOTY: „Seni an der Leiche Wallensteins“;1855, Leinwand, 312 × 365 cm;München, Neue Pinakothek.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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