- Lexikon
- Kunst
- 6 Architektur
- 6.5 Gestaltung
- 6.5.2 Raum
- Gestaltung in der Architektur: Raum
Unter Raum ist
zu verstehen.
Nach der Philosophie des fernen Ostens bewirkt erst der leere Raum das Wesen der gestalteten Form. Bei LAO-TSE ist zu lesen:
„Aus Ton entstehen Töpfe, aber das Leere in ihnen erwirkt das Wesen des Topfes. Mauern mit Fenster und Türen bilden das Haus, aber das Leere zwischen ihnen erwirkt das Wesen des Hauses.“
Mit der Auswahl eines bestimmten Ortes nimmt das Bauwerk eine Beziehung zu seiner Umgebung – zur Landschaft, zu städtischen Bauten, zu Gewässern usw. – auf. Es fügt sich in den Außenraum ein, tritt in einen „Dialog“ zu anderen Gebäuden oder es hebt sich deutlich vom übrigen Raum ab – es dominiert. Das kann durch Größe, Form, Ausdehnung, Materialeinsatz geschehen (beispielsweise durch besonders hohe Gebäude innerhalb von Stadtsilhouetten).
Während in historischen Zeiten für die Wahl des Bauplatzes kultische und schützende Funktionen den Ausschlag gaben, muss der Architekt heute häufig eine Baulücke füllen. Auf einer dreieckigen Fläche in der Frankfurter Innenstadt wurde das Museum für Moderne Kunst gebaut (1987, Architekt: HANS HOLLEIN, geb. 1934). Die Architektur des Museums folgt der Grundstücksform an einer Straßengabelung, hebt sich durch seine ungleichseitige Dreiecksform von den umgebenden Gebäuden ab, verbindet sich aber wiederum mit ihnen durch die „aufgerissene“ Dachform. Dagegen überragt der Messeturm in Frankfurt (1984, Architekt: HELMUT JAHN, geb. 1940) das gesamte Messegelände und „unterdrückt“ alle umgebenden Bauten in natürlicher Größe. Als hoch aufragendes „Potenzsymbol“ konkurriert der Turm mit allen Hochhäusern der Stadt.
Entscheidend für die Art des Raumerlebnisses ist der Weg, den der Mensch im architektonischen Raum zurücklegt. Über die architektonische Festlegung bestimmter Bewegungsrichtungen (z. B. Straßen, Alleen, Galerien, Treppen) können Raum- und Formerlebnisse bewusst gesteuert werden.
Für den Außenraum bedeutsam sind die Grenzen der Baukörper. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten zu seiner Gestaltung:
Das architektonische Gefüge einer Stadt beruht auf dem Zusammenspiel zwischen Baukörper und Räumen. Straßen dienen
Sie verlaufen linear. Plätze dienen
Sie sind eher flächig. Straßen und Plätze erhalten ihren Raumcharakter durch die sie begrenzenden Gebäude.
So bilden auch im Außenraum die Kompositionsprinzipien der
Schwerpunkte bei der Anordnung von Bauwerken.
Das Prinzip des Rasters wurde ca. ab 450 v.Chr. vor allem bei der Anlage neuer Städte in Kleinasien als geometrischer Bebauungsplan benutzt. Diese Pläne gehen auf HIPPODAMUS VON MILET (geb. 510 v.Chr.) zurück. Alle Wohnhäuser in dessen regelmäßigem städtebaulichem Gitternetzplan waren typisiert. Einen Leerraum sparte man für öffentliche Gebäude – z. B. für Theater, Agora, Tempel – aus (Priene, Piräus). Damit erhielten diese eine Ausnahmestellung.
Die Wahrnehmung der Außenräume erfolgt sehr unterschiedlich. So kann eine schmale, enge Gasse in einer mittelalterlichen Stadt schützend, aber auch beklemmend wirken. Ein großzügig dimensionierter Platz kann offen und weitläufig, aber auch grenzenlos unendlich wirken.
Stadtsilhouetten machen deutlich, dass bestimmte Bauwerke sich vom homogenen Stadtbild durch Höhe, Masse, besondere Formung abheben. In früheren Zeiten überragten meist Sakralbauten die übrige Bausubstanz. Heute können beispielsweise Fernsehtürme, Bankgebäude, Universitätsgebäude, Wohnhochhäuser zur städtebaulichen Dominante werden.
Wie der Außenraum werden auch die Innenräume eines Bauwerkes durch die Bewegung erschlossen. Raumtiefe bei Straßen, Plätzen und Innenräumen entsteht durch Profilierung und Gliederung, die eine Abstufung ergeben. Die Architekten einzelner absolutistischer Kleinfürsten versuchten, große Räume vorzutäuschen, in dem sie sich perspektivischer Mittel bedienten: z.B. ließen sie – statt parallele Wege und Rabatten zu verwenden – in ihren Parks die Wege diagonal auf einen Fluchtpunkt „zulaufen“.
Raumdichte wird erzeugt, wenn der Raum durch „Zwischenstaffelung“ scheinbar verengt wird: z. B. durch Säulenwälder oder Pfeiler (Moschee in Cordoba, Baubeginn 785 n.Chr.; „Garten des Exils und der Emigration“ im Jüdischen Museum in Berlin, 1998). Im Gegensatz dazu wirken ungegliederte Räume meist als großzügige Hallen.
Die Wirkung eines Raumes wird auch durch seine Dimensionierung erreicht. Am Maß des Menschen gemessen, der für sein Wohlbefinden sowohl Rückzugsmöglichkeiten als auch Geräumigkeit braucht, müssen vor allem Büro- und Wohnräume projektiert werden. Extrem dimensionierte Räume können Schwindel erregend hoch oder bedrückend niedrig, endlos lang oder bedrängend schmal sein.
Bei der Anordnung von Räumen unterscheidet man zwischen
Private Wohnhäuser – sogenannte Architektenhäuser – werden heute meist als Kompromiss zwischen
konzipiert. Verschiedene Nutzungszwecke werden damit in einem Raum zusammengeführt.
Bei der sogenannten räumlichen Verkettung werden verschiedene Räume einer einheitlichen Nutzung zugeführt und häufig mit Sichtachsen, Treppen oder Galerien verbunden (Casa Rotonda, 1980, Architekt: MARIO BOTTA, geb. 1943; Museumsbauten).
Räume im Innern der Gebäude können ebenso wie Gebäude im Außenraum
Durch verschiedene Kompositionen, offene Grundrisse, Durchdringung von Räumen, große Fensterflächen und entsprechende Öffnungen zum Außenraum kann ein Baukörper einladend und offen wirken (Louisiana Museum, erste . Erweiterung: 1956, Humlebæk in Dänemark, Architekt: JØRGEN BO und VILHELM WOHLERT) oder verschlossen, abwehrend, festungsartig, wenn sich die Räume nach innen – auf einen Hof oder mehrere Höfe – öffnen. Beispiele aus dem Altertum sind die Atriumhäuser Griechenlands und Roms oder Gebäude in den islamischen Kulturen, z. B. die Alhambra in Granada oder marokkanische Wohnhäuser.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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