Das Drehbuch ist keine eigenständige literarische Gattung. Es ist eine Zuarbeit, eine Vorstufe – allerdings die unverzichtbar wichtigste und entscheidende vor der Realisierung des Films. (Regel: Ein gutes Drehbuch ist noch keine Garantie für einen guten Film, aber ohne gutes Drehbuch entsteht garantiert kein guter Film.) Mit ihm wird der Produzent die Kosten kalkulieren, mit ihm erarbeiten die Schauspieler ihre Dialoge, legen Regisseur und Kameramann die Bilder fest, werden Außenschauplätze und Innendekorationen bestimmt und hergestellt, Tontechnik, Beleuchtung, Maske, Kostüm orientieren sich daran usw. Für alle künstlerischen und technischen Mitarbeiter des Produktionsteams bildet das Drehbuch die Verständigungsgrundlage. Nur so können dann in einer kurzen, zeitlich genau festgelegten Phase (dem Dreh oder der Drehzeit)in einem aufwändigen Prozess alle Einzelteile (Szenen) des späteren Films produziert werden, die anschließend durch den Schnitt montiert und schließlich mit der Musik, den Schrifttiteln usw. zum fertigen Film gemischt werden.
Filme erzählen Geschichten von Konflikten, inneren oder äußeren Kämpfen. Dabei stehen sich Widersacher/Helden mit sehr unterschiedlichen, oft entgegen gesetzten Zielen gegenüber (z.B. Täter und Kriminalist, Sheriff und Bandit oder die beiden zunächst antipodischen Partner einer Liebesgeschichte). Wir erleben die immer intensiver werdende Auseinandersetzung bis zum Höhepunkt, zur Katastrophe und zur Auflösung. Erzählt wird in der Regel von einer „unerhörten Begebenheit“(Goethe) im Leben der Menschen. Damit steht der Film in seinem Aufbau dem Drama und der Novelle sehr nahe.
Die Handlung des Films, die Struktur des Drehbuchs also, folgt in der strengen, klassischen Variante einem dreistufigen Modell (3 Akte):
Je nach Art der Geschichte und je nach künstlerischer Sicht von Autor und Regisseur können zu dieser (relativ einengenden) Grundstruktur weitere, sogenannte epische Elemente hinzutreten:
Es gab und gibt vor allem in den Filmen des europäischen Raumes zahlreiche Beispiele, das Schablonenhafte dieses (von Hollywood bevorzugten) Grundmodells aufzubrechen und zu erweitern (FEDERICO FELLINI, FRANCOIS. TRUFFAUT, INGMAR BERGMAN, ANDREJ TARKOWSKI u. a.)
Die Auffassungen über die Ausführlichkeit, mit der eine Geschichte ohne Sinnentstellung erzählt werden kann, sind ohnehin unterschiedlich. Deshalb kann die Kinofassung eines Films erheblich kürzer ausfallen als die Fernsehfassung oder die vom Regisseur bevorzugte (director`s cut).
Filme erzählen ihre Geschichten in Bildern – bewegten Bildern, in denen sprechende Figuren agieren. Damit kann sich der Film den Anschein von Realität geben, vermittelt er die Illusion des Dabeiseins und bezieht daraus seine direkte emotionale Wirkung.
D.h., der Film tut so, als sei er bei jeder wichtigen Situation in der Entwicklung seiner Geschichte, auf dem Weg seiner Helden, als direkter Augenzeuge dabei. Darum auch der Aufbau eines Drehbuches in Szenen (bzw. Bildern), wobei jede Szene (jedes Bild) nach dem Muster
wie ein Zeugenbericht ausfällt. Das Drehbuch hat also die Funktion, die von Regie und Kamera mit den Schauspielern zu erstellenden Bilder möglichst anregend und nachvollziehbar textlich zu beschreiben.
1. SZENE (1. Bild) LANDSTRASSE NACHT/AUSSEN
Die Landstraße ist einsam und kurvenreich. Regen peitscht herunter. Ein Radfahrer kämpft sich müde voran, stemmt sich gegen den heftigen Wind. In der Ferne taucht das Scheinwerferlicht eines Autos auf. Es nähert sich mit großem Tempo...usw.
Der Dialogtext der Schauspieler hebt sich in der Szene deutlich ab. Zum Beispiel:
X. SZENE KÜCHE DER FAMILIE MAYER TAG/INNEN
Herr und Frau Mayer haben ihr Frühstück fast beendet. Herr Mayer greift zur Zeitung. Er schlägt sie auf, liest sich an einer Stelle fest und knallt plötzlich die flache Hand auf den Tisch.
HERR MAYER Das kann doch nicht wahr sein!
Frau Mayer zuckt zusammen. Sie war gerade dabei, sich noch Kaffee nachzuschenken, etwas geht neben die Tasse. Frau Mayer stöhnt auf.
FRAU MAYER Jeden Sonntag...
Usw.
Film- und Fernsehproduktionen sind mit einem immens hohen Kostenaufwand verbunden. Um sich Irrtümer zu ersparen und die Tauglichkeit einer Filmidee frühzeitig zu prüfen, gibt es auf dem Weg zum fertigen Drehbuch verschiedene Entwicklungsphasen.
Am Anfang des Films steht die Idee oder Ideenskizze. Hier wird auf ein bis zwei Seiten die Handlung des Films quasi im Telegrammstil beschrieben.
Das Exposè (frz. = Übersicht, Darstellung; ca.15-20 Seiten) enthält bereits Charakteristiken der Hauptfiguren und erzählt die Handlung detaillierter, ohne sie jedoch szenisch zu gliedern. Das geschieht erst im Treatment. Dieses (50-60 Seiten, enthält Plot, Storyline und Charaktere) umfasst eine ausführliche Beschreibung jeder einzelnen Szene, enthält aber noch keine Dialoge.
Plot enthält die Fabel einer Geschichte, Storylines sind die Handlungsstränge einer fortlaufenden Geschichte und Charaktere meint die Personen der Handlung.
Da aber die optische Erzählweise und der dramaturgische Spannungsbogen der Geschichte nunmehr deutlich ablesbar sind, können sich Filmproduzent oder Fernsehsender spätestens anhand des Treatments für oder gegen eine Produktion (bzw. die Weiterführung zum Drehbuch) entscheiden. Dennoch werden fertige Drehbücher oft genug noch mehrfach „umgeschrieben“ oder ein anderer Autor mit der „Überarbeitung“ beauftragt. Die Angst der Verantwortlichen vor Kassen- oder Quotenmisserfolg ist groß.
Mehr als die Hälfte aller Kino- und Fernsehfilme sind Adaptionen von literarischen Vorlagen – von Erzählungen, Novellen, Romanen. Damit kann u. a. in wirksamer Weise eine große Zahl an Nichtlesern erreicht werden (wie z. B. nach Ende des Zweiten Weltkrieges mit „Der Untertan“ von WOLFGANG STAUDTE), Regisseur und Autor können ihre besondere Interpretation von Romanen präsentieren (VOLKER SCHLÖNDORFF: „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, „Die Blechtrommel“) oder es wird kommerzieller Erfolg ausgenutzt („Harry Potter“, Fernsehfilme nach Krimis von HENNING MANKELL oder DONNA LEON).
In Bezug auf den zu entstehenden Film muss das Drehbuch bei einer Adaption funktionieren wie ein Originalmanuskript, und der Drehbuchautor sollte sich zur literarischen Vorlage nicht anders als zu Rohmaterial verhalten – jener Mischung aus Phantasie und Recherche, aus der er üblicherweise schöpft. Das Besondere besteht darin, dass es sich bei diesem „Rohmaterial“ um ein fertiges, bereits vorgeformtes Kunstwerk handelt. Der Drehbuchautor braucht also einerseits das Selbstbewusstsein, sich dem Verfasser der Vorlage „als Partner“ zu stellen, andererseits übernimmt er die Verantwortung, Botschaft und Atmosphäre des bestehenden Werkes zu bewahren und möglichst gleichwertig umzusetzen. Das Drehbuch wird hier zum Scharnier zwischen verschiedenen Kunstformen.
Dass die formale Übernahme von Prosa ins Drehbuch kaum funktionieren kann, macht schon der quantitative Vergleich deutlich: Eine Kurzgeschichte muss erweitert, ausgebaut werden, während der umfangreiche Roman („Krieg und Frieden“, „Spur der Steine“) erheblicher Straffung und Kürzung bedarf. Große strukturelle Eingriffe ergeben sich weiterhin aus dem unterschiedlichen Rezeptionstempo, dem Prosa und Film folgen: Während Lektüre beliebig oft unterbrochen werden kann, zurückgeblättert, wiederholt werden darf, muss die Filmhandlung als fortlaufende, geschlossene Einheit präsentiert werden. Darum wird der Drehbuchautor – unter Verwendung der die jeweiligen Figuren prägenden Eigenheiten (Herkunft, Dialekt, Gesten usw.) – vor allem die konflikttreibenden Szenen herauskristallisieren, den Konflikt gegebenenfalls verschärfen und bis zur „schlimmstmöglichen Wendung“ (der Katastrophe) zuspitzen.
Was im Roman als
(oft sehr breit) ausgeführt ist, muss dabei, sofern es möglich ist, in Handlung, in Figurenhandlungen übertragen werden. Letztlich folgt der Drehbuchautor damit stets einer allgemeingültigen Forderung, die bereits LESSING (Hamburgische Dramaturgie, 9. Stück) an alle dramatische, von Schauspielern dargebotene Kunst richtet:
„Wir wollen es auf der Bühne sehen, wer die Menschen sind, und können es nur aus ihren Taten sehen.“
Trotz prinzipieller Nähe des Films zum Drama bilden Verfilmungen von Schauspielen eher die Ausnahme. Das liegt vor allem an der gezwungenermaßen
Natürlich sind auch Filmdialoge „gehobene“ Dialoge. Sie dürfen nur nicht als solche wahrgenommen werden – wegen der vermeintlichen „Zeugen-Realität“ des Films.
Die gelegentlich aufkommende (akademische) Frage, wie „werkgetreu“ eine Literaturverfilmung zu sein habe, führt in die Irre. Auch bei dem Filmklassiker „Psycho“ von ALFRED HITCHCOCK handelt es sich um eine Literaturverfilmung (Drehbuch: J. STEFANO nach einem Roman von ROBERT BLOCH), aber wie bekannt ist die literarische Vorlage? Selten gibt es mehrfache Versuche filmischer Interpretation eines literarischen Stoffes – wie z. B. beim „Schimmelreiter“ von THEODOR STORM. Manchmal wird eine Neuverfilmung (ein sogenanntes „Remake“) gewagt, wie z. B. bei JUREK BECKERs Roman „Jakob, der Lügner“ als DEFA- und Hollywood-Film.
Wir haben es beim literarischen Werk und bei der Filmfassung immer mit selbständigen, unabhängig voneinander wirkenden künstlerischen Produkten zu tun, die nach jeweils eigenen Qualitätskriterien zu bewerten sind. Das Drehbuch ist, die Qualität eines Films betreffend, dabei (siehe oben) eine unverzichtbar notwendige Bedingung – aber eben keine hinreichende.
Das gängigste Format für das Abfassen eines Drehbuch ist das
Nicholl Fellows-Format:
FADE IN:
INT. DRISKILL HOTEL SEMINAR RAUM TAG
JOE und APRIL stoßen die Tür zu einem sauberen, freundlichen Seminarraum auf.
JOE
Sind wir pünktlich?
APRIL
Wie können sie anfangen ohne uns?
Wir sind die Hauptattraktion.
Joe ringt nach Atem und er lehnt sich ans Podium im vorderen Teil des Raums.
JOE
(schaut sich im Raum um)
Sind wirs?
.......
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19. Oktober, 2006
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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